Fell onto the floor, man - dEUS live in Münster (II)
"Was meinst Du, womit dEUS eröffnen werden?" Stirnrunzeln. Muntere Ratespielchen. "Vielleicht mit 'Bad Timing', dem ersten Song der neuen Platte? Riesenhit!" Robert schubbert mit der Handinnenfläche über die Wangenbartstoppeln. "Näää, eher mit 'Put the freaks up front'. Der knallt von Beginn an." Ein halbes Dutzend Songtitel wirbelt durch die staubige Luft, und doch kann keiner den richtigen Riecher für sich reklamieren, als sich der Trockeneis-Nebel verdichtet und dunkle Schemen sich im Gegenlicht über die Bühne schieben. Der Einmarsch der Helden. Und statt aus der vorletzten Reihe, wie in Groningen, begegne ich den Helden diesmal aus allernächster Nähe direkt vor der Bühne.Verhallte Samples poltern aus den Boxen, wirre Gesprächsfetzen, der Groove durchzuckt den Nebel, die Orgel kreischt auf, die Gitarre lässt sich das nicht gefallen und kontert, der Bass tanzt sich beschwingt durch die niedrigen Frequenzen. Füstersingsangdialog. "Fell off the floor, man" - das hatte keiner auf seinem Wettzettel. Nun auch von vorne beleuchtet, schälen sich die Profile aus dem Nebel. Tom Barman zündet sich eine Kippe an, krault beiläufig ein paar seiner Brustlocken im halb offenen schwarzen Hemd, grinst. "Hallo Münster. Danke, dass wir hier sein dürfen und danke vor allem an Absynthe Minded - sie sind solch eine fantastische Band." Larmoyant-verschmitzte Bescheidenheit und einer der nicht allzu häufigen Fälle, in denen die Hauptband freundschaftlich und respektvoll den imaginären Hut vor ihren kleinen "Anheizern" lüftet.
Lausbübisches Glitzerlächeln zu den Mitstreitern und prompt wird weitergerockt. Genau genommen ist Barmans sonores Raschelreibeisen- timbre das letztverbliebene Markenzeichen der Band, ist sie doch sonst nach Querelen der letzten Jahre auf allen Positionen rundumerneuert. An der zweiten Gitarre schringelt nun der latinlovereske schnieke Schönling, Mr. Pawlowski, der trotz Beau-Koketterie seine Saiten enorm frisch, vielseitig und druckvoll bearbeitet. Am Schlagzeug groovt sich ein blutjunger G.Love-Lookalike um Kopf und Kragen. Der Bassist lässt seine Finger über die scharrenden Seiten sausen, mit nikotingegerbtem faltigem Teint, leicht abgerissener Aura und abgetragener Lederjacke. Rundumerneuert ist vieles neu, der Esprit aber ist geblieben. Und sie haben enormen Bock zu spielen heute. Kracher folgt auf Kracher. Wenngleich sie zwischenzeitlich auch leise Balladen, wie eine traumverzauberte Version von "Little Arithmetics" aus dem Ärmel schütteln, sind es überwiegend die druckvollen Titel, die uns gischtschäumend mit Schmackes, aber enorm nuanciert um die Ohren geknallt werden. Grandiose Balladen wie "Serpentine" oder "Sister Dew" bleiben heute in der Schatztruhe. Doch wen stört's?
Erstaunlich sind nicht nur das breit gefächerte dynamische Spektrum und die funkensprühende, mitreißende Spielfreude der fünf Jungs, sondern auch die Auswahl der Lieder, die sich fast gleichmäßig auf alle Schaffensphasen verteilt. Die Menge juchzt, der Applaus kracht Song um Song stärker, Barman selbst gibt sich so offen wie sein Hemd, bleibt in freundlich-süffisantem Dialog mit dem Publikum, rockt sich dann wieder um Kopf und Kragen. Turnt wie ein Derwisch über die Bühne, gerät inmitten des eruptiven Klangvulkans in Rücklade, kracht auf die Bühne, landet auf dem Hosenboden, zuckt dort einfach ekstatisch weiter, lacht sich ins Fäustchen, rappelt sich lachend auf und turnt weiter.
Zärtliche Strophen funkeln, hingehauchte Töne perlen wie frischer Tau, werden alsbald aber zermalmt von meterdicken Gitarrenlawinen, die Geige spinnt feine Bögen, der Bass brodelt im Untergrund, Grooves preschen voran, die Gitarre täuscht fettes Braten an, macht eine flinke Drehung und streut ziepend augenzwinkernde Dissonanzen ein. Das hier ist ganz, ganz großes Kino. Eine fantastische Band, vor Witz und Energie strotzend, heizt durch eine großartige Songauswahl. Münder stehen offen, die Augen glänzen, Hüften schwingen, lippensynchron singen die Eingefleischten mit. Fast wie in Trance. Und urplötzlich sind fast zwei Stunden vorbei. Rasende Begeisterung. Die Helden verlassen die Bühne, nicht ohne einen weiteren lobudelnden Dank an ihre Vorband. Verschwinden kurz und kommen dann mit zwei finalen Zugabenkrachern wieder: Dem famosen Opener des neuen Albums, "Bad timing", das unsereins ganz am Anfang erwartet hatte, und dem obligatorischen Groovemonster "Suds and Soda". Ein letztes Bad im kochendheißen Vulkan. Bedauerlicherweise findet auch das irgendwann sein Ende. Halb in Trance bleibt das Publikum noch minutenlang stehen. Jubelnd, feiernd. Dann schwebt man, noch benommen von diesem gigantischen Konzert, auf dem Drahtesel heimwärts durch die klirrkalte Münsteraner Spätwinternacht. Schon jetzt das Konzert des Jahres. Sollte sich irgendwer anschicken wollen es zu toppen: Die Latte liegt hoch über dem Horizont.
Labels: Oles Musiktipps
8 Wortmeldung(en):
Da hat sich das warten auf den zweiten Teil wirklich gelohnt.
Gibt ja nicht wirklich viele Momente in denen ich mit jemandem gerne getauscht hätte...doch um dieses Konzert beneide ich Sie.
Oder mit anderen Worten:
Boah Deus!
10/3/06 12:15
Und die kommen nicht noch in Deine Nähe?
10/3/06 12:45
...nebenbei biete ich hier spontan mal das "Du" an.
10/3/06 12:45
Leider nicht...tags drauf waren Deus in Essen, aber ich nicht in NRW. Jetzt steht noch Spanien und die Schweiz an. Das wird wohl nicht mehr hinhauen. Aber eines Tages... :)
Spontan das "Du" angenommen.
10/3/06 12:58
...wirst Du Dich rächen? Herzen aller Mädchen brechen und so? :)
10/3/06 13:04
Beim Abschicken des Kommentars hatte ich es geahnt dass Du mein Geschwelge mit diesen Zeilen fortsetzt. Echt jetzt :)
Aber warum nicht...was macht nicht alles für Deus.
10/3/06 13:19
Herrje, bin ich berechenbar! :)
10/3/06 14:28
Ich kann mich nur wiederholen: Boah, dEUS. Boah.
Und ich bin immer noch neidisch! :)
11/3/06 12:29
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