Oh, tell, oh!
Der Himmel hängt voller Blechspeichengewimmel und alten Lampenschirmen im Saal, die drei Ränge sind verkleidet mit Flechtbastplatten. Der verblichene Schick der siebziger Jahre. Das Licht erlischt, der Vorhang wird aufgezogen. Im dunklen Saal wirken die grünen Notausgangleuchten wie Positionslampen eines Raumschiffs. Auf der Bühne kauert ein riesiger eckigwindschiefer Kasten aus Stahlrohren, der entfernt an eine Festivalbühne erinnert. Der Kasten ist sturmumbraustes Schiff und Herrscherpalast, Hinterhalt, Katakombe, Garten, Zimmer hinter verschlossenen Türen in Personalunion. Das Auge fühlt sich beim Anblick nicht umschmeichelt, aber mit der Zeit entwickelt die Kulisse ihren Charme. Mit Donnergrollen, spätromantischem Rumtata und schmetternden Chören fetzt die Ouvertüre um die Ohren. Dann tauchen der intrigante Sausack Jago, der chronisch eifersüchtige Holzbock Othello und seine bezaubernde, unschuldig-schuldige Herzensdame Desdemona auf. Hinterlistig tröpfelt Jago Othello seinen intriganten Mumpitz ins Gehirn, setzt ihm gedankliche Hörner auf. Entsprechend fühlt dieser sich gehörnt, schwingt sich auf zum Heckmeckmeister. Seine Hirnsynapsen brutzeln und schmoren vor kränkbarer und scheinbar betrogener Liebesglut. Der Schwelbrand in Hirn und Herz wird zum Flächenbrand, alles brennt und brennt durch, weil Desdemona angeblich mit wem anders durchgebrannt ist.
Mit tosender Wucht und schwungvollem Pathos, zartem Melos und lyrischer Verkapselung umbraust die Musik aus Verdis Opernfassung von "Otello" unsere Ohren. Und selbst wenn bei vielen Besuchern das seltsame Bühnenbild für zerrümpfte Nasen sorgt, die schillernde Brillanz der Stimmen, die Intonationssicherheit des Klangkörpers und gerade auch die Nuancenvielfalt der Orchesterklangfarben verblüffen. Eine solch gelungene musikalische Operndarbietung gab es in meinen Ohren schon lange nicht mehr in Münster.
17 Wortmeldung(en):
Cholerischer Südländer fühlt sich in seinen Gefühlen verletzt und meuchelt eine Weiße -
da rücken Absurdistan und CNN ganz schön aneinander. ;)
10/2/06 10:28
Wenn auch aus diametral entgegengesetzten Beweggründen, mutmaße ich.
10/2/06 10:36
Hi Ladies! Eine Riesenenttäuschung vorweg: Der Burnster hasst Opern. Ja, ich bin ein Banause, der nur auf Gitarrenmusik steht. Face it!
Aber dein illustratives Eintauchen in olle Othello, Ole, lässt mich diese Einstellung nochmal überdenken.
Nicht.
PS: trotzdem gern gelesen!
10/2/06 11:55
Ist bei mir doch fast ein wenig ähnlich, Burns. Ich begeistere mich gern für verschiedenste musikalische Stilrichtungen und Epochen. In großer Bandbreite auch für klassische Musik. Unter allen Gattungen der Musik vergangener Jahrhunderte ist die Oper bei Weitem aber das Metier, wo ich mich am Unwohlsten fühle. Hier hat sich die Tür noch immer nicht aufgetan. Oper und ich sind zwei Paar Schuhe. Aber ich versuche es zwischendurch immer mal wieder, und hier ging es über weite Strecken doch ziemlich gut. Ein Stück weit näher gekommen sind wir uns, die Oper und ich. Aber zig andere musikalische Spielarten stehen auch mir immer noch näher.
10/2/06 12:07
give me more more mohr!
10/2/06 12:44
Donnerknispel, das wär sicher hörenswert gewesen!
10/2/06 13:51
Große Oper ! Du solltest unbedingt ein Opern-Libretto schreiben.
10/2/06 14:02
Eine absurde Oper? Auch nicht schlecht... :)
10/2/06 15:40
@burnster/opa: Erfahrungsgemäß zeichnen sich Opern besuchende Männer dadurch aus, dass sie a) 60+ und/oder b) von der Gattin/Gespielin/Erbtante/Redaktion in die Vorstellung genötigt oder c) eher nicht heterosexuell orientiert sind.
Ihr seid also fein raus.
10/2/06 18:59
Opern sind mir fast zu anstrengend.
Ich gehe gern ins Theater, aber hohe weibliche Stimmen finde ich auf Dauer doch sehr nervig. Und man versteht nur so wenig...
10/2/06 19:39
Tatsaächlich. Oper wird auf meiner no-go-Skala nur noch von Operette geschlagen. Okay, dazwischen vielleicht noch Musical. Mit Ausnahme des Ramones-Musicals natürlich. Obwohl das eigentlich auch schon Häresie (dass ich nicht weiß, wie man das schreibt, spricht für sich) ist.
10/2/06 22:10
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anhören olsen!
10/2/06 22:36
Ist das da Madonna auf dem Foto? Die ist ja wirklich überall dabei... ;-)
11/2/06 15:48
@ottje: Immer wieder gern gehört. Allerdings meist im heimischen CD-Player und eher kaum in Opernhäusern. ;)
11/2/06 17:58
Madonna war nicht dabei, aber sie hatte ein enorm fähiges Double geschickt. :)
11/2/06 19:13
Ach ja, jetzt sehe ich es: Vicky Leandros mit blonder Perücke...
11/2/06 20:11
oha... Abgründe eröffnen sich. :)
11/2/06 20:14
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