Fröhöliche Weihnacht auf dem Markt
Glühweindunst durchfuselt die kaltklare Innenstadt ab dem späten Vormittag, trinkt Brüderschaft mit Bratfettwolken, Zimtduft, einem Hauch kandierter Äpfel, Honig, gewachstem Holz, Hirschtalgsalben, knusprigem Pizzakäse, gebrannten Mandeln, Grünkohl und Bratwurst. In verknoteten Horden quellen die sanguinischen Weihnachtssternsinger mit trübem Lichterkettenblick durch die Innenstadt, ballen sich vor hölzernen Hütten, wo sie sich in bunter Reihenfolge und beachtlichen Mengen Rumkakao gewordene Premierenpremierminster der demokratischen Republik Kongo, Hirschkakao, heißen Apfelsaft mit Amaretto oder schnöden Kanisterglühwein die Kehle abwärts schütten.
Wichtig ist, in großen Gruppen die verwinkelten Weihnachtsmarktgässchen zu fluten und jede Fluss-Unterbrechung, wenn mal wer was gucken will, zum Trinken zu nutzen. Damit man sich auch wieder erkennt (zu späterer Stunde: doppelt), trägt man rotweiße Zipfelmützen oder Plüschgeweihe (Rentierantennen), im Optimalfall blinkend, und erkennt alsbald, dass andere das auch dachten und es viel einfacher gewesen wäre, sich wiederzufinden, wenn man kein Mützenblinkgezipfel auf dem Kopf getragen hätte. Unbekannte Mitmenschen kommen sich nahe, indem sie sich mit ihren unförmigen Einkaufstüten verhaken. Irmgard schleicht sich heimlich von der Punschbude weg. Bei ihr dreht sich alles, grad im Magen. Als sie wieder zu ihrer Gruppe stößt funkelt eine Stückchenpfütze in Form des Sterns von Bethlehem in der Kleinen Gasse. Fast wäre sie noch über einen geflochtenen Korb gestolpert. Doch beim Ausweichen kollidierte sie mit der Telefonzelle. Stehen auch nur im Weg rum.
Wham!, Chris Rea, Bing Crosby und Roxette aus verschiedenen Boxen verschwurbeln sich zu vorweihnachtlichem Bastard Pop. Der Kegelclub „Gossenfrei“ grölt punschbefeuert vielstimmiges „Jingle bells“. Hiltraud tropft Apfelmus von der Reibekuchenschale auf die Wildlederschuhe. „Verflixte Axt!“, krakeelt Rainer. Mit Fausthandschuhen ließ sich der Glühweinbecherhenkel schlechter festhalten als geplant. Nun liegen Scherben zu seinen Füßen. „Mifft. Hätt doch mal wer fagen kömm, daff daf fo heif ifft. Iff hab mir die Ffunge verbrammp“, mürbelt Ilse. Sie hat ihrem Mann einen rotweißen Plüschtanga gekauft. Der wird an Heiligabend dann eingeweiht.
19 Wortmeldung(en):
Achjaja, so ist das ! Ein wirklichkeitsgetreues Portrait....
14/12/05 11:30
Pittoresk, pittoresk, alter Kamerad. Ich persönlich mag ja Weihnachtsmärkte. Aber ich mag ja auch die Wiesn und den Fasching. Und die Strokes.
14/12/05 11:59
Ich mag Weihnachtsmärkte auch, Burns. Und Fasching. Und die Strokes. Auf den Wiesn war ich ja noch nicht. Allerdings wird man nach sechs Wochen in einem Weihnachtsmarkt gewordenen, überfrachteten Stadtzentrum in leisen Momenten etwas weihnachtsmarktmüde. :)
14/12/05 12:06
@guniversum: Ich habe am Samstag geschlagene 15 Minuten gebraucht, um den Bahnhof zu Fuß zu durchqueren, was normalerweise in zwei Minuten geht. Erstaunlich. Rien n'irai plus.
14/12/05 12:09
ich war noch nie freiwillig auf einem weihnachtsmarkt, ich unromantisches ding. warum habe ich kein romantikgen!? verflixt.
14/12/05 12:39
Am cognacfarbenen Geburtstag kann's nicht liegen, bitts. :)
14/12/05 12:41
und dann hat muenster auch noch mehrere weihnachtsmaerkte schoen gleichmaessig ueber die stadt verteilt, damit du ihnen auch nicht entgehen kannst. prost!
14/12/05 12:52
ach du hacke. jetzt ist in zehn tagen weihnacht, und ich habe davon noch ü-ber-haupt nix mitbekommen. kam mir doch gleich irgendwie verdächtig vor, als ich im oktober diesen schoko-hasen bei kaiser´s gesehen hatte.
gnark, man muss die zeichen der zeit besser zu deuten wissen ...
14/12/05 14:00
Hatte der Schokohase Vollbart und trug ne rote Zipfelmütze?
14/12/05 16:08
Auf dem Baum nebenan sitzen die Weihnachtsvögel und schlafen.
14/12/05 16:21
Nicht wecken! Und nicht mit Spekulatius füttern. :)
14/12/05 16:22
Nein, keine Angst. Weder noch. Umgekehrt fänd ich es wesentlich sinnvoller und schöner: Ich bin nämlich am Einschlafen, und Spekulatius hab ich auch nicht. Nur polnische Schokolade, Gutsle, Nussecken, Zwieback, Goldtaler, Marzipan, Erdnüsse und Tee.
14/12/05 17:36
Extremsportart im Dezember mit 19 Buchstaben waagrecht?
Weihnachtsmarketing.
14/12/05 18:18
Spekulatius gibts jetzt auch auf dem Klo. In Form von danach riechendem (eher nicht duftenden) Klopapier. Pervers oder genial? Wie auch immer, auf jeden Fall bei Plus schnell ausverkauft!
14/12/05 18:29
Der Weihnachtsmarkt auf dem Aegidi ist doch viel spannender, oder?! Wir sind zumindestens immer da...
14/12/05 21:45
Puh, das klingt ja sehr perfide. Die Steigerung dieses Weihnachtsgrauens steht aber natürlich in Berlin und zwar vor dem Palast der Republik, wo so eine Art Weihnachtskirmes auf Besucher wartet. Letztes Jahr haben an sich iebe Freunde mich dahin gelockt, und es war ser, sehr schlimm.
15/12/05 01:08
@andreas: Was macht den Aegidiiweihnachtsmarkt spannender? Die schnapsglucksenden Horden vor der Rückseite des Landesmuseums? Die seltsamen Figürchen? Die kleine Pyramide? Die grell blinkenden Auto-Leuchtbilder vor dem komischen Billardcafé, dessen Namen ich ständig vergesse? :)
15/12/05 01:24
@kein Einzelfall: Krümelmonsterlieblingsfutterbehältnis (Mz.) mit 20 Buchstaben, senkrecht:
W
e
i
h
n
a
c
h
t
s
k
e
k
s
d
o
s
e
n
15/12/05 01:36
himmel, auf dem rummel gegenüber der berliner oper war ich nicht gerade (obwohl mich so'n riesenrad immer wieder reizt ...), aber auf dem "kunsthandwerks-markt" direkt daneben und alles alles, was du geschrieben hast, hätte auch dort stattfinden können. grins.
kompliment für deinen schreibstil!
15/12/05 22:21
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