Samstag, März 18, 2006

Frerichs Mestbült


Der Misthaufen stank und dampfte; der verdreckte Hinterhof lag starr und frostverglast. Der alte Dieselmotor des Güldner-Treckers keuchte, wupperte und spuckte schwarzen Rauch, während die Forken des Frontladers in den Mist hineinstachen, notdurftverklebte Strohhalme umherschoben, hochzogen, neu zusammendrückten. Kleine Wasserdampfwolken stoben aufwärts gen Himmel, der schwer und tief über den kahlen Bäumen hing. Leichter Nebel lag über dem Land, die Umrisse des Nachbarhofes waren unscharf, wie mit grauer Ölkreide hingetupft.

Frerich fror. Knarzend öffnete sich das grüne Scheunentor und in Kittelschürze schob sich Anneliese ins Freie. "Frerich! Holl man eehmd up an Grubbern. Mestbült löppt neeit wech. Tee is klaor", bölkte sie mit schriller Stimme am Misthaufen vorbei. "Ick kaom di futt bi!", brüllte Frerich zurück, in der Hoffnung, das Treckergeknatter zu übertönen.

Er setzte zurück über die frostzerborstenen Betonplatten. Die Hydraulik quietschte, als er den Frontlader hochfuhr und arretierte. Die Stoßfedern des altersmüden Schalensitzes seufzten erleichtert, als Frerich seinen massigen Leib emporwuchtete, um vom Trecker hinunter zu klettern. "Oh Pussi." Frerich beugte sich zu einer der vielen Hofkatzen hinunter, strich ihr über den Rücken. Sie hießen alle Pussi. sonst müsste man sich ja auch permanent neue Namen merken. Seine Hände waren noch vom feuchten Rost des Treckerlenkrads verschmiert und klebten an Pussis Fell. Sie jaulte auf und rannte weg. Die Kühe malmten Grassilage in der Scheune. Ab und zu muhten sie gemütlich. Frerich wuchtete die Brandschutztür auf, hielt seine frost- und rostroten Handinnenflächen in der Waschküche unters Wasser und trottete in die Teeküche.

"Oh, lecker! Hest' ook Mettwurstbrot maakt? Datt fallt mi woll tau."
"Ick doch, datt muchst Du ook maal gern weer eeten."
"Kinners un kien' een! Door hest' wall recht!"

Plötzlich schrillte die Türklingel. "Well mach datt woll wesen?", knirschte Frerich. "Ick kiek woll eehmd", krähte Anneliese und schlurfte zum Vorderflur, um die Tür zu öffnen. Gemurmel, dumpf, durch geschlossene Holztüren hindurch. Anneliese kam zurück, mit einem sauber gescheitelten Herrn im Nadelstreifelanzug, der Frerich mit glänzenden Augen ein joviales "Moin!" entgegenschwang. "Moin", brummelte Frerich zurück. "Well sünd see?" "Oh, Verzeihung, ich hatte mich bislang nur Ihrer Frau vorgestellt. Heiner Theuerkauff mein Name." "Sünd see so'n Düürverkooper?" "Oh nein, nein! Aber möglicherweise habe ich tatsächlich ein erstaunlich gutes Angebot für Sie!" "Sech bloß!" "Oh ja." "Nu setten see sück man erstmaal henn un' drinken'n lecker Koppke Tee. Denn küüw' ook tosamen över jo Angebot prooten." "Sehr gern."

Anneliese beugte sich über den Tisch, hob die Teekanne, stand auf und schenkte ein. Ein paar Flecken tropften auf ihre schmuddelige Schürze, mit der sie wegen ihres ausladenden Busens fast das Sahnekännchen umwarf.

