Dienstag, Oktober 31, 2006

Kochendheiße Schelmenstücke aus der Kälte

John B. Gourley grinst unter seiner Regenjackenkapuze hervor. Sein Schnurrbart zieht sich in die Breite. Der hochgezurrte Gitarrenkorpus schrammt fast sein Kinn. "Vielleicht ist Euch aufgefallen, dass wir die Stücke live etwas anders spielen als sie auf Platte klingen. Aber sorgt Euch nicht: wir kennen die Unterschiede." Einige im Publikum runzelten zuvor bereits die Brauen.

Die Ohren turnen verwirrt durch die spinnerte Klanglawine, die sich ihnen entgegenwälzt, spähen nach einem bekannten Fetzen, verlieren ihn wieder, geben die Hoffnung auf Orientierung auf, ehe sie sich urplötzlich wieder auf bekanntem Terrain befinden. Einen Heidenspaß haben Portugal. The Man, scheint`s, am akustischen Verwirrspiel. Sie narren das Gedächtnis des Publikums, das so gern darauf wartet, sich selbst zu beklatschen, weil es kennt, was es hört und voraussagen kann, was gleich kommen wird. Stattdessen halten sie dem Publikum den Eulenspiegel vor und schicken den Bollerwagen der Vorhersehung auf schlammige Pfade. Denn im Endeffekt ist eine Scheibe doch nicht mehr als der stillgestellte Moment, das eingefrorene Jetzt von damals.

Die Songs von Portugal. The Man sind vom Hafer gestochene Wildpferde. Immerhin für den kurzen Moment der Plattenaufnahmen haben die Jungs sie bändigen können; jetzt gehen sie wieder mit ihnen durch, schlagen nach hinten aus, galoppieren in völlig unbekannte Richtungen, werfen Dich unterwegs fast ab, rasen durch bekannte Gegenden in schillernd fremdes Terrain und zurück. Liebliche Melodienseligkeit wird in der Mitte gespalten, von lateinamerikanischen Grooves durchgekitzelt, Bratgitarrenriffs zerbröseln in infernalischem Improvisationsgewitter, der Bass brodelt sich um Kopf und verschwitzten Kragen.

Und aus der Mitte des Klangschuttberges ersteht leuchtend, federleicht und augenzwinkernd der Song. Neugeboren. Phoenix grüßt. Du erlebst hautnah, wie sich dasselbe Stück immer wieder neu entwickeln kann; hier hat die Chaostheorie noch einen Sitz im Beirat. Kurz halten sie inne, nehmen sich zurück, geben Dir zartleises Zuckerbrot, lassen Dich ein wenig auf sicherem Gebiet verschnaufen. Dann gibt es die Peitsche, und der Gaul geht - vor Spielfreude berstend - erneut mit ihnen durch. Schweiß tropft von der niedrigen Decke auf Gourleys Kapuze. Er grinst verschmitzt: "Nun, es ist doch schließlich lustiger, Spaß zu haben als keinen Spaß zu haben, oder?"

Zach Carothers zuckt epileptisch wie ein Derwisch über die Bühne als wolle er den Hals seines Basses zur Spitzhacke umfunktionieren und sich damit von der Bühne in den Keller durchschlagen. Jason Sechrist wirbelt sich selbst und das Rudel Haie auf seinem T-Shirt schwindelig , verschiebt Rhythmen und Metren, während Wesley J. Hubbard erst mit irrem Blick über seine Congas flitzt, dann ein paar niedliche Melodien aus dem Synthie quetscht, ehe er sich am Lech Walesa-Gedächtnisbart zupft. Zwischen ihnen turnt der fipsige Gourley durch, War ihre Debütplatte schon ein verschroben collagiertes Sammelsurium versponnenster Ideen und zuckriger Melodien, glitzert dem Quartett aus der Einöde Alaskas auf der Bühne der Wahnsinn im Blick und zwinkert der Schalk im Nacken. Oft an der Grenze, manchmal darüber hinaus, doch packend und mitreißend. Und Sorgen zu machen brauchen wir uns ja keine: Sie wollen doch nur spielen.
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Wer zumindest die Songs des famosen Erstlings näher für sich entdecken möchte:
Mit Stables & chairs, Aka M80 the wolf und Tommy laden die fantastischen Vier dem interessierten Hörer gleich dreimal zum Gratisverkosten.

