Sonntag, November 06, 2022

Auf zu nimmersatten Abenteuern

 


 Jahre hat es gedauert, immer wieder habe ich gezaudert. Und dann hat "Absurdistan" doch einen Nachfolger gefunden. Kulinarischer, aber immer noch mit viel Unfug und Musik. Schaut gern rein

Samstag, März 03, 2018

Wer die Warnung des Eises in den frostigen Wind schlägt

Biestige Böen beißen, die Barthaare steifgefroren. Die Nacht ist vorgedrungen, während Du Dich der tiefsten Stelle des Landes näherst, fernab von allem.  Unter den Sohlen knirscht das Eis, knackt, gnurpst, murmelt frostige Warnungen, Dich nicht zu sicher zu fühlen. Im fahlen Vollmondschimmer verblassen die Sterne, verstecken sich scheu und vor Kälte bibbernd. Du schlägst die Warnungen des Eises in den frostigen Wind, schreitest vorsichtig voran, kniest nieder auf den zusammengefrorenen Schollen, um neue Blickwinkel zu gewinnen, um das Dunkel ins Bild zu bannen. Und doch. Tief unter dem Eis wirbeln wärmere Ströme, haben es weichgespült, brodeln Faulgase, die die Deckschicht zerfressen, und plötzlich gibt die Kruste unter Dir nach, bricht weg, Dein rechtes Bein rutscht in eisige Fluten. Du reißt es heraus, der Stoff gefriert bei Graden weit unter Null im Nu, und während Du Dich zurück zum Auto schleppst, keckert das Eis, als lache es höhnisch und raune Dir zu: "Ich hab' Dich gewarnt!

Montag, August 25, 2014

Liegerspiel

Grätsche, Foul, Sturz.

Der Spieler wälzt sich auf dem Rasen, krümmt sich, bäumt sich auf, schlägt sich die Hände vors Gesicht. Minutenlang.

"Bei Pokalspielen oder bei der WM stehen die Jungs viel schneller wieder auf", sagt der Mann neben mir. "Ist Dir das auch schon aufgefallen? Aber hier bleiben sie dauernd und viel länger liegen. Meinst Du, dass das deshalb Liga-Spiel heißt, weil die dauernd liegen?"

Sonntag, August 24, 2014

Die Winzer vom Rande des Kiezes


Die Landungsbrücken in Hamburg... das versteckte Weinbaugebiet. Bouquet des Tropfens? Vermutlich nordisch herb. Mindestens. Schweröl-rußig und bratfettig im Abgang.

Mittwoch, August 20, 2014

Der verschwundene Sommer

Während draußen wilde Wolkengebilde übers Firmament ziehen und Regengüsse in Trommelwirbeln auf dem Dach landen, ziehe ich mir mitten im August eine zweite Bettdecke über, schlüpfe tagsüber in einen Fleece-Pulli und denke: "Auch der Sommer darf ja mal Urlaub machen." So haben die Menschen auch mal wieder ein Gesprächsthema, in dem sie den Satz "Ich glaube, der Herbst hat sich verlaufen" fallen lassen können. Und sie können mitten im August einen modischen Schal tragen oder den anthrazitfarbenen Filzmantel wieder hervorholen, der sonst erst im November wieder Saison gehabt hätte. Und es sind gute Tage, um sich mal wieder heiße Milch mit Honig zu kochen, unter einer Kuscheldecke einen guten Roman zu lesen oder einen schlechten zu schreiben, und in Jahren wird man seinen künftigen Kindern davon erzählen können, wie plötzlich der Sommer weg war. "Haben wir damals gefroren", werden wir sagen, denn dass der Sommer einfach verschwindet, passiert ja nicht so oft. Und dann werden wir leise denken: "Es wäre schon schön gewesen, wenn wir selbst und nicht der Sommer in Urlaub gefahren wären - wir wären auch schneller wiedergekommen."

Dienstag, August 19, 2014

Bevor Sie gehen: Darf ich noch Ihre Brille putzen?

Gewürze im Gespräch

Sobald der Koch seine Schürze an den Haken gehängt, die Töpfe abgewaschen, die Pfanne geschrubbt und die Küche verlassen hat, stecken die Gewürze ihre Köpfe zusammen, tuscheln, tratschen und hecken Unsinn aus, den sie unbeobachtet verzapfen können.

Freitag, August 15, 2014

Maracuja Blues

Vor kurzem waren sie noch so süß gewesen, passioniert, frisch - doch plötzlich, an diesem Morgen kurz nach dem Frühstück, fühlten die beiden sich nur noch alt und leer.

Dienstag, August 12, 2014

S-Bahn-Umfall

Ein wenig blass ist die Spindeldürre um die Nase, als sie in die S-Bahn stakst. Noch während die Türen sich zischend wieder zuschieben, bevor der Triebwagen überhaupt wieder Fahrt aufgenomen hat, schwankt sie, klammert sich leeren Blickes an eine Halteschlaufe. Vielleicht Mitte 20 mag sie sein, knochig ist sie, blass mit einem Teint der an OP-Kittel erinnert.

Gemeinsam mit ihr hat sich eine alte Frau in den Waggon bugsiert. Klein, verhärmt, eine Plastikregenhaube über der Dauerwelle.

Die S-Bahn fährt an. Die junge Frau fällt um.

Zwei Männer aus der Sitzgruppe dahinter springen hoch und helfen ihr auf.

Die Alte beugt sich nieder und fragt fast schimpfend: "Mein Gott, Kind! Was ist denn los mit Dir?"

