Freitag, Mai 19, 2006

Hauen und Stechen

Die Bordlautsprecher des Emsland-Expresses krächzen: „Nächster Halt: Meppen. Ausstieg in Fahrtrichtung rrrechts.“ Neben dem Bahnsteig schlummern wenige rostige Verschiebegleise, liegen da wie von schmutzigem Schatten überzogen. Trockenes Gras wuchert wild durch gelbbraune Schotterbrocken, grünende Hecken, dahinter zweistöckige Backsteinhäuser. Die Scheiben des Treppenabgangs, den Bahnsteig hinab, sind von Rost und Dreck blind geworden. Die Sonne schickt nur zögerlich bleiches, durch den Dunst ermüdetes Licht über die Schienenstränge.

Die Hydraulik zischt, die alarmrote Doppeltüren werden auseinander gezogen. Dicke Basketballtreter mit roten Schnürsenkeln stampfen hinein. Zwei junge Frauen, vielleicht sechzehn, vielleicht zwanzig. „So’n Scheiß, sag ich Dir, kaufste extra ne Wochenkarte und kein Karl Arsch kontrolliert Dich. Keiner von den verfickten Schaffnerwichsern will Deine Karte sehen. Ey Fuck! Weißte, dafür hätt ich mir locker fünf Gramm Gras kaufen können. Aber nee: Die Popelfresser ham’s ja nicht nötig.“ Die Vordere bölkt quer durch den Waggon, ehe sie sich Kaugummi kauend in die Sitze neben mir auf der anderen Gangseite fläzt. Blasse Locken krallen sich wütend an die trübe Stirn, unter der in dunklen Höhlen teerschwarze Augen Funken sprühen. Die ebenso schwarzen Lippen fest aufeinander gepresst, schmal und rissig, wie ein Laubsägeblatt. Während sie keift, ballt die die Fäuste oder spielt mit ihrem silberglänzenden Feuerzeug.

„Ey ich muss morgen wieder zur Drogenberatung. Ma hat angerufen. Ey, kontrolliert Deine Ma Dich auch?“
„Joa“ nuschelt ihre Begleiterin schüchtern. Die Stimme dünn wie der dritte Aufguss mit demselben Teebeutel. Sie zuckt die Schultern. Die Haare kinnlang, blassrot, glatt. Ihre Unterlippe hängt schlaff vor, hinter ihrer Stirn meint man, ein Fragezeichen blinken zu sehen. Es scheint, als liefe die blassgrüne Farbe der Iris in ihrem Auge seitwärts aus, schlierig, trübe, ein wenig wie Fischfond. Ein Schneidezahn fehlt. Gleich mehrere Brandlöcher sorgen an ihrem Trainingsanzug für unerwartete Zusatzbelüftung.

„Aber, ey, zieh Dir das mal rein!“ Die Lockige bölkt umso lauter, reißt das Wort an sich. „Die unterstellt mir auch, ich würd schnupfen. Komm ich nach Hause und erwisch die doch glatt, wie se meinen Müll durchwühlt. Sachtse: ‚Du rauchst zu viel, Kind. So viele Kippenschachteln.’ Sach ich: ‚Ja und? Rauchen is ja wohl auch eine der geilsten Sachen neben Sex, die Du tun kannst. Und watt durchwühlst Du meinen Müll, bekackte Drecksfotze?’ ‚Ich mach mir Sorgen um Dich und Deine Drogen, ich will ja nicht, dass Du vor die Hunde gehst!’ Sach ich: ‚Ich bin doch nicht so strunzendoof, dass ich, sollte ich was nehmen, das hier in meinen Müll schmeiß, oder? Wie hohl bist Du eigentlich, Du Pottsau, dass Du das glaubst? Und wenn Du mit so kacke kommst, schmeiß’ ich gleich noch viel mehr ein. Weil’s geil ist und um’s Dir zu zeigen.’ Und dann flennt die Trulla wieder rum von wegen ich tu ihr weh und so, und ich sach nur: ‚Verpiss Dich, Scheißkuh! Raus! Das ist mein Zimmer!’ Und dann holt sie aus und hebt die Hand über mich und ich sach nur: ‚Waaaaag das bloß nicht! Wenn Deine Hand auch nur ir – gend - ein Körperteil von mir berührt, dann bist Du erledigt! Dann schlachte ich Dich ab, reiß Dir die Eingeweide raus und werf sie Deiner beschissenen Töle zum Fraß vor! Und wenn ich zurück nach Lathen ziehen soll, ey, ich sach Dir, ich lauer’ denen vom Jugendamt auf. Die mach ich eiskalt fertig. Die ha’m so schnell nix mehr zu lachen.“

Sie zieht eine Kippenschachtel aus ihrer Jeansjacke, klappt sie auf, steht auf, durchschlurft das Abteil: „Ey ich bin mal eine qualmen aufm Klo. Scheißladen, Bahn! Ich lass mir das Rauchen doch nicht verbieten, ey!“ Die Blasse bleibt zurück.