"So, wi willn ja eegntlich nix kopen, man watt willn see dann lootwoorn?"
"Ich habe Sie gerade mit ihrem alten Traktor gesehen, als Sie den Misthaufen aufschoben." "Ach." "Und gerade in der kalten Jahreszeit ist das eine beschwerliche Arbeit." "Heeijanee. So stuur is't nu ook neeit." "Was ich Ihnen aber anbieten möchte, ist eine technische Revolution. Völlig neuartig. Es handelt sich um den "MB 5000"." "Un' watt sall datt wesen?" "Bitte?" "Verzeihung, mein Herr. Ich werde versuchen, mit Sie hochdeutsch zu reden. Was soll das denn sein, Ihr MB Dingsda?" "Der MB 5000 ist ein vollautomatischer Mist-Roboter. Sechs Mal täglich mistet er den Kuhstall aus. Mit einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Minute schleicht das nur 400 Kilogramm schwere Gerät geräuschlos durch die Gänge und reinigt sie von Kuhfladen. Den Weg durch die Gänge findet der Roboter mittels einiger in den Boden eingelassener Markierungen selber. Damit könnten Ihre Rinder in einem noch saubereren und trockeneren Stall leben und wären noch weitaus gesünder. Und gesunde Kühe sind glückliche Kühe, die mehr Milch geben."

Frerich nahm einen großen Schluck Tee, stopfte eine Scheibe Mettwurstbrot hinterher, schluckte, forschte kurz mit seinem Zeigefinger im linken Nasenloch, fand aber nichts und fragte dann "Waren Sie schonmal in unserm Stall?" "Bedaure, nein." "Und woher wollen Sie dann wissen, dass ich sowas nötig habe?" "Ich..ähhh..." "Und was soll der Spaß kosten?" "Das ließe sich problemlos mit unserem speziellen Finanzierungsangebot in sehr günstige Raten aufteilen." "Was soll Ihr Viech denn nu kosten?" Frerichs Schlagader puckerte stärker. "Wir würden Ihnen den MB 5000 für supergünstige 19.999 € liefern, programmieren und installieren."

Anneliese verschluckte sich, hustete und wischte verschämt zwei Brotkrumen von der Tischdecke, die ihrem Mund entwischt waren - in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt hatte. "Twinnichduusend? Wi hemm ja neeitmal Geld för'n neei Trecker." "Naja, die Raten und Finanzierungsdauer sind ja frei verhandelbar." "Raus!" Frerich schwang plötzlich die Faust. "Ruut mit jo, oll Düürverkoopermorsgatt! Sonst werd ich gleich Frerich... äh... frech." "Beruhigen Sie sich doch." "Raus." Heiner Theuerkauff griff hektisch nach seinem Aktenkoffer, eilte in den Vorderflur, hinaus, rannte zu seinem Auto, während ihm der aufgebrachte Landwirt hinterherhumpelte. Im Augenwinkel sah er noch, wie eine Mettwurstscheibe an seinem Scheitel vorbeisauste. Hastig schloss er seinen neuen Passat auf und raste weg. "Watt'n Heiopei!", murmelte Frerich, als er die Tür wieder schloss, seinen Tee zu Ende trank und zurück durch die Scheune zum Hinterhof schlurfte, um weiter Mist zu schieben.

Hinweis: Die plattdeutschen Dialogteile gibt es in hochdeutscher Übersetzung in den Kommentaren.

27 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Da ich leider nur etwa 60 Prozent dieses Eintrages wirklich verstehen konnte und mich nicht sehr für Geldprobleme interessiere, gibt's heute keinen Kommentar. Tut mir Leid, ich bin einfach nicht auf geistig hoher Höhe für Originelles.

Aber ich stimme dir zu: Nähmaschinen sind wirklich unglaublich unbegabt.

18/3/06 16:22

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

In erster Linie ging's ja um Mist und um den Mistwegsaugroboter. :)

18/3/06 16:28

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Um Verständnisproblemen abzuhelfen, übersetze ich die plattdeutschen Dialogteile hier noch ins Hochdeutsche:

"Frerich! Holl man eehmd up an Grubbern. Mestbült löppt neeit wech. Tee is klaor" --> "Frerich! Hör erstmal mit dem Gebuddel auf. Der Misthaufen läuft nicht weg. Tee ist fertig."

"Ick kaom di futt bi!" --> "Ich komm gleich zu Dir."

"Oh, lecker! Hest' ook Mettwurstbrot maakt? Datt fallt mi woll tau." --> "Oh lecker! Hast Du auch Mettwurstbrot gemacht? Das gefällt mir wohl."