"Mir ist grad schwarz vor Augen geworden!"

"Ich sag's doch immer wieder. Kontaktlinsen sind nichts für Dich!"

Montag, August 11, 2014

Purpur



Die Wolken waren längst geborsten, hatten das Land überschüttet, die Straßen für Momente in Kanäle verwandelt und Spaziergänger in wildfremde Hauseingänge getrieben, da brach sich das Licht und der Himmel verwandelte sich in seltsames Purpur...
Ich bin nicht eingebildet. Es gibt mich wirklich.

Sonntag, August 03, 2014

Die Poesie leerer Coladosen

Spät, irgendwann nach Mitternacht, stand er plötzlich vor der Tür. Hatte an der Wohnung geklingelt, irgendeiner der Partygäste hatte ihm geöffnet. Er sagte Hallo. Mehr nicht. Doch wie selbstverständlich kam er herein, ging in die Küche, griff sich eine Weißbrotscheibe, tunkte sie in die Schale mit Hummus und goss sich ein Mango-Lassi ein.  Dann irrte er mit seinen Blicken durch den Raum, blieb kurz am Chat-Noir-Poster hängen, schlängelte seine Blicke darüber. Wir kannten uns nicht; er begann, unvermittelt zu erzählen, übersprang das Kennenlernprozedere, kein wieheißtduwasmachstduwokommstduherstudierstduauchundwasliestdugerne. Er erzählte. Seine Stimme war dünn wie zu kurz gezogener Tee, erinnere ich mich. Er sammle leidenschaftlich, sagte er. Herumliegende Dinge, die er auf der Straße fände. Oder in Gebüschen am Gehsteigrand. Kassenbons und Studiennotizen und abgebrochene Stöckelschuhabsätze. Einmal habe er Glasscherben aus einem zerplitterten Autofenster gebrochen und eine Kette daraus gemacht, sagte er. Fast hätte er sich dabei geschnitten, erinnere ich mich, sagte er.

Er meinte, das seien Großstadtdiamanten und fügte an, selbst in einer leeren Cola-Dose stecke Poesie. Er habe eine große Vitrine gebastelt, sagte er, erinnere ich mich, und darin habe er eine Reihe benutzter Spritzen aufgestellt, die direkt Gitterzaun hinter dem Spielplatz am Kösliner Ring gelegen hätten. Daneben hätten Kinder gespielt. Und eins habe gesagt: "Guck mal, wir haben ein riesiges Loch gebuddelt." Und da habe er gestaunt, denn es sei ein sehr großes Loch gewesen. Gerne hätte er es mitgenommen. Aber es sei kein Platz in seiner Wohnung für ein Sandkastenloch gewesen.

Und wenn er etwas nicht mit nach Hause nehmen konnte, habe er sich davorgekniet, es fotografiert und die Aufnahmen liebevoll in Fotoalben geklebt. Eine Wasserwaage benutze er dafür sogar, sagte er, erinnere ich mich. Man solle Fotos nie schief einkleben.

Er trank sein Lassi leer, blassgelbe Tropfen aus seinem fusseligen Bart leckend. Er erzählte, er sei ein Archäologe der Gegenwart, lachte darüber und schnippte Asche in den nun leeren Plastikbecher.  "Findest Du das seltsam?", fragte er. Fast flüsternd.

"Ich mag so etwas", entgegnete ich und dann lächelte ich. "Das ist selten", sagte er und erhob seine Hand wie zum Gruße, erinnere ich mich, ehe er sich umdrehte und verschwand, ohne sich von mir und den restlichen Gästen zu verabschieden. Still. Fast unhörbar schloss er die Tür. Erst als er fort war, fiel mir ein, dass er mir seinen Namen gar nicht verraten hatte, erinnere ich mich. Und staunend musste ich feststellen, dass auch kein anderer der Gäste ihn wusste. Niemand hatte ihn zuvor gesehen. Doch womöglich ist auch dieser Abend nun Teil seiner Sammlung.

Donnerstag, Juli 31, 2014

Entsetzte Elefanten, heulende Eulen

Es gibt Momente, da gerät auch das seelenruhigste Tier aus der Fassung...

Und hier kann man dabei zusehen.

Sonntag, Juli 27, 2014

Sommer


Im taunassen Gras liegen, in den Nachthimmel blicken und neue Sternbilder erfinden. Durch den Sommerregen tanzen, barfuß. Mit frischen Heidelbeeren Gesichter auf den Unterarm malen. Seifenblasen durch die milde Sommerluft schweben lassen. Haie Haie sein lassen. Mal wieder vom Zehner springen. Selber Reispapier machen und daraus vietnamesische Glücksröllchen zaubern. Einfach mal lossegeln. Wildfremde zum Doppelkopfspielen an der Bürgersteigkante einladen.

Mittwoch, Juli 02, 2014

In der Stadt eine Frau gesehen, auf deren Unterarme Schwalbenschwärme tätowiert waren. Fenstertrick? Sodass keine Vögel gegen die Unterarme fliegen?

