Donnerstag, Januar 12, 2006

Geschenkengaul mit Mundgeruch

Kiloweise tote Materie würde mich dumpf und hilflos anstarren, wäre sie nicht lieblos in eine Plastiktüte gepfropft. Kauert nun in der Ecke. Ein hilfloser, leicht blöder Haufen, der selbst nichts dafür kann. Von einem Ort zum anderen gejagt. Und diejenigen, von denen ich ihn geschenkt bekommen habe, sind diejenigen, die genauso wenig dafür können. Ganz im Gegenteil. Und ich fühle mich beinahe schuldig für meinen Groll. Was geschenkt bekommen und dann auch noch drüber moppern, das sind die Richtigen. Undankbarer Mürbelfuzzi, der ich nun wohl bin. Mein Magen knirscht wütend, meine Mundwinkel eiern zwischen erboster Hochspannung und ausgeleierter Enttäuschung hin und her.

Geprickelt hat es, als ich zu Weihnachten eine E-Mail bekam, dass ich gewonnen habe. Gehüpft hat mein Herz. Man gewinnt ja nicht alle Tage bei einem Preisausschreiben. Und dann auch noch ein Buchpaket von Poertgen-Herder, dem bestausgestatteten, größten Buchhändler in Münster. Neues, tolles Futter für die Leseratte?! Großartig!

Ich hatte teilgenommen beim Weihnachtsgewinnspiel von „Campus Relations“, dem Studentenverein für PR-Praxis. Eine ansehnliche Riege von Sponsoren hatten sie für die gute Sache gewonnen und ein feines Paket verschiedenster Gewinne schnüren können. Sehr nette, engagierte Leute, die jenseits von Vorlesungen und Seminaren freiwillig Projekte im Bereich von Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Fast ein wenig aufgeregt war ich, als ich heute vorfreudig antreten durfte zur feierlichen Geschenk-Übergabe.

Freundliche Gesichter hießen mich willkommen, baten mich herein. Schnell wurde noch die Digitalkamera hervorgekramt für das Übergabefoto. Lächeln. Kameraklick, Blitz! Nochmal, Du hast grad geblinzelt, als ich abgedrückt habe. Klaro, wird gemacht. Nochmal lächeln. Zu so einem Anlass gern. Gespannt, was der renommierte Buchladen sich als Preis für die Studenten so ausgedacht hat. Ein wenig zersplitterte meine Vorfreude dann allerdings. Als ich – wieder draußen – mit dem eifrigen Erforschen meines Gewinns begann, schubste die Enttäuschung das Lächeln über das Brückengeländer. Es hielt sich tapfer fest, versuchte sich wieder hoch zu hangeln, rang um sein Leben, doch es fiel herunter und zerschepperte am Grund.

Dem freudigen Studentengewinner zugedacht hatte der spendierfreudige Buchladen:

1.: Ein abgegrabbeltes Taschenbuch: „Immobilienkauf in Italien – erwerben, besitzen, verkaufen, vererben.“
2.: Ein dünnes, broschiertes Ratgeberbüchlein: „Mein Gartenparadies, der Kräutergarten.“
3.: „Das Horoskop-Handbuch für den Stier.“
4.: Ein Graphologie-Set mit Lineal und Plastiklupe.
5.: „Indische Aphrodisiaka. Kurzeinführung mit Illustrationen.“ mit eingerissenem Umschlag.
6. „Marianas Sehnsucht.“ Die Lebensgeschichte einer Nonne im 17. Jahrhundert.
7. „I killed Norma Jeane“ von Hanjo Lehmann. Ein Roman.
8.: „Einhundert Arten den Mond zu sehen“ Von Nathalie Weidenfeld. Eine Dreiecksgeschichte, die Wolfgang Joop empfiehlt. Plastikhüllen der Romane zerrissen.


Allesamt Restauflagen und Remittenden ohne „Mängelexemplar“-Stempel. Acht Bücher, ein schwerer Haufen , eben noch auf dem Billigwühltisch, jetzt schon in der Gewinnerplastiktüte. Hingerotzt. Spendierhosen von der Resterampe. Eigentlich eine herrlich absurde Zusammenstellung. Krude, obskur, von niemandem gebraucht, abseitig as can be. Aber was damit tun? Hilfloses Schulterzucken, verlegenes Lächeln auch seitens der Studenten, die ein wenig peinlich berührt scheinen. Ein kleiner Hauch von Mitleid, man musste verschenken, was man gesponsert bekam.

