Samstag, September 10, 2005

Der blödeste Dialog ihres Lebens


In leicht schlingerndem Rhythmus klickte ihr Löffel, während sie damit in windschiefen Kreisen durch ihren Kaffeebecher rührte. Ada schickte ihren Blick durch das Fenster auf gedankenverlorene Erkundungstour im Dunkel der Nacht. Die Straßenlaternen ließen runde Lichtkegel auf den Bürgersteig segeln, die durch die Finsternis rund um wirkten wie fliegende Untertassen. Draußen sang die Stadt eine der letzten Strophen ihres Liedes, das jeden Tag neu und anders war und doch immer ähnlich.

Das leise einlullende Summen der Klimaanlagen, die in der ganzen Stadt die Hitze und Dünste aus Cafés und Büros bliesen, die an- und ausliefen, einander überlappende Atemzüge, ein Wiegenlied für müde Straßen. Der tagsüber brausende Verkehr, der über Hochstraßen sauste, hupte, auf- und abbrauste, an- und abschwoll, durfte abgeebbt sein - jetzt in den dunklen Stunden-, ließ aber noch ein fortwährendes Rauschen herüberwehen. Ein Anwalt, der soeben seine Frau betrogen hatte, fluchte, nachdem er mit seinen neuen Lederschuhen in Hundescheiße getreten war. Stöckelschuhe klackten wie Kastagnetten auf den Pflastersteinen der Fußgängerzone. Tuschelndes Stimmengewirr verliebter Mädchen, die am Hafenkai Steinchen auf dem Wasser springen ließen und sich von ihren Schwärmen vorjubelten. Plitschplatsch. Hihihi. Mülleimerdeckel aus Blech schepperten, die ungeschickt zu Boden fielen. Leere Flaschen donnerten bauchig, als in Altglascontainer gepfeffert wurden. Straßenarbeiter zerrissen die kalte Nachtluft mit Bohrern und Presslufthämmern, schwitzten unter dem sirenden Zischen des Flutlichts, klebten neue Haut auf die Adern der Stadt.

Ein Gezwitscherschwall von Vögeln, die dachten, es sei schon Morgen, drang aus der großen Blutbuche vor dem Haus. Darunter fauchten und kratzten sich zwei Katzen. Drei besoffene Sportstudenten gröhlten "Viva Colonia". Unfreiwillig mehrstimmig. Das Kehrfahrzeug der Stadtwerke schubberte den Bordstein entlang. Aus der Wohnung nebenan quollen Serge Gainsbourg & Jane Birkin. Orgelschwaden, Gestöhne. Je t'aime. Moi non plus. Auch das Harte Krachen, Klingen und Klappern rastloser Maschinen in Fabriken und Werkstätten sang noch mit in diesem Lied. Sie stampften, knarrten, ratterten, rumpelten, klackten, walzten, pumpten, dampften, pressten, sprühten Funken. Alarmanlagen schrien um Hilfe. Singende Sirenen glitten durch die Straßen, warfen ihr flackerndes Blaulicht von einem Notfall zum nächsten. Das Geheul durchwob die dunkelsten der dunklen Stunden. Es war inzwischen leiser geworden, eher wie der Atem eines Schlafenden neben Dir, der Dir ins Ohr haucht.

Ada schloss das Kippfenster und ließ das Lied der Stadt außen vor. Sie schob ihren Stuhl zurück, der knurrend Widerstand leistete, erhob sich vom Tisch, schlenderte ins Wohnzimmer und ließ sich in die großen Kissen fallen. Sie schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, führte die - tschick - hell leuchtende Feuerzeugflamme an das Tabakende. Während sie kräftig zog, knisterte die Glut. Entspannt ließ sie die Rauchkissen in ihre Lungen gleiten, schickte sie kurz darauf wieder hinaus und sah den verdrehten Rauchkringeln zu, die vor ihrer arabesk verzierten Tapete in der Luft tanzten.

Sie seufzte. Hätte sie sich doch nur anders, dann könnte sie jetzt vielleicht. So wie damals. Willkommen im Festival der Konjunktive. Obwohl sie erst Mitte Zwanzig war, steckte sie so fest in der Vergangenheit und versank immer tiefer darin wie ein Ortsunkundiger, der nachts im Moor vom Weg abgekommen war und langsam vom Sumpf umschlungen wurde. Drei Jahre, seit dem er nun nicht mehr. Sie ihn nie wieder. Er sie nie wieder würde. Und dann letzte Woche das Licht am Ende des Tunnels.

