Dienstag, September 13, 2005

Gerd-Show revisited

Plönk. Schwapp. Becksgrüne Flasche kippt aufs Kopfsteinpflaster. Ruckediguh, Bier auf dem Schuh. Tschuldigung. Macht nix. Auch eins? Gern. Über mir knirscht und surrt der Hebekran mit der Fernsehkamera. Vorn steht der glubschäugige Ex-Basketballer, der ansonsten für mehr Feiertage vor dem Sportfernseher wirbt: Frank Buschmann. Er stakst frotzelnd über die Bühne, macht Scherze über die nur wenige lachen, moderiert die Schnarchnasenrhetoriker aus der Lokalpolitik an. Auch Udo Jürgens war auf die Bühne gezerrt worden, als Münsters Kanzler-Repräsentant.

Leonard "Wilsberg" Lansink ist jetzt auch in der SPD, und die Jazzkantine war angeblich auch da. Gesehen hat kaum einer ihren Bühnenauftritt. In Bussen sind Bergmänner in alten Trachten herbeigekarrt worden, aus Ibbenbüren und Hamm. Gegen sieben Uhr birst der Domplatz aus allen Ecken: Kanzler-Time. Durch diese hohle Gasse wird er kommen, und schon kommt er, lächelt, verschränkt die Arme in Siegerpose über dem Kopf, schüttelt Hände. Yvonne streckt sie ihm entgegen: "Tach, Gerhard." Schmunzeln.

Gerhard Schröder, live und mehr oder weniger wahrhaftig. Er hüppt mit Schmackes auf die Bühne, versprüht Dynamik, Schwung, Tatendrang. Wer beim sonor dümpelnden Wortgeplätscher der tiefenentspannt parlierenden Vorredner ein wenig weggedöst war, zuckt dank der messerscharf durch die Boxen stechenden Worte Schröders erschrocken zusammen. Zu viele Höhen, leichtes Fiepen im Ohr. Ein wuchtiger Wortvulkan. Der Kanzler in Rage, er brüllt beinahe. Gespannt bis in die vielleicht doch gefärbten Haarspitzen. Er magnetisiert die Menge, peitscht sie hoch, schnurrt, schmeichelt, kräht, keift, rubbelt mit einem Katzenschwanz aus Worten über die Köpfe, um sie zu elektrisieren. Die knallrote Krawatte saust vor seinem Hemd hin und her, er wirft die Arme energisch durch die Luft, als wolle er ein Erdbeben beschwören.

Stärkung der Wirtschaft nicht auf Kosten der Umwelt und nachfolgender Generationen. Gute Bildung für alle, da gut gebildete Ideen in den Köpfen der Menschen eins unserer größten Pfunde sind, mit denen wir wuchern können. Rohstoffe sind ja kaum noch da. Starke, friedens-orientierte Außenpolitik. Kleine Schmunzler zwischendurch. Der Herr Professor aus Heidelberg kriegt sein Fett weg. Immer wieder, süffisant. Großer Jubel bei Bildungs- und Friedenspolitik.

Geschickt umschifft er Fragen nach dem Arbeitsmarkt, spricht hauptsächlich von Visionen, wenig von Plänen. Aber er seine Erscheinung und sein Auftreten macht den Aufbruch glaubhaft. Er umgarnt die Masse geschickt, dies hier ist keine nüchterne Informationsveranstaltung. Hier geht es nicht allein um wissen, hier geht es um langfristiges Glauben. Dafür braucht man Image, muss sich selbst ins gleißende Licht stellen, die anderen ins dunkle Abseits. Propaganda.

Und doch sind zumindest die Vorhaben und Vorstellungen weitaus deckungsgleicher mit meinen als die Ideen und Visionen der Frau mit den Hängemundwinkeln. Nach kurzem Anlauf glutlodert der Pathosvulkan fast eine Stunde. Am Ende minutenlanger, frenetischer Beifall. Die Schlacht ist geschlagen, vielleicht ist der Sieg doch wieder greifbarer. Die üblichen Jubelposen. Verschlungene Hände über dem Kopf, Daumen nach oben. Der Hand mag inhaltlich in Bezug auf ganz konkrete Lösungs-Ideen ein wenig der Fuß gefehlt haben, eine beeindruckende Vorstellung war es trotzdem.
Er genießt die Jubelbrause, nimmt - abgesichert - ein letztes Mal das Bad in der wohlgesonnenen Menge. Dann ist Glubschauge Buschmann wieder dran, ulkt und sabbelt noch ein wenig rum. Und da man gerade keine Gelegenheit hat, ihn zum Mond zu schießen, besinnt man sich, wünscht ihn zumindest zurück zum DSF und geht. Das Bier auf dem Schuh ist getrocknet, die Kehle auch, die sich wiederum ein frisches Pils zum Benetzen wünscht. Also auf in eine umliegende Kneipe und den seltsam überzeugenden Floskel-Orkan noch einmal kurz Revue passieren lassen.

