Donnerstag, November 22, 2007

Wulnikowski und die Aversionen der Anderen

Er hatte schlechte Zähne, aber ein Herz für Tauben. Mochten andere doch fluchen über die flatternden, Krumen pickenden Stadtplagen, die mit ihrem scharfen Schiss die Gebäudesubstanz angreifen. Die zuhauf schmallippige Hausbesitzer veranlassen, Nagel-Leisten auf ihre Fensterbänke zu tackern, damit sich ja keins der Viecher niederlässt und den Sims verätzt. Anstatt dort Blumenkästen aufzustellen. Wie karg und trist doch solche Straßenzüge wirkten, in denen wenig blühte, aber rostige Nagelbetten die Fenster unterrahmten. Wulnikowski mochte Tauben. Er fütterte sie selten. Sie fütterten ihn ja auch nicht. Doch nie hatten sie ihm etwas getan. Waren freundlich zur Seite geflattert, wenn er durch ihren Pulk schlenderte. Hatten munter gegurrt, wie zum Gruße.

Und gerade die Geräusche, die sie hervorzauberten, waren es, was er an ihnen so liebte. Es ließ sich nicht verallgemeinern – sein Herz hing zuvorderst ja an Reptilien, die für sein Ohr beinahe lautlos durch ihr Dasein pirschten. Doch eines Abends, als er am Hafenkai saß und den Ladekränen dabei zusah, wie sie Container in Schiffsbäuche löschten, während die untergehende Sonne Blattgold auf die schwappenden Wogen tupfte, war ihm aufgegangen, dass seine Zuneigung zu bestimmten Tier-Gattungen in großem Maße davon abhing, welche Geräusche sie von sich gaben. Nicht dass irgendein Tier in der Nähe gewesen wäre. Aber urplötzlich sehnte er sich nach gackernden Hennen. Wieso? Das spontane Aufsprudeln von Sehnsüchten bleibt oft rätselhaft; deren Ursprung versteckt sich in dunklen, heimlichen Schatten..

Er liebte Katzen, wenn sie butterweich schnurrten. Ihr scharfes Fauchen hingegen war für ihn wie Nadelstiche hinter der Stirn. Beim Miauen hing es von der Melodie ab. Davon, ob es ein sanftes, zufriedenes oder aufmunterndes war, oder ob es in immer schnellerer Folge, fordernd, entrüstet, verärgert, drängelnd und von grundloser aber vorwurfsvoller Empörung getrieben auftauchte. Sein Herz schlug auch für brüllende Löwen und stoisch vor sich hin mähende, blökende Schafe. Meckernde Ziegen fand er indes grässlich. Auch das eitle, schrille Krähen von Hähnen war ihm ein Graus. Zumal die bevorzugte Uhrzeit, zu der die bunt gefiederten Gockel sich aufplusterten, um der Welt ihr „Kikeriki“ anzutun.

Doch seinen ersten Kuss hatte er erhalten, während auf dem von Seerosen überwucherten Dorftümpel hinter der Kirche drei Enten um die Wetter schnatterten. Bis heute fragte er sich, warum es ausgerechnet die schiefbusige Else hatte sein müssen, an deren Lippen er seine zärtlich drückte. Unbeholfen, mit wild pochendem Herzen. Sie hatte nach Senf geschmeckt und ihr Halstuch nach Mottenkugeln gerochen. Es war einfach passiert. Schattiger Ursprung. Doch eine wohlige Wärme flutete Wulnikowski seitdem jedes Mal, wenn er Enten-Geschnatter vernahm. „So viel man an Gottes Schöpfung kritisieren mag, bei der Erfindung der Tierlaute hat er erfrischenden Einfallsreichtum bewiesen“, dachte Wulnikowski, während er den Bürgersteig entlang schlenderte und ruckartig seinen Schritt zur Seite bog, um nicht in einen Hundehaufen zu stapfen. Sein Oberkiefer wupperte und pochte.

In welchen Tonarten Spatzen und Zeisige zwitschern konnten, Schweine grunzten und quiekten. Hunde kläfften, bellten und knurrten oder heulten in geschmeidigen Glissandi den Mond an. Wie rhythmisch Klapperschlangen klapperten und Spechte hackten. „Die Rhythmus-Gruppe im Orchester der Tiere“, dachte Wulnikowski. Brummende Bären und röhrende Hirsche und Elche würden die Bass-Partien übernehmen, zirpende Grillen zupften die Pizzicato-Passagen aus ihren Mandibeln. Und Mäuse? Würden sich knabbernd und raschelnd zusammen mit ein paar flatternden Eisvögeln in die Groove-Sektion eingliedern. „Satie hatte doch Recht“, dachte Wulnikowski. Und auch für Tauben fände sich ein schmucker Platz dort im bunt lärmenden Orchester. Wulnikowski erinnerte sich daran, wie lieblich ihn der muntere Gurr-Chor vor Notre-Dame in Paris umschwirrt hatte, wie lieblich das polyphone „Ruckediguh“ auf dem Markus-Platz in Venedig. Der Oberkiefer pochte immer noch. Und Wulnikowski fragte sich: „Was ist das Übel, das Tauben angeblich anrichten, verglichen mit einer Wurzelbehandlung?"

