Donnerstag, Mai 12, 2005

Abenteuerlich einkaufen, oder: Habui Bonbon.

Auf den mehrfachen Wunsch Einzelner werfe ich die Zeitmaschine an und teleportiere das Erzählgeschehen knapp zwei Jahre zurück - in den Sommer 2003. Nach einem Großausflug durch die staubigen Regalschluchten im Keller der Uni-Bibliothek hatte ich einen tonnenschweren Riesenberg emotionspsychologischer Schinken in meinen Rucksack gestopft - und einen Bärenhunger.

Um dem abzuhelfen, steuerte ich auf dem Heimweg die entsprechende Supermarktfiliale eines internationalen Discountkonzerns an. Gut gelaunt und entspannt schlurfte ich, meinen Einkaufskorb schiebend, durch die Gänge, fütterte ihn mit Brot, Wein, Wasser, Capuccino, Fruchtgummi, Schafskäse und weiteren Leckereien für den genussfreudigen Studentengaumen.

Gleich drei Bezahlschlangen bogen sich krumm, quer und in beachtlicher Länge durch die Regalfluchten. Da der Nachmittag aber noch lang war, hatte ich keine Eile und suchte mir eine Schlange aus.

Nicht so viel Zeit hatte scheinbar der Filialleiter, der an der Kasse saß, auf die ich gemächlich zusteuerte. Allzu gut gefrühstückt hatte er möglicherweise auch nicht. Mehrfach ranzte er mit grimmig bebendem Schnurrbart und erschreckender Lautstärke alte Damen an, die seiner Meinung nach nicht schnell genug ihre Lebkuchenpakete im Rollwägelchen verstauten, und andere verpeilt nach passendem Kleingeld suchende Kunden:

"Geht das auch ein bisschen schneller? Wir haben auch noch andere Kunden! Sie halten den Betrieb auf!!!"

Schon hier fiel es mir schwer, dem dickwanstige Doppelkinnträger in seinem speckigen Filialleiterkittel ein größeres Ausmaß an Sympathie zu Füßen zu legen. Ändern sollte sich das nicht mehr, denn irgendwann hatte die fortschreitende Schlange und das Fließband auch mich in seine direkte Nähe gespült.

Der werte Herr Filialleiter drückte zunächst ächzend seinen Steiß ein kleines Stück aufwärts, um einen kritischen Blick in meinen Einkaufswagen zu werfen. Der war leer. Nix drin. Es schien ihm fast bedauerlich. Zudem blickte er mich mit einem Gesichtsausdruck an, der nichts als Unsympathie für meine Person erahnen ließ, wobei ich mir über die Gründe im Unklaren blieb.

Denn daraufhin fragte er mich: "Könnte ich bitte mal in ihren Rucksack sehen? Ist da noch was drin?"

"Nichts, was für Sie von Belang wäre, aber: Klar können Sie reingucken, kein Ding. Bittesehr."

Ich wuchtete meinen Rucksack auf den Kassiertresen, löste die Schnalle, klappte den oberen Deckel nach hinten und zog den Reißverschluss auseinander, so dass sich der Blick auf den Bücherberg im Inneren öffnete.

"Die Bücher bite mal kurz rausnehmen!"

Harscher Befehlston.

Wieso? Naja.. mir doch egal, ich hab nix zu verbergen... wird gemacht.

Als nun die sechs dicken wissenschaftlichen Kompendia neben meinen Rucksack gehievt waren und der Blick des beleibten Unsympathen frei durch meinen Rucksack wandern konnte, tauchte plötzlich sein Arm hinein und ruderte ein wenig im Kreis. Kurz darauf schwang er ihn wieder heraus. Seine Mimik umspielte ein triumphales, hämisches Grinsen und zwischen seinen fettglänzenden Fingern hielt er ein klitzekleines Tütchen. Der Schatzsucher war fündig geworden, und was hatte er gefunden? Einen separat verpackten Orangen-Sahne-Bonbon, den ich vor ca. einer Woche da gekauft hatte, und der wohl aus der Tüte gefallen war. Mit honigsüßer Schärfe säuselte er:

"Und was ist das hier?"

"Das ist ein Bonbon."

"Das sehe ich selbst, machen Sie sich nicht über mich lustig!"


Die inneren Enden seiner
Augenbrauen näherten sich einander, die Nase schlug erste Falten.

"Ich mache mich nicht über Sie lustig. Sie haben mich etwas gefragt, ich habe geantwortet."

"Und mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?"

"Nunja... es ist ein Orangen-Sahne-Bonbon, wie man sie hier bei ihnen kaufen kann. Letzte Woche habe ich eine Tüte davon erstanden, und wahrscheinlich ist beim Öffnen der Tüte einer der Bonbons herausgefallen und im Rucksack liegengeblieben."

