Einblicke in den ostfriesischen Nationalsport
Was wir tun? Wir werfen kleine, schwere Kugeln von Russland nach Amerika. Wieso wir das tun? Wir wetteifern im Boßeln, dem ostfriesischen Nationalsport, einer Sportart, über die so manch anderer die gefrorene Nase rümpft und die in Karachi, Buenos Aires oder Los Angeles schwer denkbar wäre. Wieso das? Man braucht dafür, was es dort nicht gibt: Kleine, gern ein wenig kurvige, geteerte und flache Straßen mit möglichst keinem Verkehr. In Ostfriesland findet man sowas häufiger, wenn man sich auskennt, in Karachi, Buenos Aires oder Los Angeles schätzungsweise kaum.
Und was macht man nun, wenn man so eine Straße gefunden hat? Man trifft sich in geselliger Runde von ca. 10-20 Leuten und ein bis zwei Bollerwagen mit Kaffee, Tee, Keksen und oft und gern auch Kruiden, Glühwein, Klaren oder anderen Kehlenbefeuerern (die wirklich sportlich ambitionierten Boßler verzichten selbstverfreilich auf den Spirituosenanteil). Dann wird eine zu boßelnde Strecke festgelegt, meist ca. zwei bis drei Kilometer, die einmal hin und einmal zurück zu bewältigen ist. Denn Boßeln kann man sich vorstellen wie Langstrecken-Boule ohne Zielkugel oder Weitkegeln ohne Kegel.
Nun werden die Kugeln also mit Schmackes die Straße entlang geworfen, in der Hoffnung, mit jedem Wurf eine möglichst große Distanz zurückzulegen. Denn Ziel ist es, die Strecke mit möglichst wenigen Würfen zurückzulegen, am besten mit weniger Würfen als die gegnerische Mannschaft. Sonderpunkte ("Schött" oder "Schööt" genannt) gibt es, wenn eine Mannschaft so weit wirft, dass die Gegner nichtmal mit zwei Würfen dieselbe Distanz erreichen.
Und so spaziert man den geworfenen Kugeln hinterher, plaudert nebenbei mit Freund und "Feind", feuert die über die Fahrbahn sausenden Kugeln an oder fischt mit seltsamen Gerätschaften, kleinen Eisenkörben am Besenstiel (rechts im Bild), die Kugeln aus dem matschigen Schloot (Straßengraben), falls sie allzu wüst von der Strecke abgekommen sind.
Nach zwei, drei Stunden erfrischender Wanderungen durch die Winterkälte hat das Frösteln dann ein Ende. In aller Regel stapft man danach in die warme Stube, wo man sich über das heiß ersehnte Schlemmermahl in Form von Grünkohl oder des ostfriesischen Nationalgerichts "Snirtje" hermachen kann. Nicht selten sehen einige der Gruppen am Ende ihrer Boßeltouren Straße, Kugel, Mannschaft und Geschirr doppelt, kommen dem Ziel mit immer größeren Schlangenlinien näher, je mehr Luft mit der Zeit in den Schnapsflaschen Platz gefunden hat. Das mag nun aber jeder für sich entscheiden. Der wahre Sportler bleibt eher bei Ostfriesentee aus der Thermoskanne. Und die Besten der Besten (es gibt ganze Ligen mit Wettkämpfen) treten alle zwei Jahre sogar bei der Europameisterschaft an, hat sich das Spiel doch auch bis nach Irland, Holland und nach England verirrt.
22 Wortmeldung(en):
Ein wunderschönes Fotto. Ich habe noch nie so viele Kruiden trinkende Druiden auf einem Haufen gesehen.
Aber alles Männlein? Da gibts ja gar nix zum Busseln beim Bosseln?
6/2/06 10:14
Das obere Foto ist von mir, das andere habe ich mir der Seite des Boßelvereins Osterhusen geborgt. Und da sieht man, wie's aussieht, einen Ligawettkampf der Männer. Bei uns waren auch Frauen dabei, aber ich hatte meine Kamera nicht mit...