Donnerstag, Juni 19, 2014

Neues aus der Kategorie "Dinge, bei denen Haie Schwächen haben":

1. Sich am Rücken kratzen
2. Zartfühlend lieben
3. Surfern teilnahmslos zusehen
4. Essensreste zwischen den Zähnen entfernen
5. Nur kleine Stückchen abbeißen
6. Risotto kochen
7. Rückwärts einparken
8. Tanzen
9. Schuhe zuknoten
10. Waldmeisterbrause durch den Strohhalm schlürfen

Montag, Januar 14, 2013

Winternacht

Einsam schnaufte das Schwein in der Nacht, während es mit der Schnauze über das schiere Eis schubberte, das tags zuvor noch eine Pfütze war, aus der es trinken konnte, stieß mit jedem Schnaufer kleine Dampfwolken aus, die noch kurz in der eisigen Luft hingen, ehe sie zerstoben. Steif gefrorne Äste zitterten in der leichten Brise. Wer seine Finger nicht in dicke Handschuhe gehüllt hatte, konnte fürchten, dass sie frosthart würden, in der klirrenden Kälte zerspringen und in tausend Teilen zu Boden fallen, während hoch über den Köpfen im Nachtdunkel funkelnde Sterne ihre Bahnen zogen.


Dienstag, Januar 08, 2013

Newton und die Kissenburg

Frei haben, lange schlafen, mit frisch duftendem Kaffee nochmal ins Bett zurückziehen und gute Romane lesen, dem lieben Gott freistellen, ob er ein guter Mann sein möchte: Ich bin ein großer Freund von Urlaub. Am Ende jeden Urlaubs aber fällt die Wiedereingewöhnung schwer, und zu kaum einem anderen Zeitpunkt wird in meinem Leben deutlich, wie recht Isaac Newton mit seinem Trägheitsprinzip hatte. Dass alle Körper in ihrem Bewegungszustand zu verharren, solange keine äußere Kraft auf sie einwirkt. Hätte der Wecker mit seinem hysterischen Schrillen mich nicht siebenmal aus süßen Träumen gerissen, mit all der Kraft seines grellen Gepiepes: Ich würde vermutlich noch in Stunden reglos verharren, in die Kissenburg gekuschelt, unter Decken geschmiegt.

Mittwoch, November 14, 2012

Weetabix zu Heuballen

Großartig: Wenn aus Frühstücksflocken Landschaften werden. Surrealismus war gestern - "Cerealismus" ist, was Ernie Buttons fotografiert.










Sonntag, Juni 17, 2012

Klatsch!



Ob es für die deutschen Gegner nun Klatschen hagelt?

Die Fliegen mordende Industrie hat sich zumindest auch den Nationalfarben verschrieben, zurzeit. Auf zum Angriff?!

Samstag, Mai 26, 2012

Poetisches Politgegrantel


Günter Grass hat schon
wieder ein Gedicht geschrieben, und ich frage mich,

warum seit geraumer Zeit  eigentlich jeder Text lyrisch genannt werden darf,
nur weil die politische Prosa darin an un
typischen Stellen um
brochen ist
oder in
kurze,
verszeilenartige Absätze geknetet wird.

Samstag, Mai 12, 2012

Leises Adieu


Kurz nach ihrem letzten Hauch wehten milde Windböen ums Haus, als drehte ihre Seele noch eine Ehrenrunde, ehe sie zum Himmel hinaufflog. Die Blätter in den Kastanien raschelten zum Abschied, die frischgrünen Zweige und Äste wogten sanft, als winkten sie hinterher, und aus den Blütentrauben rieselten weiße Blättchen. Vielleicht war dies ein letztes Zeichen, ein Adieu-Sagen. Ein stiller Gruß, auf den man heimlich hofft. So, wie angeblich in der Sekunde des letzten Atemzugs mitunter Uhren stehengeblieben sind, Blumen all ihre Blätter von sich geworfen haben und verwelkt sind, der Strom im Haus ausgefallen ist. Man liest so etwas immer wieder, und vielleicht hängt es mit der Hoffnung zusammen, dass da Mehr ist, dass etwas bleibt, auch wenn das Leben geschwunden ist, dass die Verbindung nicht abreißt, auch wenn sie unsichtbar geworden ist und der einst lebendige Körper sich nie wieder bewegen wird, nicht zurückkehrt, als sei nichts gewesen, die gemeinsame Geschichte beendet ist und an diesem Ort, in diesem Leben keine Fortsetzung mehr bekommen wird.

Spätestens, wenn es vorbei ist, wenn nichts das Leben zurückbringt, fühlt sich die gemeinsame Zeit plötzlich zu kurz an, mögen es auch fast hundert Jahre gewesen sein, und der Reflex erwacht, zu sagen, ich wäre gern bei ihr, dabei ist die einzige Region, in der wir sicher zusammentreffen könnten, die Vergangenheit, das Nichtsein, das einst gewesen ist, das nur noch verblassend in der Erinnerung aufschimmert. Und plötzlich, machtvoll, drängen die vermeintlichen Versäumnisse ins Bewusstsein, all die eigenen Wünsche, die an die Gegangene geknüpft waren. All die schönen, innigen Dinge, die man noch sagen wollte, für die man aber zu spät gekommen ist, weil man das mögliche Ende der Geschichte ausgeblendet hatte und den Zeitpunkt immer wieder verpasste. All die Dinge, die man gern noch gemeinsam verwirklicht hätte, die Treffen, auf die man sich gefreut hätte, und die nicht mehr sein werden. Die aufheulende Hilflosigkeit, weil man selbst eben nicht in der Hand hat, zu entscheiden, wann der Abschied sein wird. Weil er an egal welchem Zeitpunkt unvorbereitet und gefühlt zu früh kommt, egal wie deutlich die Anzeichen waren. Bis zum letzten Atemzug bleibt die Hoffnung, sie möge sich noch einmal berappeln, zu neuer Stärke finden, freudig am Leben teilhaben, auch wenn vieles längst aus ihrem Leben geschwunden war, nach fast hundert Jahren. Die alten Freunde und Nachbarn? Längst gegangen. Das Augenlicht? Zu matt, um noch lesen oder fernsehen zu können. Zu schwammig geworden, um überhaupt noch die Spielhütchen auf dem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Brett zu erkennen, so gern sie dies Mal um Mal gespielt hat. Auch die Strickmaschen waren kaum noch erkennbar, sodass sich auch das Lieblingshobby vor Jahren bereits aus dem Leben verabschiedet hatte. Klapprig, zittrig geworden, musste der wachgebliebene Geist den Abschied der Kraft, das Erschlaffen erkennen, während er selbst sich noch stark ans Leben klammerte, wach, rege. Doch blieben so gleichförmige Tage auf dem Sofa, das Kinn in die Hand gestützt, in ewigen Rückwärtsschleifen, hin zu längst Gewesenem, gerade weil im Jetzt nur noch wenig mehr passierte als Essen, Schlafen, Waschen, Kaffeetrinken. Man hätte es ihr anders gewünscht.

