Mittwoch, März 22, 2006

Zum Teilen verurteilt

Halb bog er sich mitleidig, halb krümmte er sich vor Abscheu. Doch half es wenig. Noch bevor überhaupt die Chance erwuchs, sich aufzulehnen, konnte er schon die weiße Flagge hissen und sich in sein Schicksal ergeben: Er wurde seines freien Willens beraubt. Gern wäre er, Gero der Pfannenwender, auf der Metallanrichte liegen geblieben. Ihn durchwaberte heute sowieso ein leichter Anflug von Frühjahrsmüdigkeit. Indes traf ihn aus der fahlen Fratze der bekittelten Vettel ein tumber Blick. Alle Versuche, sich jetzt noch totzustellen, zu verstecken oder in Luft aufzulösen kamen zu spät. Kurz noch friemelte die schwammporige Küchenhilfe unter ihrer Dauerwelle nach dem Ohrsteckerstopper, der sich lösen wollte - doch dann schon grapschte nach erfolgreichem Stopperstoppen fraglos mit ihren fettigen Händen nach Geros Griff. Die Neonröhren surrten eisiges Licht von der Decke herab. Es half nichts, Auswege mochte es woanders geben, nicht hier. Die Pranken stießen ihn mit unnachgiebiger Wucht in das bemitleidenswerte Gebilde, das unter ihm in Stahl gezwängt ein kümmerliches Dasein fristete.

"Börp!" Eine zerkochte Kartoffelscheibe rülpste, weil sie zuviel von der mächtig klebrigen Soße eingesogen hatte, ihre Artgenossinnen labberten schlapp und lustlos im Schmaddergepampe herum. Dann wurde Gero hindurchgestoßen. Die Kartoffelscheiben zuckten kurz vor Schmerz zusammen und ergaben sich dann in ihre Verstümmelung. Ein als Waldpilz getarnter Dosenchampignon konnte gerade noch beiseite springen, steckte nun aber ebenfalls in diesem ideenlos zusammengeklatschten, zähklebrigen Soßengesuppe fest.

Schon vor Wochen verstorbene, zähgummiartige Gyrosfleischbrocken, die vergammelt aus dem Hals rochen, rangen unter der bröckeligen Billigkäsedecke nach Luft, einem einsamen Brokkoliröschen wurde übel, es musste sich übergeben. Dann wurde Gero nocheinmal im rechten Winkel zum Zustechen gezwungen. Tellergeklapper und Studentengemurmel übertönte die leisen Schmerzschreie. Dann wurde Gero auch noch gezwungen, sich mitten in die Pampe zu wühlen, um ein abgeteiltes Stück dieses fettglitzernden, mickrigen und verunstalteten Gebildes aus seinem Sumpf zu reißen und auf einen Porzellanteller zu pfeffern. "Macht's gut, und nehmt's nicht persönlich", rief Gero, noch völlig verklebt, dem Matschhaufen auf dem Teller hinterher.

Die kleine, im Unterleib verstümmelte Kartoffelscheibe rülpste noch einmal und krächzte dann zurück: "Wenn wir Glück haben, werden wir gar nicht alle verspeist und überleben. Zwar auch nur in irgendeinem miefenden Moloch voll verfaulender Dunkelheit, aber immerhin. Wir sind weit weniger genießbar als man den Kunden hier weismachen will." Dann verstummten beide. Ein Riese mit grünem Kapuzenpulli riss den Teller weg und bewegte sich fort in Richtung Kasse.

30 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

münsteraner studenten mensen wohl eher mäßig???

22/3/06 21:57

 
Blogger samoafex meint...

Gero, der Pfannenwender. Auf was für Ideen du immer kommst :)

Geht's ihm denn gut, beim grün Bekapuzten?

