Donnerstag, Juli 29, 2004

Wär chatsch erfunden?

Wie freut man sich doch, über unerwartete Gesprächseröffnungen. Heute morgen saß ich frühstückend an einem Tisch im Speisesaal der Jugendherberge. Ich hatte eine Tasse geschmacksverirrten Pfirsichtee getrunken und eine Schüssel Joghurt mit Pfirsichspalten gegessen. Auf das Brötchen, was ich mir geschmiert hatte, hatte ich spontan doch keinen Hunger mehr.

Später essen kann man das ja immer noch. Also besorgte ich mir zwei Servietten, um es einzupacken. Plötzlich trafen mich finstere Blicke von einem Tisch halb rechts gegenüber. Wütend schnaubend erhob sich eine Frau mir gegenüber, schwarze Löcher als Augen, die Mundwinkel im untersten Anschlag, mit drohend nach vorn gebeugtem Oberkörper, bebende Nüstern, ihr extrem gerade geschnittener Pony schwang furios hin und her. Dann öffnete sie ihre extrem schmalen Lippen, eisig blitzten ihre blitzenden Zähne in der Morgensonne und in düsterstem schwyzerdütsch prasselten hasserfüllte Tiraden auf mich hernieder:

"Du bischt ja wohl ein absolutes Charakchterschwein, junger Mann!"

"Äh, bitte?"

"Du bischt ein Dieb! Ich chabe ganz gchenau gchesehen, wie Du Dein Brötli ein gchepackcht chascht! Dos ischt Diebstahl!"

"Äh... ich habe doch noch gar kein Brötchen gegessen! Was ist daran verwerflich? Andere Menschen hier essen drei Brötchen, ich nur eins, was ich aus Zeitgründen nicht mehr schaffen werde, hier zu essen. Ich will die Jugendherberge hier ja in keiner Weise ausnehmen."

"Ob'r wenn Du'sch mitnimmsch', isches Diebstahl! Chascht Du gefragt, ob Du desch darfscht?"

"Nein. Aber: Erstens, warum sollte ich? Und zweitens: Was geht Sie das an?"

"Gott sieht, wasch, Du tuscht, jungcher Mann! Du wichrscht schon sehen! Geh jetzt fragchen!"

"Wozu!? Nö!"

"Gchut, dann gcheh ich zur Cheimleitung udn meld desch..."


Blablubb. So ging's noch etwas weiter, und ich musste mich arg beherrschen, nicht zuzuschlagen. Dämliche Schnepfe!

Als ich dann kurz später meinen ZDF-Geländeausweis nicht mehr fand, wähnte ich Gottes Strafe schon auf dem Anmarsch. Aber dann habe ich den Ausweis doch noch gefunden...

Für alle von Euch, die Fürbitte leisten möchten: Ihr seid nicht allein -http://www.kirchenweb.at/fuerbittenbuch/ 

Wer meinen ersten Text lesen will: http://www.3sat.de/denkmal/internet/68683/index.html

Was ich vergaß, zu erwähnen:

1.) Die Arbeit hier macht Spaß, die Redaktion ist sehr nett, es wird viel gelacht.
2.) Mainz ist nicht nur rosa. Aber oft. Andere Farben gibt es hier allerdings auch.
3.) Die Müllwagen hier haben immerhin einen pinkfarbenen Streifen oben. Erinnern an Telekom. Aber fast rosa.
4.) Hilmar wird Mainz mögen. Ich frage mich ja, ob der Traum, in dem er in einem rosanen Hasen-Plüschkostüm durch die Gegend hüpfte, und "Miau" sagte, nicht vielleicht eine surreale Anspielung an Mainz waren (unbewusst) und es nicht Maunz bzw. Mainz heißen sollte. Aber es gibt in Mainz einen Drususwall, einen Römerwall, eine Augustusstraße, Germanikus und und und...
5.) Deutschland ist ein Atom, unteilbar.
6.) Der Sommer ist eine Scheibe.
7.) Nachher ziehe ich in mein Wohnheimzimmer.
8.) Für Musikwissenschaftler: Es gibt hier einen Albansberg!

Mittwoch, Juli 28, 2004

Drei, zwei, eins.... Mainz!