Und doch oder gerade deswegen bleibt die Trauer darüber, dass die Gegangene alles Künftige verpassen wird, Pläne unvollendet lassen muss. Der Leib liegt reglos da, wird fortgebracht, ein letztes Mal schön geschminkt, unter Stoff in Holz gebettet, während im Küchenschrank noch das Graubrot liegt, das sie sich sonst zum Abendbrot geschmiert hätte, während in der Wohnzimmervitrine die halb gegessene Tafel Schokolade wartet, von der sie nie wieder ein Stück abbeißen wird. Der Roman mit Lesezeichen wird kein Stück mehr vorankommen - auch wenn er das selbst zu Lebzeiten nicht mehr gekommen wäre, zu matt, zu milchig, zu verschwommen waren die alten, müden Augen ja bereits geworden. Die Medikamente sind noch da, in Teilen ungenommen und sinnlos geworden, die Brille, durch die kaum jemand sonst sehen kann, die vielen, kleinen Gegenstände, die man kaum berühren mag, die man noch weniger wegräumen mag, als wäre es Diebstahl, der gesamte erstarrte Raum der Wohnung, den man am liebsten so bewahren möchte wie er ist, auch wenn dies nur leblosen, starren Stillstand bedeutete, in den das vorherige Leben nie zurückkehren wird. Vielleicht gerade deswegen ist der Wunsch so rege, dass die Seele nur wandert, ihren vorherigen Ort verlassen hat und die Verbindung nun in ein neues Versteck geht, unsichtbar, vielleicht fern, vielleicht nah. Hin zu einem Ort, wo es ihr hoffentlich gut geht, in dessen Nähe vielleicht all die sind, die sie zu Lebzeiten selbst lassen musste, und von wo aus sie kleine Zeichen zurück ins Leben, auf die Welt, schicken kann - vielleicht, indem sie die Blüten der Kastanien tanzen lässt, die Baumkronen bauscht, so als winke sie. Und wir winken zurück, im Angedenken, flüstern all das Ungesagte in den Wind, in der Hoffnung, dass er es zu ihr ins Versteck tragen wird und noch ein wenig mitbekommt vom Leben, das sich fortsetzt an den Orten, wo sie ihre Geschichte gelebt hat, die mit dem letzten Atemhauch das Ende fand. Und in die milden Böen hinein fällt Regen.

Sonntag, April 08, 2012

Frohe Ostern!

Mittwoch, März 14, 2012

Morgenstund war pleite. Ist deshalb zum Zahnarzt gegangen, hat sich alle Goldzähne rausnehmen lassen und sie bei einem windigen Altgoldhändler verschachert. Morgenstund hat stattdessen nun Keramik im Mund. Weil der Händler aber weit unter Marktpreis angekauft hat, musste Morgenstund am Ende sogar draufzahlen.

Donnerstag, März 08, 2012

Das Lied des Renovierens






















Der Putz kreischt, schreit rhythmisch auf, während der Spachtel schräg auf ihn einschlägt, immer wieder, wenn Metall an Kalk schabt. Papier ratscht. Tapete. Mal knurrend, in großen Stücken, oft nur in kleinen Fitzeln. Dann, wenn der Spachtel flach einhackt, sich unter die störrischen Schichten zwängen soll. Schwisch. Klatsch. Der Quast wischt über die Farbe, Schwung für Schwung, um die festgeklebten Bahnen zu tränken, auf dass sie sich vollsaugen, an Halt verlieren und den Widerstand aufgeben, sich packfest an die Wand zu klammern. Mehr als nur einmal lauert ein raschelndes Geheimnis, wenn der Kleber sich löst und das Papier fällt. Da bröselt Putz, da klackern Brocken hinaus, da klaffen Löcher, über die scharf ratschend der weit größere Mörtelspachtel schaben muss. Da rauscht seit Jahren nicht weggeputzte Asche kiloweise aus dem Schornsteinschacht, und Du riechst wie ein kirgisisches Braunkohlekraftwerk. Du wischst Dir Tapetenfetzen von der Stirn, zupfst Farbplacken aus den Augenbrauen, grummelst, fluchst, die Nerven sirren, der Puls puckert.