Sie mit Lana im Park. Ein lauer Sommerabend. Purcells "Dido und Aeneas" umsonst und draußen, gegeben vom Uni-Chor und dem Studentenorchester, mitten auf der grünen Wiese, zwischen den Schatten spendenden Linden und dem kleinen Fischteich. Er hatte die ganze Zeit vor ihr gelegen. Muskulös, braungebrannt, oben ohne, ohne Begleitung. Zwischendurch hatte er zu ihr rübergelinst, sie hatte nervös zurückgelächelt. Ein traumhafter Nachmittag. Und als sie ihre Getränkebecher für das Pfand an die Getränkebude zurückbrachten stand er plötzlich neben ihr. Sie hätte sich an seine muskulöse Brust schmiegen mögen, in überschütten mit leidenschaftsberstenden Küssen, niederringen voll brodelnder Wollust und überschäumender Begierde. Dann hatte er ihr auch noch sanft, unaufdringlich die Hand auf die Schulter gelegt und sie angesprochen.

Eine kleine Träne rann Adas schlanke Wangen hinab, während sie an ihrer Zigarette zog, einer neuen Delegation Rauchpartikel den Weg in ihre Lungen wies und sich dafür verfluchte, wie sie an dem Nachmittag ihre eigenen Hoffnungen, Wünsche und ihre Unsicherheit dermaßen wild um sie herumtanzten, dass sie sich verhedderte, verknotete und über sich selbst gestolpert war. Ergebnis: Der blödeste Dialog ihres Lebens, da war sie sich sicher.

Er: "Gehst Du etwas schon?"
Sie: "Ja. Bleibst Du noch?"
Er: "Nein."
Sie: "Ach so.. dann.. ähh.. tschüs."

Verkackt, versemmelt. Sie wäre am liebsten in einer spontan klaffenden Erdspalte versunken, hätte sich für ihre Feigheit am liebsten den Hosenboden versohlt. Doch was sollte es? Vielleicht würde sie ihn ja noch wiedertreffen. nichtmal wie er hieß, wusste sie. Aber wenn sie ihn wiedersähe, würde sie es alles anders machen. Die Gischt ihrer Leidenschaft würde an seinem muskulösen Strand schäumen, die Wogen ihrer Gefühlswallungen würden brechen und ihn gleichzeitig heiß und sanft umspülen. Ganz sicher. Sie musste ihn nur noch finden. Heute nacht machte das keinen Sinn mehr. Also drückte sie ihre Kippe in ihrem selbstgetöpferten Aschenbecher aus (Form: Fender Stratocaster, sollte ein Geburtstagsgeschenk für ihren Ex-Freund werden), ging in die Küche und holte sich die halbvolle Flasche Gin.

31 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

this is a bittersweet symphony

10/9/05 15:00

 
Anonymous Anonym meint...

"ain't no sunshine wenn he's gone", würde ja auch passen. gruß an bill withers und die tolle version von eva cassidy...

10/9/05 15:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Oh... wir basteln uns einen Soundtrack zur Geschichte? :)

10/9/05 15:41

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Müssen Queen und Kiss damit auch mit auf den Soundtrack zur Story? :)

10/9/05 16:11

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Bei LedZep wären "Dazed and confused", "Heartbreaker" oder "Since I've been loving you" ja auch denkbar... den Queen-Song kenn ich nicht, klingt gut. Sonst wäre - je nach Fortgang der Geschichte nach der Geschichte - ja auch "Don't stop me now", "Somebody to love" oder "Crazy little thing called love" nicht völlig unpassend, oder?

10/9/05 16:27

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Mal überlegen, was sonst noch denkbar wäre...

10/9/05 16:39

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Weitere Vorschläge:

Kristofer Aström - How come your arms are not around me? / All lover's hell

Pearl Jam - Off he goes /Nothingman

Weakerthans - Pamphleteer

Ben Folds Five - Evaporated

Portishead - Wandering star

Counting Crows -Perfect blue buildings

Keith Caputo - Home

Wilco - Hell is chrome

Radiohead - Street spirit (fade out) / Fog (again)

A Perfect Circle - Orestes / Gravity

Stereophonics - Handbags and gladrags

Miles Davis - Blue in green

..to be continued...

10/9/05 16:57

 
Anonymous Anonym meint...

Hans Moser, Wenn der Herrgott net will, dann geht gar nix

10/9/05 17:12

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Das kenn ich bislang noch nicht!

10/9/05 17:17

 
Anonymous Anonym meint...

Ich möchte nochmal zwanzig sein. Das passiert selten bei mir. Heute schon. Ganz ohne Sound. Fuck.

10/9/05 17:49

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Aus welchem Grund grad jetzt?

10/9/05 18:04

 
Anonymous Anonym meint...

toll!

10/9/05 18:27

 
Anonymous Anonym meint...

