Freitag, Mai 13, 2005

Monsieur Poodle à Paris



Erst sechs Jahre nach dem Tod des hochehrwürdigen Fotografen Édouard Boubat hat das photophilologische Institut in Paris, das der Sorbonne angegliedert ist, diese lange in Vergessenheit geratene Aufnahme aus dem Sommer 1955 näher entschlüsseln können. Es handelt sich um einen jahrelang unbeachteten Schnappschuss, der vielleicht sogar ohne das Wissen des Fotografen zu bedeutenden Zeitdokument solchen wurde. Denn es ist das einzig erhaltene Foto der Bildungsreise des Herrn Poodle nach Paris, welche er im Frühjahr 1955 antrat, und die bis in den Spätherbst desselben Jahres andauern sollte.

In glühender Verehrung von Jean-Paul Sartre und Charles Baudelaire zog es ihn in seine Seine-Stadt, um als "flaneur" Über die Boulevards zu schnüffeln, Montmartre zu durchstreunen auf den Spuren von Cocteau, Satie, Gide und Picasso. Angetrieben von der Sehnsucht, in unmittelbarer Nähe zu seinem Helden einzukehren, tauchte er immer wieder im "Les deux magots" oder dem benachbarten "Café Flore" an der Place St.Germain-des-Près auf.

Getroffen hat er Sartre nie, und auch Hemingway, Ezra Pound oder James Joyce (zu dem ihm der Zugang bis heute verschlossen blieb) ließen sich zu seinem Missvergnügen nicht einmal blicken. Joyce ward dies durch sein Ableben 14 Jahre zuvor allerdings großzügig verziehen. Doch in ihm wucherte der Traum, auch ein Bohème-chien zu werden. Und so wartete er Tag um Tag, starrte trist auf sein Wasserglas und grübelte, ob noch ein kleiner Rest Wasser darin oder es schon komplett leer sei.

So sieht man ihn hier in etwas deprimierter Pose, da sein Idol sich auch an diesem Tage unpässlich war, und stattdessen nur ein unbedeutender, abwesender Zeitungleser seine Begleitung bildete, der ihm zu aller Unbill auch noch die Schulter zudrehte.

12 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Herr Ole! Ich bin förmlich übermannt, lange, lange Verschüttetes, Verdrängtes fördern Sie hier zu Tage, wohlige, aber auch schmerzhafte Erinnerungen an jugendliche Streunerjahre, bruchstückhaft kehren sie wieder zurück, sogar ein bisschen weinen musste ich.

In der Tat eine unselige Reise damals, 55, dabei hatte ich mir alles so schön ausgemalt. Nach endlosen Wochen der Enttäuschung - kurz vor der Abreise stand ich schon - saß ich eines Abends, abgebrannt bis auf den letzten Centime, in einer finsteren Spelunke in Montparnasse herum, als plötzlich ein junger Herr vor mir stand und mir ein Glas Pernod hinstellte. Wir kamen schnell ins Gespräch, dem ich allerdings kaum folgen konnte, weil er relativ wirres Zeug über eine Art von Wissenschaft erzählte, die er »Pataphysik« nannte. Der Abend endete - Sie ahnen es - ausgesprochen wüst, wie ich in meine Absteige zurückgelangt bin, weiß ich bis heute nicht. Erst Jahre später dämmerte es mir, dass ich mich mit Boris Vian betrunken hatte, aus heutiger Sicht der absolute und leider auch einzige Höhepunkt meiner Reise, sieht man davon ab, dass mich die damals noch jugendliche und gänzlich unbekannte Mireille Mathieu einmal um Feuer bat.

Dass ich Sartre nie traf, ist indes nicht ganz richtig. Allerdings erst 20 Jahre später, in Stuttgart-Stammheim, als er die einsitzenden Bader-Meinhof-Terroristen besuchte. Getroffen ist auch nicht ganz der richtige Ausdruck, gesehen eher, also im Fernsehen meine ich.

13/5/05 21:08

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Hattest Du auch das Vergnügen mit Monsieur "Ubu roi", Alfred Jarry und seinem Doktor Faustroll?

13/5/05 21:14

 
Anonymous Anonym meint...

Jarry wollte ich in der Tat auch gern treffen. Leider hat er es schon frühzeitig vorgezogen, das Zeitliche zu segnen, wohl aus Sorge, ich würde ihm dereinst gehörig auf den Nerv gehen.

14/5/05 01:00

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Es ist schon erschreckend, wie unglaublich viele Menschen, darunter auch enorm bedeutende,seit Anbeginn der Menschheit bis zum heutigen Tag gestorben sind.