  • Ich habe keinen posttraumatischen Stress, aber Stress generell hab ich schon. Oder nennen wir es lieber Arbeit. Der erste Text für DENKmal ist fertig. Morgen geht er online - lesen könnt Ihr unter www.3sat.de/denkmal

 

  • Was gibt es Neues?

 

  • Ich habe gemerkt, wie schnell manche Artikel von mir ihre Aktualität verlieren. Beispiel gefällig?

    Im Bahnhof gibt es keine große Kiste mit den kleinen Dinosauriern hinter Gittern mehr, und die großen Dinosaurier davor sind scheinbar weggelaufen. Vielleicht.

 

  • Mainz bleibt Mainz und Mainz bleibt rosa. Vielleicht nennen wir es altrosa. Ein bisschen beige ist drin. Ab und zu. Ganze Straßenzüge erstrahlen himbeerfarben, manchmal mit einem Stich ins Heidelbeerige, hier und da auch etwas sandig grundiert. Sogar die Kieselsteine auf dem 3Sat-Parkplatz sind rosa. Die Straßenschilder in Mainz sind rot-weiß - ergibt gemischt? Na? Richtig. Rosa. Was nicht rosa ist? Zumindest eine Treppe im SZ2, dem Sendezentrum 2 - meinem Arbeitsgebäude. Die Treppe ist bunt.  Regenbogenfarben. Sie gehörte mal Sat.1. Die brauchen sie aber nicht mehr. Sat.1 ist vor Jahren ausgezogen. Die Treppe haben sie dagelassen.

 

  • Nachdem ich Ende Mai zum ersten Mal in meinem Leben ICE gefahren bin, habe ich es am Sonntag nochmal versucht - nach Mainz. Und es gab wieder ein Novum: Irgendwo zwischen Opladen (Verlagsheimat bedeutender Wissenschafts-Wissenschaftler) und Köln-Mülheim hatte der Motor des Triebwagens keine Lust mehr. Zack! Bums! Aus!

    Wir hielten, und nach einer halben Stunde Warten durfte ich zum ersten Mal auf freier Strecke aus- und umsteigen. In einen IC, um in Köln wieder umsteigen zu müssen in einen anderen ICE nach Mainz. Der fuhr allerdings eine andere Strecke, nicht am Rhein entlang, weswegen der Schaffner mein Ticket für ungültig erklären wollte und mir nicht glauben. Das Verhalten geschlechtsreifer Zugbegleiter jenseits von Großstädten stinkt manchmal. Rettet den Service aus der Wüste!

 

  • Bei einem Blick in die Mainzer Rhein-Zeitung habe ich folgendes gelernt:
  1. Branntwein heißt auf Meenzerisch "Knorwelwasser".  (Quelle: Mainzer Wörterbuch v. Karl Schramm, überarbeitet v. Dr. Manfred v. Roesgen)
  2. Noch weiß keiner, wie laut Mainz beim nächsten Rosenmontag singt und lacht - Die Stadt hat die Rosenmontagszuschüsse gestrichen.

 

  • Ein Stück Heimat in der Ferne: Ein Artikel in der MRZ über Ostfriesland. Klischees, aber nett geschrieben. Es kam vor: Watt, Baltrum, Greetsiel (mit Foto), Norden, Emden (mit Otto-Huus und Kunsthalle) und Deiche. Leer wurde ausgespart. Ignoranten!

 

  • Rezept für Geschäftstüchtige, die einen florierenden Biergarten eröffnen möchten: Biergarten besorgen, Hälfte mit Sand vollschütten, Südsee-Strohhütte draufstellen, vier Liegestühle und eine CD mit brasilianisch angehauchter Chill-Out-Musik.

 

  • Jorge hat eine Nacht mit mir das Zimmer geteilt in der Jugendherberge. Er ist argentinischer Professor für Genealogie (Stammbaumforschung) aus Buenos Aires und macht ein ungewöhnliches Forschungssemester: Er reist quer durch Europa auf den Spuren seiner Vorfahren - nach Mainz, Worms, Speyer, Frankfurt, Berlin, Madrid, Bologna, Prag, Amsterdam, Israel... (in welcher Reihenfolge auch immer). Einen Teil seiner Reise finanziert er sich dabei, indem er in einer Art Bauchladen Turnschuhe mit sich trägt, die er verkauft. Die Schuhe sind Auslaufmodell aus einer argentinischen Turnschuhfabrik, in der sein Bruder arbeitet. In meiner Größe hatte er nichts. Schick waren sie auch nicht. Aber ne nette Idee... Wobei bei 10€ pro Paar auch nicht so viel in die Kasse fließen wird.
  • Er hatte im Übrigen einen etwas veralteten Stadtplan bei sich - Mainz zur Zeit der NS-Diktatur.