Nix Erstes, nur die Geschichte. Als Stummfilm. Irgendwie.

10/9/05 22:07

 
Anonymous Anonym meint...

Scheiss Wordpress: "Nix Ernstes"

10/9/05 22:09

 
Anonymous Anonym meint...

blue in green ist ist.
auch gut ist:

"you're out of my arms, i'm out of my mind..."
round midnight.

das lied ist die geschichte. es braucht kein film dazu. es entstehen bei jedem seine eigene. denn jeder hat solch eine geschichte, und solche bilder.

kontrapunktorisch hierzu:
"don't go changing,,," bin ein kind der 80er, kann nichts für.

läuft zwar unter kuscheljazz, gut isses trotzdem.
rebekka bakken - cover me with snow

und zu krönenden abgang:
rainy day.

10/9/05 22:25

 
Anonymous Anonym meint...

Vorsatz bei Geschichten dieser Art:
1) Keinen Kommentar schreiben
2) Keine Kommentare lesen

Nur wirken lassen.
Ciao Opa

10/9/05 22:42

 
Anonymous Anonym meint...

Ich mag die Geschichte.

Wäre ich der MC, würde ich sagen: Ada soll jetzt dann noch ins Magnet gehen. Dann trifft sie mich auch noch.

Super Metakommentar, ne...

10/9/05 23:19

 
Anonymous Anonym meint...

Das könnte noch 500 Seiten lang so weitergehen. Ich würde es lesen, garantiert.

10/9/05 23:33

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Nun ist das Magnet ja leider nicht in jederfraus Nähe, Mr. Metablogger... wobei Dich oder MC zu treffen garantiert reizvoll sein wird. Sofern ich das (auch auf anderer Ebene) beurteilen kann, ohne einen von Euch beiden je getroffen zu haben... :)

10/9/05 23:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@betablogger: Vielleicht gibt's beizeiten ne Fortsetzung. Noch steht nix, aber was nicht ist, kann ja noch werden.

10/9/05 23:38

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Rebekka Bakken ist auch fein, Herr Kubelick. Sehr sanft, tut nicht weh, sieht schön aus, ist trotzdem nicht nichtssagend oder belanglos... wunderbar zum in der Kissenburg versinken und an völlig andere Dinge denken. In den 80ern bin ich zwar zum beinahe frühestmöglichen Zeitpunkt geboren, mit der Musik der 80er verbindet mich hingegen nur sehr wenig und Sporadisches. Die Klangästhetik ist weitgehend nicht meine Tasse Tee... viel künstlichklebrige Synthies, viel Hall, viel distanzierte, steril-klinische Reinheit... ein bisschen knisternde Wärme, ein bisschen Dreck im Klang ist mir meist lieber... aber ich bin wohl auch zu jung, um musikalisches Kind der 80er zu sein...

11/9/05 00:00

 
Anonymous Anonym meint...

AC-DC muss auch noch in den Soundtrack, wegen des Aschers: "Warum spielt Ihr denn keine Fender-Gitarren?" - "Malcolm hatte mal eine Stratocaster. Er hat einen Aschenbecher draus gemacht."

11/9/05 11:44

 
Blogger F meint...

Nur noch Gibson Les Paul. Für den kleinen Unterschied, der keiner ist.

11/9/05 13:10

 
Anonymous Anonym meint...

warum muss man immer alles mit nem "soundtrack" zukleistern?! die von ole fabelhaft beschriebene kakophonie in der geschichte ist millionenmal besser als alles darübergedudel. so!

11/9/05 13:28

 
Anonymous Anonym meint...

Stimmt, der Text wäre ohne Musik viel besser. Oder sonst mit expressionistisch wilder oder impressionistisch leiser Musik von Stravinsky oder Debussy... AC/DC geht gar nicht, auf den Aschenbecher geschissen. Nix gegen AC/DC, aber in diesem Zusammenhang passt das die Bohne nicht...

11/9/05 21:15

 
Anonymous Anonym meint...

@ zartbitter schok
mein reden die ganze zeit!

12/9/05 00:01

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Denken wir uns den von einigen angedachten Soundtrack einfach wieder weg. :)

12/9/05 00:06

 
Anonymous Anonym meint...

Ole, stimmt die Adresse noch? (wegen des anderen Soundtracks)

12/9/05 00:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Jepp. Ich ziehe erst in zwei Wochen um, und danach gibt's nen Nachsendeauftrag. :)

12/9/05 00:20

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wenn Dir noch lohnendes zum Mitdraufpacken einfällt, nur rauf damit und keine falsche Scheu! :)

12/9/05 00:24

 
Anonymous Anonym meint...

best regards, nice info
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4/12/06 11:36

 

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