22/3/06 22:14

 
Blogger undundund meint...

wie ich sehe, bekommen wir die ersten auszüge aus dem werk "metaphysik der küchenutensilien" zu lesen. die existentielle not von gero, sein schwanken zwischem einem zurückgezogenen pfannenwender-dasein oder einer aktiven teilnahme in der ihn umschließenden lebenswelt, der großküche, sind jedenfalls äußerst plastisch dargestellt. wird er seine fähigkeiten zur vollen entfaltung bringen können? wird er eines tages im rituellen palmolive-bad erlösung finden?

22/3/06 22:51

 
Blogger kein einzelfall meint...

Lesen Sie mehr dazu in Geros kulinarisch-authentischer Lebensbeichte.

22/3/06 23:03

 
Anonymous Anonym meint...

Es heißt, indianische Küchenhilfen entschuldigten sich bei der Kartoffel, bevor sie ihr den Todesstoß versetzten. Sie besitzen noch dieses uralte Wissen um das Geheimnis unseres Überlebens, das nur durch den Tod der Kartoffel fortbestehen kann. Ein Respekt, für den in den entseelten Großküchen unserer Gesellschaft kein Platz mehr ist.

22/3/06 23:16

 
Anonymous Anonym meint...

Leider muß ich dem Blauen Himmel schon wieder widersprechen, obwohl das ja eigentlich so gar nicht meine Art ist.
Ausgerechnet ihm.

Großküchen sind nicht immer seelenlos .

Und Gero hat selbstverständlich meine volle Sympathie!

23/3/06 03:12

 
Anonymous Anonym meint...

So genial das auch geschrieben sein mag (Applaus, Applaus!), mir ist jetzt der Appetit auf ein Frühstück vergangen.
Wundervoll geschrieben, ja wirklich, einiges lässt einen innerlich zusammenzucken, so seltsam ist es. Aber langsam bekomme ich das Gefühl, dass die Bloggerwelt mehr appetitlich angerichtete Einträge braucht.

23/3/06 07:45

 
Anonymous Anonym meint...

Danke für den Link, lieber Küchenhurenfan. Da macht einer seine Arbeit mit Herzblut, sowas lese ich gerne. Ohne Ironie.

("ausgerechnet ihm"?)

23/3/06 10:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@pappiger pommes: Münsteraner Studenten mensen eigentlich ganz ordentlich, teils sogar sehr gut. Dann sind aber in seltenen Fällen urplötzlich auch wieder kulinarische Vollgriffe ins Klo dabei wie der erschreckend ekelhafte Kartoffel-Gyros-Auflauf gestern.

23/3/06 11:18

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@samoafex: Gero musste doch bei der alten Großküchenschaluppe bleiben. Der grün Bekapuzte hat ja nur den Teller mitgenommen. :)

23/3/06 11:18

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@und³: Trefflich analysiert. Gero hat in direktem Anschluss an das gestrige Ereignis J.P. Sartres "Der Ekel" zu lesen begonnen. More to come...

23/3/06 11:21

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ich bin erkältet: Es wird auch wieder geschmackvoll drapierte Haute Cuisine geben. Zumindest den Versuch. :)

23/3/06 11:30

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kein einzelfall: Ach ja, den gibt's ja auch noch. :)

23/3/06 11:44

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@blue sky und Opa: Allem Anschein nach sind Großküchen sehr vielfältig. Manchmal toll, manchmal grässlich. :)

23/3/06 11:50

 
Anonymous Anonym meint...

Umpf......rrrrrülps! Ich geh' jetzt in die Kantine. Damit wisst ihr wie die hiesige Grossküche beschaffen ist. Ich mag Gero. Mahalzeit!

23/3/06 12:07

 
Anonymous Anonym meint...

in halle schwankt die genießbarkeit des mensaessens auch immer. allerdings sind die nudeln eigentlich immer zerkocht. aber für mich gibts halt dankenswerterweise immer eiin fischgericht. oder die leckere brokkoli-knusperecke. lecker. aber ich geh so dermaßen selten mensen.

PS: Bin ab 01.07.2006 in der beesener straße 248 ansässig :-) :-) :-) :-) zwar 15-20 euro überm limit, aber 2 (ich beonte: 2) zimmer!!! da muss ich eben auch am essen sparen ;-) es gibt dann nur noch reis, baby

23/3/06 12:51

 
Anonymous Anonym meint...

