Mittwoch, März 29, 2006
Melodien, durch tadellose Zähne gepfiffen, in die Untiefen des Gedächtnisses geschlängelt, später vor dem heimischen Herd wiederholt. Vielleicht auch vor dem Spiegel neben der Tür. Man sagt, gepfiffene Melodien könnten das Wetter über der Stadt verändern. Flacher Schmerz kauert über dem Herzen wie eine Muschel. Gefühle wie aus dem Meer an den Strand getriebene Abfälle - merkwürdiger Tand, algenumschlungen, wuchtig, trübe, vergammelt und bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Ein einsamer Plastikstuhl auf umgittertem Balkon, von der Düsternis wortlos umhüllt. Schaum löst sich auf, Eiskugeln verlieren ihre Furchen, verwandeln sich in weiche, glänzende Bälle wie Seifenblasen, die in einer Spülschüssel voller Wasser liegen geblieben sind. Nach dem leichten Regen sind die Äste der Weiden wie nasse Finger, die in wolligem grünem Haar spielen. Automobile werden zu schwarzen, hinter dunstverhangenen Motorhaubenlichtern hergleitenden Düsenkisten. Auf Satin gewordenen Trottoirs bewegen sich Gestalten, Schulter voraus, den Scheitel geneigt, wie ein Schild gegen das leichte Schrot der Regentropfen. Die Gesichter von Kindern, an Fenstern erspäht, scheinen zu weinen, aber es ist nur die tropfnasse Glasscheibe, die sie so aussehen lässt. Blinde trommeln mit den Fingern in der weichen Luft, während sie sich Bordsteinritze für Bordsteinritze ihren Weg ertasten. Eine Schwarzhaarige mit papierkantenscharfem Scheitel schnippt ihre Kippe in den Gulli. Es heißt, Schlangen werden eine Weile blind, bevor sie sich zum letzten Mal häuten. Eine Frau hält sich flink die Hand vor den Mund, die Augen hat sich nicht rechtzeitig zuhalten können, so ist ihr Lachen da herausgeflogen gekommen. Irgendwessen Wut strömt in blauschwarzen Rinnsalen über den Wohnzimmertisch gegenüber, lässt den Kristallkerzenhalter beschlagen, weicht das Tischtuch auf. Das Tafelsilber ist glitschig geworden. Ein Eichhörnchen ist auf den Baum geflitzt, um dem Krankenwagen mit Blaulicht hinterherzuspähen. Scheinwerfer zucken wie Würmer. Alles Betörende kann an einem Neugeborenen Spuren hinterlassen: Melonen, Kaninchen, Glyzinien. Keine Blitzstrahlen, keine Donnerfluten. Alibi, Mieze oder Spielzeug? Sardinenbrotrinde.
29 Wortmeldung(en):
Satin-Trottoirs und Regenschrot.
Wunderbare Interpretation des Lebens hinter der verregneten Glasscheibe...
29/3/06 07:27
Gefühle können tatsächlich den Tag verändern. Auch den Platz, an dem wir uns aufhalten bestimmen.
Ja - und manchmal sogar das Wetter ändern. Letztlich ist das eine Frage der persönlichen Wahrnehmung und man kann auch einem Regentag - mit Sonne im Herzen - etwas Gutes abgewinnen.
Aber generell finde ich Regen auch doof.
29/3/06 08:58
Bitte alle im Chor pfeiffen...sieht so grau draußen aus...
29/3/06 09:19
Bonjour tristesse...
29/3/06 09:22
riesig!
29/3/06 09:33
das ist ja ein ding, mit den schlangen das. oder war das eine führung an meiner nase entlang?
29/3/06 11:53
@Rulla: Strahlendes Blau und quietschfidele Heiterkeit ist ja eh das weitaus schönere. :)
29/3/06 11:57
@glam: Hier finden sich Aussagen Hannoveraner Zoologen, die genau das belegen. Etliche andere gleichlautende Äußerungen lassen sich auch problemlos ergoogeln. :)
29/3/06 12:00
Da heißt es: "Häutung: Oberste, verhornte und abgestorbene Hautschicht (Stratum corneum) wird alle 2-3 Monate vollständig als Natternhemd abgestreift. Während der 8–10tägigen Häutungsvorbereitung ist die Schlange praktisch blind. Die Augen sind von der sog. „Brille“ (Teil der Hornschicht) bedeckt. Einfließen der Häutungsflüssigkeit lässt das Auge eintrüben. Durch Scheuern der Kiefernleisten an Kanten reißt die Haut auf und wird vom Kopf abgekrempelt. Die Schlange gleitet dann aus der Haut. Häutung erfolgt in der Regel nachts."
29/3/06 12:01
Ob es lohnend ist, so toll schreiben zu können, wenn man gleichzeitig so seltsam fühlt?
29/3/06 14:40
Und da sage noch jemand ein Bild sagt mehr als tausend Worte ! Diese Worte ersetzen mühelos einen ganzen Film.
29/3/06 15:32
Ja. Mehr kann man hierzu auch nicht mehr sagen.
Übrigens darfst du sowas dann nicht bei dem "Winzprojekt" schreiben. Das wäre nicht fair, an sowas komme ich nicht ran.
29/3/06 17:30
dankeschön!
aber mal ne andere frage..wie komst du ausgerechnet auf meine seite?
rose
29/3/06 18:18
Warmer Regen im Mai, es gibt kaum Schöneres. Nicht mehr lange, dann wird dir auch dein Stadtfrühling sein freundliches Gesicht zeigen.
29/3/06 19:54
@rain man: Wer war der beim Ersten war (Mal?)?!
29/3/06 20:05
@zaubererkältung: Ei watt. Man weiß sowas ja nie vorher, und wenn irgendwer sich da wahrlich keine Sorge machen oder seinen Hut kleinmütig im Schlamm vergraben muss, dann Du. :)
29/3/06 20:07
@rose: Ich bin kein Herr, aber auch meine Wege sind manchmal unergründlich. :)
29/3/06 20:08
O.C., der Meister der pralinesken Windungen :)
29/3/06 21:29
Geißblatttexter sie!
29/3/06 21:36
Was zum heiligen Holzhammer ist denn ein Geißblatttexter?
29/3/06 21:39
@kein einzelfall: Und das, ohne je in meinem Leben in Brüssel gewesen zu sein. :)
29/3/06 21:40
Der Olè ist wieder mal viel zu gütig.
29/3/06 21:54
Killefitt! :)
29/3/06 21:57
@bakunin: Ähh... keine Ahnung. Ich fühl' mich aber eigentlich recht gut zurzeit. Abgesehen von etwas dichtgepackten Tagen und ziependen Pollen. :)
29/3/06 21:58
Beide Male derselbe, doch derzeit herrscht Waffenstillstand.
29/3/06 22:00
Hauptsache, weniger Tom Cruise auf der Bildfläche. :)
29/3/06 22:07
Ein Text mit großartigen Bildern.
29/3/06 22:48
@ole: "jelängerjelieber" ist die volkstümliche bezeichnung für das Geißblatt. Lonicera caprifolium.
30/3/06 10:03
achje, stimmt. danke für aufklärung. :)
30/3/06 10:08
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