Donnerstag, Juli 13, 2006

Gregor bekommt Hausbesuch

Unvermittelt riss ihn die Türklingel aus seinem Abendtraum. Das Bewusstsein fixierte wieder die gebogene Messingleselampe. Dann den Tisch, auf dem noch ein vollgekrümeltes Brett, zwei abgekaute Brotrinden und ein leerer Kaffeebecher vom Abendessen vor sich hindösten. Es klingelte abermals. Endgültig hatte das Hier und Jetzt Gregor wieder. „Waking kills the dream“, dachte er. Irgendeine Platte hatte so geheißen. Oder war es eine Band? Er wusste es nicht mehr; erheblich war es wohl auch nicht unbedingt. Er erhob sich, buddelte sich mit den Füßen flüchtig in seine grauen Turnschuhe, schlurfte zunächst zur Anlage, um die Musik leiser zu drehen und dann in den Flur, um die Tür zu öffnen.

Er löste das kleine Kettenschloss, drehte die Klinke. Mit Spannung blickte er in den Lichtkegel der Lampe, in dem drei Gesichter, beschienen, farblos schimmerten. Ihm völlig unbekannte.

Zwei aschfahle Herren, beide in steinlausgraue Filzmäntel gehüllt, starrten ihn durch dicke Hornbrillengläser an. Beide. Die strähnigen Haare klebten vom Haaransatz akkurat nackenabwärts. Möglicherweise Zwillinge. Fast symmetrisch rahmten sie eine hutzelige Frau ein. Fast zwei Köpfe kleiner, kaum jünger als die beiden Herren, die Haare streng nach hinten zu einem Dutt gebunden, braunweiß geblümte Bluse mit einer fischförmigen Brosche, langer, aschgrauer Rock. Ihre vor der Brust gekreuzten Arme umschlossen eine großformatige, schwarze Bibel mit goldenem Kreuz. Gregor musste schmunzeln, als er das biedere Triumvirat vor seiner Tür stehen sah. Sehr skurril, erinnerte es ihn doch auch an einen seiner Lieblingsfilme. Den Schalk im Nacken fragte er dann auch spontan: „Schickt Sie Dr. Pirkheimer? Droht Unheil vom Venusmond Tetra?“

Gläubige Augen blickten ihn ungläubig an.

„Entschuldigung?“
„Ach, nichts. Womit kann ich Ihnen helfen?“
„Wir kommen von der Adventistengemeinde und machen eine kleine Umfrage. Hätten Sie kurz Zeit?“
„Moooment… Wenn es nicht zu lange dauert.“

Der rechte der grauen Herren zog aus einer Ledertasche ein Klemmbrett, einen Zettel und zückte einen Stift.

„Sind Sie Christ? Ja? Nein? Keine Ahnung?“
„Gilt auch zeitweise?.“
Der rechte graue Herr stutzte. "Oh. Diese Antwort haben wir leider nicht berücksichtigt."
"Dann kreuzen Sie 'ja' an."
„Sind Sie der Meinung, dass es neben dem Christentum noch andere Religionen geben sollte?“
„Geben sollte? Es gibt doch noch andere Religionen.“
„Ja, aber halten Sie deren Existenz für berechtigt?“
„Natürlich.“
„Besitzen Sie eine Bibel?“
„Eine Zeit lang musste sie aushelfen als Stütze meiner Wohnzimmerkommode, deren einer Fuß zu kurz ist, aber ja, ich besitze eine.“

Getuschel. Abschätziges, beinahe entsetztes adventistisches Stirnrunzeln.

„Haben Sie das Gefühl, dass Sie Hilfe benötigen, um Bibeltexte zu verstehen?“
„Ich halte die Bibel für ein durchaus sehr interessantes Buch und mich durchaus für fähig, mir die Texte auch ohne externe Hilfestellungen zu erschließen.“
„Glauben Sie an die Wiederkunft Jesu Christi, unseres Herrn, auf Erden?“
„Ich wüsste nicht, warum er noch einmal wieder kommen sollte.“
„Gut, danke. Als Dankeschön für die uns gewidmete Zeit haben wir hier noch ein kleines Präsent für sie. Zum einen unseren aktuellen Gemeindebrief, in dem wir über uns und unsere Gemeinde informieren und zu den nächsten Gottesdiensten einladen, denn wir würden uns freuen, Sie bald vielleicht auch einmal bei uns begrüßen zu dürfen. Zum Anderen ein kleines Büchlein, in dem wir Ihnen Hilfestellungen geben, was Sie tun müssen, um nicht am jüngsten Tag, beim nahenden Ende der Zeiten der Verdammnis der Hölle anheim zu fallen, wie so viele Ungläubige der heutigen Zeit.“
„Verdammnis? Hölle? Ende der Tage? Sind Sie sicher, dass sie nicht im Auftrag von Dr. Pirkheimer kommen?“
„Wir zeigen Ihnen den richtigen Weg zu Gott und zum Himmel.“
„Wenn das jüngste Gericht schon naht, wenn die Apokalypse unabwendbar scheint: Bieten Sie auch Wurzelbürsten und Badezusatz? Äußerlich wie innerlich fühle ich mich bislang rein und ich hoffe, sie kämen jetzt nicht jeden Donnerstag, falls ich nicht irgendwo unterschreibe.“
„Wie meinen? Werter Herr, ich fürchte, Sie begegnen uns und Gottes Wort nicht mit gebührendem Maße ernst und machen sich über uns lustig. Auch Sie werden am Ende der Tage vor Gott, unserem Herrn stehen und sich für Ihr Verhalten rechtfertigen müssen. Gott lässt nicht mit sich spaßen.“
"Oh, Verzeihung."

