Die Poesie positiver Überraschungen am frühen Morgen
Ausgedörrte Gliedmaßen schieben sich aus den Nasenlöchern, brechen ab, wachsen nach. Stecknadelkopfgroße, ringsbewimperte Augenkugeln fallen aus dem Nichts, ihre hauchfeinen Hüllen zerplatzen, als sie ins Dornengestrüpp stürzen. Aufgespießt, quillt und tropft ihr dickflüssiges Inneres durch die gerissenen Wundschlitze. Es knarzt, donnert, rumpelt, bebt und zittert. Oben auf dem Kopf erwächst aus der Stirn ein immenses finsteres Granitkreuz. Unter markzerbröselndem Quietschen klappt die Vorderseite auf wie eine heruntergelassene Ritterburgbrücke. Goldsamten schimmert diffuses Licht aus dem Tor, und heraus marschiert eine Armada knusprig gebackener Croissantbrötchen. In der linken Hand tragen sie einen Zahnstocher als Waffe. Ihre Helme sind verkokelt. Von irgendwoher dringt verhalltes Klingeln herüber. Die Croissant-Armee dreht sich in Richtung Geräuschquelle.
Es hellt sich auf. Bewusstseinsdämmerung. Plötzlich sehe ich. Mein Kopfkissen, mein Nachttisch, der Holzkatzenkopf mit der Sonnenbrille. Noch unscharf, aber zunehmend klarer. Es klingelt immer noch, von der Türe her. Panisch und endorphingeschoben springe ich, nur in Boxershorts und Yeti-T-Shirt zur Wohnungstür. Der Türspion verrät einen DHL-Frachtboten. Noch mit schlafverkrümelten Augen öffne ich die Tür. Er überreicht mir einen quadratischen Paketquader, der in wunderschöne Küchengewürzfotografien eingeschlagen ist. Oben im Adressfeld die elegant geschwungene Klaue meines Vaters, heimatlicher Absender. Noch traumumfangen bedanke ich mich beim Boten und schleiche zurück in mein Zimmer, suche gedankenverloren nach einer Schere.
Schnipp!
Die eng gezurrten Sisalschnüre zerreißen, behutsam öffne ich das wunderschöne Papier, ziehe den umwölbten Pappkarton heraus. Drinnen, in feines rotes und gelbes Papier liebevoll verhüllt: Fruchtgummi, Schokolade, Lakritz und eine Karte. „Hier kommt ein kleines Frühlingsüberraschungspaket. Ein kleines Zeichen dafür, wie unglaublich lieb wir Dich haben. Gönne Dir was Schönes mit dem Schein! Dein Papa I. & Deine Mama M.“ Schein? Oh! Ein kleines schmales Päckchen kauert zwischen den größeren und umhüllt einen Geldschein. Verwirrt, glücklich, völlig perplex, dankbar, übersprudelnd, werden meine glänzenden Augen vor Rührung feucht. Eine einzelne Freudenträne bricht sich durch kurzen Widerstand und kullert glänzend meine Wangen hinab. Gibt es Schöneres, als so liebevoll und überraschend aus einem Alptraum geholt zu werden? Vielleicht, aber nur wenig.
23 Wortmeldung(en):
schnief...
du hast aber liebe ellies. beim anblick des häschens verstehe ich jetzt auch, warum eine freundin von mir ihre mutter immer mit "mümmel" anspricht.
24/3/06 22:08
bizarr! angst einflößend! superb geschrieben! mit seltsam poetischer wendung zum ende!
24/3/06 22:48
Also der Traum ist zwar ned von der schönsten Sorte - aber spannend, muss ich sagen. *grusel*
Und deine Eltern - sind dir zu gönnen :)
24/3/06 22:57
Ich glaube, Opa sollte dir auch mal ein Paket schicken, bei dir kullerts so schön.
Und sag mal, wie lange schläfst du denn? Oder kommt DHL in Münster mitten in der Nacht? ;-)
Bei mir wirds jetzt auch langsam Zeit für den Mittagsschlaf. Mal sehen, was bei mir so abgeht und wann meine Tröte loslegt.
25/3/06 03:39
Da wünsch ich noch eine gute Nacht. :)
25/3/06 03:50
Opa: Der Wecker war auf 8h15 gestellt, DHL beginnt die Touren vor unserer Haustür und klingelt meist, wie auch diesmal, um kurz vor acht.
