Vergnügliche Problemphilosophie
Ist die Liebe noch frisch, jung, glänzt sie in strahlender Pracht, trotzt kraftvoll allen Misslaunen des Schicksals, und Säurespritzer oder Schmutz perlen an ihr ab wie Sekttropfen am Spülmittelfilm, wenn das Glas nicht ordentlich klargespült wurde. Doch lass die Zeit ein wenig am Zahn nagen, lass die Zahnreihen nachts aufeinander knirschen, lass den Glanz matter werden, das Strahlen erblassen. Wenn man nicht gründlich reinigt, schleicht sich eine hauchfeine Fäule ein. Und irgendwann plötzlich bleiben wir hängen an den Grillen des Partners (wie wenig sind sie uns vorher je aufgefallen! - und wenn – wie haben sie uns am Anfang erheitert, uns süffisantes Grinsen in die Mundwinkel gezaubert) wie die Zunge an einer Unebenheit im Gebiss.
Plötzlich haken wir am Detail fest und verlieren das Ganze aus dem Blick. Wieder und wieder fährt die Zunge an der winzigen Unebenheit entlang. Größer und größer erscheint uns die winzige Ecke oder Kante im Geiste. Und wenn wir nicht prompt jemand Neutrales (im Zahnfalle optimalerweise einen Zahnarzt) drauf schauen lassen, der uns seine nüchterne Einschätzung gibt, kann es sein, dass wir uns alsbald einbilden, wir hätten einen wahren Krater im Mundinnenraum, der in Kürze wohl bis zum Unterkiefer durchgefault sein dürfte, sodass Fremde uns plötzlich vom Unterkinn her in die Mundhöhle gucken könnten.
Und doch hat unsere Zunge keine Augen, sie fühlt nur und sieht nicht. Und selbst was sie fühlt, ist nur, was sie fühlt, so wie alle Wahrnehmung nichts anderes sein kann als subjektiv. Schließlich können wir über nichts anderes als unsere eigenen Sinnesorgane wahrnehmen und mit nichts anderem als unserem Hirn anhand unserer Erfahrungen und Werthaltungen denken, einschätzen und beurteilen. Und – zack! – kann es durchaus passieren, dass wir uns in der munter ratternden Gefühlszentrifuge verheddern, unser innerer Gaul durchgeht und völlig am Ziel vorbeigaloppiert. Denn vielleicht war gar nichts faul. Es war nur eine Ecke oder Kante. Mehr nichts. Und wir haben vor unserem inneren Auge apokalyptische Szenarien heraufbeschworen und uns schon vorab vor Phantomschmerzen gewunden.
An solchen Punkten vernagelt das Hirn sämtliche Zugänge zur Inhaltsebene mit alten Brettern und Bohlen, und alle Wahrnehmungsverarbeitung zieht um ins andere Stockwerk – der Beziehungsebene. Völlig nebensächlich wird, was der Geliebte inhaltlich spricht. Egal, was er sagt: Es steht unter Motivverdacht. Nicht mehr, was er spricht, zählt, sondern wie. Und warum er genau diese Worte in genau dieser Situation gewählt hat und keine anderen, und was er denn – auf einer Meta-Ebene – mit seinen Worten eigentlich sagen wollte aber nicht ausspricht. Vor allem über seine Einschätzung der Beziehung. Und egal, was der Geliebte eigentlich hatte sagen wollen und wie arglos und unbewusst seine Aussage gewesen sein mag. Die Goldwaage hat ausgeschlagen, und nun ist er in der Pflicht, seine eigene Unschuld vor einem voreingenommenen Gericht zu beweisen. Restzweifel garantiert. Hier galoppieren die Beziehungspferde oft in tiefen Morast, an dem sie sich mit ihrer eigenen Mähne kaum noch herausziehen können. Simpelste Kleinigkeiten, unausgesprochen, rotten sich mit ihresgleichen zusammen und werkeln an einem babylonischen Problemturm. Der ist brüchiger und löchriger als manch fauler Zahn und kracht flugs, wenn sich die Liebenden nicht schleunigst und offen an den Abbau machen über beiden zusammen und begräbt sie im Schutt des Aufgestauten.
