Die doppelgesichtige Stadt
Links der Donau wirft sich das mondäne Pest in Schale. Feinziselierte, mehrstöckige Prunkkolosse mit üppigen Säulenportalen, ein Jugendstilpalast neben dem anderen schmeichelt dem Auge. Und alle werfen sie Dich um in ihrer verspielten Wucht, die filigran verschnörkelte Riesen an Prachtboulevards. Einkaufspassagen der Jahrhundertwende lassen ob der schnöden Glasbetontristesse heutiger Shoppingmalls sehnsüchtig seufzen. Verkehr braust.
Du bist betört und erschlagen zugleich von so viel massiver Schönheit. Gigantische Museen dominieren weite Plätze, die riesige Stephansbasilika versprüht weihevolle Grandezza. Ein milder Windhauch umspielt die neogotischen Winkel und Zacken des größten Parlamentsgebäudes der Welt. Prächtige Kaffeehäuser lassen ihr Weiß in der Abendsonne glühen.
An unzähligen Außenfassaden tummeln sich unzählige steinerne Figürchen wie Galionsfiguren. Putten kuscheln sich unter Fenstersimse, antike Götter und nationale Helden durchwuscheln ihre Bärte und posieren über Torbögen, nackte Grazien sehen aus, als wollten sie sich lustvoll aus der Höhe auf Dich stürzen. Gemeinsam beobachten sie mit heimlichem Grinsen das Getümmel unter sich: die zur Arbeit hetzenden Bänker, Regierungsbeamte, die sich den Schlaf aus den Augen wischen, die Touristenmassen mit ihren knisternden Stadtplänen und hilflosen Blicken in Sprachführer, wenn sie versuchen, die abstrusen Lautgebilde der so eigenartigen Landessprache auf Straßennamen, Restaurantkarten oder gar in ganzen Sätzen auszusprechen.. Hauchfein geschnitzte Türportale lassen verstohlene Blicke zu auf weit geschwungene Treppenportale im Inneren. Edle Geschäfte locken die Reichen, die in feinen Zwirnen und mit prallen Einkaufstaschen durch die Fußgängerzone der Vaci útca flanieren.
Gegenüber, auf der Budaer Seite der Donau, thront der jahrhundertealte Burgkoloss mit seinem kuppelüberwölbten Palast auf mild geschwungenen Hügeln. Mit der zweitältesten Zahnradbahn des Kontinents ruckelst Du hinauf. Hier ist plötzlich andere Welt. Als seist Du zurückgeworfen in eine pittoreske Kleinstadt im Hinterland. Kleine Häuser in sanften Pastellfarben kuscheln sich an alte, verwinkelte Kopfsteinpflastergassen. Trotz der gewaltigen Burg zur Linken ist das Viertel zart, niedlich, fast schüchtern. Auch hier ist vieles für Besucher zurechtgeputzt, doch mit kleinbürgerlichem, fast biedermeierlichem Charme. Es riecht nach frischgebackenem Kuchen, hier und da auch nach Hundehaufen. Ein krummer alter Herr wäscht sein Auto. Reife Kastanien fallen auf das Pflaster. Mit der buntgedeckten und verschnörkelten Mátyás-Kirche und der zuckerbäckrigen Fischerbastei, von der aus Du einen herrlichen Blick auf die Donau, das Parlament und die imposante Pester Grandezza gewinnst, nennt indes auch dieses Viertel weitere beeindruckende Schönheiten sein eigen. In Budapest hast Du gleich mehrere Städte in einer, und jede zieht Dich auf ihre ganz eigene Weise in den Bann.
Soweit das diesmonatige Flickr-Hochladekontingent reichte, gibt es hier noch ein paar weitere Bilder.
21 Wortmeldung(en):
Dein Text lässt Budapest auf der Liste meiner Da-muss-ich-hin-Reiseziele noch ein wenig höher klettern.
16/10/06 15:16
Zum Foto La Pause (aussen): Ich liebe Fensterläden :-)
Zum Text: In Ungarn reiben sich tatsächlich Beamte den Schlaf aus den Augen, wenn sie ZU IHRER ARBEIT GEHEN?
