Freitag, Januar 06, 2006

Waschen und Föhnen

„Es ist seltsam“, sagte Luci, umspielte ihr Kinn mit dem Daumen und wickelte ein, zwei Locken auf ihren Zeigefinger. „Früher waren meine Stiefel auch im tiefsten Schnee wasserdicht und mollig warm. Kilometerweit konnte ich damit durch Eiseskälte stapfen, nichts ließ meine Füße frösteln. Doch scheinbar habe ich mir ein kleines Loch in die Sohle geschnitten, als ich vor zwei Wochen nachts beim Dom in Glasscherben getreten bin. Jetzt kann ich schon nach einem Viertelstundenmarsch durch Schnee meine Socken auswringen und im Anschluss zehn Minuten lang meine Stiefel von innen föhnen.“

„Du föhnst Deine Stiefel von innen?“ Ada kräuselte die Stirn und durchwühlte ihre Handtasche nach einem Feuerzeug.

„Was soll ich sonst tun? Meine Stiefel verschimmeln lassen? Feuchtigkeit ist auf lange Sicht für Leder tödlich. Es ist noch gar nicht lang her, da habe ich den Kleiderschrank meiner Großmutter aufgeräumt und meinen alten Lederrucksack wieder gefunden, den ich vor Jahren bei ihr vergessen hatte. Unter dem Kleiderschrank liegt der kalte, feuchte Keller. Er steht an der schlecht isolierten Außenwand, und auch das Zimmer selbst war selten gut geheizt. Er mag dort nur ein gutes Jahr gelegen haben, aber er war komplett verschimmelt, von grauweißhaarigen Flusen überzogen wie ein schmuddeliger Flokati.“

„Keine leckere Vorstellung“, nuschelte Ada, die sich soeben eine Zigarette zwischen die Lippen geschoben hatte, die sie mit dem frisch gefunden Feuerzeug prompt entflammte. Ihre Lippen kerbten sich ein, silbriger Rauch tanzte zur Decke.

„Eher das Gegenteil dessen.“

„Aber Schimmel ist ja generell keine sonderlich leckere Vorstellung. Zumal mich allein schon der Gedanke an das weißfaulige Gewucher wieder an Steven erinnert.“ Adas presste ihre Lippen aufeinander. Ihre Haut erblasste, die Mundwinkel bogen sich abwärts. Sie zog heftiger an ihrer Zigarette. Ein paar Ascheflocken landeten auf ihrer schwarzen Samthose, wurden flink weggewischt.

„Steven?“

„Der Feinrippunterbuxeninformatiker, mit dem ich in der Kandinskystraße zusammengewohnt habe.“

„Du hast mal in einer WG gewohnt?“

„Jahrelang, ehe mich Steven ein für alle Male von der Lust auf Wohngemeinschaften kuriert hat.“

„Ich erinnere mich nur vage.“

„Du Glückliche. Es gab keine lebendigere Kühlschrankhälfte als seine, allzu oft bevölkerte ein und der selbe angegessene Joghurt ein Dreivierteljahr die hintere Ecke, ehe die Fasern bald lang genug waren, dass er hätte von selbst herausklettern können, sobald die Tür sich öffnete.“

„Ürgs.“

Plötzlich überschlugen sich Adas Gesichtszüge vor schmunzelndem Vergnügen, und eckiges Gelächter entwich zwischen ihren strahlenden Zähnen hindurch.

„Der alte Schuft hat sich auch ständig an meinen teuren Waschlotionen und Duschgels vergriffen. Immer, wenn ich mir den Luxus gegönnt habe, meinen Körper mit etwas richtig Gutem zu pflegen, Dior, Chanel, war es – schwupps! – leer. Obwohl – genau besehen leerten sich alle meine Duschgel-Flaschen erschreckend schnell. Ich habe mich immer gewundert, mit wie wenig Seife er zurecht kam. Sämtliche Pflegeprodukte, Spülungen, Duschgels undsoweiter gehörten alle mir, nichts ihm. Wenn gerade mal Duschgelknappheit am Mann ist, bin ich die letzte die meckert, wenn man sich kurz anderweitig bedient. Aber ich habe keine Lust, dass die Sauberkeit Anderer auf meine Kosten geht. Schon gar nicht, auf Kosten meiner teuer erworbenen Pflegeprodukte. Irgendwann habe ich ihn darauf mal angesprochen.“