Und so wie im Zahn längst nicht immer ein Loch ist, nur weil die Zunge hängen bleibt und plötzlich gar nicht mehr anders kann als Tag und Nacht um den corpus delicti herumzulecken und wieder und wieder die fragliche Stelle abzuschlecken, so kann auch eine unbedachte Äußerung, ein winziges Missverständnis schnell zum Flächenbrand schwelen. Und so ist es hier wie in der Liebe doch immer das Hilfreichste, sofort für Klarheit zu sorgen – ab zum Zahnarzt oder frisch raus mit der Sprache, und so den kleinen Nagern im Innern des Geistes den Futtertrog zu zersägen. Denn das widersinnige Geschöpf Mensch siecht nur allzu gern an Wunden, die zu heilen er locker die Macht hat. Allzuoft wird das Leben dann zum Widerspruch wider besseres Wissen und die Vernunft dient, statt zu lindern, nur dazu, indem man vom Schlimmsten ausgeht, die Empfindlichkeiten noch zu reizen, das Leid zu vermehren und die Ängste zu befeuern, den Stein der Weisen beiseite zu treten und stattdessen einen galligen Klumpen von einem Wackerstein aufs Herz zu hieven, die Sorgenpäckchen aufzuhäufen und so ein Zehnfaches der Energie für ein winziges Bruchstück des Erfolgs zu verbrennen als man gebraucht hätte, wenn man gleich zu Beginn und leichterhand kurz Klärung gesucht und gefunden hätte, wodurch der problematische Rattenschwanz und die apokalyptischen Ungetüme, die sich ansonsten allmählich auftürmen gar nicht erst aufgetaucht wären.
41 Wortmeldung(en):
??? kommst du grad vom klärungsgespräch??? ;-) du schreibst dich ja richtig in wallung :-)
6/3/07 22:03
Quatsch. :)
Gar nix is. Mir geht's prima. Ohne irgend ein Zweifelkorn. Und aktuelle Anlässe in meinem Privatleben wird man auch mit dem Elektronenmikroskop nicht finden. Die Idee ist mir vor langer Zeit mal gekommen und spontan hatte ich Lust, sie mal auszuspinnen. Mehr nicht. Hermeneutische Interpretationen, die historisch-kritisch über den jetzigen Lebenskontext des Autors auf dessen Intentionen zu schließen suchen, galoppieren schnurstracks ins Hafenbecken. :)
6/3/07 22:10
Wuaah, Alta! Wie geil ist DAS denn bitte?! Sehr lustig, der Herr.
Ich schreib dann morgen mal die Gegendarstellung, oder Fortsetzung aus Weibersicht, DENN, wenn man als Frau direkt am Anfang [oder kurz danach, wenn man mit der weichen, sacht tastenden Zunge zum ersten Mal über was Holpriges geleckt hat (die Frauensicht könnte so ein Stückweit - und auch nur vermeintlich - pornografisch werden)] - also, wenn man das als Frau dann sofort "anspricht", bevor es bumpernd anschwillt oder gar fault...dann ist der Geliebte oftmals schneller weg, als man "wollte ich nur mal so nachgefragt haben..." sagen kann.
Und jetzt kommst DU, Mann.
6/3/07 22:31
Du hast nicht die leiseste Ahnung,
kennst das alles nur vom Hör'nsagen!
Darauf kannst Du Gift nehmen
(oder Björn fragen)
...
Herrje, irgendwo da draußen hab ich mir diesen Fettes Brot-Ohrwurm eingehandelt und werd' ihn nicht los. :)
Bin gespannt auf die Gegendarstellung und feile derweil an Argumenten...
6/3/07 22:36
Feile, Baby, feile...;)
6/3/07 22:41
...im Kuchen...
6/3/07 22:50
Mit Feilen im Kuchen hat sich schon mancher aus ausweglos scheinender Gefangenschaft ge...feilt. ;)
6/3/07 22:51
Fuuuuh...
Trink mehr Bier. Schnell! ;)
PS: die Wortbestätigung will von mir "wdrgoo" haben. Mehr Zeichen brauch ich nicht.
6/3/07 23:00
und dann?
6/3/07 23:01
Dann trinkste noch mehr Bier.
berechtigtes Blogger-Gebrülle aus dem OFF:
"Boh, könnt ihr hier mal...das interessiert doch nun echt KEINE SAU, was ihr euch hier...Herrgott!"
6/3/07 23:09
Verblüffende Argumentationsführung.
Mein Getränkevorrat ist mit dem einen Pils für heute geplündert. Und damit auch genug der Gerstenkaltschalenkonversation. Darum ging es hier ja eigentlich auch eher gar nicht. ;)
6/3/07 23:15
Das mit dem Zahn ist ein toller, passender Vergleich. Jedoch. Davor gab es immer noch etwas anderes. Entweder Selbstzweifel (der/die kann mich doch sowieso nicht gut finden, irgendwann wird er/sie davonlaufen, ah da ist schon ein Anzeichen, wusste ich's doch). Oder etwas Grundsätzlicheres schwelt, was zwischen beiden nicht passt (er/sie entscheidet Dinge ohne mich, blamiert mich vor anderen etc.). Erst dann bleibt man an Zahnunebenheiten, dem etwas zu schrillen Lachen oder anderem Kleinkram hängen.
