Samstag, Dezember 09, 2006

Zu Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich in ein Konzert der Flippers (I)

Bildquelle: www.sonybmg.de

Wüst peitschen Orkanböen über den weiten Platz vor der Halle Münsterland. Mehrere Dutzend Reisebusse parken am Rand. Mit Plastiktüten versuchen einige Damen ihre Frisur zu retten. Schließlich haben sie sich extra fein gemacht für ihre glitzernden Helden, haben den Toupierkamm ins Schwitzen gebracht oder Stunden mit Lockenwicklern unter der Trockenhaube gesessen. Ich selbst habe mich auch vorbereitet. Zwei Pils sind bereits meine Kehle hinabgeperlt, um leichter ertragen zu können, was kommen wird: Mein erstes Konzert mit dem "singenden Reisebüro" (Harald Schmidt).

Sogar optisch habe ich mich vorbereitet: Man sagt mir, die Flippers selbst und auch die Fans trügen zumeist extravagante Hawaiihemden und Glitzeranzüge. Glitzeranzüge und Hawaiihemden besitze ich nicht, eine Neuanschaffung wäre zuviel der Geschmacksverirrung, aber es gelingt mir, bei einem meiner besten Freunde ein karamellfarbenes Hemd mit Palmen darauf aufzutreiben. Dies ziehe ich unter leichter Selbstbefremdung an und muss entgeistert schmunzeln, als ich im Spiegel betrachte, das es mir mit einem Riesenklumpen Gel und einer Haarbürste gelungen ist, meinen Wuschelschopf in eine aalglatte Schlagersängerfrisur zu verwandeln. Mich fröstelt ein wenig vor meinem "Method-acting".

Und das morbide Schaudern kribbelt um so wiggeliger über meinen Rücken, als wir die Pressekarten am Vorverkaufsschalter abholen. Es gibt kein Zurück mehr. Es heißt Eintauchen in ein paralleles Universum, dessen Bewohner sich für Dinge begeistern, die mir fremd sind, ein Terrain, das ich nie zuvor betreten habe. Eine andere Welt, irritierend und auf verstörende Weise seltsam.

Wir sind spät dran. Einige letzte Fans drängen sich um den Merchandise-Stand. "Hier können sie sich stilgerecht eindecken", denke ich noch, als ich bemerke, dass einer der zentralen Fanartikel neben CDs, Shirts, Postern und blinkenden Plastikdelfinen eine exklusive Flippers-Kuscheldecke aus Fleecestoff ist. So wird den Fans nicht nur warm ums Herz sondern auch um die Hüften. Wir betreten die Halle. Annähernd dreitausend Menschen hocken vorfreudig auf ihren Stühlen und warten auf ihre Knittlinger Helden. Die toupierten Föhnfrisuren und Dauerwellen vom Eingang finden sich hier zighundertfach. Überwiegend sprießen sie aus Köpfen, die schon mehr als fünfzig Winter erlebt haben. Auch Jungvolk ist anwesend, wenngleich in recht kleiner Zahl. Ein paar Kegelklubs grölen bierbefeuert. Hawaiihemden finden sich wenige, dafür sehr viele quergestreifte Strickpullover.

Quer durch die Halle blinken überall die vergnügt geschwenkten Plastikflipper mit ihren Glasfaserkabelflossen. Wir sitzen am rechten Rand von Reihe sechs in der Premiumkategorie auf den teuersten Plätzen mit perfektem Blick auf die Bretter, die die Schlagerwelt bedeuten. Ein Pappmachée-Delfin taucht am rechten Bühnenrand in den Boden und am linken wieder auf. Gleich zwei Keyboards stehen in unterschiedlichen Ebenen hintereinander. Und - oh Wunder - sogar ein echtes Drumset versteckt sich im linken Bühnenhintergrund. Wer es wohl bedienen mag? Mittig auf der leuchtenden Showtreppe steht dennoch das Markenzeichen der Band: die zwei elektrischen Bratpfannen, auf denen Manfred, der "Schlagzeuger", zuweilen herumklöppelt.

Dieser Manfred ist, wie ich belehrt werde, der letztverbliebene Manfred der Band. Früher waren sie zu sechst, und der Manfred-Anteil betrug 50%. Doch schon seit etwa 25 Jahren ist er auf ein Drittel geschrumpft, da nur halb so viele Glitzeranzüge unter Flipperflagge durch die Republik kreuzen. Wie das Programmheft verrät, eint die Flippers aber ein anderer Umstand: Alle drei haben ursprünglich irgendwo im Schwäbischen eine Werkzeugmacherlehre absolviert, ehe sie begannen Schlager zusammenzuschrauben und Liebe, Sonnenuntergänge hinter fremdländischen Inseln, Rosen und Träume in butterweichen Melodien aufzulösen.