Wenige Minuten später stampft die Lockengöre zurück, stößt demonstrativ noch mitten im Abteil ihre letzte Rauchwolke aus. „Ey, weißte was?“, keift sie, als sie, immer noch Kaugummi kauend, wieder in den Sitzen hängt. „Ich hab mich ja vorhin auch noch geprügelt.“ „Echt?“ „Klar. Erst mit meinem Scheißweicheibruder. Und mit Olli, die olle Rennsau. Kack Adoptivsohn. Der hat ne vorlaute Fresse, ey, ich sach so „Moin Olli“, er so „Boing!“, der wird fünf, und knallt mir eine, ey, ich glaub ich spinn, hab ich erstmal ne Kippe in seiner Armbeuge ausgedrückt, boah, ich will nicht wissen, wie der aussieht, wenn er sechzehn ist. Und meine Ma, ey“! ‚Du hast schon lange keine Privatsphäre mehr’, sagt sie. Die olle Fotze, die soll mal lernen, wer hier der Herr ist. Glaub mir, ich hab drüber nachgedacht, ich knall die ab. Von der lass ich mir nichts mehr sagen. Und ich sag Dir, wenn ich Willi die Wahrheit sage, wenn der erfährt, was Mama hinter seinem Rücken macht, dann ist der auch schwupps weg, und dann isse nicht nur bei mir am Arsch. Sie ist doch diejenige, die wegen jedem Schlappwichser die Beine breit macht. Das ist doch die Hammerschlampe, die ist doch der verschissene Pharmakajunkie, die schluckt doch Pillen ohne Ende und die sacht noch, sie macht’s nur für den Alten. Und der Willi sacht echt so an mir: ‚Ich lass nicht zu, dass Du Deine Mutter schlägst.’ Und ich so: ‚Wie willste mich davon abbringen, ihr die Fresse zu polieren? Sie hat’s doch verdient wie nur watt. Und davon bringst Du Winzling mich nicht ab. Und versuchste’s haste’n Messer anner Kehle.’ Das ist nicht das letzte Mal, dass die Alte Angst gehabt hat. Blut soll se kotzen, die verfickte Drecksau! Und wie widerlich ihr bekackter Bankangestellter wohl drauf ist, der muss doch mindestens fünf Minuten lang schlabbrige Hautfalten auseinander wälzen, ehe der überhaupt bei Mamas Loch angekommen ist. Sieht doch auch schon aus wie Hundertachtzig Jahre!“ „Nee… dreitausendmillionentausendmilliarden.“ Ihre stumme Begleiterin freut sich, wie weit sie zählen kann, lacht zahnlos und verstummt wieder, während die Lockengöre weiterkeift. „Und so, wie die sich durche Gegend fickt, und so klein wie dem sein Piss-Schniedel ist, ist datt auch nicht anders, als wennde ne Teewurst innen Hausflur wirfst. Nee, echt, ey! Der scheiß Schlampe prökel ich das Hirn kaputt, nach dem ich sie aufgeschlitzt habe. Mir vorschreiben wollen, von wem ich mich ficken lassen darf oder dass ich gleich gar nicht erst ficken darf und selber in der halben Stadt Flecken auf den Bettlaken hinterlassen, doh! Oder ich puste sie mit der Wumme kaputt, boah nee. Der hetz ich Sergej und seine Bande auf den Hals, und die machen Hackfleisch aus ihr.“ Die Bordlautsprecher des Emsland-Expresses krächzen: „Nächster Halt: Lathen. Ausstieg in Fahrtrichtung lllinks.“ Die beiden steigen aus. Im Herausklettern zischt die Lockengöre noch: „Scheiß Bahnhofsangestellte, Scheiß Schaffner!“ Dann zischt die Hydraulik der Tür wieder zu, und plötzlich ist es seltsam still. Nichts als das monotone Rattern der Räder.

11 Wortmeldung(en):

Blogger kein einzelfall meint...

Huch, verlaufen!
Ich wollte nicht zum Err-TL-Blog. Sorry für die Störung.
[leise ab]

19/5/06 18:13

 
Anonymous Anonym meint...

Aber dass du dir alles gemerkt hast, find ich schon klasse. Nächster Halt Verwahranstalt.

19/5/06 19:32

 
Blogger Mia Niemand meint...

Zumindest haben sie dich nicht noch in das Gespräch miteingebunden. Das passiert mir immer.. zack- bin ich mittendrin..
Ob ich dabei unbeteiligt aus dem Fenster sehe oder sie direkt anstarre.. das ist ihnen egal.

20/5/06 11:02

 
Anonymous Anonym meint...

Schlechte Erziehung, würde ich sagen. Klarer Fall davon.

20/5/06 11:02

 
Anonymous Anonym meint...

alles Fotzen außer Mutti

20/5/06 15:38

 
Blogger samoafex meint...

Jessas.

Tatsächlich erlebt? Ich kriege ja schon beim Lesen ein flaues Gefühl im Magen.

21/5/06 15:06

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@samoafex: Jepp, ich konnte, da ich eigentlich an der Magisterarbeit schrubbelte, nicht mehr weiterarbeiten, weil's doch zu laut und irgendwie zu spannend wurde. Wo ich aber schon am Laptop saß, konnte ich ja transkribieren. :)

21/5/06 21:12

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kein einzelfall: Wo wolltest Du nicht hin? :)

21/5/06 21:12

 
Anonymous Anonym meint...

Ich hätte gerne auf ein mittgeschnittenes Telefongespräch in einem anderen Blog verlinkt für alle Zweifler. Leider finde ich es nicht mehr.

Das ist eigentlich Originalton Hamburger Babystrich. (Ich hatte einen Kumpel bei der Sitte)

In deiner Gegend überrascht er mich schon etwas.

23/5/06 10:28

 
Anonymous Anonym meint...

Hey Ole du hast schon von Berlin geträumt. In deiner Gegend gibt es sone Frauen nicht.

Mal davon abgesehen: Text super. Bilder von Teewurst die sich unter den Falten in den Hausflur schiebt...lecker!

Vielleicht ein wenig lang...

24/5/06 19:13

 
Anonymous Anonym meint...

Komisch, am selben Wochenende war ich auch im Emsland, hab die Madams aber nicht gesehen. Hatten sich wohl versteckt, die Tussis!!Aber Lathen? Da hätte ich eher den Bären erwartet also sowas.....

28/5/06 14:14

 

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