;-)
16/10/06 19:23
Mit dir verreise ich immer wieder gerne, mein Bester Budapester:)
16/10/06 19:54
und die fotos sind von dir? sieht ja hammergeil aus, dort! muß doch mal wieder hin. und vielleicht das nächste mal nicht nur zum sziget..
16/10/06 21:32
So wünsche ich mir Reiseführer, hier sollten die Damen und Herren Baedeker & Konsorten in die Lehre gehen.
17/10/06 00:13
Ich bin auch betört, aber nicht erschlagen. Eher bezaubert. Nein, mehr verzaubert. Sehr schön. Genauso wie die Bilder.
Zum ersten Mal nehme ich Budapest wahr als einen Ort, zu dem ich gerne mal hinmöchte.
Cathrin ist da ganz Ihrer Meinung, Herr Ole. Sie mag Ostfriesenwitze auch nicht.
17/10/06 03:15
@kreuzberger: Ich kann es nur empfehlen. Ich fand's wahnsinnig schön da.
17/10/06 09:33
@opa: Ich mag Fensterläden auch. Und ich meine, es genau so gesehen zu haben. Die leisen interkulturellen Differenzen... ;)
17/10/06 09:34
@zeigefinger: Alle Fotos sind von mir fotografiert worden, ja. Abgesehen vom ersten hätten auch die anderen noch eine sanfte Nachbehandlung in der Praxis von Dr. Phot Oshop verdient gehabt, aber das war mir gestern dann doch zu aufwändig. Anyway... fahr hin! Zum Sziget will ich auch seit Jahren, aber diese Stadt rockt auch ohne Inselfestival!
17/10/06 09:38
@markus: Ich werde fast so rot wie der Einband meines polyglotten Reiseführers. :)
17/10/06 09:40
@ich bin erkältet: Bei mir hat's gedauert bis zur Lektüre des brillanten poetisch-witzigen Romans Ein Held seiner Zeit von Dezsö Kosztolanyi, in dem einige feine Budapest-Passagen spielen und beschrieben sind, und plötzlich wuchs mein Interesse an Ungarn und dieser Stadt immens. Vielleicht kommt Cathrin ja auch mal dahin. Und dann werden sich die Gemeinsamkeiten peu à peu vermehren. :)
17/10/06 09:47
@burns: Ein bisschen durch Ungarn und Südfrankreich werde ich auch in den nächsten Tagen und Wochen noch reisen... und zur Not verreise ich einfach mit dem Kopf, wenn es mir hier zu blöde wird.
17/10/06 09:48
Sehr schön geschrieben, und sehr passend bebildert. Die Nachbearbeitung war ja wohl auch nicht nötig beim Rest: Eine gekonnt fotografierte Wahrheit spricht auch so für sich selbst.
Ich fahre nächsten Sommer mal nach Budapest, glaube ich. Oder nach Ägypten. :-)
17/10/06 10:08
Pass aber auf das Ablaufdatum des Reisepasses auf! Man weiß nur selten genau, wohin sie einen schicken. :)
17/10/06 10:12
Ich verwette ja meinen Bauchladen, dass Sie in Buda, auf jeden Fall aber in Pest, den ein oder anderen goldweißen Bauch- oder Fensterladen erspähten.
17/10/06 12:26
Goldweiße Kaffeehäuser gab es mindestens eins. Und einen goldweißen Prospekt für Kyk-Laden.
17/10/06 12:34
mehr davon! das sind großartige reiseberichte die man viel zu selten liest. auch in der reiseliteratur und den reisezeitschriften selber.
17/10/06 15:12
wie wunderschön ist das denn, bitte? warum bin ich eigentlich noch in hamburg? ist ungarisch schwierig? ich muss da dringend hin.
wie immer: exzellenter reisebericht, lieber ole!
17/10/06 19:09
@bsc:
1.: Ganz gewaltig.
2.: Keine Ahnung.
3.: Ich fürchte schon, aber man kommt mit englisch und deutsch nahezu problemlos durch.
4.: Danke. :)
17/10/06 19:46
so, und nun war ich auch endlich mal einen tacken weit in budapest.
reisen ist so nötig!
18/10/06 08:48
Treffend beschrieben und toll bebildert. Schon wieder viel zu lange her, dass ich mal dort war.
18/10/06 15:37
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