Das Lied des Renovierens hallt im Hinterkopf nach, wenn Du aus Träumen hochschreckst, geweckt von wirbelnden Gedanken, die aufschrillen, die "Vergiss mich bloß nicht!" schreien, die "Denke dran" knödeln, die in wilden Strichen schraffieren, was alles noch passieren kann, was schiefgehen könnte, die skizzieren, was alles noch vor Dir liegt. Das, was sich entweder zum gefühlten Gebirge auftürmt oder Dich wie ein Malmstrom strudelnd hinabreißt. Das, was eisig hochkriecht, wie eine kalte Quelle am Grund eines warmen Sees aufwallt und Dich packt, was den Puls aus den Tiefen der Ruhe hochjagt, Dich ins Trudeln bringt, wenn Du nicht schnell genug gegensteuerst, inmitten von Gedanken, die wie ein Schwarm Mücken an einem warmen Sommerabend über Dir hängen, blutdurstig, stechwütig. Du wälzt Dich nach links, winkelst Die Arme übereinander, zerrst die Decke über den Kopf, gräbst Dich tief in Kissen, doch es juckt hinterm Ohr, die Armbeuge schmerzt, schläft ein (anders als Du), Du drehst Dich nach rechts, doch so liegt es sich auch nicht gut, und irgendwann, Momente, bevor der Wecker klingelt, findest Du Deine Ruhe wieder, nickst ein, ehe der neue Tag beginnt, gebraucht wie die alten Tapeten, die Du auch heute wieder abreißen wirst. "Wer erneuert mich selbst bloß nach all dem Renovieren?", fragst Du Dich, und dann packst Du wieder den Spachtel und das Lied des Renovierens erklingt von vorn.

Montag, März 05, 2012

Betörende Klangwildnis aus der Schwiiz

Wäre er damals nur nicht tauchen gegangen, zwischen den Schären bei Stockholm, an diesem Tag im Juni vor dreieinhalb Jahren. Nun, er hätte Monate später beim Brötchenholen stolpern können, auf die Fahrbahn strumpeln und von einem Betonmischlaster überfahren werden können. Er hätte sich an der Tankstelle eine Kippe anzünden können, den Laden in die Luft jagen und von der Explosion hingerafft werden, von einem herabfallenden Wasserspeier aus Stein erschlagen... oder höchstselbst in die Tasten hauen können beim Festival der Konjunktive. Doch Esbjörn Svensson ging im an diesem Tag Sommer 2008 tauchen, und er tauchte nicht wieder lebendig auf, wurde unweit des Stegs reglos, leblos unter Wasser gefunden, mit schweren Verletzungen am Kopf. Seitdem klafft ein Loch am Rande des Jazz. An der Stelle, die Puristen meiden, wo sich die Neugierigen aber scharen. Dort, wo Rock, TripHop, Elektronik, Pop-Melodien, knackige Grooves und Experimentierfreude wirbeln und mit frischem Wind Staub vom alten, in Gediegenheit erstarrten Jazz fegen.

Nun gab es durchaus auch Andere, die sich getraut haben. Die Brachial-Rumpler von "Bad Plus" etwa. Die Neugierigen im Grenzgebiet raunen nun aber von einer wunderbaren Neuentdeckung in der Schweiz. "Rusconi". Einen ersten Echo hat Stefan Rusconi bereits eingeheimst. Nun ist bei ihm "Revolution". Ein wunderbar erfrischendes Album hat er eingespielt, eins, das faucht und aufbegehrt, eins das Ideen gegeneinander ausspielt, eins, in dem wuchtig krachender Rock, lyrische Melodien, keck gegeneinander gesetzte Rhythmen, vieldeutige Harmoniefolgen aufhorchen lassen. Eins voller Spielwitz und Wagemut, voll stillem Lärm, voll raubeiniger Zärtlichkeit, mit Abenteuerlust gewaschen. Und es ist eins, bei dem - wie vor Jahren bei Radiohead - der Hörer selbst entscheiden kann, wie viel er dafür zahlen mag, wenn er es runterlädt. Viel zu großartig ist die Musik, um nichts dafür zu geben, aber wer möchte, kann auch kostenlos eine Erkundungsreise machen und später alle Freunde begeistern und motivieren, gegen Geld das Album zu erwerben. Hier gibt es das feine Stück, dank dessen wieder neues Leben pulsiert in den Grenzgebieten am Rande des Klaviertrio-Jazz, wo es so still und karg geworden war, seitdem Esbjörn Svensson nicht wieder lebendig auftauchte.

Mittwoch, Februar 29, 2012

Winternacht

Rund und buttergelb ging der Mond auf über dem schwarzen, gezackten Relief des Waldes am Horizont. Eine Frau folgte minutenlang seinem Aufstieg. Stumm, gebannt. Sie saß - komplett in ein langes, schwarzes Gewand gehüllt - am Rande einer Feldwegkreuzung auf einer Bank unterhalb einer Zwillingseiche, deren eng verzweigte Baumkrone wie ein schwarzer, löchriger Vorhang immer wieder den ungetrübten Blick durchbrach.

Die Äcker ringsum lagen tief und festgefroren unter einer dicken Schneeschicht. Die Schwarze stand auf. Um einen freieren Blick nach oben zu haben, entfernte sie sich ein Stück von Bank und Baum, kletterte über vereisten Stacheldraht und wanderte mitten auf ein Feld. Eiskristalle überglitzerten eine Viehtränke zu ihren Füßen. Bei jedem Schritt knirschte der Schnee leise. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, stumm, wortlos betrachtend. Inzwischen hatte der Mond die Waldwipfel weit hinter sich gelassen, erschien weiß glänzend am leeren Himmel und erhellte ihn. Endlich verlangsamte er seinen Lauf und warf einen großen Fleck auf den halbüberfrorenen Fluss, der eine Unzahl von Sternen bildete.

