Neulich am Montmartre
„Willst Du Nummer eins dann nicht nähen?“ „Ich spiele Klavier. Ich kann nicht nähen.“ „Und wenn Du Nummer eins zur Näherei brächtest?“ „Momentan habe ich gerade noch Sous für ein Paar Gläser Cidre in der Tasche - und meinen neuen Hammer.“ „Einen Hammer?“ Contamine de Latour schlägt sich auf den Arm. Eine Mücke hatte gerade zur Landung angesetzt. Satie winkt der prallschenkligen Serveuse für Nachschub und rückt die Melone wieder ein wenig aus der Stirn. Die Sonne versteckt sich allmählich hinter den gezackten Giebeln gegenüber der „Auberge du Clou“. Herren mit Schnurrbart gehen vorbei. Manche setzen sich. Ihre Hüte behalten sie auf dem Kopf. Es ist kühler geworden.
„Er beult die Taschen meiner Jacketts aus. Aber ich nehme ihn gern mit. Er ist nicht unfreundlich. Und ich kann damit Diebsvolk in die Flucht schlagen auf dem Weg hierher.“ Satie nimmt seine Brille ab und reibt die Gläser an seiner Krawatte sauber. „Wollte Dich denn schon einmal Diebsvolk überfallen?“ „Nein. Aber jetzt habe ich einen Hammer.“ „Also benutzt Du Deinen Hammer nie?“ „Ich habe viele Feinde – treue Feinde natürlich. Doch ich trage es ihnen nicht nach. Sie sind die ersten Opfer ihrer eigenen Gedankenlosigkeit und ihres Mangels an Scharfsinn. Die Armen. Lassen wir das, ich werde auf diesen Punkt zurückkommen.“ Die Serveuse füllt die Gläser auf. Contamine de Latour bleibt mit seinem Blick an ihrem Ausschnitt hängen.
Labels: De la vie de Satie
21 Wortmeldung(en):
Liest sich äußerst flüssig, sehr schön.
3/11/06 17:32
sehr witziger text. aber was ist denn mit den nummern gemeint?
3/11/06 17:39
@junoblogg: eins bis sieben sind die Anzüge. Erik Satie hat sich dereinst sieben dunkelblaue Anzüge des gleichen Modells gekauft, die er abwechselnd getragen hat und mit denen er sehr konstant ein nahezu identisches Bild abgab. :)
3/11/06 18:27
@philsen: Flüssig passt ja zum Cidre. Santé! :)
3/11/06 18:27
Genau so könnte es sich zugetragen haben - und dass Satie einen Hammer hatte, ahnte ich bereits.
3/11/06 19:39
Aber ja! Und der hatte noch viel mehr. :)
3/11/06 19:56
Opa hat auch immer einen Hammer in der Tasche. Aber damit schlägt er niemand in die Flucht, im Gegenteil :-)
3/11/06 20:51
Du magnetisierst Dein Umfeld damit?
3/11/06 21:44
genial. satie ist ein total verrückter kerl gewesen. ich liebe seine musik. die stimmung ist hier super eingefangen. super geschrieben. ist fast ein bißchen ähnlich wie bei humboldt in 'die entdeckung der welt'.
3/11/06 22:21
Ja, ich versetze sie regelrecht in Trance. Aber nur gegenpolige Magneten ziehen sich an, wie du weißt. Obwohls eigentlich wurscht ist ;-)
4/11/06 08:12
Menschen, die so schreiben können, könnte ich küssen.
4/11/06 13:49
wie serveuse! ich werde nervös - gibt es dieses wort "serveuse" tatsächlich?
4/11/06 14:59
Es ist das französische Wort für "Kellnerin", Frau Bitts. :)
4/11/06 15:09
@diagonale: Küssen ist ja generell ne feine Sache. :)
4/11/06 15:10
@opa: schon eher. :)
4/11/06 15:10
siehste mal: ich hatte leistungskurs französisch - und was ist dabei rumgekommen - nada! ich schäme mich.
btw: danke für den wunderbaren truthahn, ich lache mich gerade kaputt!
4/11/06 15:27
Eine ganz und gar wunderbare Beschreibung dieses völlig unterschätzten Komponistenkauzes der Jahrhundertwende
4/11/06 16:21
satie ist jeden tag mit einem anderen schirm spazieren gegangen und hat niemals besuch empfangen.
nach seinem tode musste man die tür zu seiner wohnung aufbrechen und fand 50 verschiedene regenschirme.
ich liebe "gnossiennes". vielleicht das schönste stück musik, das jemals geschrieben wurde.
4/11/06 17:12
Sie nehmen mir eine der künftig geplanten Episoden vorweg, Herr Kollege. :)
4/11/06 17:25
Sehr schön, die Geschichte !
Und witzig !
Prallschenkelige Serveuse - das muss ich in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen.
4/11/06 20:12
Mit seinem Blick an ihrem Ausschnitt hängen bleiben. Das ist ein Satz zum hängenbleiben.
Ansonsten ist der Hammer wie ein Zaunpfeiler aus der wirren Logik der s.i.e.ischen WG-Blogs...
Sehr wirr, sehr gut!
5/11/06 14:39
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