Das bleichliche Laternenlicht fällt auf ein Gesicht, unendlich traurig und verlangend. Die Augen trüb von unvergossenen Tränen steht sie in ihren cremefarbenen Mantel gehüllt. Die wächserne Blässe ihres Gesichts riecht nach Sehnsucht. Ihr dunkelbraunes Haar ruschelt sich in vollen Wellen um ihren hübschen Kopf, wahrscheinlich liebevoll drapiert für den, der nun fehlt. Vielleicht noch. Vielleicht schon zu lange. Wahrscheinlich ist er wieder mal Beute seines eigenen Rausches geworden und hat sie suffvergessen oder schnarcht schon auf seinem Sofa. Mit Chipskrümeln auf der Trainingshose über seinen gespreizten Beinen. So ist es doch immer wieder. Sie steht. Sie schweigt. Blickt nirgendwohin. Und doch erzählt ihr Blick traurige Geschichten, so viel davon auch nicht stimmen mag, wenn andere sie stumm zu lesen versuchen. Ich schließe den Taxistand auf, um zwei Medikamentenwannen abzuliefern. Gehe zurück zum Lieferwagen, um mir Tee einzugießen.
"Leberscheiben! Mir geht nix über Leberscheiben. Gern auch mal leckere Muskelmägen oder gesottenen Dorschrogen mit Mantschkartoffeln!" Einige Meter weiter rudert der halbbeglatzte Taxifahrer (seine Jacke spannt) mit den Armen, als er mit tiefschwarzem Bariton seine Worte formt. Sein knebelbärtiger Kollege isst lieber Schnitzel mit Kartoffelsalat. Ich staune, wie lange man Schnitzeldiskussionen ausbauen kann, doch ich muss weiter. Zwei Drittel der Tour liegen noch vor mir. Ich nehme den letzten Schluck Tee. Durch die Stille der Luft rattert ein Güterzug - hoch oben über der Böschung. Kein Regen fällt. Die knorrigen Zweige der Sträucher an der Böschung murmeln heimlich. Unschuld im Mond.
Labels: Medikamentennächte
17 Wortmeldung(en):
donnerkieselchen, welch vollmundig (lebrige?) momentaufnahme. und so sättigend.
aber vielleicht hat sie auch nur darüber nachgedacht, wie zur hölle sie das geld für den nächsten schuss zusammsnkriegen soll.
und die taxifahrer waren eigentlich gerade in harten verhandlungen über die nächste lieferung waffenfähigen plutoniums aus der ukraine und mussten so tun, als unterhielten sie sich über belanglosigkeiten, als sie in der nähe waren.
nein?
10/3/07 12:17
nein.
:)
10/3/07 12:44
Welche Farbe hatten die Medikamentenwannen - blau wie Sanacorp?
10/3/07 13:41
Blau sind die von der Konkurrenz. Unsere sind langenscheidtgelb. Oft mit schwarzen Abnutzungsstreifen. :)
10/3/07 13:45
Da gibt es Wörter in deiner Geschichte, die ich noch nie zuvor gelesen habe: ruscheln, knebelbärtig.
10/3/07 17:38
Allerdings. Der Satzteil hat mich auch erwischt. Unter anderem.
Sehr groß. Danke.
10/3/07 19:26
nachts sind eben doch nicht alle katzen grau.
10/3/07 21:12
Ein schöner Text, mein Bester. Chapeau.
(klitzekleiner Einwand, im ersten Absatz: Abendlicht oder Laternenlicht?)
Gern gelesen.
11/3/07 08:47
@nömix: Um "Mitternacht in Ahlen" ist das Abendlicht schon vor Stunden schlafen gegangen. :)
11/3/07 12:49
Insofern hast Du völlig recht. :)
11/3/07 12:57
@sabbeljan: Manche haben auch schwarze Flecken.
11/3/07 12:58
@amadea: Immer mal wieder was Neues entdecken zu können, hat ja auch durchaus was für sich, find ich. :)
11/3/07 13:04
@sillerin: Loriot war hier mein Lehrmeister ("Man muss schon sehr genau hinsehen...") :)
11/3/07 13:07
@stilhäschen: Danke ebenfalls.
11/3/07 13:08
"Aus dem Leben eines Medikamentenauslieferers..."
Anderswo heißen die Jungs Dealer. :o)
Sehr schöner Text und Scherz beseite.
11/3/07 14:42
@scheibster: Die Dealer an sich nennt man ja auch "Apotheker". Ich bin ja nur der Drogenkurier, wenn Du so willst. Im Fachjargon nennt man das, was ich als Nebenjob tue, wie ich gestern gelernt habe, "flächendeckende Mikrofeinverteilung". Sprich: Zustellung der kleinen Apothekerbestellungen vor Ort, die aus den Riesenlagern der Großhändler geliefert werden. :)
11/3/07 15:04
Unter Taxifahrern wird die Schnitzeldiaet als Geheimtipp gehandelt.
15/3/07 15:33
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