Dieser Silberglanz schien sich bis auf den Grund hinabzuwinden wie eine Schlange ohne Kopf, bedeckt mit leuchtenden Schuppen aus geschmolzenen Diamanttropfen. Die kalte Nacht breitete sich um sie aus. Die Schatten der Eiche lagen auf dem Schnee wie dunkle Tücher. Sie atmete mit halb geschlossenen Augen in vollen Zügen den frischen Wind ein, der sie umwehte. Alte Erinnerungen kletterten ihr ins Gedächtnis. Die Zärtlichkeit vergangener Tage durchfloss ihr Herz wie ein bittersüßer Strom. Sie schlich zurück. Zögernd legte sie sich unter der Zwillingseiche nieder. Sie seufzte, den Blick starr nach oben gerichtet. Ihre Kleidung, verschmolz mit den wehmütigen Schatten der Eiche. Sie selbst flog zu den Sternen.

Montag, Februar 27, 2012

Loslegen!

Sonntag, Februar 26, 2012

Mit Mausi geht's bergab

Liebe kann die Fantasie beflügeln. Im Rausch der Glücksgefühle kann der Geist übersprudeln vor zauberhaftesten Vorstellungen. Wie die konkret aussehen, bleibt meist hinter der verspiegelten rosaroten Brille versteckt. Sie gehen ja meist auch höchstens eine weitere Person an. Amouröse Fantasien gehören zu den geheimsten Dingen der Welt, von wenigen Plapperbacken abgesehen, die ihre Vorlieben offen umhertröten.

Wenn die Welt etwas mitbekommt von dem, was der liebestrunkenen Fantasie entsprungen ist, sind es Kosenamen, die sich die Pärchen wechselseitig zuzwitschern, und mit denen sie sich umschnurren. In zartfühlenden, romantischen Wissenschaftlern ist nun vor einigen Jahren die Sehnsucht gekeimt, zu erfahren, wie die liebenden Deutschen einander nennen – mit Hilfe neckischer Strichlisten. Jüngst zum fünften Mal.

Aktuell haben sie herausgefunden: Mit „Mausi“ geht’s bergab, sie ist nur noch auf Rang 5 der häufigsten Kosenamen. Im neckischen Aufwärtswind schwirren weiter gezuckerte Tiernamenverniedlichungen wie „Blütenfloh-Krümelwürmchen“ oder Zuckerbäcker-Kreationen wie „Schokodropsi“. Auf Platz 1 bleibt weiter „Schatz“ oder „Schatzi“, das Ideal-Standard-Becken unter den zärtlichen Bezeichnungen. Die Liebe bietet ja viele Aspekte, in denen die Fantasie sich austoben kann. Muss ja nicht der Kosename sein.

Samstag, Februar 25, 2012

Poldi und die Frage der Qualität

"Ich denke, die Jungs haben ihre Sache sehr gut gemacht, und man sieht, dass wir die Qualität haben, aber am Ende reicht's dann nicht, uns fehlt die Qualität."

Mittwoch, Februar 22, 2012

Konsequentes Quergeschiebe, Querlatte, nutzloser Ballbesitz, die Entdeckung der Langsamkeit zu Ungunsten überraschender Momente und das völlige Verschwinden einer Idee: Für den FC Bayern gilt wohl gerade "Mia san wirr".

Montag, Februar 20, 2012

About "Boy" - Bilder eines Auftritts










Freitag, Februar 17, 2012

Wulff lehrt

"Immer aufrichtig" sein, heißt neuerdings, von sich aus nichts zu sagen - aber zumindest zähneknirschend auf zigfaches Drängen und Nachbohren das Minimum dessen zugegeben, was man nicht mehr abstreiten kann. Dann, wenn man dessen Bekanntwerden nicht unterbinden konnte.

Der Kinostreifen verschwindet allmählich

Mittwoch, Februar 15, 2012

Der Buddha im Schutt























Sein Lächeln hat der kleine Buddha nicht verloren, auch wenn ihm die Wucht der riesigen Explosion vor etwas mehr als einem Jahr den Unterleib wegsprengte, einen seiner Arme abfetzte, und er einen Winter später noch immer im Schutt liegt – alleingelassen zwischen herabgestürzten Styroporplatten, Schnapsflaschen, zersplitterten Glasscheiben und umhergeflogenen Plastikblumen. Er lächelt dasselbe Lächeln, das er den Gästen eines China-Restaurants schenkte, ganz gleich, wer kam, wie er aussah und was er bestellte. Auch am Abend, bevor es geschah. Das, womit nahezu niemand rechnete.

Ein eiskalter Hauch durchwehte die letzte Nacht des Weihnachtsfestes, als es gut zwei Stunden nach Mitternacht krachte. Als Scheiben zersplitterten und Mauern barsten unter der Druckwelle der Explosion, inmitten der schneebedeckten Ödnis am Rand eines ostfriesischen Ortes. Im Schatten der Dunkelheit hatten Gestalten, mit Brandbeschleuniger bepackt, viel Brandbeschleuniger, sich durch die Hintertür ins Gebäude geschlichen.
Irgendwo in die Düsternis der Küche eines italienischen Restaurants, im Erdgeschoss, unterhalb der Räume, in denen chinesisch kredenzt wurde. Dort gossen sie aus, was Minuten später explodierte, und worunter das komplette Gebäude zerbarst.

Die Pizzeria flog im Inferno auseinander, das chinesische Restaurant genauso, von den Räumen der freikirchlichen Gemeinde blieb kaum mehr als Schutt und Schrott. Die Menschen in zwei Wohnungen des Gebäudes kamen mit riesigem Schrecken heil davon. Trümmerteile aber flogen hunderte Meter durch die Gegend, krachten auf Ausstellungsstücken eines Autohauses nieder oder auf Nachbarhäusern.

