Wiederbegegnung in Gedanken
Später gründete er eine Band, zusammen mit seinem Bruder. Sie spielten Punk mit immensen Tempowechseln, die nicht nur das Publikum sondern auch sie selbst oft verblüfften. Zu zweit. Sie beschrien, der Punk sei nicht tot. Die Riffs knatterten aus einem winzigen Verstärker. Der war nach den Konzerten heiserer als die Kehlen der zwei. Das Schlagzeug klang ein wenig nach Joghurtbechern.
Er trug Dreadlocks und Ringelstrumpfhosen, die nach schalem Bier rochen, zerrissen, zerschlissen, zerfetzt. Ihm fehlte ein Schneidezahn. Angeblich ist er betrunken ins Nachbargymnasium eingebrochen und hat auf Drogen mit einem Baseballschläger den Computerraum zertrümmert. Über wilde Kerle wird ja gerne viel geredet. Oft auch Falsches. Und er war einer der Wildesten. Spuckte, kotzte, keifte und randalierte mehr als viele, bewarf Unschuldige mit Fleischsalat. Angeblich hat er mehrere Kuckuckskinder, er der schrille Vogel. Seine engen Freunde sagen, daran sei nichts. Aber er sei manchmal traurig gewesen, dass das Dosenpfand ihn seiner Leidenschaft beraubte: Dosenstechen mit Karlsquell. „Aldis Rache“ hatte er die Plörre gern genannt. Oder „K21“, weil einundzwanzig Dosen auf die Palette passten. Überhaupt kann man seitdem kaum noch Dosen stechen. Es lohnt nicht mehr. Vielleicht ein bisschen traurig. Ein bisschen. Doch "ein Punker ist nicht traurig", sagte er, "ein Punker ist entweder betrunken oder wütend" und oft auch beides.
Ich habe ihn lange nicht mehr getroffen. Viele Jahre nicht mehr. Letztens wehten allerdings Neuigkeiten zu mir herüber. Vor Kurzem hat er geheiratet, auch wenn er noch nicht einmal Vater geworden ist. Er lebt mit seiner Frau in Südamerika. Dorthin ist er ausgewandert. Er soll sehr freundlich geworden sein. Und dort tritt er nun manchmal im Fernsehen auf, erzählt man sich. Er sei dann abonniert auf die Rollen von anämischen Wahnsinnigen und Kriminellen, und für diese tauge er hervorragend, mit seinen Dreadlocks, sagen sie, auch wegen seines bleichfahlen Teints. Und blass war er ja schon immer.
26 Wortmeldung(en):
Auf keinen Fall ein blasser Typ. Irgendwie mag ich ihn, auch wenn wir uns ganz sicher ein paarmal die Fresse poliert hätten.
19/11/06 00:53
Die ganze Zeit über wollte ich fragen, wann/wodurch du dann letztendlich wohl "vernünftig" geworden bist - bis das Süd-Amerika-Ende kam.
Oder hast du nur zu guter Letzt etwas Fiktion draufgepackt ;-)?
19/11/06 01:04
Wahrscheinlich wird er eine Tochter haben, die genauso hübsch werden wird: Nastassja
19/11/06 01:09
Klingt nach Sasche
19/11/06 11:12
@funkyopa: Die Fresse poliert haben er und ich uns sogar mehrfach. Auch wenn wir uns - trotz aller krassen Gegensätze - heimlich doch mochten, glaube ich.
19/11/06 11:16
@frollein: Der, den Du "Du" nennst und ich "er", ist nicht "ich", auch wenn ich nicht verraten werde, wer mein "er" bzw. Dein "Du" in Wirklichkeit ist. An der Geschichte ist nahezu nichts gedreht, und gerade deshalb werde ich den Ursprung der Person im Dunklen lassen, die nicht weiß, dass sie soeben in einem Text aufgetaucht ist.
19/11/06 11:18
@fusilikopf: Sasche? :)
19/11/06 11:18
@funky (ii): Gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man sich den Klaus anguckt und "ihn"... sie ähneln sich durchaus!
19/11/06 11:19
Hmm, Sascha meinte ich natürlich, der der mit den Worten geizte.
19/11/06 11:31
Der, der arbeitslos war, sich die Haare abschnitt, dem Zigeunerschnitzel schmeckte, der Wut entwickelte und dann im gleichnamigen Song der Toten Hosen auftauchte???
19/11/06 11:38
Nein, der aus der Schnurpsenklage (?), der auch im hohen Bogen spucken konnte, den mein ich!
