Gehsitzstand
Erwin versucht angestrengt, seine von Sorgen zerfaltete Miene zu entknittern.
„Was?“
„Ich habe es ihr gestanden.“
„Du hast wem was gestanden?“
Rudi schlürft an seinem Glas Bier, leckt sich mit der Zungenspitze den Schaumbart aus den Stoppeln und denkt im Stillen, dass er schon Biere getrunken hat, die genau sieben Minuten gezapft worden sind. Nicht so eine schale Ratzfatzplörre wie die hier. Erwin räuspert sich. Zartes Lungenrasseln flankiert seine Atemzüge.
„Irma. Ich habe ihr gestanden, dass ich schon mal gesessen habe.“
„Und dann?“
„Dann bin ich gegangen.“
„Einfach gegangen?“
„Ja, es ging nicht anders. Es hat mir so schwer im Magen gelegen, dass ich gegangen bin.“
„Woran hat das gelegen?“
„Es gab bisher keine Gelegenheit, und so habe ich es verschoben, weil ich dachte, es sei irgendwann von selbst ausgestanden.“
„Aber Du warst doch ganz versessen darauf, es zu gestehen.“
„Weil ich hoffte, sie würde zu mir stehen. Aber unter den so entstandenen Umständen konnte ich vielleicht auch nicht auf Verständnis bestehen.“
„Versteh mich nicht falsch, aber wieso ist sie so versessen auf die Vergangenheit?“
„Sie ist gegen die Begegnung mit der Gegenwart.“
„Aber sie geht mit Dir. Oder ist aus dem geht ein ging geworden?“
„Das ist noch nicht ganz ausgestanden.“
„Und was hat jetzt gesessen? Nicht dass wir das vergessen.“
„Sie hat einfach dagesessen. Wortlos. Und dann hat sie mir eine gegeben.“
„Eine was?“
„Eine geschallert.“
Rudi verschluckt sich, hustet und spuckt versehentlich Schaum auf den Tresen.
„Sie hat Dich geschlagen?“
„Hat ganz danach ausgesehen.“
„Dazu hat sie nicht das Recht besessen, und das hätte ich nicht auf mir sitzen lassen.“ Rudi schnaubt wie ein verschnupftes Walross. „Und was hat sie als Grund angegeben dafür?“
„Sowas könne sie nicht vergeben. Sie hätte zu mir gestanden, hätte ich ihr das gleich zu Beginn gestanden. Und dass ich gesessen hätte, sie ist gar nicht weiter drauf eingegangen und meinte nur, dass das ja niemand erfahren dürfe, was sie für Umgang pflege. Dass ich es jetzt erst gestanden habe und nicht gleich zum Einstand der Beziehung, verstehe sie als Zeichen von Abstand, von innerlichem.“
„Und dann bist Du einfach gegangen?“
„Ja, es war ein flinker Abgang. Ich hätte sie sonst vielleicht angegangen.“
„Also steht es nicht gut um Euch?“
„Nein.“
„Aber nach so was – wieso stehst Du noch auf sie? Wieso bist Du immer noch von ihr besessen?“
„Bisher ist doch alles gut gegangen. Wir haben uns hervorragend verstanden.“
„Und jetzt? Wie willst Du mit ihr umgehen?“
„Die direkte Konfrontation umgehen. Ich hoffe, es ist nur ein Zwischen- und nicht der Endstand.“
„Du willst es also aussitzen.“
„Erscheint mir als die gangbarste Lösung.“
27 Wortmeldung(en):
Ein gutes gezapftes Bier braucht, dass wurde vor ner Zeit irgendwann mal erforscht, keineswegs 7 Minuten. Wollte ich nur mal anmerken. Aber auch wenn ein Bier 7 Minuten gezapft wurde und man der Annahme ist, ein gut gezapftes Bier brauche 7 Minuten, bedeutet es noch nicht zwangsläufig, dass es auch wirklich gut ist - es dürfte durchaus auch von der Marke abhängen, kombiniert mit den eigenen Vorlieben.
16/3/06 15:35
Ich werd's Rudi ausrichten. Wahrscheinlich gab's in der Kneipe nur "Felskrone".
16/3/06 15:46
...jetzt muss ich mich erstmal hinlegen. Das haut einen um.