"Sind Sie auch so aufgeregt?", fragt die füllige Dame vor mir, rutscht auf ihrem Stuhl umher als handele sich um eine heiße Herdplatte und wedelt vorfreudig mit ihrem blinkenden Delfin. Viele der Zuschauer haben riesige Rucksäcke zwischen ihren Beinen verstaut. Urplötzlich senkt sich das Licht. Die Dame vor mir quiekt und hibbelt auf ihrem Stuhl. Nicht nur sie ist aufgeregt und gespannt, wie wohl werden mag, was uns direkt bevorsteht.

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20 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Die Überschrift und das Foto sind so gruselig, dass ich Angst habe den Text dazu zu lesen...aber jetzt...Augen zu und durch! *speichert kommentar und wendet sich den flippers zu*

9/12/06 18:17

 
Anonymous Anonym meint...

Da warst Du aber mutig! Ich habe übrigens ernsthaft nachgedacht, meinen Kleiderschrank um ein apriko-farbenes Set aus Blinkjacket und Karottenhose zu erweitern... was man damit so alles erreichen kann...das ganze Leben ist eine Wundertüte.

9/12/06 18:54

 
Anonymous Anonym meint...

Hahaha.
Den Text les ich mir später durch, das Bild hat mir jetzt schon erstmal gereicht.
Haha. Danke! Ich geh mich erstmal auslachen.

9/12/06 21:46

 
Anonymous Anonym meint...

Bei Sichten dieses Fotos sowie Länge des Textes hab ich mir erst mal ein Glas Barolo eingeschenkt, um dann mit einem Anflug von wohligem Schauer (wie früher vor der Fahrt mit Doppel-Looping) in diese glitzernde 3Wetter-Taft-Parallelwelt abzutauchen - und dann wird es ein Fortsetzungs-Dings, snief ;-(!

9/12/06 22:15

 
Anonymous Anonym meint...

Hab grad den Text gelesen. Haha! Ist das herrlich!

9/12/06 23:14

 
Blogger mq meint...

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann wie bekloppt auf die Fortsetzung eines Berichts über ein Flipperskonzert (!) freue. Das Leben und Ole halten immer wieder Überraschungen parat!

9/12/06 23:14

 
Blogger amadea's world meint...

Da hast du mich auf eine Idee gebracht.

9/12/06 23:48

 
Anonymous Anonym meint...

Schließt sich an. Und wohnt solange bei Ihnen, bis es die Fortsetzung gibt..... Aber enttäuschen Sie mich nicht wieder.
Nicht, dass sich dann am Ende wieder herausstellt, dass Sie gar nichts damit zu tun haben, Ihr Informant verstorben ist und ich konfessionslos und ohne die grandiose Metaerfahrung eines Flipperkonzerts durchs Leben ziehen muss....

9/12/06 23:58

 
Blogger Lenny_und_Karl meint...

"Wiggeliger" was für ein schönes Wort. Ab heute eröffne ich eine Liste mit schönen und/oder viel zu selten gebrauchten Worten.
So und jetzt gibt die Fortsetzung des Textes raus.

10/12/06 00:57

 
Blogger dami meint...

Markus hat's schon gesagt.

10/12/06 01:03

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolce vita: Du kannst Dir das Ganze ja immerhin aus sicherer Distanz ansehen. :)

10/12/06 13:51

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@sillerin: Ich war mit, nicht für die Presse da. Lediglich als moralische Unterstützung für Ursula 1000. :)

10/12/06 13:51

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ursula: Hör auf, ich werd' die behämmerten Ohrwürmer auch heute noch nicht los. Es ist wahrlich grässlich! :)

10/12/06 13:52

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frollein: Die Fortsetzung kommt ja bald. Ich hoffe, Du hast Dir noch einen Schluck Barolo aufbewahrt? :)

10/12/06 13:53

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@lenny: Man saacht up' an, wie der Ostfriese gern sagt. Ein paar Momente Geduld noch.

10/12/06 13:58

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Markus: Das ganze Leben ist eine Wundertüte. :)

10/12/06 13:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

FrauH: Wenn ich irgendworan nicht das geringste Interesse habe, dann daran, Sie zu enttäuschen. Wo kämen wir denn da hin? :)

10/12/06 14:01

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@amadea: Nu bin ich wiederum gespannt.

10/12/06 14:02

 
Blogger viktorhaase meint...

sehr schön, dieses paralelluniversum. ich war auch in einem. leider ine inem anderen. sonst hätten wir uns gegenseitig begaffen können.

10/12/06 16:52

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

In welchem warst Du?

12/12/06 01:33

 

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