25/3/06 10:14
@samoafex: Packend war er der Traum, schön war er maximal kaum, Kategorie Alptraum, die ansonsten bei mir fast nie auftaucht. Doppelt seltene und seltsam mit überaus erfreulichem Ende. :)
25/3/06 10:17
@rulla: Hast Du die Mutter soeben im Schokohasen erkannt? :)
25/3/06 10:18
@ich bin erkältet: Die hatte ich. Heute Nacht habe ich im Traum Hansi Hinterseer mit Farbbeuteln beworfen. Sehr vergnüglich. Ein weiterer Traum, bei dem ich nicht weiß, wieso ihn mir mein Hirn unterschiebt, aber das muss ich ja auch nicht immer wissen. ;)
25/3/06 10:19
@ du bist immun:
Ja da schau her,
was für eine reizende Gesellschaft so früh am Morgen.
Ich sags ja immer, die ganz Alten und die ganz Jungen: zusammen sind wir unschlagbar!
25/3/06 10:21
Nur Minuten vor Euch bin ich schlafen gegangen. :)
25/3/06 10:33
Ein Hallo aus der Schafswelt,
eine ganze Weile bin ich schon stille, beigeisterte Leserin deines Blogs, (dein Musikschrank und meiner würden sich vermutlich sehr gut verstehen) und so habe ich es mir nicht nehmen lassen in einem angestimmten Lobgesang auch deinen Blog explizit und mit Verlinkung zu erwähnen.
Ich hoffe, das ist recht. Sollte das nicht der Fall sein, lass es mich wissen.
Einen lieben Gruß vom Schaf
25/3/06 16:18
Selbstverständlich gern und jederzeit herzlich Willkommen! :)
25/3/06 18:21
Den Traum möchte ich nicht gehabt haben, das Paket schon ;-) Es geht nichts über das Gefühl geliebt und angenommen zu sein.
25/3/06 22:14
Pakete sind toll. Gerade mit solchem Inhalt. Und seltsame Träume, auch die düsteren, gehen vorbei. :)
26/3/06 00:53
Wunderschön. Was mir besonders gefällt: Der Vater hat Dir geschrieben? Bei welchem Elternpaar ist ER das Sprachrohr für Gefühle und greift auch noch zum Griffel? Den Traum vergessen, die Botschaft und das Geschenk niemals! Den Schein einrahmen und aufhängen. Er hat überhaupt keinen Hauch von Mammon - ist eher schon fast geweiht!
26/3/06 12:27
Meine Eltern haben da keine klare Rollenverteilung. Beide kommen zu Wort und/oder melden sich, wenn sie möchten. Indes habe ich den Schein eingesetzt, um mir das großartige Konzert gestern abend zu gönnen. An der Wand bringt so ein Schein ja auch nicht viel mehr, und es bedarf keines Scheinschreines für das tolle Verhältnis zu meinen Eltern. :)
26/3/06 14:09
im gegensatz zu 98 prozent aller blogger, die ein zuwenig an phantasie erkennen lassen, ist es mir bei dir manchmal zu viel.
du sprudelst.
etwas weniger täte vielleicht gut.
aber das ist nur meine unmaßgebliche meinung.
26/3/06 14:50
Solange es nur manchmal so ist, sind Hopfen und Malz ja noch nicht verloren. :)
26/3/06 14:59
Du hast da schon recht, 500. Zumal es zwar wichtig und richtig, aber eben auch nicht immer einfach ist, das Optimalmaß zwischen kreativem Ideenüberschwang und den notwendigen Bremsen zu finden, um den Rest der Welt nicht völlig zu verwirren und die einzelnen Einfälle in einem knallbunten Wust von verblüffenden Schrägheiten untergehen zu lassen, der am Ende statt farbig dann eher graubraun blass ausfällt wie Tuschwasser, in das man zuviele unterschiedliche Farben gerührt hat.
26/3/06 15:04
Bester Ole, Deine Selbstkritik ist genauso kunterbunt wie Deine Geschichten...;-)
Und wenn ich Dir was verraten soll: über Postkarten und Briefe von meinem Papa kullern bei mir auch regelmäßig vor Glück glitzernde Krokodilstränen.
26/3/06 23:34
98% haben zu wenig, einer hat zuviel. Nur einer macht's richtig! Chapeau!
Na, immerhin sagt er das hier und nicht ganz so unqualifiziert wie damals bei Modeste in mindestens haltbar.
27/3/06 03:10
Ich find die Seite hier toll und nicht zu überdreht! Genau richtig! Weitermachen!
27/3/06 08:30
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