Ein kleines Schmunzeln tänzelt in die geronnene Freude bei dem Versuch, zu erraten, nach welchen Gesichtspunkten die Büchersammlung zusammengestellt worden sein mag. Was könnte einem Studenten wohl gefallen? Wie sehr hätte ich mich über einen Gutschein zum Selbstaussuchen gefreut, gern auch nur für ein einziges, kleines Taschenbuch. Stattdessen eine lieblos zusammengepferchte wilde Mischung obskurer Ramschbücher, für die mir auch nach stundenlangem Nachdenken außer „Verschenken“ oder „Entsorgen“ allzu wenig einfällt, was ich sonst damit gern machen würde. Entspannt in den Lesesessel gefläzt, werde ich ein wenig die aphrodisierenden Geheimnisse aus Indien durchstöbern und kurzzeitig vergnügt mit Plastiklupe und Lineal in Handschriftproben nach verborgenen psychologischen Motiven forschen.

Liebend gern darf sich bei mir melden, wer sich über eins der Bücher freuen würde – oder alle. Falls der MC nach der Eigentumswohnung samt schickem Jacuzzi noch die Anschaffung einer Villa in Italien plant – ich habe den passenden Ratgeber dafür. Wer zwischen Ende April und Mai geboren ist und darauf brennt, sich ein Horoskop zu basteln: Kein Ding. Kurzzeitig krabbelt das schlechte Gewissen wieder hoch: Freu Dich! Du hast was gewonnen, sei nicht undankbar. Freuen würde ich mich nun aber vor allem über kreative Ideen, was ich mit meiner schicken Plastiktüte samt papiernem Inhalt geschicktestenfalls anstellen kann. Fein, dass es andere Bücherläden in Münster gibt, meine Gutenachtlektüren werde ich zukünftig ausschließlich dort kaufen. Schade.

24 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

was fürn haufen scheiße. wahrscheinlich hat irgendwer vom bücherladen sogar noch draufgespuckt vorm eintüten

12/1/06 10:10

 
Anonymous Anonym meint...

das ist bitter. und schrottgewichtel ist ja erst wieder an weihnachten. hast du ungeliebte verwandte?

12/1/06 10:53

 
Blogger anke-art meint...

Einige Vorschläge:
Alle Seiten schreddern, mit Tapetenkleister verrühren und dem Buchladen eine fesche Pappmaché-Skulptur vor den Eingang dübeln.
Die Bücher als Lesefutter an überfüllte Praxiswartezimmer verteilen.
Konfetti draus machen, bald ist Karneval/Fasching/Fasnet/Rumtäterä

Sinnvollste Lösung: Bei tauschticket.de alle Bücher einstellen, dafür Tauschtickets kassieren und ein paar nette Bücher raussuchen.

12/1/06 11:29

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Das klingt doch schonmal gut. Danke für den Tipp. :)Vielleicht werd' ich mal Kleister anrühren und die Konfettimaschine neu schmieren.

Die Romane werd' ich vielleicht auch einer Krankenhausbibliothek spenden. Dann hat man wenigstens ein gutes Werk getan.

12/1/06 12:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kleiner onkel: Nicht wirklich. Und auch keine, die Grundstücke und Häuser auf der anderen Seite der Alpen kaufen wollen würden.

12/1/06 12:07

 
Anonymous Anonym meint...

Ein wahrlich "toller" Gewinn. Vielleicht ein Einstieg, um bei Bookcrossers mitzumachen!

12/1/06 13:19

 
Anonymous Anonym meint...

Für mich bitte die indische Bumsanleitung. Danke.

12/1/06 13:25

 
Blogger zora meint...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

12/1/06 13:42

 
Blogger zora meint...

eine kreative methode, den traurigen gewinn zu ver-/be-arbeiten: wie wär's mit der cut-up-methode? hier einen absatz, da eine zeile herausgeschnitten, neu zusammen gefügt, und schon hast den kunstroman des jahres 2006 - über eine nonne im 17. jhdt., die mit italienischen notaren, die vom mord an amerikanischen sex-ikonen visionieren, in ihrem kräutergärtchen indische aphrodisiaka ausprobiert, um den mond im zeichen des krebses mal unter kalligraphischen gesichtspunkten betrachten zu können. oder so.

12/1/06 13:44

 
Anonymous Anonym meint...