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22 Wortmeldung(en):

Blogger Oles wirre Welt meint...

Hier findet sich übrigens Wulnikowskis Lieblings-Kurzfilm.

22/11/07 10:27

 
Blogger creezy meint...

Gott, ich wünschte, ich könnte so schreiben!

22/11/07 11:42

 
Anonymous Anonym meint...

Wunderschön.
Dicht geknüpfter Textteppich mit leuchtenden Farben, bezaubernden Bildern und glitzernden, skurrilen Perlen.
!

22/11/07 11:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@creezy: Ist doch bald Weihnachten. Zack, auf den Wunschzettel damit. Vielleicht kann der Weihnachtsmann da ja was drehen. Ich drücke alle Daumen. :)

22/11/07 17:21

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@anna: Merci beaucoup. Immerhin ein geknüpfter Teppich. Bei Webteppichen schleppe ich immer noch ein unverwundenes Textil-Unterrichts-Trauma mit mir herum. :)

22/11/07 17:22

 
Anonymous Anonym meint...

wulni for taubenpräsident!

22/11/07 18:53

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Womöglich bekäme er dann einen Sponsorvertrag und könnte sich kostenlos täglich mit "Dove"-Seife waschen :)

22/11/07 19:13

 
Blogger promenadeur meint...

Eine großartige Geschichte, so richtig seelenerwärmend an einem nasskalten, nebligen Novembertag.

23/11/07 15:50

 
Anonymous Anonym meint...

Der Text gefiel mir ziemlichst gut - bis Du mich an meinen nächsten Wurzelbehandlungstermin erinnert hast. "Danke" dafür. ;)

23/11/07 16:16

 
Blogger Frau H. meint...

Herrlicher Wulni 'mal wieder....ich mag den Kerl! Zauberhaft geschrieben, lieber Ole..und ich mag auch das ernüchternde Ende ;)
Und das Fütheo: Cute!

24/11/07 10:10

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frauh: so früh am morgen hat es einige sekunden gedauert, ehe ich geschnallt habe, was denn ein fütheo sein könnte. aber dann hat es klick gemacht. und: danke. :)

24/11/07 10:33

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kreuzberger: läbbe isch hacht. :)

24/11/07 10:33

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@martin: freut mich.

24/11/07 10:34

 
Anonymous Anonym meint...

Opa gackert natürlich wieder einmal nicht mit den Hühnern.

24/11/07 13:11

 
Blogger Lars meint...

Ich freue mich so viel wieder von der Wulnikowski zu lesen, und Du hast es so gut geschrieben, ich bereue nicht das ich musste warten.
Danke mehrmals Ole.
Auch was, Dein neue Blog Bild gefällt mir sehr.

25/11/07 04:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@lars: Das freut mich. Mal schauen, wann die nächste Episode kommt. Man darf gespannt bleiben. :) Das neue Blog-Headerbild ist übrigens das alte. Gewissermaßen. Von Ende 2005 bis Anfang 2007 prangte es schon über der Seite, ehe ich die Header öfter mal gewechselt habe.

25/11/07 11:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: Alter Sturkopp. :)

25/11/07 11:38

 
Anonymous Anonym meint...

Ich bin ein Südfriese :)

25/11/07 13:40

 
Anonymous Anonym meint...

Meisterlich und fabelhaft, allerolester erfrischender Einfallsreichtum. Über das Wort "schiefbusig" muss ich noch eine Weile nachdenken. Das ist ein neuer Lieblingswulni.

26/11/07 14:44

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@nachtschwester: Ich tippe grob, so könnte man es nennen, wenn die Brüste Schlagseite haben und zu einer Seite hinüberhängen. Oder so. :) Und: Freut mich.

26/11/07 15:08

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: Auch im Süden funkeln Sterne. :)

26/11/07 15:20

 
Anonymous Anonym meint...

Ich bin beeindruckt. Da bin ich seit locker einem Jahr nicht mehr da, und Herrn Wulnikowski gibts immer noch.

11/12/07 23:21

 

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