Gregor schlug den im Auftrag ihres Herrn befindlichen drei Gestalten die Tür vor der Nase zu und überließ sie dem schwach flackernden Licht und dem Geruch von Bohnerwachs im Treppenhaus.

17 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Gott versteht keinen Spaß? Absoluter Schwachsinn. Allein die Anordnung der Ausscheidungs/Fortpflanzungsorgane der Schöpfungskronen beweist das Gegenteil.

13/7/06 12:47

 
Blogger Mephistascripts meint...

Hätte ich still und lauschend, außerdem versteckt und gespannt hinter Gregor gestanden und wäre bis zum Zeitpunkt des Türezuschlagens nicht durch gepresstes Gekicher auffällig geworden - ich hätte ihm im Anschluss zur Belohnung einen 1a Sauerbraten zubereitet und in die Knödel kleine Kreuze aus geröstetem Weißbrot eingearbeitet. Endlich mal was Richtiges zum nicht ausdiskutieren müssen.

13/7/06 12:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: Da sagste was! ;)

13/7/06 12:57

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mephistascripts: Sauerbraten mit Knusperkreuzkernknödeln. Donnerknispel! Das rockt.

13/7/06 12:57

 
Anonymous Anonym meint...

1) es war eine Band
2) nirgendwo in der Literatur wird mit Sicherheitdie Farbe der Steinlaus als grau beschrieben. Wahrscheinlich verwechselst du hier die Steinlaus mit dem Nasenschreitling, der durchaus als grau zu bezeichnen ist, auch wenn unter Laien gelegentlich der Begriff "beige" fällt.
Hätte Gregor erkannt, dass die Mäntel nasenschreitlinggrau waren, hätte er auf keinen Fall weiter hingehört und Zeit verloren.

13/7/06 14:20

 
Blogger viktorhaase meint...

ich bin fromm.

13/7/06 14:30

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@konfusius:

ad 1: Dem Autor dieser Geschichte ist dieser Umstand bekannt. :)

ad 2: Selbst wenn die Steinlaus noch in keinem literarisch mit "grau" assoziiert wurde: Dann wurde es schleunigst Zeit. Das Erfrischende und Überraschende in Texten rührt doch gerade von den neuen Wegen und unverbrauchten Worten und den Konventionsbrüchen. Nasenschreitlinggrau ist indes auch ein feines Wort.

13/7/06 14:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@viktor: ja guck.

13/7/06 14:37

 
Anonymous Anonym meint...

Was für ein herrlicher Text!
Tip: Religiöse Klinkenputzer lassen sich verscheuchen, indem man ihnen auf die Frage "haben Sie denn schon mal über Gott/den Weltfrieden/die Bibel etc. nachgedacht?" mit überzeugter Stimme antwortet: "Ach, das trifft sich ja gut, dass Sie hier klingeln, das hier ist ein Pfarrhaus!" Selbst schon ausprobiert, funktioniert einwandfrei!

13/7/06 15:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Dürfte in meinem Fall (Wohnhaus mit 8 Wohnungen, unsere liegt im 2. Stock rechts) zumindest für ziemliche Verwunderung sorgen, auch wegen der Punkrockaufkleber meines Mitbewohners an der Tür. Potenziert insofern aber nur den Spaß.

13/7/06 15:19

 
Blogger Galen meint...

Ich warte ja auch sehnsüchtig darauf, dass sich solche Leute mal vor meine Tür verirren - für solche Fälle würde ich mir sogar das alte, aussortierte Dimmu Borgir-Shirt mit dem Pentagramm auf dem Rücken wieder anziehen - das Youth Against Christ-Shirt hatte ich trotz guten Verwendungszecks schließlich doch nicht besorgt...

13/7/06 16:09

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Hast Du die Klamotten allzeit dabei und könntest Dich dann dermaßen schnell umziehen wie dieser Herr hier? :)

13/7/06 16:14

 
Anonymous Anonym meint...

Galen: Bei Bedarf kann ich dir unsere beiden Zeugen Jehovas vorbeischicken, wenns das genügt.

13/7/06 16:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Was kostet denn wohl eine Zeugen-Frachtsendung nach Ostfriesland? :)

13/7/06 17:03

 
Anonymous Anonym meint...

Die netten Herren mit den weißen Turnschuhen und der gemütlichen weißen Jacke helfen da bestimmt gerne weiter. :)

13/7/06 18:12

 
Anonymous Anonym meint...

Man hätte ihnen aber auch klugerweise den Restmüll mitgeben können.

Und Ursel´s alten Pelzmantel.

13/7/06 19:21

 
Blogger Fjaellet meint...

ha! eher da! wenngleich ich zugegebenermaßen weniger können, dafür aber mehr mitleid hab.

13/7/06 20:39

 

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