Samstag, Juli 24, 2004

Sprachphilosophisches, allzu Sprachphilosophisches

Juristen drücken sich gern verständlich und simpel aus. Ihr Satzbau ist flüssig, und sofort versteht der Normalsterbliche, was sie einem sagen wollen. Beispiel gefällig?

"Das Gericht wolle erkennen, der Beklagte sei schuldig, mir für die von mir an die in dem von ihm zur Bearbeitung übernommenen Steinbruch beschäftigt gewesenen Arbeiter vorgeschossenen Arbeitslöhne Ersatz zu leisten."

Sprache ist nicht immer einfach. Und manchmal versteht man zwar, was das Gegenüber sagt, versteht aber nicht, warum die Beschreibungen der Gegenstände, die er benutzt, um die Gegenstände seine Beobachtung zu beschreiben, so heißen, wie sie heißen.

Eigentlich sollte man ja denken, dass ein Buchmacher ein Buch macht -es entweder schreibt, druckt, bindet oder setzt. Stattdessen nimmt ein Buchmacher Pferdewetten an.

Alle Äpfel sind alle - so geht es um die Gesamtheit der versammelten Äpfel, die aber eigentlich gar keine sind - sie sind ja komplett weg.

"altus" im Lateinischen heißt hoch und tief, im Französischen bedeutet "personne" jemand und niemand, wobei es zunehmend "niemand" bedeutet, auch wenn mir niemand sagen kann, warum etwas, dass eigentlich "Person" heißt, zunehmend mit "keine Person" verstanden und angewandt wird.

Willkür und historische Zufälle spritzen uns nur so entgegen, wo wir die Sprache anstechen. Der Tomatensaft ist aus Tomaten, Hustensaft ist nicht aus Husten. Olivenöl ist aus Oliven, woraus Babyöl besteht ist nicht ausreichend geklärt. Der Schoßhund sitzt auf dem Schoß, aber sitzt der Schäferhund auf dem Schäfer? Die Feuerwehr bekämpft das Feuer, hoffentlich bekämpft aber die Bundeswehr nicht den Bund. Eine Arbeitspause ist eine Pause, in der man nicht arbeitet. Eine Atempause wird allerdings meist nicht zum Nichtatmen benutzt. Ist nun eine Denkpause eine Pause zum Denken oder zum Nichtdenken?

Freitag, Juli 23, 2004

Blitzendes, waffenfähiges Metall unter der Gürtellinie

Erotische Fantasien und glutwallende Träume hat ja fast jeder - Bedürfnisse nach atemloser, heißer Leidenschaft, feuriger Erotik und/oder verträumter Zärtlichkeit, die sehnsüchtig in einem auf Erfüllung drängen. Inwieweit man die Chance hat und nutzt, sie auszuleben, wie wild, ungezähmt, barbarisch oder klinisch rein und beinahe keusch - ob Sex & Crime oder Blümchensex - sie sein mögen, steht hier, zumindest gerade in diesem Moment, auch auf einem völlig anderen Blatt Papier gekritzelt.

Ohne mein sinnliches Selbst hier völlig entblättern zu wollen: Zu meinen erotischen Fantasien zählten bisher nie Frauen, die sich Gewehre, Panzerfäuste oder Pfeile "unten rein" geschoben haben. Nackte Adonismännerkörper mit Jagdhüten und wild bommelndem Freiluftschniedeln in Robin-Hood- oder Amor-Posen gehörten noch immens weit weniger zu sehnsüchtigen Träumen bei mir - um nicht zu sagen, die (Puff-)Bohne nicht.