14/5/05 10:36

 
Anonymous Anonym meint...

Ja, nicht? Quasi alle, bis auf die, die noch leben. Ein echtes Scheißspiel!

14/5/05 15:52

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Die Zahl der noch und seit gerade eben Lebenden steigt zwar stündlich, aber verglichen mit denen, die das schon hinter sich haben, sind die Zahlen doch verblüffend gering. Hat irgendjemand je versucht zu errechnen, wie viele Menschen schon auf der Welt gelebt haben bis dato?

14/5/05 16:17

 
Anonymous Anonym meint...

Keine Ahnung, man dürfte sich ja nur schwer auf eine verbindliche Zahl einigen können, je nachdem, ob man an Reinkarnation glaubt oder nicht, bzw. ob 10-fache Reinkarnation als 10 Menschen zählt oder doch nur als einer. Wertet man die Seele oder den Leib? Hmm.

Aber mal was ganz anderes: Schaut man eigentlich "Wilsberg", wenn man in Münster lebt, und sei es nur, um den Lokalfaktor zu genießen? Mein Münster-Bild speist sich eigentlich nur daraus und aus dem Münster-Tatort. Letzterer begann vielversprechend, zeigt aber schon deutliche Abnutzungserscheinungen. Wilsberg hingegen ist Pflichttermin: heute um 20:15 in Ihrem Zett!DF! (D. T. Heck)

14/5/05 17:43

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich hatte einen Wilsberg-Beitrag vorgestern geschrieben aber nicht veröffentlicht, weil ich ihn doch nicht soooo spannend fand. Aber: Im allerneuesten Wilsberg, der grad im Schatten der Überwasserkirche gedreht wird, wird Wilsberg an einem roten Alfa-Romeo die Heckklappe aufmachen und zu schlagen, und er wird von der Polizei abgeführt. Den Dreh beider Szenen habe ich mit eigenen Augen gesehen. :) Oliver Korritke (Die Musterknaben) wird auch mitspielen. ich schau die Münster-Krimis gern. Vor allem, weil es zutiefst amüsant ist, wie die Stadt zweckentfremdet wird. Die Uni-Verwaltung im Schloss, vor der sonst nur kreuz und quer ein paar Fahrräder stehen und ab und an mal ein Zirkus gastiert, ist bei Wilsberg ein edles Restaurant/Eiscafé, das Hausmeisterbüro im Innenhof unseres Instituts wird zum Polizeihauptquartier, wer in der Innenstadt links abbiegt, kommt am Stadtrand raus... lustig, wenn man's kennt. Und witzig, wo ich doch beinahe drüber geschrieben hätte. Die Münster-Tatorte finde ich sehr lustig, wobei sie gern ein wenig überdreht sind und angeblich überwiegend in Köln gedreht werden...

14/5/05 18:00

 
Anonymous Anonym meint...

Der Beschiss könnte ja ein ganz eigenes Thema werden, »Zerstörte Illusionen« oder so. Bei den wenigen Stuttgart-Filmen fällt mir allerdings kaum was auf, ich erinnere mich nur an irgendeinen Krimi, der in Mannheim spielte, da gabs eine Szene mit Bahnhofsschließfächern, die definitiv am Hbf Stuttgart stattfand, als obs in Mannheim keinen Bahnhof gäbe. Tatort-Kommissar Bienzle (den man ohne Lokalfaktor vermutlich nur schwer erträgt) scheint aber, soweit ich das bislang beobachten konnte, geographisch einigermaßen authentisch abzulaufen. Die Köln/Münster-Nummer ist aber der Gipfel, das sollte man doch eigentlich merken, wenns nicht gerade eine Vorstadt oder ein Gewerbegebiet ist.

15/5/05 23:10

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ich weiß das nur durch Aussagen Dritter aus Köln, kann nichts beweisen. Ich kenne nun wahrlich nicht alle Gegenden meiner Wahlheimat, so dass ich außerhalb der Innenstadtaufnahmen auch nur manchmal entscheiden könnte, ob das nun in Münster gedreht wurde oder nicht. Habe aber definitiv auch zig Münsteraner Aufnahmen in Münsteraner Tatorten entdeckt. Wobei die Film-Pathologie angeblich ja auch im Rathaus untergebracht ist... Es wäre sicher ein spannendes, wenngleich arg zeitaufwändiges Beschäftigungsthema.

16/5/05 18:07

 
Anonymous Anonym meint...

ein schönes ping-pong-match zw. herrn poodle und herrn wirre welt.

17/5/05 01:25

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wenn Sie möchten, dürfen Sie gern als Netz fungieren. :)

18/5/05 12:48

 

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