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17 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Oh, oh, oh, wie ich Dich um diesen Konzertbesuch beneide. Aber der Gedanke, dass diese Burschen live völlig durchdrehen, drängt sich bereits beim Hören des wunderbaren Albums auf. Die spinnen, die da oben in Alaska... Aber was wäre die Welt ohne Spinner?!

1/11/06 08:54

 
Anonymous Anonym meint...

Und so sind sie alle in Alaska, wunderbar neben der Spur, ahornsiruptriefend von 13monatigen Wintern geprägt, Schmauchspuren an den Fingern und ein breites Lächeln zwischen den Pranken.

1/11/06 09:56

 
Anonymous Anonym meint...

"Und aus der Mitte des Klangschuttberges ersteht leuchtend, federleicht und augenzwinkernd der Song."
Das trifft es exakt!
Und der Bassist ist Gott, wenn er tanzt!
(Ungemein sympathisch sind sie auch, in Berlin haben sie sich direkt nach dem Konzert von der Bühne aus zum Publikum gesellt und mit den Leuten geredet.)

1/11/06 10:06

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@urpl: Das haben sie hier in Münster auch. Und Deiner Theorie folgend, habe ich mit Gott sogar einen kurzen, sehr sympathischen Plausch gehalten. :)

1/11/06 10:24

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Bauch-Lose: Nicht selten auch mit dem Glitzern am Ohrläppchen und dieser zärtlichen Blässe, die sie sich während des dreistündigen Sommers einhandeln.

1/11/06 10:38

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@sushi: Arm und langweilig wäre die Welt. Und vielleicht liegt hier auch die Schnittmenge zwischen Alaska und Ostfriesland. ;)

1/11/06 10:38

 
Anonymous Anonym meint...

völlig off-topic: ole, mach mal was! mich nervt die aufploppende werbung bei dir...

1/11/06 15:24

 
Anonymous Anonym meint...

Oh, feine Musik mal wieder. Ist vorgemerkt für meinen nächsten Besuch beim Tondealer. (Kennst du eigentlich schon Margot and the Nuclear So & So's?)

1/11/06 21:55

 
Anonymous Anonym meint...

Wie Sie Musik beschreiben, das raubt einem fast den Atem.

2/11/06 02:42

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolce vita: Was tun, wenn man nicht weiß, was? Ich habe die Werbebanner nie bestellt. Bei mir werden sie allerdings vom Popupblockdings abgefangen...

2/11/06 11:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ich bin erkältet: Heb kurz den kleinen Finger, falls Wiederbeatmung notwendig sein sollte. :)

2/11/06 11:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@blue sky: Kannte ich bislang nur namentlich. Aber das macht wirklich Lust auf mehr! Supertipp. Danke!

2/11/06 11:35

 
Anonymous Anonym meint...

"Sie narren das Gedächtnis des Publikums, das so gern darauf wartet, sich selbst zu beklatschen, weil es kennt, was es hört und voraussagen kann, was gleich kommen wird"

Solche Momente sind sehr toll bei Konzerten, wenn nach der geringsten Pause ein Applaus einsetzt und die Band dann unerwartet zu noch einem Refrain ansetzt, wie peinlich dann das Geklatsche verstimmt und Hände die gerade zum Zusammenschlag erhoben wurden schnell zum vorgetäuschtes Husten abdecken oder durchs Haar streichen umgelenkt werden.. sehr amüsant.

Die Nicht-Portugiesen hätt ich auch gern gesehen, nur war genau an dem Abend auch Herr Dando samt Lemonheads in Kölle. Furchtbar immer, solche Konflikte.

2/11/06 22:03

 
Anonymous Anonym meint...

-kleinen Finger ausstreck-
;)

3/11/06 04:09

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@uli: Sowas bringt mich auch gern zum Schmunzeln. Ähnliches lässt sich ja auch beobachten, wenn zwei Menschen einander in der Stadt begegnen, der eine zum Gruße winkt, der andere aber nicht reagiert. Da fahren sich dann auch viele schnell mit der Winkehand durch die Haare... :)

4/11/06 10:32

 
Anonymous Anonym meint...

Danke für diesen Tipp! Habe die CD am Wochenende von Amazon bekommen und sie ist seitdem die einzige Musik, die in meine Gehörgänge eindringt. Grandios.

4/12/06 23:43

 
Anonymous gutscheine zum ausdrucken meint...

sehr guter Beitrag

19/12/12 13:45

 

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