16/3/06 15:48
oha! :)
16/3/06 15:54
.. ich habe das Gefühl, dass ich nicht ernst schreiben sollte. Das liegt mir nicht.
16/3/06 16:56
Willkommen im Club. Der Gedanke ist mir auch schon mehr als einmal gekommen. :)
16/3/06 16:58
Das sitzt! Anständig dargelegter Hergang.
16/3/06 16:59
Bei amazon meinen sie dazu:
"Ja, es stimmt, Männer benutzen beim Sprechen nur eine Gehirnhälfte und bringen es auch nur auf die Hälfte der von Frauen täglich benutzten Wörter. Allerdings: Frauen leiden viermal so häufig an Kieferproblemen wie Männer."
16/3/06 19:51
Amazing! Wird Eloquenz nun zur Gender-Frage? :)
Amazon-Meinungen sind auch immer wieder erstaunlich.
16/3/06 20:04
Kieferprobleme hab ich auch. Ich werde sogar bald operiert. Aber ich befürchte, dass liegt nicht an meinem Redefluss. Logischer wäre es, wenn ich Fingergelenkprobleme hätte, aufgrund Schreibfluss. Die Anatomie des Körpers ist meist sehr unverständlich...
Ich vermute, dass du alles schreiben kannst. Ernst, blödsinnig, komisch, absurd, lustig, freundlich, traurig, gruselig, abenteuerlich, spannend. Von daher solltest du dir darüber keine Sorgen machen.
16/3/06 21:12
sehr schoen wortgespielt, mein lieber!
stimmt: frauliche kieferprobleme habe ich auch. mist.
16/3/06 21:54
Sauber, altes Wortfankerl!
Und mit den grossartigen Spintos wieder eine meiner Bands auf dem Teller. Brav.
Fuegoster
16/3/06 21:59
Stehende Ovationen sind angemessen!
16/3/06 22:01
Darüber muss ich noch meditieren - übrigens auch nur ein anderes Wort für sitzen.
16/3/06 22:56
nicht nur erwin,
nein:
der ganze text hat gesessen.
(*sucht nebenher die nummer ihres kieferorthopäden heraus)
16/3/06 23:12
Danke für die Verwendung von »geschallert«. Habe ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gehört (oder gelesen). Feine Geschichte.
16/3/06 23:58
@Rabe: Dann wird's ja Zeit, dass die Welt das mal wieder häufiger zu hören oder wenigstens zu lesen kriegt (ohne in irgendeiner Form Fürsprecher von Prügelstrafen und schlagenden Konfliktlösungen oder gar Verbindungen zu sein). :)
17/3/06 09:49
@burnster: Wo Du bist, ist ja auch Qualität! :) Und das nächste Produkt Eurer Schmiede ist mit Nick Cave ja schon auf dem Postweg zu mir... vertretend verschickt von Judith.
17/3/06 10:05
@rebella jane doe: Vielleicht mal hier gucken? :)
17/3/06 10:23
@rulla: Distinktive Wortakzente... ich baue Sachen in Texte ein, von denen ich gar nicht weiß, was es ist. Das nenne ich spannend. :)
Und mal schauen, wenn's alles gut läuft, darf ich demnächst in meinem Münsteraner Lieblingsladen CDs oder Bücher verkaufen.
17/3/06 10:26
von dem vielen essen bekomm ich hunger.
texthunger.
17/3/06 10:38
Das sitzt. Ich gehe jetzt. Komme aber wieder.
17/3/06 10:56
Raffiniert, Herr Cordsen, raffiniert.
17/3/06 11:22
Der Tod WÄRE auch ein seltsames Haustier.
Aber wie kommst du da nun bloß drauf?
17/3/06 16:35
Überraschung, Überraschung. Oder auch: Geheimnis, Geheimnis. :)
17/3/06 16:38
Echt? Cooloop!
Hast du mit ihr gemailt?
Sag ihr einen lieben Gruss! Ohne Ju kein Chileblog.
17/3/06 20:29
Mal sehen, könnt' ich arrangieren. War eher mittelbar mit ihr in Kontakt, als aktiver Mitleser des Mailkontakts zwischen ihr und Armin. Wurde dann aber bei der Frage nach Deinem Verbleib mit ins Boot geholt, nachdem sich Armin schon sorgte, Du seist möglicherweise von Widrigkeiten der Marktwirtschaft von Bord gespült worden. :)
17/3/06 20:46
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