Dienstag, Mai 03, 2005

Wie Willi mein Feind wurde

Und plötzlich brachen völlig vergessene Krusten und Narben wieder auf. Unverhofft, aus heiterstem Himmel. In krachledernen Buxen standen sie da. Der Willi hatte seinen Schnäuzer gestriegelt und die Nackenwelle gefönt, schaufelte nach zähem Ringen mit seinem kneifenden Gewissen Sauerkraut, Knödel und Leberkäs in sich hinein, der Wolfgang hatte sein Zahnpastalächeln ausgepackt und mochte eigentlich gar keine Semmelknödel. Vor nicht ganz zwanzig Jahren waren sie von jetzt auf gleich die großen neuen Helden der Volksmusik - "Das Original Naabtal-Duo". Und mit ihrer Ode an die bayrische Patronin hoch überm Sternenzelt hatten sie sich in so manches Ohr gewurmt.

Nun war ich seit Anfang der Neunziger ein äußerst eifirg und ambitioniert im Auftrag des tighten, beschwingten Grooves hinter der "Schießbude", sog alles was es an virtuosem Schlagzeugerfrickeltum zwischen Jazz, Funk, Fusion, Grunge, ProgRock und anderen Musiksorten in der Weltgeschichte gab, gierig in mich hinein, um der neue trommelnde Held vom Erdbeerfeld der Zukunft zu werden.

Die Plattensammlung meines Schlagzeuglehrers war da das große Vorbild. Er hatte alle virtuosen Helden des Genres auf Scheibe und ich war heiß auf jede einzelne und ich verachtete alles, was nicht so war, wie das, was ich mochte, wie das was ich sein wollte. Vor allem die Volksmusik und bajuvarischen Schlagerbarden hatte ich auf dem Kieker und amüsierte mich königlich, als mein damaliger Lehrer über das "Napalm Duo" ätzte. Allseits attestierte man mir durchaus veritable Erfolge.

Ich übte, bis das Trommelfell schlackerte und die Holzspäne flogen, ließ die Fenster zittern und die Bodenbohlen beben. Und dann kam meine Oma rein und sagte nicht viel mehr als: "So wirst Du nie ein guter Schlagzeuger. Du darfst nicht so spielen. Guck Dir mal den Schlagzeuger vom Naabtal Duo an, so macht man das. Der spielt vor allem nicht so laut."

Ein stechender, lähmender Schmerz der peinlichen Berührtheit und Demütigung durchzuckte mich wie dreißig curarebestrichene Pfeilspitzen. Ich war schockiert, platt, enttäuscht, verwirrt. Wieso ausgerechnet der dickwanstige Lederhosenträger von hinter den Bergen bei Regensburg? Und woher wusste sie, wie laut er wirklich gespielt hat, wo sie seine Spiellautstärke vor dem Fernseher doch mit der Fernbedienung regeln konnte? Ich wusste es nicht, ich vergaß es, es war mir nach einiger Zeit schnurzpiep, verschwand auf enorm lange komplett aus meinem Bewusstsein. Bis zum vergangenen Sonntag. Da saßen die beiden plötzlich bei Götz und Christine. Und ich guckte und ich schluckte. Zack! Da waren sie wieder. Die alten Erinnerungen und Gefühle tanzten und sausten in Achtenbahnkurven wild durchs Nervensystem. Ich warf Willi kurz einen bösen Blick zu und dachte zu mir selbst: "Lass gut sein."

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