Irgendeine nie ausgesprochene Traurigkeit verbarg sich in beiden Herzen, als sie unter blätterlosen Bäumen standen und schwiegen. Eine eisige Fremde ließ die alte Vertrautheit frieren. Als nun der Zeitpunkt des Abschieds gekommen schien, küssten sie sich dennoch. Von Weitem wehten noch immer die Melodiebögen und Arpeggien einer Harfe aus den Proberäumen der Musikhochschule herüber. Stundenlang schon hatte sie gesungen. Lied um Lied, Skala um Skala durchklettert. Und die Beiden hatten gestanden, gelauscht und geschwiegen. Waren geblieben, als das bleiche Licht am Horizont erstarb, als die ersten Nachtwolken heranzogen und die Dunkelheit sich senkte. Zwischen Büscheln vertrockneten Grases lagen zerbeulte Blechbüchsen.
"Inter ubera mea commorabitur", fielen ihr die uralten Zeilen ein, "Zwischen meinen Brüsten wird er ruhen." Doch ihr Inneres entgegnete fest: "Nein, kein weiteres Mal. Nicht heute, nicht morgen und nicht in einem halben Jahr." Der Gedanke glitt wie ein kaltes, glänzendes Skalpell durch ihr zartes Fleisch. Verzehrende Feuer der Lust flackerten noch einmal auf in ihr. Er stand nur schweigend. Kalt. Milchglas im Blick. Und dann ging er, die Wärme ihrer sanften Lippen noch auf seinen. Drehte sich um ins Dunkel und trieb fort wie die unfruchtbare Schale des Mondes.
35 Wortmeldung(en):
Oh, das ist traurig.
6/11/06 13:29
Männer. Aber meist sind es beide.
6/11/06 15:38
Vorbei, der Sommer. Keine Farben mehr, die darüber hinwegtäuschen könnten.
6/11/06 15:46
In der Tat sehr schön herbstlich.
Und die zwei haben ein echtes Kommunikationsproblem. Was die Geschichte natürlich nicht weniger traurig macht...
6/11/06 17:05
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.
6/11/06 20:40
Da möchte man eine verbeulte Blechbüchse sein, verschmitzt lauschend und hernach den Mond vernaschend.
6/11/06 20:52
Schön. Und immer wieder diese Frage:
Ist alles Schöne traurig oder alles Traurige schön?
Hach.....
6/11/06 21:33
Geschrieben und geblieben... wahrlich das spaltet mehr als nur zartes Fleisch, und zieht sogar dem Monde die Pelle ab...
6/11/06 22:56
Den Weg zum Kommentarfeld habe ich mir nun endlich freigeklickt und möchte nach all den Informationen zu Privatkrankenversicherungen einfach nur sagen, dass ich diese Geschichte ganz zauberhaft finde und sehr passend zum Herbst.
6/11/06 23:34
@frau rabe: Ich bedaure, immer noch keine Ahnung zu haben, aus welchen Gründen einige Leser hier mit durch die Gegend aufpoppenden Privatkrankenversicherungs- und ähnlichen Werbebannern zugeschmissen werden. Mein Feuerfuchs zuckt nichtmal mit der Schulter, und ich bekomme nichts davon mit. Und ich habe auch niemanden wissentlich oder gar willentlich ermuntert oder gar beauftragt, hier Werbung zu platzieren. Ganz im Gegentum. Aber immerhin freut mich, dass Ihnen die Geschichte anscheinend gefällt. :)
7/11/06 00:09
@alke: ein wenig, aber nicht nur. :)
7/11/06 00:09
@opa: wer schuld ist, ist ja in jedem fall doch unterschiedlich. egal wie, meist blöd. :)
7/11/06 00:14
blue sky: ein leiser Rest frischen Blaus weht noch am Horizont entlang. Immerhin :)
7/11/06 00:15
@frauh: Man könnte, fast ein wenig prätentiös, mit Schiller antworten: Auch das Schöne muss sterben, das Menschen und Götter bezwinget... :)
7/11/06 00:39
@k.e.: Ich werd wohl wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
7/11/06 00:42
@mondfüßlerin: Und aus der Ferne vernahm man leises Klappern (ohne Mühle und rauschenden Bach) beim Mondvernaschen?!
7/11/06 00:44
@deliah: Ist Mondpelle eigentlich biologisch abbaubar? ;)
7/11/06 00:52
Trennung lässt matte Leidenschaften verkümmern und starke wachsen!
Und die Dame aus deiner Geschichte scheint sich ja mit dem Verstand (hoffentl. auch Herz) schon entschieden zu haben; der Körper zwar zi(u)ckt noch etwas, aber im Grunde hat sie sich verabschiedet.
Das Schöne stirbt, aber bringt noch Schöneres hervor. Daran sollte man glauben!
Die Vorsitzende der Anti-Novemberdepressions-AG
7/11/06 01:13
oh, ole, du brichst mir mein herz mit solchen beiträgen!
7/11/06 16:54
"...Drehte sich um ins Dunkel und trieb fort wie die unfruchtbare Schale des Mondes."
Oh-oh, werter Ole, da hast du deine Bilder aber tiefblau und treffend aus Seele gemalt!
7/11/06 18:49
Mein Herz brichst du damit übrigens auch. Da gefriert einem ja das Blut in den Adern.
7/11/06 21:09
Ich schmatze selten und noch seltener klappere ich mit den Zähnen beim Naschen, eher ist mit bauchreibendem Schurren und Barthaargeklimper zu rechnen
7/11/06 22:17
Das ist keine Ankündigung des Winters, sondern des Weltalls.
7/11/06 23:20
das macht mich traurig. aber nur solange ich bei der vorstellung verweile. meine welt ist zur zeit weitweniger traurig. puh, glück gehabt.
8/11/06 06:13
@schoko-bella: Mir geht's gottseidank ja auch gut, und der text ist nur der vorstellung entsprungen. :)
8/11/06 10:24
@frollein müller-el: ein hoch auf den optimismus!
8/11/06 10:25
@markus: und was kündigt das weltall so alles an? :)
8/11/06 10:25
@mondfüßige: Barthaargeklimper... kann man das üben? So wie Wimpernklimpern? :)
8/11/06 10:27
@rationalstürmer: Wärmflasche? :)
8/11/06 10:28
@bsc: Udo Lindenberg hat zumindest am Ende seines Schlagers ja gesungen "ein Herz das kann man reparieren; ist es erstmal entzwei, ist es längst nicht vorbei"... :)
8/11/06 10:29
@mkh: herzlichen dank. mal schauen, welche farbphase meine geschichten als nächstes überkommt. orange? grün? aubergine? :)
8/11/06 10:31
du kennst lieder!
8/11/06 12:57
Ein bisschen auskennen sollte man sich, wenn man später gern in musikjournalistische Gefilde tapern möchte. Auch wenn Uns Udo eher im abschüssigen Tal meiner breit gestreuten Interessen ein kaum beachtetes Schattendasein mit Hut und Sonnenbrille fristet.
8/11/06 13:03
Nee, keine Wärmflasche. Lieber einen Schnaps.
9/11/06 00:57
unglaublich schön!
9/11/06 10:02
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