"Ick doch, datt muchst Du ook maal gern weer eeten." --> "Ich dachte, dass würdest Du auch mal wieder gern essen."

"Kinners un kien' een! Door hest' wall recht!" --> "Donnerknispel! Da hast Du wohl recht."

"Well mach datt woll wesen?" --> "Wer mag das wohl sein?"

"Ick kiek woll eehmd" --> "Ich schau' mal eben nach."

"Well sünd see?" --> "Wer sind Sie?"

"Sünd see so'n Düürverkooper?" --> "Sind Sie so'm Teuerverkäufer (=Wucherer)?

"Sech bloß!" --> "Sag bloß!"

"Nu setten see sück man erstmaal henn un' drinken'n lecker Koppke Tee. Denn küüw' ook tosamen över jo Angebot prooten." --> "Nun setzen Sie sich ruhig erstmal hin und drinken eine leckere Kanne Tee. Dann können wir auch gemeinsam über Ihr Angebot sprechen."

"So, wi willn ja eegntlich nix kopen, man watt willn see dann lootwoorn?" --> "So, wir wollen ja eigentlich nichts kaufen, aber was wollen Sie denn loswerden?"

"Heeijanee. So stuur is't nu ook neeit." --> "Herrjeminee. So schwierig ist es nun auch nicht."

"Un' watt sall datt wesen?" --> "Und was soll das sein?"

"Twinnichduusend? Wi hemm ja neeitmal Geld för'n neei Trecker." --> "Zwanzigtausend? Wir haben ja nichtmal Geld für einen neuen Trecker."


"Ruut mit jo, oll Düürverkoopermorsgatt!" --> "Raus mit Ihnen, altes Wucherer-Arschloch!"

"Watt'n Heiopei" --> "Was für'n Depp."

18/3/06 16:40

 
Blogger Lundi meint...

Genauso habe ich mir ostfriesische Bauern vorgestellt. Eine schöne Geschichte, danke !

18/3/06 17:38

 
Anonymous Anonym meint...

Kriggt he beinah ´n Jack vull. Freit mi jo bannig.

18/3/06 17:56

 
Blogger undundund meint...

schöner text, ole.

ps: mir ist da gerade ein kleines büchlein eingefallen, wo ich mir vorstellen könnte, dass es dir gefallen könnte, sofern du es noch nicht kennst --> "der schatten des körpers des kutschers" von peter weiss. vielleicht hast du es aber schon gelesen.

18/3/06 18:53

 
Anonymous Anonym meint...

Da lag ich mit meiner persönlichen Übersetzung ja fast immer richtig. Nur den "Düürverkooper" habe ich mir mit "an der Tür Verkäufer", sprich "Vertreter" übersetzt. Aber der "Teuerverkäufer" gefällt mir da um längen besser!

18/3/06 18:58

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@undundund: Kommt - schwupps - auf meine Bücherwunschliste. Danke für den Tipp. Klingt klasse! :)

18/3/06 19:08

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@bauchlastig: Döör wäre die Tür gewesen. Ich hab aber grad das plattdeutsche Wort für "An der Tür Verkäufer", "Vertreter" oder "Drückerkolonne" vergessen. Googeln hilft mir auch nicht weiter, aber beizeiten reich ich's nach. Versprochen. :)

18/3/06 19:13

 
Anonymous Anonym meint...

Habs verstanden, habs verstanden, fast ohne Übersetzung. Eh kloa, Zuckabäcka.

18/3/06 19:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Gratuliere! :)

18/3/06 19:20

 
Anonymous Anonym meint...

Ich habe noch nie eine romantischere Beschreibung eines Misthaufens gelesen, ich glaube, das kannst nur du! (Insiderwissen?)

Außerdem teile ich das Feindbild der Bauersleut und die Übersetzung habe auch ich nicht gebraucht. Mach doch mal, bitte, einen Podcast davon!

Aber erst gibts mal wieder standing ovations, heute sogar kopfstanding!

19/3/06 05:56

 
Anonymous Anonym meint...