Aber bleckende Genitalgewehre, phallische Fallschirmspringer, gefesselt an Baumstämmen durch die Nacht getragene Nackte mit wuppernden Busen und ähnlich anmutig-aufreizende Seltsamkeiten werden wohl bald das "Jagdrevier" zieren, ein Pornokino auf dem Hamburger Berg, reinster Kiez also. Warum ich das weiß? Weil meine beste Freundin, die in Hamburg freie Kunst studiert, den Auftrag bekommen hat, die künstlerische Wandgestaltung in die Hand zu nehmen. Sie darf, soll und muss die bisher noch kahlen Wände dieses neu zu eröffnenden Pornokinos mit erotischen Motiven verzieren. Der Name legt einem brünftige Jagdszenen ja durchaus in den kreativen Schoß. Und so wenig in meinem wuseligen Hirn solche Vorstellungen sich bislang Bahn gebrochen haben, vielleicht guck' ich ja doch mal ins "Jagdrevier" rein, wenn's fertig ist und ich mal wieder in der Hansestadt bin. Muss ja wenigstens mal gucken, wie das Wandgepinsel aussieht.

Zwischen Indiepopgrößen, Schlickschlitten und den 3 großen M's

Eine tragische Entscheidung rückt näher - fährt man am Wochenende des 7. und 8. Augusts nun aufs "Haldern" oder auf den Müggenmarkt nach Jemgum? Kultiviertes Indie-Pop-Festival an idyllischer Kulisse, oder Cola-Korn, Bierlachen und plattdeutsches Gegröle unterm Emsdeich, nur zwei Wochen nach dem legendären Kreierrennen an der Bohrinsel in Dyksterhusen, wo Sonnenbrand und Matschverschmierung beim Schlickschlittenschieben durch den verebbten Dollart lustige Muster auf der Haut geben?

Beim Haldern Open Air kann man so großartige Bands, wie dEUS, I am Kloot, The Bees, Keane oder Divine Comedy sehen. Der Müggenmarkt hat andere Vorzüge: Der erste Preis bei der Tombola des diesjährigen Müggenmarkts in Jemgum ist -tadaa-Eine Bildungsreise mit der FDP nach Berlin. (Dank an Temmo für diese wichtige Information) Welche Themen da erörtert werden, ist unbekannt. Ob man mit Guido Westerwelle die dringend wichtige Bild-Schlagzeile "Wie schwul ist Deutschland?" diskutieren darf, ob man seinen Aachener Pferderennbahn-Geschäftsführer kennen lernen wird? Ungeklärt und auch egal.

Aber der Müggenmarkt bietet in diesem Jahr ein wahres Glanzlicht für testosterongesteuerte Landwirte und andere Interessierte - eine schicke Frau wird sich mit den 3 M's schmücken können: Es ist erstmals die Wahl einer „Miss Müggenmarkt“ geplant. Dabei ist wichtig: Die Teilnehmerinnen müssen müssen sich in normaler Straßenkleidung sowie im Disco-Outfit auf dem Laufsteg präsentieren. Außerdem sollen sie einen Walzer und einen Disco-Tanz zusammen mit einem männlichen Partner zeigen. Schließlich muss die angehende „Miss Müggenmarkt“ drei Tassen Tee auf einem Tablett servieren. Die Bewertung erfolgt durch eine Jury. Wer die meisten Punkte erhält, ist Siegerin. Der 1. Preis sind 200 Euro. Anmeldeschluß für die Veranstaltung ist Freitag, der 30. Juli.

Falls also die gut aussehenden Frauen unter Euch Discofox und Walzer tanzen sowie Tee servieren können und lieber 200 Euro absahnen wollen, als Geld für hervorragende Bands auf einem schicken Festival auszugeben: Ab nach Jippjapp! A 28, den "Ostfriesenspieß" in nördlicher Richtung, Emden/Leer, fahren, Autobahnabfahrt Bingum-Jemgum runter (vor dem Emstunnel), dann links in Richtung Jemgum, Ditzum, Hatzum, Critzum und Pogum fahren und Miss Müggenmarkt werden.

Ich werde wohl keins von beidem machen können. Für die Miss Müggenmarkt bin ich zu männlich und ich möchte mit keinem männlichen Partner Tänze vorführen. Unpraktisch ist vor allem, dass ich zum Müggenmarkt auch gar keine Lust habe, geschweige denn Geld. Und das Geld lässt mich leider auch das Haldern ausfallen lassen... grmpf.