"Das kann ja jeder sagen. Also: Beim nächsten Mal, wenn sie hier mit vorher gekauften Sachen reinmarschieren, melden Sie sich bitte bei der Kasse. Sonst muss ich ihnen die Ware nochmal berechnen, oder Sie des Diebstahls verdächtigen."

"Moooooooment... wollen Sie mir jetzt unterstellen, dass ich hier hineinspaziere, mitten im Laden kiloweise Bücher aus meinem Rucksack herauswuchte, dann eine große Tüte Ihrer Bonbons mirnixdirnix aufreiße, einen einzelnen Bonbon herausklaube, den dezent in meinen Rucksack gleiten lasse, um ihn danach gut versteckt unter meinen Büchern zu begraben? Das wäre, will ich meinen, doch ein bisschen viel Aufwand und zudem überhaupt nicht auffällig, oder?"

"Sie glauben gar nicht, was man hier alles erlebt."

"Das ist möglich."

"Nochmal: Beim nächsten Mal, wenn sie hier mit vorher gekauften Sachen reinmarschieren, melden Sie sich bitte bei der Kasse. Sonst muss ich ihnen die Ware nochmal berechnen, oder Sie des Diebstahls verdächtigen."

"Das sagten Sie bereits. Aber ich bitte Sie! Finden Sie das nicht etwas lächerlich gerade? Erst einmal eine in meinen Augen derart hanebüchene Verdächtigung - und diese gesamte - verzeihen Sie - Farce wegen eines vermeintlichen Wareneinkaufswertes von kaum einmal einem Cent? Es ist ein einzelner Bonbon! Sonst nix! Abgesehen davon: Haben Sie nicht gerade diverse Leute genötigt, sich zu beeilen, weil sie angeblich den Betrieb aufhalten? Finden Sie es nicht lächerlich, wegen einer solchen Lapalie den Laden so lange zu blockieren?"


Ui. Das hatte gesessen. Seine fliehende Stirn floh noch weiter; kleine Bäche salziger Schweißperlen rannen hinunter. Der wurstige Hals verdickte sich weiter, die Aorta pulsierte puckend und gut sichtbar, die Lippen verengten sich zu einem hauchdünnen Strich. Wie ein schnaubendes Pferd begannen seine Nüstern zu beben, nervöse Flecken erschienen am Hals, der schwarze Schnurrbart zuckte angespannt, synchron mit den Mundwinkeln. Ein hasserfüllter Blick durchbohrte mich.

"Hören Sie mal, ich habe kein Problem damit, Ihnen auch wegen einem Cent eine Diebstahlsanzeige zu schreiben! Da kenn ich nix! Nächstes Mal sind sie hier vorne an der Kasse und melden sich, wenn sie vorher gekaufte Sachen mit sich führen!!!"

Er brüllte beinahe.

"Auch, wenn ich gar nichts davon weiß, dass ich sie dabei habe?"

"Nun werden sie mal nicht frech!"


Sein inzwischen puterroter Kopf dampfte fast vor Erregung, und auch in mir begann langsam ein gehöriges Quäntchen Wut aufzukochen über eine derartige Behandlung und die völlig bescheuerte Situation, deren zentraler Bestandteil ich ohne Vorwarnung geworden war.

Und so schubste plötzlich, wie vom Hafer gestochen, der schlagfertige Urtrieb in mir die gute Kinderstube beiseite, preschte voran und ließ mich antworten:

"Ich? Frech? Nun hören Sie mal. Es tut mir Leid, dass ich unwissentlich einen zuvor gekauften Gegenstand mit in den Laden gebracht habe, aber es war ein Versehen. Und wenn Sie wünschen, kann ich nächstes Mal auch eine Stuhlprobe hier bei ihnen an der Kasse hinterlassen, die Sie labortechnisch untersuchen lassen können, um zu überprüfen, ob nicht da nicht vielleicht auch noch Überreste von Nahrungsmitteln enthalten sind, die ich hier gekauft haben könnte, um sie mir ein zweites Mal auf die Rechnung zu setzen." Zackdie!

"So, Freundchen... es reicht!!! Sie werden von mir hören! Ich werde Sie anzeigen wegen Beleidigung!!!! Sie..sie...sie...sie...Flegel!!!!"

Die wütende Erregung hatte seinen beleibten Körper in glühend brodelndes Beben versetzt. Seine Lautstärke hatte inzwischen alle Gespräche um uns herum Verstummen lassen. Ein großer Kreis irritierter Kunden starrte verlegen zu uns zwei Zankhähnen herüber.