6/2/06 10:17
Generell darfst Du beim Boßeln (langezogenes "o") auch Busseln, Opa. :)
6/2/06 10:17
Dich nehm ich mal zum Maßkrugstemmen mit.
6/2/06 10:52
Ah, so ist das. Dann mal "FIX VÖRUT"
6/2/06 10:56
Die Nordfriesen in Eiderstedt sind mit dem Dorf "Welt" ja noch globaler als die Nordfriesen. Vermutlich wird dort auch geboßelt. Als geborener Schleswiger ist man ja ganz weit weg von dieser Gegend. Aber als Tourist darf man dort hin.
6/2/06 11:04
Moment: langgezogenes "o"? Auf dem Schild steht doch bosseln?!? *wunder*
6/2/06 12:17
kann man nicht gleich mit grünkohl werfen? sagen wir, pfeffern?!
6/2/06 12:48
Auf dem Schild stehen ja nur Großbuchstaben. Dort bibt es ja aber kein ß, das wird ja immer durch ein Doppel-s ausgedrückt, weswegen es für Regionalunkundige natürlich leicht zu einer solchen Verwechslung kommen. Sei aber versichert, der Ole hat mit seiner Aussage voll und ganz recht, das o wird langgzogen ausgesprochen. Stamme ja schließlich auch aus der ostfriesischen Tiefebene und sollte es dementsprechend wissen.
6/2/06 12:49
Auf der Straße vom Foto bin ich gestern ja auch noch langgefahren. Der Logaer Hammrich. Seid ihr dann bei der Pünte vorbei?
6/2/06 12:53
Bei uns wurde "Bosseln" mal als Zeitvertrieb für ein Sommerfest vorgeschlagen. Der Vorschläger bekam direkt eins auf die Schnauze. Mir hätt´s gefallen.
6/2/06 13:25
@wuestenfloh: Dass die Nordfriesen globaler als die Nordfriesen sind, verblüfft schon ein wenig. :)
6/2/06 13:27
@500 Beine: Geworfen wurde zuweilen auch schon mit Grünkohl, im Restaurant an die Saaldecke.
6/2/06 13:28
@galen: Das Foto vom Logaer Hammrich steht da einfach nur als optische Versinnbildlichung der Flachländischkeit unserer Heimat. Wie geschroben: Wir haben zwischen Russland und Amerika geboßelt, also zwischen Wiesedermeer, Friedeburg und Reepsholt.
6/2/06 13:30
@burns: Bin dabei.
6/2/06 13:30
Ob Nord ob Süd, ob Ost ob West, to Huus is best!
6/2/06 14:09
@guniversum: sowas in der Richtung habe ich auch schon in Bölls "Irischem Tagebuch" gelesen. Seltsame Regelung, das in Irland, und danke für Erhellung. ;)
6/2/06 16:14
@m.a. mayer: richtig schlussgefolgert. nur ist eine der unausgesprochenen Grundbedingungen beim Boßeln, dass man es traditionell im Winter macht. Das hängt irgendwie mit dem Straßenbau im frühen 19. Jahrhundert zusammen. Genau weiß ich's aber auch nicht mehr. Im Sommer boßeln - deshalb ja auch das Aufdieschnauzekriegen bei MCs Sommerfest - hat ohne wirklich nachvollziehbaren Grund (abgesehen von der Tradition) aber schon etwas Blasphemisches. Das wäre ein wenig wie Skispringen auf Kokosmattensprungschanzen. :)
6/2/06 16:18
Schön, wie verspielt das alles ist. Aber Sport? Ist das denn wirklich ein Sport? Wo doch der Trinksport viel mehr Spaß macht.
6/2/06 16:42
Doppelsport mit Doppelkorn?! :)
6/2/06 16:52
unwahrscheinlich wahrscheinlich :)
7/2/06 09:02
Verdammich, wenn das kein Lob ist! Und auch noch vom absurden Herrn - die Ehre ist fast zuviel für meinen Verstand.
8/2/06 17:17
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