Was passieren kann, wenn man Baumstämme und Krokodile verwechselt

Nicht alles, was ein Baum zu sein scheint, ist ein Baum. Manchmal ist es auch ein Krokodil. Nun braucht man nicht hinter jeder scheinbaren Eiche, Buche oder Esche bei einem Waldspaziergang zu vermuten, dass es eigentlich eine bissige Ur-Echse ist, die einem gleich die blinkend scharfen Zähne in die Haxen rammt. Aber... wer weiß?

Trotz allem soll das hier kein Plädoyer für Paranoia sein.

Wenn aber tatsächlich ein vermeintlicher Baumstamm sich als Krokodil entpuppt, kann es schmerzhaft werden:

Auf der Suche nach einem verlorenen Ball ist ein Golfspieler bei Kuala Lumpur in Malaysia von einem Krokodil gebissen worden.

Der Geschäftsmann Hong Kee Siong hatte das über fünf Meter lange Reptil für einen Baumstamm gehalten und darunter den Ball vermutet.

Das Krokodil biss ihm daraufhin ins Bein und versuchte, ihn in einen Tümpel zu ziehen. Erst nach mehreren Hieben auf den Kopf ließ die Panzerechse von ihm ab. Der Mann verklagte den Golfplatzbesitzer.

Die große Welt im kleinen Ostfriesland, Nachtrag

Das Projekt "Wir holen uns die Welt nach Ostfriesland" hat größere Ausmaße, als ich bisher vermutet habe:

Transvaal, Provinz in Südafrika an den Flüssen Oranje, Vaal und Limpopo, ist als Vorort von Emden eingemeindet worden. Bemerkt habe ich es erst kürzlich.

Ostfriesland, das globale Dorf.

Donnerstag, Juli 22, 2004

Wir lernen dazu, Episode I

In juristischem Deutsch nennt man einen Stromschlag eine elektrische Körperdurchströmung.

Mittwoch, Juli 21, 2004

8 9 7

Mich würde mal interessieren, wofür die Zahl links oben steht. Sie kam plötzlich, ist seitdem geblieben und hat noch nicht berichtet, zu welchem Zweck sie aufgetaucht ist, und ob es vorteilhaft für irgendwen ist, dass sie plötzlich da ist.

Gewürzte Zukunftskürze

Ich sollte in Zukunft schneller auf den Punkt kommen. Kürzere Texte schreiben. Irgendwie werden es immer wieder ganze Textberge bei mir. Ich gelobe Besserung.

Dienstag, Juli 20, 2004

Darmentleeren, niedere Intelligenzen und sieben Cent mehr

Manchmal ist es wirklich vorteilhaft, mit Psychologiestudentinnen zusammen zu wohnen. Zuallererst habe ich grad fabelhaften Milchreis mit Erdbeeren serviert bekommen, spontan frisch gekocht. Zum anderen lernt man auch einiges, wenn man sich mit ihnen unterhält.

Und man kann das Erlernte direkt anwenden, wenn man von magenkranken Freunden, die in Ostfriesland mit Bauchschmerzen im Bett liegen, von momentanen Almbewohnern und deren Talkshow-Erlebnissen erfährt.

Doch bevor es immedias res geht, eine Richtigstellung: Ich bekomme nicht 70, sonder 77 Cent Essenszuschuss und zwar nur an den Tagen, an denen ich mehr als sechs Stunden arbeiten werde. Wie viele das sein werden, weiß ich noch nicht. Ist aber ja eigentlich auch reichlichst egal. Ich freu mich riesig drüber, und bin auch glatt schon ein wenig aufgeregt. Es ist doch schließlich wichtig, dass es Spaß macht und was bringt. Und da bin ich bester Hoffnung!

And now back to something completely different:

Was ich gelernt habe:

Der Durschnittswert menschlicher Intelligenz liegt bei einem Wert von 100. So weit, so wenig überraschend. Von diesem Mittelwert unterscheiden sich natürlich die Intelligenzquotienten der individuellen Tespersonen in den meisten Fällen. so hat die Psychologie Standardabweichungen in 15-Punkte-Schritten festgelegt. Nach unten heißt das dann: 100->85->70->55->40->25->10... kommt dann "minus 5"? Nach oben geht es ebenfalls in Fünfzehnerschritten.

