Lust auf Linsen?
Überraschend früh hatte das Wochenende seine lästigen Pflichten abgeschüttelt. Wulnikowski entschied, in die Stadt zu gehen. Vielleicht etwas frischen Thymian auf dem Wochenmarkt kaufen, an französischem Käse schnuppern oder sich eine lange Mettwurst, die im kalten Herbstwind fror, vom Haken nehmen und in Packpapier einschlagen lassen. Eng aneinander gekuschelte Paare flanierten über die Trottoirs, als er sich auf den Weg machte. Mehr als sonst, mochte man meinen. Er hatte noch immer vergessen, die Seife aus seinem beigen Mantel zu nehmen. Leise Sehnsuchtswolken beflockten das Herbstblau des Himmels. Es waren nun schon fast anderthalb Jahre, dass Dorothea das letzte Mal neben ihm eingeschlafen war. Am nächsten Morgen war sie noch vor der Morgendämmerung gegangen. Nie wieder hatte sie von sich hören lassen. Frauen waren nicht alles. Aber schön, fand er. Und er war gern mit ihnen zusammen. Auch wenn sie selten lange bleiben mochten.
In der Fußgängerzone flatterten Luftschlangen und Ballons. Im ehemaligen Gemüseladen von Frau Schmal feierte ein Optikerladen Neueröffnung. Ein Riese mit Zylinder stakste auf Stelzen. In seinem Schatten schlenderte eine Frau im Hosenanzug. "Hätten Sie vielleicht Lust auf ein Glas Sekt?" Alkohol am Vormittag war nicht unbedingt, was Wulnikowski gut hieß, aber es war Wochenende und die Hosenanzufrau strahlte bezaubernd. Er bejahte, bedankte sich, dann bekam er einen Gutschein, ein Lächeln und die Einladung, sich das Glas drinnen abzuholen.
Er schlenderte hinein und gab einer viereckigen Verkäuferin den handwarmen Zettel, den er just bekommen hatte. "Ich hätte gern das Glas Sekt." "Gern. Aber hätten Sie nicht vielleicht Interesse an einem Paar farbiger Kontaktlinsen? Ich hätte da ein ganz hervorragendes Angebot für Sie." "Ich weiß nicht, ich wollte eigentlich nur den Sekt." Die Verkäuferin schmälerte ihre Lippen. Wulnikowski ergänzte, "ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meinen blaugrauen Augen. Und ich sehe auch ohne zusätzliche Linsen hervorragend." "Das glaube ich Ihnen gern. Aber finden Sie den Wechsel nicht reizvoll? Häufiger neue Augen. Das macht einen völlig anderen Menschen aus Ihnen. Und ich sage Ihnen, die Frauen schmelzen dahin." Wulnikowski seufzte. "Welche Frauen?" Beinahe beschwichtigend und als hätte sie sich erschrocken, hob die Verkäuferin die Hände. "Oh là là, Verzeihung, ich konnte ja nicht ahnen... nein, natürlich schlagen bei unseren Modellen auch Männerherzen höher." Wulnikowski hatte keinen Durst mehr. Er drehte sich um, schlug den Kragen seines beigen Mantels höher und ging. Fremde Verkäuferinnen über sein Herz aufzuklären, hatte nicht auf seinem Aufgabenzettel für das Wochende gestanden, da war er sich sicher.
Labels: Wulnikowski
13 Wortmeldung(en):
N'Abend Ole. Hat hier nix zu suchen. Gestatte dennoch meine Frage: War es Henf?
12/11/06 18:32
Eine viereckige Verkäuferin? *prust*
Unsensible Nuss die, armer Wulnikowski.
12/11/06 19:08
@josh: Mir war, als wäre die Antwort nein. :) Was ist denn Henf?
12/11/06 19:56
@dolce vita: Bin mir nicht sicher, ob er nicht sogar an einer Nuss-Allergie leidet. Was das Leiden ergo noch verschlimmern würde. :)
12/11/06 19:57
mein herr wulni braucht keine andere augenfarbe. pah! diese freche verkäuferin! ich gebe ihr eins auf viereckige nase!
was war in dem pappkoffer?
danke für die schöne wulnigeschichte, lieber ole. du solltest ein kleines gedrucktes büchlein aus den wulni-geschichten machen, damit ich sie mit auf reisen in offline-gebiete nehmen kann.
12/11/06 22:45
@bsc: Tja... das große Geheimnis, der Inhalt des Pappkoffers... ;)
Ansonsten hilft bis zur Drucklegung in unbekannter Zukunft ja, die Wulnikowskitexte über Google zu suchen, in Word zu kopieren und auszudrucken. :)
13/11/06 13:17
schön.
13/11/06 14:50
Blau-grauer Thymian an farbverändernden Sektsprudeln macht doch selbst schmalste Lippen wieder genießbar und Viereckiges rund, nein?
13/11/06 14:57
@martha: Wer weiß, nachher wird stattdessen auch ein kaffeekanniges Verkäuferpentagon (die fünfte Ecke lugt knapp über den Steiß) auf ihn neugierig. Aber das Gegenteil wäre ihm zu wünschen. :)
13/11/06 20:24
@kopffüßlerin: nur in den wochen, in denen der donnerstag dem samstag folgt, nach sonnenuntergang. :)
13/11/06 20:25
An meinen kichererbsenförmigen Lieblings-Dienstagen, genau.
13/11/06 21:15
Wieder mal wunderschön geschrieben; ich mag die Bilder die du mit Buchstaben malst und die Worte, die du benutzt. Ich mag die zarten Kardamomwolken, das „feinsäuberlich“, das Packpapier und den Dialog mit der Verkäuferin finde ich herrlich wütend-machend und aufrüttelnd.
Und damit wären wir auch schon bei was ich nicht so mag: den Anfang. Bis auf die wunderschönen Beschreibungen ist da nichts dran. Persönlich habe ich mich etwas gelangweilt. Erst bei dem Glas Sekt habe ich aufgehört, die Worte zu überschweben, erst dann fühlte ich mich von der Geschichte etwas gefesselt. Die schreckliche Verkäuferin hat mit einer Frage den Frieden, in den du einen eingewebt hast, zerstört – und das war gut so. Der Frieden war nämlich nicht so spannend.
Aber sonst gefiel es mir sehr gut :)
14/11/06 04:55
500 Beine hat recht: schön. Ganz besonders der erste Teil. Das mit der Verkäuferin war ja klar. :-)
14/11/06 14:48
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