Trotz ziemlicher Unkenntnis über meine Rechte und Pflichten fauchte ich ihm entgegen: "Und wie? Sie sind weder befugt, mich hier festzuhalten, noch habe ich Ihnen gegenüber eine Ausweispflicht. Im übrigen warten hinter mir noch mehr Leute, bei denen Sie auch noch nach Pfennigbeträgen in Gehörgängen oder Hosentaschen forschen können, und die gern bedient werden möchten."

Überbordend hasstrunken warf mir der Berg wutdurchfluteter Filialleitermasse finsterste Blicke zu und bedeutete mir mit einer hektischen Handbewegung, dass ich verschwinden solle.

"Raus!", schrie er. "Machen Sie, dass Sie wegkommen!"

So packte ich meine Bücher ein, verließ die Kasse ohne die eigentlich eingeplanten Lebensmittel oder diese zu bezahlen und machte ich mich vom Acker. Dabei wunderte ich mich, was einem nicht manchmal alles an einer Supermarkt-Kasse blühen kann, wenn man nicht damit rechnet.

Der Filialleiter ist nun seit mehr als einem Jahr nicht mehr in Diensten der Filiale, und ich werde seitdem sehr freundlich behandelt dort.

6 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

ich übrlege gerade, ob ich mich auch so verteidigt hätte. in den meisten fällen gehe ich solchen konfrontationen aus dem weg mit einem leisen satz nur für den betreffenden bestimmt. andererseits, wie du erwähnt hast, hattest du riesenhunger, und ich so einem moment sollte man mit mir besser nicht streiten. es ist nicht schön für andere, wenn ich hunger habe, sagen mir engste freunde.
ich möchte auch nicht meine kameraden sein, wenn wir lange auf übung sind ...

12/5/05 13:00

 
Anonymous Anonym meint...

Endlich, Herr Ole, ich dachte schon, das wird nix mehr. Und wie immer schön und lebensnah erzählt. Nur den einen Knackpunkt, warum Sie diesen offenkundigen Trottel überhaupt so lange gewähren ließen, will mir - trotz Ihrer inneren Gewissheit der Unschuld - immer noch nicht in den Kopf. Ich selbst hätte dem Mann schon bei der Frage nach dem Rucksack den Vogel gezeigt und wäre gegangen. Dann hätte er nichts mehr tun können, als mich tätlich zu belästigen, was mir wiederum das Recht gegeben hätte, ihm eine zu scheuern. Letzteres lehne ich übrigens nicht aus Prinzip ab, wahrscheinlich hat man ab einem bestimmten Alter Angst, zuviel Lebenszeit mit sinnlosen Diskussionen zu verplempern, Sie sehen ja, was dabei herauskommt. Der Mann musste später bestimmt in ein Pflegeheim.

12/5/05 19:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich war an dem Tag einfach sehr entspannt - bis zu dem Zeitpunkt. Und da ich nicht mit derart seltsamen Konsequenzen meines Gutwillens gerechnet hatte und keinerlei schlechtes Gewissen besaß, dachte ich: Lass ihn gewähren... inzwischen guckt mir so schnell keiner mehr in den Rucksack!

12/5/05 19:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Und wie lachst Du Dich? :)

12/5/05 22:09

 
Anonymous Anonym meint...

Eine hübsche Andekdote zum Thema Kundennähe im Einzelhandel.

Vermutlich hatte der freundliche Mann nur die Gummihandschuhe verlegt, mit denen er seine Kundschaft sonst etwas eingehender untersucht, wenn mal nicht so viel los ist.

Herrn Poodles Ansatz hat etwas für sich, wenn man handgreiflichen Auseinandersetzungen nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Mein bevorzugtes Szenario wäre etwa dieses:

Trottel: Könnte ich bitte mal in ihren Rucksack sehen? Ist da noch was drin?

TFP: Sicher.

Hier ist eine Phase völliger Regungslosigkeit eingeplant.

Trottel: (ungeduldig) Auf was warten Sie? Leeren Sie den Rucksack aus!

TFP: Ich kenne den Weg zu Ihrem Büro nicht.

Trottel: Was?

TFP: Sie möchten sehen, was in meinem Rucksack ist. Das zeige ich Ihnen, aber nicht den 48 Leuten die uns gerade zusehen. (Ans Publikum) Es ist mein Rucksack. (Wieder an Trottel) Wenn Sie wissen wollen, was drin ist, gehen wir jetzt in Ihr Büro.

Trottel: (aufgebracht) Ich kann auch die Polizei holen!

TFP: Gern.

Trottel: (stellt fest, daß das Telefon im Büro ist)

Der weitere Verlauf bleibt offen. Ich denke aber ich hätte einen Riesespaß dabei.

14/5/05 05:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

man darf gespannt sein!

15/5/05 13:07

 

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