6/3/07 23:22
was für ein rasanter text, mein lieber ole!
schlimm ist in diesem zusammenhang auch, wenn die parodontose schleichend einsetzt und man alles unwiederbringlich verliert.
6/3/07 23:48
Ab zum Zahnarzt find ich gut, aber wer ist in diesem Fall der Herr Doktor?
7/3/07 08:58
Es ist der Zahn der Zeit, der an ALLEM nagt. Da hilft kein Putzen mehr.
7/3/07 09:37
Opa, alter Fatalist. Ich finde meines eigenen Glückes Schmied zu sein gar keinen schlechten Nebenberuf. ;)
7/3/07 09:57
@blue sky: Klaro. Wie schon Hegel sagte: Jede Setzung hat eine Voraus-Setzung. ;)
7/3/07 09:59
Das ist doch nix Schlimmes. Auch mit den Dritten kann man noch küssen und doppelte Herzen können sogar noch tiefer lieben :-)
Bis daß der Tod euch scheidet - davon halte ich eh nicht viel. Öfter mal was Neues ;-)
7/3/07 10:18
@opa: Erfrischende Wenden und Neubeginne haben ja durchaus ihr Gutes, Opa. Keine Frage! Ich wollte auch in keiner Hinsicht zu krampfhaftem Klammern an der einen Beziehung geraten haben. Mit Sicherheit nicht. Ich habe eigentlich nur Prozesse beschrieben, die sich abspielen können, gesetzt den Fall dass... :)
7/3/07 10:57
@l&k: Keine Ahnung. Doktorspiele? ;)
7/3/07 11:02
@bitts: Man muss es ja nicht gleich von der dramatischsten und fatalsten Seite aufziehen... ;)
7/3/07 11:02
Weise, lieber Ole, sehr weise.
Ich wünschte, Frauen würden sich mehr für Fakten interessieren. Von mir aus auch für die nackten. :o)
7/3/07 13:45
Guter Vergleich!
So ein (vermeintlich) fauler Zahn verursacht natürlich auch sofort (imaginären) Mundgeruch. Da lässt sich das Gespräch sehr gut herauszögern und man kann in aller Ruhe an dem Problem weiterbasteln...
7/3/07 15:00
Großartig, Ole. Ganz fabelhaft. Man sollte Plakatwände für dich und deine Texte mieten und sich darüber freuen, wenn die Leute in Trauben davor stehenbleiben.
7/3/07 16:45
da freut sich der mann, und wundert sich, dass in den kommentaren schon wieder alkohol ausgeschenkt wird. vor allem schon wieder von dieser "dame"!
7/3/07 20:52
Sprechende Bilder als Text verkleidet. RIESIG!
7/3/07 21:23
ach, quatsch ole, die frage war gar nicht privat-investigativ auf irgendein negativ-ereignis gelotst, aber auf was für gedanken du halt immer so aus dem nichts kommst... na zum glück hatte ich noch nie ein loch im zahn, vielleicht hilft mir das ja beziehungstechnisch :-)
7/3/07 21:36
@viktor: Man sollte derlei nicht hochsterilisieren. Ausschank ist generell eher die Sache des Café Sperrmüll eine Tür weiter. Wer aber freiwillig Bier mitbringt, wird deswegen sicher nicht von der Türschwelle gestoßen. :)
7/3/07 23:44
@rulla: Das würde ich von meinem Gebiss gern sagen können. Kann ich aber nicht. Lucky you. :)
7/3/07 23:44
@markus: Nachgeholter Karneval quasi. ;)
7/3/07 23:52
@scheibster: Sind solche Fakten nicht die vor allen anderen interessanten? :)
8/3/07 00:01
Ein doppeltes GEILOMAT auf diese Bildhaftigkeit!
8/3/07 00:02
@ratze: Du hast vielleicht Visionen... ;)
8/3/07 00:02
@jnine: Selbst Menschen mit Zahnlöchern - würde ich vermuten - können sich ja die Zähne putzen und für Wohlgeruch im Mund sorgen, oder? Auch, wenn sie schnellstmöglich sehen sollten, dass sie zum Zahnarzt kommen... ;)
8/3/07 00:07
Schöner Vergleich + danke für die Erinnerung - ich wollte (oder sollte?) schon längst mal wieder zum Zahnarzt gehen.
8/3/07 10:59
Ein feines Blog
8/3/07 12:36
Danke fuer diesen Text.
8/3/07 14:31
Ja, könnten sie. Aber dann wär das Problem ja schon beseitigt, das wär ja langweilig...;)
8/3/07 15:40
@knurps: Knusprigen Dank.
8/3/07 18:41
@dolce vita: Gern.
8/3/07 18:42
@jnine: Langeweile als Folgeproblem ist auch nicht ohne... ;)
8/3/07 18:42
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