Die Helfer halfen, wo sie konnten. Die Ermittler ermittelten. Das Areal wurde abgesperrt. Die Ruine des "Palastes", wie das Haus im Volksmund heißt, ragte fortan umzäunt am Straßenrand auf.

Wie es darin aussah? Blieb Sache apokalyptischer Kopfkino-Vorführungen. Noch immer hängt in der Dusche des Hinterhauses ein Handtuch, als käme gleich jemand, um sich zu waschen. Wind bauscht weihnachtliches Lametta, das sich noch immer an einigen Pfeilern emporrankt. Christbaumkugelscherben liegen zwischen zerschepperten Vasen, Überresten eines Aquariums und herausgesprengten Wandputzteilen. Verloren stehen Gefriertruhen umher, das einstige Treppenhaus liegt in Trümmern. Nun, bald, wird die Ruine weichen, die Abrissbager werden ihre Schaufeln ins einsturzgefährdete Gebäude nagen, und sie werden auch den verbliebenen Schutt herausräumen. Wo der Buddha am Ende auch landen wird, sein Lächeln wird er weiter tragen.


Mittwoch, Februar 08, 2012

Gewürze im Gespräch


Sobald er die Küche verlassen hat, stecken die Gewürze ihre Köpfe zusammen. Sich unbeobachtet wähnend, tuscheln sie, tratschen und Hecken Unsinn aus, den sie unbeobachtet verzapfen können.

Montag, Februar 06, 2012

Die Füße des Kumpels für Baku

Müdigkeitsmatt schliefen erst des Kumpels Füße ein, dann erschlaffte die Hand, die Fernbedienung rutschte, fiel, blieb liegen. Unser Star für Baku rieselte fortan. Wer auch immer "unser" sein mag. Die Sendung: So erfrischend wie Heizung auf dreieinhalb stellen. Grob vermutet, dass Moderator Steven Gätjen sich kess und locker fand. Selbst gedacht: "Der ist so schlagfertig wie der taumelnde Homer Simpson im Boxring." Gegähnt. Mehrfach. Dann an Robert Lembke gedacht: "Es gibt Fernsehprogramme, bei denen man seine eingeschlafenen Füße beneidet." Oder die des Kumpels.

Donnerstag, Februar 02, 2012

Sonne unterm Arm


Der Frost fraß sich in die Poren, die Kälte klirrte, Finger froren stocksteif, Glieder schmerzten, als er plötzlich auftauchte: Ein Radfahrer, dem es mit den Minusgraden zu blöd geworden war und dessen Heizkostenrechnung ihm Bauchschmerzen machte, hatte sich einen Teil der Sonne gekrallt und fuhr mit ihr, unter den Arm geklemmt, nach Hause.

Dienstag, Januar 31, 2012

Die Spaß-Roboter

Schon bevor der Zeiger auf die Schnapszahlminute gerutscht ist, hat der Karnevalist drei Runden Schnaps bezahlt. Auch wenn der Abend offiziell noch gar nicht begonnen hat. Nun wankt er mit glühenden Wangen. Schaukelt am Tresen wie eine Jolle in schwerer See und brüllt "Mach nochma ne große Runde Charly klar" zur Wirtin, die fünf Schaufeln Pommes in der Küche in die Fritteuse geworfen hat. Ein ganzes Tablett mit Gläsern, in denen Cola-Weinbrand schwappt, kann er wenig später mit an seinen Tisch nehmen. Gejohl. Schnaps!

Niemand ist Clown, niemand ist Cowboy, heute Abend. Auch keine Biene Maja weit und breit. Das ist tierischer Ernst. Orden dagegen hin oder her. Umso genauer prüft der Präsident, ob seine Narrenkappe auch gerade auf dem Kopf sitzt. Zupft die Uniform zurecht. Ein echter Narr schminkt sich nicht, geht nicht als John Wayne oder Superman.

Beim Zeremonienmeister schmerzt das Knie, und der Bauch spannt unterm Hemd. Der DJ sucht noch die CD mit dem Narhalla-Marsch. Das Wichtigste des Abends, die ewiggleiche Hymne, Wuff-Ta-Ta mit Flötentrillern, Trommelwirbeln. Die Funkemariechen rauchen. Klar, in Uniform. Haare wie Milky-Way-Brotaufstrich. Schaumolweiß gebleichte Strähnchen auf Schwarzbraun lugen unterm Käppchen hervor. Der DJ hat seine CD doch noch gefunden. Der automatische Frohsinn beginnt, abgespulte Heiterkeit, wie ferngesteuert.

Los geht's.Der Zeremonienmeister schwingt den Stock, geht voran. Die Meute im Saal steht auf, stürzt schnell noch den Schnaps runter, klatscht. Riesige Narrenkappendichte. Warum tragen sowas eigentlich nur die Männer, und warum tragen die zudem fast alle Schnurrbart? Trübtassige Blicke, schlaff hängende Lefzen, schmale Lippen. Jede Menge Gastvereine. Ohne die wäre der Saal leer. Nächste Woche im Nachbardorf. Dann ein Dorf weiter. Gleiches Spiel, gleiche Abfolge, andere Vereinsfarben. Aber: Uniformen, Narrenkappen, strenges Programm, Marschieren, Helau, Raketen, verordneter Spaß für Roboter.