„Das hätte ich aber auch.“

„Er guckte mich nur stoisch an wie kalte Pappe und entrüstete sich, was mir denn einfiele, ihm so etwas zu unterstellen. Er sei kein Dieb, und schon gar kein Duschgelschuft.“

„Doch der rasend schnelle Verbrauch meiner Waschemulsionen, Shampoos und Duschgels hielt an.“

„Und was hast Du getan?“

„Irgendwann, als mein Chanel-Duschbad leer war, habe ich es mit Remoulade wieder aufgefüllt. Zwei Tage später stand plötzlich eine Flasche Shampoo gegen fettige Haare am Duschbeckenrand.“

Ada lachte noch einmal, kleine Rauchwölkchen sausten aus ihrer Nase, sie zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette und zerdrückte sie im Aschenbecher.

16 Wortmeldung(en):

Blogger Metallschaedel meint...

Haarige Geschichte zum Wegspülen
;-)

6/1/06 14:02

 
Anonymous Anonym meint...

Schöne Power Pointe!

6/1/06 14:35

 
Blogger undundund meint...

zur beruhigung föhne ich auch mal ganz gerne meine schuhe.

6/1/06 14:55

 
Anonymous Anonym meint...

das ist so gut! mein kompliment!

6/1/06 15:00

 
Anonymous Anonym meint...

Es kommt mir so vor, als hätte sich da der Bewohner einer WG was vom Herzen geschrieben ...

6/1/06 17:17

 
Anonymous Anonym meint...

Frag doch Ada mal, ob sie dir nicht das RSS Feed aktivieren kann, ich verpasse ja die Hälfte!

6/1/06 17:26

 
Anonymous Anonym meint...

So ein Loch im Schuh ist eine vertrackte Sache. Durch meines ist heute die ganze Ostsee rein, und das war vielleicht ein klirrendes Vergnügen!

6/1/06 17:53

 
Anonymous Anonym meint...

Das mit der Remoulade muss ich mir merken *kicher* Lässt sich sicher freundschaftsbringend an passender Stelle einsetzen *höhöhö*

6/1/06 19:53

 
Anonymous Anonym meint...

Da hat die Remoulade einen lauten Lacher meinerseits provoziert und der Duschgelschuft mein Lexikon erweitert. Weiter so!

6/1/06 21:01

 
Anonymous Anonym meint...

die glatzköpfigen mayonaren benutzen remoulade schon seit vielen minuten zur haarpflege, Flegel!

7/1/06 16:11

 
Anonymous Anonym meint...

Wunderbare Idee! Habe heute die Mayonnaise-Tube mit ganz anderen Augen betrachtet, konnte mich aber gerade noch beherrschen.

7/1/06 20:54

 
Blogger samoafex meint...

Verdammt, der Tipp kommt leider ein paar Jahre zu spät. Damals, in der WG, hätte ich sowas manchmal auch brauchen können! :)

8/1/06 12:24

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich dachte, der RSS-Feed sei aktiviert, Opa. Zumindest sagte man mir das schon mehrfach, und dran rumgefriemelt hab ich kein Stück.

Im Übrigen lässt zumindest diese Episode nicht den Hauch auf mein eigenes WG-Leben zu. Weder bin ich Duschgelschuft noch wurden mir in großem Stil Pflegeprodukte gemopst. :)

8/1/06 14:31

 
Anonymous Anonym meint...

der remouladentrick. immer unschlagbar.

8/1/06 16:29

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Trickreich lebt sich's oft leichter. :)

8/1/06 17:45

 
Anonymous Anonym meint...

So ein bischen kleine Rache tut gut.

8/1/06 19:03

 

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