@ Blauer Himmel
Ja, ausgerechnet ihm. Leider wölbt sich so ein Anblick viel zu selten über unsere winterliche Bloggerwelt.

Nu is aba genug ;-)

23/3/06 13:15

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@pappiger pommes: Neue Beesen kehren hoffentlich gut. :)

Wo haste Deine feine Seite gelassen? Hab im Übrigen soeben die vorläufige Absage meines Lieblingsbücherladens bekommen. Sie würden mich zwar irre gern einstellen, haben derzeit aber doch keine Kapazitäten frei, da eine zwischenzeitlich Abwanderwillige sich nun doch umentschieden hat. Grmpf

23/3/06 13:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Der Blick nach draußen verrät aber, dass der Fühling sein blaues Band scheinbar doch wieder dauerhafter an unseren Himmel zu heften gedenkt. :)

23/3/06 13:49

 
Anonymous Anonym meint...

naja, ich hoffe, es war nicht der bücherladen mit der tollen verlosung. ich habe dir ja neulich schonmal geschrieben, dass ich das für einen wink des schicksals halte mit dem verlorenen job. du bist doch talentiert. guck endlich, dass du in sachen schreiben was kriegst und irre nicht allein nach verkaufsjobs. du bist doch so gut wie fertig. manche würden sich wahrscheinlich die finger nach dir als schreiber lecken. stell dein licht nicht unter den scheffel. 3sat ist ja auch nicht gerade ne billig-referenz.

:-) lg rulla (blog musste wegen ideenlosigkeit sterben ;.) )

23/3/06 14:10

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Kiste ist nur folgende: Ich hätt' für die nächsten Monate gern einen geistig wenig aufwändigen Job, der mir ein sicheres Überdierundenkommen ohne Kittvondenfensternfressen garantiert. Vom Schreiben allein zu leben, ist mit der Magisterarbeit im Hinterkopf schwierig. Lieber vormittags gemütlich was verkaufen, nachmittags magistrieren, abends anderweitig kreativ und aktiv bleiben. :)

23/3/06 14:13

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Und der Blogtod ist schade. Er hätte in meinen Augen ein langes Leben verdient. :)

23/3/06 14:14

 
Anonymous Anonym meint...

magisterarbeit - das kann ich verstehen. aber der blogtod tut mir persönlich nicht so leid. ich sehs da wie hilmar - so interessant ist mein leben jetzt auch nicht ... :-)

23/3/06 17:56

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich glaube, wenn Hilm liest, dass sein Leben womöglich unspannend ist, könnte er wieder anfangen, nachts in Träumen mit den Zähnen zu knirschen. :)

23/3/06 18:01

 
Anonymous Anonym meint...

aber der hat das doch über sich selbst geschrieben, dass hab ich doch nicht über ihn behauptet. da braucht er meinetwegen nicht zur knirscherschiene zu greifen :-) hilm ist doch aufregend,war schon in hippen frauenmagazinen abgelichtet :-)

23/3/06 19:02

 
Anonymous Anonym meint...

bitte minus 1 x "s"

23/3/06 19:23

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Datt war von mir ja auch nicht im Ansatz ernst gemeint. Und wer schon in der Young Miss über Liebe, Frauen und so reden durfte, kann wahrlich nicht das langweiligste Leben oder zumindest keine einflusslosen Bekannten haben. :)

23/3/06 20:38

 
Anonymous Anonym meint...

Doch besser die Mensa am Aasee, da schmeckt es besser als in Gievenbeck!

24/3/06 18:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@deliah: Das ist wahr. Hier ging es allerdings um die kleine Kantine unter der Pädagogikbibliothek und dem KoWi-Instotut am Bispinghof. :)

24/3/06 19:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@donna vivace: Danke. Über Lob von solch renommierter Stelle regt sich in mir ungeteilte Freude. :)

24/3/06 20:01

 

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