Aistear i dtreo Atha Clíath - Erinnerungen an Erlebnisse in der Hauptstadt der grünen Insel (II)
Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Nichtmehrgetragnes, dem trotz allem noch etwas geschieht. Zweigeschossige Häuschen, deren Backsteingemäuer von den dreckiggrauen, gierigen Zungen des ewig niederklatschenden Regens wund und matt geleckt wurden, lehnen verschieden hoch und Schulter an Schulter aneinander - wie Nationalspieler bei der Kamerafahrt zur Hymne. Oben winzige Wohnungen, unten schäbbige Pubs, verwesende Internetcafés, afrikanische Friseurläden, Off-Licence Schnapsläden. Neonreklamen überflackern zerrupfte Müllsäcke. Der drängelnde Verkehr der O’Connell-Street brandet hier, die blecherne Gischt fegt über die Teerdecken ostwärts. Ein trainingsbehostes Pärchen verschlingt sich gegenseitig. Ein kleines, dunkeläugiges Mädchen dreht mit der linken Hand an seinem goldenen Kringelohrring und nuckelt am rechten Daumen. Der Mund ist marmeladeverschmiert. Fettflecken glänzen auf der rosafarbenen Steppjacke. Vor den Pubs liegen zerkaute Wurststückchen und andere Bissen in galligfeuchten Pfützen. Parnell Street.
Wir biegen links in die Northern St. Georges Street. Nur eine Ecke weiter, und das Flair wendet sich erneut. Eben noch Prachtboulevard, dann schlumpig-herunter gekommene, wuselige Kleinkrämerstraße, jetzt bürgerliches Wohnviertel. Zig Bäckereidutzend georgianische Bürgerhäuser. Braunrot gemauert die Front, senkrecht hochgezogen, klar abgeschnitten der waagerechte Giebel. Freudlose Gleichförmigkeit. Die Kellertreppen und Eingangspforten umfasst von schulterhohen, schwarzen Gusseisenzäunen. Die Variation liegt nur in der Größe der Fenster und im Schwung und der Üppigkeit der sandsteinernen Säulenportale mit ihren kunstvoll mit Glas übewölbten, bunt gestrichenen Eingangstüren. Farbenfroh einladende Eingänge kontrastieren mit tristem, gleichförmigem Gemäuer.
Kunstvoll geschwungene, arabesk verzierte Straßenlaternen beugen sich auf die Fahrbahn. Rechterhand, zu Beginn, liegt – völlig unauffällig – in einem dieser Häuser das James Joyce Centre. Es hat noch bis Januar geschlossen. Die Reliktherberge des Meisters wird renoviert. Einige hundert Meter bergan, ebenso unauffällig, liegt Mount Eccles Court, unser Hostel. Mit slawischem Akzent begrüßt uns die Empfangsdame. Wir leben unter kroatischer Hausherrschaft und erfahren, dass wir am kommenden Tag das Zimmer tauschen müssen, bekommen Schlüsselkarten und Frühstückszettelchen und verschwinden durch die hellblau getünchte, leicht verzogene Holztür zum Treppenhaus. Die gedrungene, steile Treppe ächzt und knarzt unter unseren Füßen wie ein heiserer Hund, als wir hinauf in den dritten Stock klettern. Kurze Verschnaufpausen. C. geht es immer noch nicht besser. Süßlich sticht abgestandener Chlorgeruch in unsere Nasen.
Karte in den Schlitz gesteckt, es klackt. Neugierig betreten wir unser Domizil für die kommende Nacht. Klein ist die Bude. Zwei frisch bezogene Betten kauern sich in der Enge an die Längsseiten. Bräunlicher Schimmel klettert durch die hornhautfarbenen Wände. Ein einzelner Tisch steht verlassen in der Ecke. Seine einstigen Freunde, der Mülleimer und er Stuhl wurden vor Urzeiten entfernt. Kalte Windfetzen fegen durch den Spalt des Holzfensters. Zwischen den verwitterten Sprossen geben schlierige Scheiben den Blick frei auf einen Innenhof. Ein verschachteltes Gewirr von Mauern, teils mit Stacheldraht überzogen. Der weiße Lack ist weitflächig abgeplatzt. Das Badezimmer ist gestrichen in der Farbe schlecht geputzter Zähne, der Klorollenhalter biegt sich verbeult unter der nagenden Last von schichtweisem Rost. Während der Spiegel nur für kleinstgewachsene Menschen einen Blick ins Gesicht ermöglicht (ich sehe mich bis zur Brust), scheint der Duschgelkorb in der Dusche für Basketballspieler ausgelegt und hängt in zwei Metern Höhe. C. schwitzt und begibt sich alsbald ins Bad. Seinem Magen geht es nicht besser, der Kopf schmerzt immer noch. Ich lasse das schwere Gepäck liegen, frage besorgt, ob ich ihm etwas Gutes tun kann und mache mich auf zur ersten Stadterkundung, während er vorerst in der kleinen Kammer verbleibt, um zu schlafen und sich wieder zu Kräften zu ruhen, in der Hoffnung, dem nervösen Magen und der mörsernden Migräne ein Schnippchen schlagen zu können.
25 Wortmeldung(en):
Auch dieses Bild ist nur aus der Google-Bildersuche geliehen. Onkel Schleckers Fotolabor schlampt. Eigene Fotos gibt's wohl erst nächste Woche.
17/12/05 17:03
Schöner Reisebericht. Das Zimmer stelle ich mir recht heimelig vor. Eines in ähnlicher Aufmachung habe ich einmal in Paris vorgefunden. Ich hoffe, C. hat die Reise überlebt?