Mein Tipp:Zurückbringen, Freund und Fotoapparat mitnehen.

12/1/06 13:48

 
Anonymous Anonym meint...

stimmt, das riecht gewaltig, wenn du den mumm hast (ich sag's gleich dazu-ich hätt ihn nicht), dann schick es zurück oder noch besser kehr den spieß um und gratulier ihnen mit großem tratra und glitzerkonfetti, lokalpresse und paparazzi zum "best bookshop 2006"... und vor allem: hab kein schlechtes gewissen, da waren ja die überraschungspakete von weltbild früher für 10 mark noch ergiebiger!

12/1/06 14:25

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Burnse, würziger bumsen kannste in Bälde. Ich schick's Dir, sobald ich mich selbst schlau gemacht hab. :)

12/1/06 14:26

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@rulla: großartigst! Ich freu mich.

12/1/06 14:27

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@zora: Wäre ein Plan. Aber ein sehr ähnliches Projekt liegt noch von vor Weihnachten in der Schublade, hat allerdings mehr mit Ärztegroschenromanen zu tun... definitiv aber ne Idee. :)

@agathe: Glitzerkonfetti bei der Rückgabe ist ebenfalls denkbar. Herrje. Jetzt muss ich mich wieder entscheiden.

12/1/06 14:29

 
Anonymous Anonym meint...

Das Mondbuch klingt soooo schlecht jetze aber nicht. und wenn der Wolle es toll fand, dann muß es gut sein. Ick nehm´s.

12/1/06 19:25

 
Blogger Lundi meint...

Graphologieset mit Lupe und Lineal - erinnert nur mich das an Yps ?
Ich würde das alles zum Buchhändler schleppen und etwas lamentieren - ein Schadenersatz in Form eines Buchgutscheins sollte schon drin sein.

12/1/06 21:56

 
Anonymous Anonym meint...

ich las norma jean (schreibt sich übrigens norma jeane - wenn der buchautor das nicht mal weiß...) und mein interesse war geweckt, aber davor die fiesen worte "i killed"... nee, schmeiß weg.

13/1/06 09:54

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich habe meine karitative Seite entdeckt und die Romane gespendet für die Krankenhausbibliothek der Raphaelsklinik. Das Immobiliendings und das Horoskop-Handbuch habe ich der Stadtbibliothek vermacht, nachdem der Buchhändler sagte, er dürfe die Titel nicht zurücknehmen, da mit der Abgabe an mich der Bestand bereinigt gewesen sei und keine Neuaufnahme der Titel geplant oder beabsichtigt sei.

Insofern, ist das Mondbuch jetzt im Krankenhaus, Britt. Tut mir Leid. Aber ich wollte die Dinger so schnell und effektiv und sinnvoll wie möglich abgeben. Ich überleg mir ne andere Kleinigkeit beizeiten.

Und in Bälde gibt's hier einen kleinen Wettbewerb mit kleinen Buchgewinnen. Die werden aber von mir persönlich ausgesucht dann.

13/1/06 09:55

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Da steht's doch wie Du's schriebst, oder, Glam? Ich stutze grad ein wenig. Aber egal. Norma Jeane ist im Krankenhaus. Auch wenn sie eigentlich schon lange tot ist. :)

13/1/06 09:58

 
Blogger Pe meint...

Hat schon jemand auf das Graphologieset optiert? Ich war ja ein großer Yps-Fan.

13/1/06 14:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Noch nicht, Pe. Und das habe ich auch niemandem gespendet. Ich hab's noch. Optionsschein geht raus an Dich.

13/1/06 14:06

 
Blogger zora meint...

bei deiner spende an das krankenhaus muss ich an "kreuzworträtsel mit gewalt" von kurt tucholsky denken. cih bin gottseidank noch nicht in die verlegenheit gekommen, im krankenhaus in die bibliothek gehen zu müssen, aber jetzt weiss ich: ich werde es auch fürderhin vermeiden. da kann ich ja gleich beim dollar-hugo einziehen.

26/1/06 12:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wer war doch gleich der Dollar-Hugo? Und vielleicht gibt's da ja sogar gute Bücher? Ich würde mir sonst von zu Hause nen Stapel der tollen Romane mitbringen lassen, die da noch drauf warten, gelesen zu werden. :)

26/1/06 14:41

 
Anonymous Anonym meint...

Good Job! :)

29/8/08 12:23

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home