Von jetzt an wird abgespult. Marsch an der Meute vorbei auf die Bühne. Der Elferrat strammen Schrittes, die Tanzgarden hopsen mit angewinkelten Beinen, und mit den Armen winken sie, als seien es Scheibenwischer. Der König trägt auch Schnurrbart, schwingt sein Zepter schlapp beim Gehen, als könne er damit den Rasen im Garten kalken. Ist aber kein Kalk drin und kein Rasen da. Elferrat sitzt. In Uniformen. Orden baumeln um den Hals. Zeremonienmeister und Funken hopsen und marschieren wieder runter. Die Meute ruft "Helau" und klatscht. Gehört sich so. Auf der Bühne bleibt die junge Garde. Wird später abgeholt. Schwingt teils teigige Schenkel, nicht immer im Takt. Hoppelt. Wie Duracell-Häschen. Wirft Beine samt Röckchen steil hoch, auf dass die Schnurrbärtigen im Publikum Schlüpfer sehen. Doch will man's? Auswendig gelernte Posen. Teils lückenhaft erinnert. Jedes Mädchen darf sich danach eine Belohnung abholen. Ein bisschen Toffifee als milde Hopsergabe. Gib dem Kaninchen noch eine Möhre - oder dem Affen Zucker.

Weiter in der lustigen, verordneten Abspulfolge. Programmpunkt? Check. Programmpunkt 2? Check. Einmarsch? Check. Ausmarsch? Check. Schnaps? Check. Spaß? Check. Kleines Tanzmariechen kommt. Hoppelt. Schwingt Beine. Zeigt im Schenkelhochreißen, was niemanden etwas angeht. Bekommt auch Toffifee. Wird per Narhalla-Marsch abtransportiert. Büttenrede. "Wir müssen alle nun / immer wieder auch etwas richtig tun / wir müssen uns alle auch kräftig jeden Tag anstrengen / und Lieder singen." Haus. Maus. Klaus. Aus. Toffifee. Marsch. Tanz für alle. Schatzi soll wieder ein Foto schicken. Am besten eins, auf dem man Stühle über dem Kopf trägt.

Auch Mitglieder werden geehrt. Check. Einmarsch. Ehrung. Ausmarsch. Aufstehen. Klatschen. Schnaps ordern. Schnaps trinken. Nächste Büttenrede hören. Oder doch lieber rauchen gehen? Saal leert sich. Redner reimt. Und redet. In der Fritteuse der Köchin schmurgeln Fritten im Fett. Wangen glühen heißer, Blicke eiern glasig. Noch ne Garde, noch ein Tanz, noch ein Toast, noch ein Ei, noch ein Kaffee noch 'n Brei, etwas Marmelade, etwas Konfitüre, ein bisschen Spaß muss sein. Höllehöllehölle. Schweißflecken unter den Achseln in den Uniformen. Schunkeln? Check. Protokoll wird eingehalten. So überraschend wie der Bahn-Fahrplan. Höchstens Verspätungen lockern die strenge Folge. Bis in die frühen Morgenstunden wird das Tanzbein geschwungen. Wird irgendwo in der Zeitung stehen.

Mittwoch, Januar 25, 2012

Mit acht oder neun?


Morgens, wenn das Tal noch unter der Nebeldecke schlief, kletterte er aus dem Bett in die Dunkelheit seines Hauses. Riss ein Streichholz an, und mit einer flackernden Kerze in der Hand, die er mit den Fingern der anderen vor Windböen beschirmte, humpelte er in den Stall. Er warf den Schweinen im Koben ein paar Möhren hin und sah ihnen zu, wie sie schmatzend und grunzend ihre Rüssel in den Schlamm bohrten, der schwappte und klatschte. Dem Pferd im Stall strich er zart über die Nüstern, zupfte einen Heuballen auseinander, um ihm sein Frühstück zu geben. "Es greift mir ans Herz, Dir ein kaltes zu geben, aber es ist nicht zu ändern", sagte er oft, ehe er auch seine Kuh besuchte. Für die schnitt er ein oder zwei Kürbisse auf, setzte sich auf einen alten, abgewetzten Melkschemel und sah ihr zu, wie sie sanft und anmutig mit den Kiefern malmte, am Fruchtfleisch schlürfte. So saß er dann oft eine halbe Stunde oder länger. So früh war kaum jemand wach, der ihn rufen konnte. Und während er saß, kamen plötzlich alte Bilder wieder. Wie ihm einst die Badehose im Freibad geplatzt und er fast ertrunken war. Beim Turmspringen war er abgestürzt wie eine riesige Kartoffel und mit dumpfem Knall aufs Wasser geklatscht. Über seinem Kopf schlugen die Wellen zusammen, prasselnd zerfiel die Fontäne, Wasser schwappte über den Beckenrand, und der Schwimmmeister hatte ihn mit einem Ring an einer Eisenstange aus dem Wasser gefischt. Prustend, Wasser spuckend, nach Luft japsend war er aus dem Wasser getaucht, hatte sich mühsam an den Beckenrand geklammert, während die anderen Kinder seine zerfetzte Badehose "Iiih" schreiend in ein Gebüsch warfen. Er hatte sich nicht mehr aus dem Wasser getraut. Niemand sollte ihn so sehen. Er war so lange im Wasser geblieben, bis der Abend dunkelte, das Becken sich leerte und und seine Haut - von schrumpligen Rillen zerfurcht - aussah wie das Wattenmeer bei Ebbe. Dies alles dachte er, während seine Kuh die Kürbisschnitzel vertilgte, und er fragte sich: "Wann habe ich eigentlich mein Seepferdchen gemacht - mit acht oder neun?"