17/12/05 17:22
Hat er, hat er. Er hat selbst auch noch den Urlaub genießen können, nur mit Verzögerung. Aber das kommt ja noch. :)
Die Butze war schon kultig irgendwie. Heimelig nenne ich dann aber doch anderes.
18/12/05 09:24
Heimelig war auch eher sehr wohlwollend gemeint. ;-)
18/12/05 09:58
Sag mal, Ole:
Schreibst du dir das gleich vor Ort auf oder hast du ein sogenanntes fotografisches Gedächtnis?
Yabba the Hut ab!
Burnseo
18/12/05 13:07
Außerirdische Fettberge im Monats-Spar-Abo? :)
Somewhere roundabout the middle, Burns. Ab und zu heißt es zumindest "Stichwortzettel rules", manchmal schalte ich nur den Wiedergabeknopf meines hirninternen Harddisk-Recorders an und lade die Erinnerungen aus dem Erlebnisspeicher hoch. ;)
18/12/05 13:22
man möchte prompt hinfliegen und und mit den so deutlichen und farbenfrohen bildern die dein text im kopf aus dem nichts entstehen lässt sich die stadt angucken.
18/12/05 15:48
Ich frage mich, wie sich das im Sommer wohl gelesen hätte und denke dabei an Benn, der in der Etappe an der Ostfront am Fenster sitzt und auf den Kasernenhof hinausstarrt.
Auch an die ausgestiegenen Europäer, die während der alles grau in grau depressiven Regenzeit auf den Südseeinseln sich gegenseitig fertig machen.
Das ist ganz große Reiseliteratur Ole und die Parnell Street weckt Gerüche und Kindheitserinnerungen.
18/12/05 17:51
1979 war ich ja noch gar nicht geboren. :) Es verhält sich ja auch nicht mit allen Seitenstraßen gleich. Die Henry-Street ist ja teilweise ebenfalls schicke Einkaufsstraße. Es gibt da ganz verschiedene Stichstraßen. Countryside aus nächster Nähe habe ich ja bislang immer noch nicht kennengelernt in Irland.
19/12/05 00:38
Er ist zurück! Wie schön von wieder von Dir zu lesen, M.A.!
19/12/05 10:23
@opa: Herrje, ich werd schon wieder ganz rot. Warst Du als Kind mal da? Nun gut, allzu wahrscheinlich dass Du mal da warst, so viel, wie Du von der Welt gesehen hast.
19/12/05 10:32
wenn ich das so lese will ich auch hin
19/12/05 14:20
"Wenn einer eine Reise tut / so kann er was erleben"
Ich habe solche Zimmer bisher nur in Brüssel erlebt. In Paris ist mir wohnungsmäßig sehr viel begegnet, aber doch eher an Privatwohnungen. :-)
@Opa: ja, bittebitte, erzähl uns von Deiner Jugend ! :-P
19/12/05 14:52
In Brüssel war ich nie. Aber wenn es mich auch mal dahinverschlagen sollte, rechne ich mit Zimmern. :)
19/12/05 14:59
Rechne am besten mit dem hospitality-club, dann passieren solche Malheurs nicht mehr... ;-)
19/12/05 15:12
Wie und wo rechnet man mit dem?
19/12/05 15:13
Und was passiert, wenn man mit ihm rechnet?
19/12/05 15:14
...diese und andere Antworten gibt es nach der Werbepause. ;-)
Ich muss mal schnell in mein Seminar...
Bis dann ----
19/12/05 16:05
Wofür wirbt das Seminar?
19/12/05 16:10
Mein Seminar wirbt für eine wertegestützte Welt. Heute: Simone Weil und ihre Sicht der Nachkriegsordnung für Europa. Die Frau selbst machte mir durchaus Eindruck, die Art und Weise, wie ihre Argumente vorgetragen wurden, leider nicht.
Aber zum Thema: Gastfreundschaft findet man genau dort. Ganz umsonst, ganz klasse, ganz hochgradig interessante Menschen... Wer mit diesem Club rechnet, muss für die Accomodation nicht mehr so viel rechnen. ;-) Wie, wo und mit wem man will rechnet man sowieso. Und was dann passiert, kann man gleichfalls hier nachgucken...
19/12/05 18:31
OOOOOle ! Warum klappt mein Link nicht ? :-(
Sie wollen mich nicht http:// schreiben lassen...
19/12/05 18:50
Wieso wollen sie das nicht? Bei mir klappt das immer. und ohne http:// kommt man von hieraus ja nirgendwohin...
19/12/05 21:17
ja eben ! :-( Ansonsten eben nochmal einfach so unpoetisch: http://www.hospitalityclub.org/ . Schlussausfertig ! Punktpunktkommastrich !
19/12/05 21:26
ole, du bist so grossartig. was für eine geschichte.
nur du schaffst es, mir tränen der rührung wegen der trennung des tisches von mülleimer und stuhl die wangen runterlaufen zu lassen! die hornhautfarbenen wände und das badezimmer in schlechtgeputzenzähnefarbe - herrlich!
ps:
du kaufst bei schlecker? achtung: das ist einer der schlimmsten arbeitgeber (neben lidl und walmart) , denen man als arbeitnehmer ausgeliefert sein kann.
19/12/05 22:18
Das einzige, was ich bei Schlecker tue, ist meine Bilder entwickeln lassen, da ich armer Student bin und die Abzüge da nur 1 Cent kosten. Ansonsten kauf ich nix in der Kette und bin selbst fast gerührt, bitts. :)
19/12/05 22:46
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