Entführt
Sie schrappten an ihr rum, rüttelten sie durch bis ihr schwindelig wurde. Manche ihrer Freundinnen hatte man auch erwischt, mit scharfen Messern zum Verlassen des Unterschlupfs gedrängt. Gegen ihren Willen an fremde Orte wurden sie verbracht, einige wurden – nur weil ein paar Beulen, Falten und weiche Stellen den Betrachtern faul erschienen – völlig weggerissen und sonst wohin geschleudert. Was mit ihnen wohl passiert sein mochte?
Kalt geduscht hatte man sie, mit harten Borsten ihre Haut zerkratzt, dann hatte man sie abgeführt und ohne Angabe eines Grundes in einen Käfig aus harten Schnüren geschleudert. Über Wochen harrte sie hier aus, in diesem dicht gedrängten Pferch. Ohne Chance zu entkommen ohne, dass je ein Anwalt gekommen wäre um Partei für sie zu ergreifen, ohne dass auch nur irgendwer es für nötig befunden hatte, ihr und ihren Mitinsassen zu Hilfe zu kommen. Durchgeschüttelt wurden sie, mehrfach an andere Orte verbracht. Dann plötzlich kam einer, riss sie fort, verschleppte sie abermals, und kurz darauf zerschnitt er den Käfig. Die Rettung schien nahe, doch er holte ein kalt blitzendes Messer, dieser Riese. Grapschte mit fettigen Fingern nach ihr, betatschte sie, tastete ihre Rundungen ab, warf sie mit anderen auf frisch gewischten Holzboden.
Seine Mundwinkel blieben ungerührt, und doch erhob er sein Messer und drang in sie ein, zog ihr die Haut ab, Fetzen für Fetzen. Sie konnte immer noch nicht schreien. Fror. Schockerstarrt. Und nicht nur an ihr verging er sich. Auch an einigen ihrer Zellengenossinnen. Dann, immer noch ohne dass irgendwer sie gehört hatte, ohne dass ihr irgendwer ein Wort der Rechtfertigung zugestanden hätte, tauchte er sie unter, verbrühte sie, alles an ihr schmerzte. Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Nur noch matt brummten die letzten Erinnerungen an damals, an das kalte klebrige Dunkel. Die Kartoffel. Nie hatte sie sich lebendiger gefühlt als damals, als plötzlich Fremde sich einmischten und sie mit stahlkalter Gewalt herausrissen aus ihrer finsteren Gemütlichkeit. Draußen hatte der Wind sanft in ihren Augen gekitzelt.
28 Wortmeldung(en):
Vielleicht sollte ich einfach gar nichts mehr essen.
19/11/06 22:37
@emotionsklumpen: Ach, Quark! :)
20/11/06 01:59
@sillerin: Potatopsychology gehört eindeutig zu den noch ausbaufähigen Bereichen der Seelendoktorei. :)
20/11/06 02:00
was für ein furchtbares, grossartiges kartoffelschicksal! aua!
20/11/06 12:48
@sillerin: Gilt bei Galgenmännchen eigentlich auch Duden-Belegpflicht wie bei Scrabble? Dann würde ein Anruf beim Verlag und die schleunigste Aufnahme des Terminus in die neueste Auflage sich gut machen. :)
20/11/06 14:14
Das ist schön. Solange ich selbst nicht schreiben kann, hier lesen und genießen. Lecker.
20/11/06 15:33
die worte kratzen mich in den augen und kitzel die meine gedanken, ja.
20/11/06 18:38
liest sich wie ein bericht ausm spiegel. wenigstens hier hat es ein gutes ende
20/11/06 19:00
Die verdammten Vegetarier!
Ihr Pflanzenfresser, ihr!
20/11/06 20:51
Und was ist mit den pürierten??? Wer gedenkt der pürierten??? Hä????? Die Welt ist einfach nicht fair.
20/11/06 21:54
@frauh: Ich wollte das Grauen doch nicht auf die Spitze treiben. :)
21/11/06 00:02
@mawaasesned: Ui. Mainzer Martial Arts. ;)
21/11/06 00:02
@ich bin erkältet: Gelobt seien die Fruchtgummifresser. :)
21/11/06 00:03
@pipedeloro: Ich hoffe zart, Du liest den Spiegel nicht völlig ungern. :)
21/11/06 00:03
@zeitnehmer: jederzeit gern.
21/11/06 00:04
@roman: ich hoffe, es ist nur ein neckisches Kratzen, dass nicht bis zum wunden Bluten und nachfolgender Sehstörung führt! :)
21/11/06 00:06
Auch auf die Gefahr hin, dass jetzt viele mitleidig gähnen - ENDLICH einmal hab ich bereits im Flow, genauer gesagt bei den "harten Borsten" gewusst, wer die Protagonisten sind. Und das um diese Uhrzeit .. das nenn' ich doch mal nachtaktiv.. ;-)
(oder aber noch frisch gedopt von Sir Parkers Wunschkonzert?)
21/11/06 02:03
dem ollen fritz seine soldaten.
21/11/06 09:47
@frollein: Macht allzu frühzeitiger Scharfsinn die Lektüre des Resttextes dann aufregender oder umso öder? :)
21/11/06 10:01
@sabbel: Tuffelarmee...
21/11/06 10:22
Draußen hatte der Wind sanft in ihren Augen gekitzelt.
So kann man sich täuschen in den Erscheinungsformen der Freiheit. Und schuld daran ist Francis Drake ...
21/11/06 10:30
und seine drakonischen Vorgehensweisen?!? :)
21/11/06 10:47
Die Schreie der Pflanzen hört man wenigstens nicht, wenn man sie abschlachtet. Ich erinnere mich noch milchglasklar an das empörte Schreien der Schweine von nebenan, als da noch ein Bauernhof war. Bin aber ohnehin eher Pastaliebhaber...
21/11/06 12:01
damals, als opa jäger und ida noch nah am wanderweg wohnten... :)
21/11/06 12:24
Öde auf keinen Fall! Ich hab dann den Rest allerdings nur noch quer gelesen - shame on me - und bin dann direkt zu den Kommentaren runter..
Solch' Querlesen mach ich sonst aber nie; und gerade bei Wortakrobaten und/oder sehr dichten Erzählern (wie dir) ist das auch absolut unange- bracht. Dafür setz ich mir doch kein Lesezeichen!
21/11/06 13:12
Keine Sorge, Frollein. Nur dann auch dicht am Text bleiben, wenn's interessant ist oder noch die Hoffnung besteht, dass es gleich interessant wird. :) Ich bin da nun wahrlich nicht im Ansatz so eitel, dass ein Grund besteht, sich für eher flüchtige Lektüre zu rechtfertigen. Und wenn man die Wendung am Ende schon früh vorhersieht, wird man ja meist eh um so ungeduldiger, sich dann auch bestätigt zu sehen und rattert saperlottsaufix die Zeilen runter. :) Lesezeichen mag ich übrigens. :)
21/11/06 13:32
Nach diesem nahrhaften Text will man nicht als Kartoffel wiedergeboren werden.
24/11/06 00:09
So dürfen wir nicht mit unseren Grundnahrungsmitteln umgehen, gut dass du der geschundenen Kreatur endlich eine Stimme verliehen hast. Die Humanität gebietet, sie vor dem Häuten und Blenden angemessen zu betäuben. Ist spätere Verzehr von Narkotika-Rückständen nicht gewünscht, bleibt nur die Zubereitung als Pellkartoffel. Schockartiges Abtöten durch Eintauchen in sprudelnd kochendes Wasser, wie beim Hummer.
25/11/06 23:50
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