19/11/06 11:52
Ah, wir kommen zum Ende. Und dem Punkt, dass die Schnurpsenklage eine der endlichen Geschichten ist, die meine Literaturlandkarte ebenfalls noch weiß beflecken. :)
19/11/06 12:21
Es ist nur ein Lied, kein Buch, wenn überhaupt. Ich kram nochmal nach, hinter der hirnigen Rinde :)
19/11/06 12:43
@schraubgewindenudelköpfchen: Du wirst es besser wissen. Mir war nur dunkel als ob... :)
19/11/06 14:13
@sillerin: Und doch wird er wahrscheinlich auch dort in Südamerika, wo er jetzt lebt, wahrscheinlich ab und an Luftschlagzeug spielen, während er auf den Bus wartet, der schon vor einer Stunde da sein sollte und heimlich "Punk's not dead" vor sich hin keifen und denken: Stimmt, macht aber nix. Tröstlich ist doch, dass sich Vernunft und Gespinst immer wieder mal freundschaftlich die Pranke reichen. :)
19/11/06 14:15
Und der ist tatsächlich ganz ruhig geworden, kann man das in Südamerika nach einer solch heftigen Sozialisation? Dann muss man doch entweder völlig uninteressierter Zyniker geworden sein, den absolut nix mehr aufregt oder aber die Frau dort ist der absolute Hammer? Eine kritische Weltsicht verliert man doch nicht so einfach von heut auf morgen.
19/11/06 15:17
@chris: Ein wenig zwischen die Zeilen gerutscht? :) Nirgends steht, dass er sich über nichts mehr aufregt, er total ruhig geworden ist oder gar, dass er seine kritische Weltsicht verloren hat. Damit ist überhaupt nicht zu rechnen. Aber für eine Antwort auf solche Fragen waren die wenigen Infos, die über den Atlantik geweht sind, auch weitaus zu karg... :)
19/11/06 15:39
da bin ich wohl tatsächlich ein wenig zwischen die Zeilen gerutscht, passiert mir gern mal
19/11/06 18:40
'tschulljung
20/11/06 00:12
Schuljung und Schulmädchen... :)
20/11/06 00:54
Ach ja. Da kommen auch wieder trübe Erinnerungen hoch. Die School's Out Party auf dem Leeraner Denkmalsplatz, als die beiden ein Spontankonzert gaben. Lang, lang ist's her. Da könnte man jetzt auch noch ein wenig länger in der Vergangenheit schwelgen, aber ich muss zum Bus. Zeit, die Notbremse zu ziehen... ;)
20/11/06 16:03
Damals, noch weit vor dem Kino-Brand... als im Grand Café noch das Herrenhaus war... ;)
20/11/06 16:42
...als noch grüner Filz an den Kinowänden hing und die unsagbar unfreundliche dauergewellte Oma abkassierte statt der knackigen jungen Damen, die einem heute das Eintrittsgeld entlocken... :)
20/11/06 16:43
Mit ihm zu "musizieren" war eine Erfahrung. Es war laut, schief, aber gut. Punk eben. Naja, zumindest fast.
Verblüffend, wo es ihn hinverschlagen haben soll und ich frage mich, ob er dort, wo er jetzt ist, auch noch, wie früher im Bio-Lk laut "Furzalarm" ruft, wenn er seinen Darmtrakt mal wieder nicht unter Kontrolle hat, ob er immer noch an seinen Dreadlocks herumschrubbelt und, wenn etwas herausfällt, er es näher betrachtet und es, schimpansengleich, in seinen Mund schiebt und ob er auch noch manchmal, wie damals in Lloret de Mar, auf dem Klo einschläft und erst nach Stunden bemerkt, dass sein "Geschäft" schon längst "erledigt" ist.... war schon lustig damals
20/11/06 17:31
Mein Gott, Joke! Wollte Dich seit Wochen schon angerufen haben! Haben uns ja viel zu lange nicht mehr gesprochen. Wo is't dann mit Di? Lass uns doch mal telefonieren. Meine neue Nummer haste ja...
20/11/06 17:49
Mann, Ole, selbst wenn das ne Geschichte aus dem richtigen Leben ist, ich finds schon immer wieder beeindruckend, wie du die Dinge am Ende drehen kannst. Man liest sowas viel zu selten, dass am Ende soviel Platz für die Figuren bleibt, ohne dass die sich schämen müssten.
(Bin etwas sentimental die Tage, daher musste das jetzt sein.)
21/11/06 11:39
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