OLE !!! DANKEEEEEEE!!! Genauso sieht's bei meinem Onkel aus, alle Katzen heißen Pussi, der Boxenlaufstall bietet das nämliche Bild wie in Deiner kleinen Skizze, Teetrinken um 8, 11, 14 und 17 Uhr hat meine ganze Kinderferienzeit strukturiert, und ich habe natürlich alles vestanden.
Eine Rückfrage bleibt: weißt Du, warum alle Scheunentore der Klinkerbauernhöfe in demselben Grün gestrichen sind ?
Ick hör di geern tau...;-)

19/3/06 10:31

 
Anonymous Anonym meint...

Wow.
Das ist ja mal ein multikultureller Text mit Dialogen zum angewöhnen!
Super!

Immer diese Gecken die völlig deplaziert mit ihren Anzügen die Landschaft verunstalten.

Da zieh ich doch die Misthaufen vor!

19/3/06 11:13

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@french kiss: Vielleicht wegen des Komplementärkontrastes von rot und grün? Oder weil Feinde in mitten grüner Idylle vielleicht grüne Scheunentore übersehen? Das wohl weniger. :)

19/3/06 12:31

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Oldie: Ein allzu romantisches Verhältnis zu Misthaufen habe ich nicht, auch wenn ich als kleiner Knirps auf dem Hof meines Onkels gern Dreiradrunden rund um den Misthaufen gedreht und mit den Pussis gespielt habe. Das mit dem Podcast... ich hab ja leider keinerlei Equipment für sowas, wenn demnächst meine finanziellen Verhältnisse hoffentlich wieder aussichtsreicher sind und ich meinen schon lang gehegten Wunschplan umsetzen kann, endlich mal wieder nach Hamburg zu kommen, können wir ja sonst eine Aufnahmesession im "Studio Sperrmüll" ins Auge fassen. :)

19/3/06 12:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Deliah: Danke. Ich würde zwar nicht unbedingt einen Misthaufen tragen können, finde Misthaufen aber auch sympathischer als hyperadrette Schleimvertreter. :)

19/3/06 12:36

 
Anonymous Anonym meint...

Hab ich eigentlich neulich das kleineF hier rumspucken sehen oder war das nur ein Albtraum? Ist man denn nirgendwo sicher?

19/3/06 23:30

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Das kleine F, jetzt neu in der Llama-Edition? :) Ich bin nicht bespuckt worden.

20/3/06 11:43

 
Anonymous Anonym meint...

Ein wunderbar herzhaftes Idiom. Ich frage mich, wie die 100 Einbürgerungsfragen auf Platt klingen - auf Hessisch wär's vielleicht zu einfach.

20/3/06 21:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Dein Wunsch sei mir zumindest in Ansätzen Befehl. Wie jetzt im neuesten Beitrag zu lesen. :)

20/3/06 21:39

 
Blogger Minka meint...

datt fallt mi woll tau :-)

20/3/06 23:01

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

datt mach'ck woll leeip geern höörn. :)

20/3/06 23:05

 
Anonymous Anonym meint...

Hach schön! Und als Podcast würde ich das auch sehr gerne hören.
[Benötigtes Equipment z. B.: Ein Sprachlern-Headset für ein paar Euro fuffzich, ein Rechner, Audacity (Freeware) zum Aufnehmen und Nachbearbeiten.]

22/3/06 23:26

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Lassen wir uns überrascht, ich selbst bin auch schon ganz gespannt, was ich tun werde. ;)

23/3/06 11:26

 
Anonymous Anonym meint...

Hach, ich liiieebe diesen Dialekt. Das klingt so schön, auch wenn ich nur die Hälfte versteh. Ich könnt' trotzdem da den ganzen Tag zuhören. :-)

27/3/06 15:15

 
Anonymous Anonym meint...

@ dat dudu: Wenn du einem Plattdeutschsprecher gegenüber erwähnst, dass es sich bei seiner Sprache um einen Dialekt handelt, dann wird er dir sagen, dass es eine eigenständige Sprache ist. ;)

@ Ole: Moi!

23/5/07 12:34

 

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