Samstag, Juni 24, 2006

Bezirzen wir den Fußballgott!

Dass unser Wissen relativ zum gesammelten Weltwissen nur ein winziger Wassertropfen im Vergleich zu den Weltmeeren ist, darf als akzeptiert gelten. Die zahlreichen Lücken im konkreten Wissen nun – die Spalte, Fugen und Löcher zwischen den Ahnungs-Inseln im Gedächtnis – spachtelt das Bewusstsein gern zu mit vagen Vorstellungen und ungefähren Annahmen im Rückgriff auf Schemata. Denn wenig braucht Mensch dringender als Sinnzusammenhänge. Entsprechend zieht das Hirn munter Verbindungsstrippen und bastelt Platzhalter, weil es mit nichts weniger leben und arbeiten kann als mit unverbundenen Fragmenten, mit losen Enden, mit Zusammenhang- und Sinnlosigkeit. Lieber einen Zusammenhang basteln, der auf wackligsten Füßen taumelt, als gar keinen und haltlos durchs Nichts taumeln wie dereinst bei Nietzsche.

Worüber wir beispielsweise nichts wissen, ist, ob irgendwer von weit oben oder woanders das Schicksal allen Lebens lenkt, und wenn, wer das denn sein könnte und wie man ihn erreicht, um mal nachzufragen oder Bescheid zu sagen. Für viele Menschen ist dies irgendeine göttliche Instanz, der die allerwenigsten bislang begegnet sind, über die man auch nicht mehr weiß als über die irre komplexen Zusammenhänge und Verwicklungen der gesamten Lebensschicksale auf der Welt. Ohne diese Vorstellung rutscht man schwupps wieder in das Dilemma der Erklärungsnot mangels Wissen. Und prompt ist da wieder dieses gigantische Chaos aus völliger ungeordneter Zusammenhanglosigkeit, die man nicht ertragen kann, weil sie hilflos macht.

Jetzt will auch ich die Fäden konkreter zusammenbinden, denn dieses dezent theosophische Präludium hatte ein Ziel: König Fußball. Wichtig is nämlich aufm Platz. Und irgendwer muss doch zum Donnerdrummel auch die Geschicke auf dem Rasen von oben beeinflussen können. Der Fußballgott. Und den gilt es, sich gewogen zu machen. Mit Stoßgebeten, mit Gesängen, und auch mit dem Glauben an ihn. Vielleicht auch vor dem Glauben mit einem kleinen Aber. Alle Gefahrenquellen ausschalten, jedes kleinste Menetekel einfallsreich in die Flucht schlagen.

Der eine besteht darauf, dass seine Freundin beim Spiel unbedingt dabei sein muss, weil Deutschland alle Spiele, bei denen sie zugegen war, gewonnen hat – auch wenn Fußball sie nicht einmal die Schnippelbohne interessiert. Der andere hat das T-Shirt weggeschmissen, das er trug, als Deutschland zuletzt verlor, die Schmach gegen Italien, und traut sich nicht mehr auf die Toilette während des Spiels, weil schon mehrfach Gegentore genau während seines Verweilens auf dem Abort gefallen sind. Ein Dritter rasiert sich nicht mehr, weil Deutschland immer gewonnen hat, wenn er einen Bart getragen hat und isst jedes Mal zum Spiel Aldibratwurst, weil sich auch hier herausgestellt hat, welch positiven Einfluss das auf den Spielverlauf zu eigenen Gunsten nimmt. Mexikaner haben ihrem Totengott ein grünweißrotes Trikot übergezogen, Togolesen Voodozauber versprüht. Keiner weiß, wie reißfest der gesponnene Zusammenhang ist, aber so lange niemand das Gegenteil der vermuteten Vorteilhaftigkeit bewiesen hat, wird weiter kreativ für den Erfolg geglaubt. Immer wenn ich meine Ostfrieslandflagge zu einem Spiel dabei hatte, hat Deutschland auch gewonnen. Hoffen wir das Beste. Ich habe nur so eine Ahnung, genau weiß ich es (noch) nicht. Mein Chefstatistiker-Rat als einer der 80 Millionen Bundes-Co-Trainer an Klinsmann: Eine Deutsche Mannschaft hat noch nie mit drei Bremern in der Startelf verloren!

12 Wortmeldung(en):

Blogger Fjaellet meint...

jetzt hat schweden nur noch einen mann: MICH! und mit mir im wettbüro wird die sache genauso gedeichselt.

24/6/06 19:43

 
Blogger mq meint...

Immer, wenn ich mich für die Nationalelf überhaupt nicht interessieren kann und mir die Ligasaison mit SG Eintracht herbeisehne, wurde Deutschland Weltmeister. Zuletzt 1990.

2006: Die Zeichen stehen gut.

24/6/06 21:46

 
Anonymous Anonym meint...

mir tut bei allem ballak leid. dreimal knapp vorbei. war auch daneben. doof irgendwie.

24/6/06 22:15

 
Blogger undundund meint...

pfuh. fanmeile gewesen: wegen sonnenwinkel sieht man da rein gar nix. aber leute sind da, mein lieber.

25/6/06 00:31

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Das hat der Schwemme super eingefädelt, Viktor. Aber warum hatte er eine so kleine Ausbeute bei den unzähligen Torchancen vereinbart? :)

25/6/06 10:12

 
Anonymous Anonym meint...

Na, da haben wirs ja nochmal geschafft.
Irgendwie hab ich den Eindruck, dass alle davon ausgehen, dass wir Weltmeister werden. Wenn das mal kein böses Erwachen gibt...

25/6/06 11:08

 
Anonymous Anonym meint...

Ole, Du Sinnstifter:-)

25/6/06 19:11

 
Blogger kein einzelfall meint...

Wenn das mal kein Kompetenz- und Bezirzwirrwarr gibt zwischen dem Fußballgott, dem Flankengott, dem Godfather of Football und der Hand Gottes ..

25/6/06 21:22

 
Blogger Fjaellet meint...

und bei rotweiß erfurt rufen sie immer noch: ronny hebestreit - fußballgott!

26/6/06 00:17

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@k.e.: Möglicherweise wird sogar Gott-Schalk noch mitreden wollen...

26/6/06 11:40

 
Anonymous Anonym meint...

Oft halte ich mich selbst für einen wichtigen Bestandteil dieses Fußballgottanbetungsritus. Das wird auch noch schlimmer, je spannender eine solch wichtige Veranstaltung wird. Spätestens ab dem Viertelfinale schaue ich Spiele der deutschen Mannschaft nicht mehr, weil ich der Meinung bin, dass ich denen nur Pech bringe. Vielleicht habe ich aber auch nur Angst vor einem kläglichen Versagen und den nachfolgenden Schlagzeilen "Dass es so enden würde, haben wir schon immer gewusst." In diesem Jahr ist alles anders: Ich rasiere mich nicht mehr, bis die Weltmeister werden. Wäre nur blöd, wenn ich in ein paar Monaten wie dieser irakische Diktator aussehen würde.

26/6/06 11:46

 
Anonymous Anonym meint...

Dabei hat die deutsche Mannschaft ihre Siege nur der Tatsache zu verdanken, dass ich beim Heimgehen vom Supermarkt immer auf genau gleich viele dunkle wie helle Pflastersteine trete.

27/6/06 15:35

 

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