Foto: blog.nrwspd.de

19 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

beeindruckende Schilderung. Wusste gar nicht, dass Du politisch bist?!

13/9/05 18:29

 
Anonymous Anonym meint...

ich las nur "schwapp" und hatte schon angstschweiss auf der stirn, dass du so'n neumodisches blogschwapp mitmachst. gott sei dank nicht.

grossartigste wahlkampfberichterstattung, lieber ole! donnerknispel :)

war udo jürgens wirklich da? mit dem würde ich mich gern mal zum thema "sex mit alten männern" unterhalten.

13/9/05 18:43

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Oh Mist, hab ich Udo Jürgens geschrieben? Nee... Roland Kaiser war da. Ich verwechsel' die beiden dauernd! :)

13/9/05 18:48

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Irgendwer hat mich auch vor Kurzem gefragt, ob ich mit Modeste schwappe... ich weiß bislang nix davon. Modeste, weißt Du mehr?

13/9/05 18:48

 
Anonymous Anonym meint...

santa maria - roland kaiser! der singt noch schlimmer als udo. sagt aber öffentlich nicht so dusselige sachen, sondern gar nichts. ist auch besser so. war yvonne wegen roland oder gerd da?

nix mit modeste - du bleibst hier ;)

13/9/05 19:04

 
Anonymous Anonym meint...

überraschend unabsurd, aber sehr gut. onkel sixtus wäre stolz auf dich.

13/9/05 19:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Yvonne wusste, glaube ich, nichts von Roland. Davon, dass Udo Jürgens da war, glaubte ja nur ich zu wissen. Insofern war sie wahrscheinlich wegen Gerd da.

13/9/05 19:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Manchmal ist das Unabsurde besonders absurd, weil es die Erwartungen durchbricht. :)

13/9/05 19:08

 
Anonymous Anonym meint...

Schicki, Deine Berichterstattung, lieber Ole. Mach es doch wie der IX für irgendein Münsteraner Käseblatt. Springt sicher flott eine Digicam raus ;-)

Ich habe gerd-Pics im Flickr, vom Sommerfest des Bundeskanzerlamts, die gebe ich Dir bis dahin gern.

13/9/05 19:21

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

ix schreibt für Münsteraner Käseblätter?

13/9/05 19:23

 
Anonymous Anonym meint...

Habt Ihr mehrererere?

13/9/05 19:38

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

immerhin zwei. :)Münstersche Zeitung und Westfälische Nachrichten.

13/9/05 19:46

 
Anonymous Anonym meint...

Ich bin echt schockiert. Leider sind die Briefwahlunterlagen schon unrückholbar ausm Hause. Ich wusste ja, dass Gerd einen beschissenen Musikgeschmack hat. Aber dass er nicht mal vor Roland Kaiser zurückschreckt, also das nimmt mich jetzt ganz schön mit.

13/9/05 21:47

 
Anonymous Anonym meint...

Vielleicht hatte er ihn ja eingeladen, weil "der Kaiser" grad 60 geworden ist und der Froanz selber groad koane Zoat hatte oder generell auch eher Stoiber zur Verfügung steht?

13/9/05 22:06

 
Blogger asd n asd meint...

ich hab mir gerd nicht lange angehört, nach 15 minuten hatte ich die wichtigsten phrasen ("professor aus heidelberg" und "die verpennten von gestern...") live und in farbe gehört und es war nicht zu erwarten,d ass er was neues erzählen würde. aber wenigstens mal den kanzler gesehen.

und ein sehr amüsantes erlebnis mit dem schwarzen pack rechts der linken mitte gehabt, siehe blog.

14/9/05 00:41

 
Blogger F meint...

Helmut Schmidt hat gesagt, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Gilt auch für Kirchhoff & Co.

14/9/05 09:32

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Persönlichkeits-Swapping? Erst tausche ich Udo Jürgens mit Roland Kaiser und jetzt wird aus Roland Kaiser "der Franz"? :)

14/9/05 10:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@rationalstürmer: Wahrscheinlich gab es irgendwelche Promi-Scouts in Münster, die geguckt haben, welche lokale Berühmtheit der SPD wohlgesonnen ist. Als konservative Hochburg (auch wenn, wohl dank Studenten, die Grünen regelmäßig bei ca. 20% liegen) bekennen sich Götz Alsmann und andere vielleicht eher zu Professoren aus Heidelberg und Mecklenburgerinnen mit hängenden Mundwinkeln...

14/9/05 10:47

 
Anonymous Anonym meint...

nix gegen Buschmann, Buschmann ist cool!

27/9/05 09:18

 

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