97% aller lebenden menschlichen Intelligenz befindet sich innerhalb des Bereiches von jeweils zwei Standardabweichungen nach oben und unten, deren Intelligenz liegt also zwischen 70 und 130. Und jetzt geht's auf die Alm.

Dort fristen, zwanghaft atavistisch, der doofe Choreographenvollpfosten Detlev D! Soost und andere, wie ich hörte, prominente Menschen, deren Schicksal, Existenz und Wirkungskreis mir entweder bisher nicht noch gar nicht bekannt oder überraschend egal war, ein fragwürdiges Dasein in irgendeinem Bauernhof, wo sie grünen, fettschleimklebrigen Kot aus Schweinedärmen drücken müssen, Höhenangst überwinden und in 100 Meter tiefen Schluchten Enzian oder Edelweiß oder irgendein Alpengewächs pflanzen und ähnlich sinnvolle Tätigkeiten verrichten dürfen.

Ich gebe zu: Ich habe mir die Sendung heute angesehen. Eine Viertelstunde lang.Ich habe mich gefragt, warum. Bisher habe ich noch keine Antwort. Es mag einen Grund gegeben haben.

Ich zweifle allerdings daran, dass ich dazu nochmal Lust habe. Spannend ist es nicht unbedingt.

Auf der Alm wohnt wohl erst seit kurzem auch Lorenzo. Ein von einigen Menschen niedlich gefundener junger Mann, verblüffend braun mit gekonnt geschwungener Haartolle über der schokoladigen Stirn, mit homöoerotischem Sprachduktus, weichem Herzen, der "noch etwas wärmer werden will", panische Angst vor Krabbeltieren hat, sich wider erwarten nicht die Fingernägel lackiert, kokett kichert, mit Schmutz nichts anzufangen weiß, warscheinlich nie als kleiner junge Regenwürmer aufgegessen hat und kokett die Finger abspreizt, wenn er aus einem Handzug-Grundwasserbrunnen einen Becher mit kühlem Nass füllt.

Vor kurzem hat Lorenzo über das Fernsehen eine neue Freundin gesucht. Er ist nicht fündig geworden. Über Gründe wird hier nicht spekuliert. Jetzt wohnt er auf der Alm.

Bevor er auf die Alm zog, zwischen all die anderen Menschen, war Lorenzo, wie Hilmar erzählte, bei Arabella in einer Talkshow. Gestern. Die Sendung hieß: "Superstar mit Superhirn! Lorenzo macht den IQ-Test".

Infotext zur Sendung von Pro7.de:

"Heute wird bei Arabella den Gästen in Sachen Intelligenz richtig auf den Zahn gefühlt! Unter anderem werden sich Superstar Lorenzo, Big-Brother Christian, der „Nominator“ und die amtierende Miss Bayern bei einem IQ-Test unter Beweis stellen. Wer wird am Schluss den niedrigsten IQ entgegennehmen müssen? Wer geht, vielleicht auch unerwartet, als klügster Kopf hervor?"

Doch scheinbar ist nicht alles super, was super heißt. Denn Lorenzo erreichte einen Spitzen-IQ von sage und schreibe 66! In Worten sechsundsechzig. Miss Bayern hatte 78 und der Christian immerhin 133.

Er gehört also nach Bines Definition zu den 3% außerhalb zweier Standardabweichungen. Und zwar unten. Miss Bayern hat die untere Intelligenz-Schallmauer knapp verfehlt.

Ich glaube, Forrest Gump hatte einen IQ von 75. Das war auch nicht viel. Und ich habe gehört, dass man unter einem IQ von 70 keine Kinder eigenverantwortlich großziehen darf. Es täte mir Leid für Lorenzo. Mag auch nur ein Ausrutscher gewesen sein, aber es scheint schon grenzdebil zu sein.

Interessiert hat das alles hier wahrscheinlich eher keinen.

Randnotizen:

- Die SZ-Reihe ist fantastisch.
Elias Canetti - Die Stimmen von Marrakesch - traumhaft!
James Joyce - Porträt eines Künstlers als junger Mann - auch grandios!

überhaupt - Superaktion!

- Meine Ideenskizze für die Magisterarbeit ist auf angeregt-interessiertes Wohlwollen gestoßen und so abgesegnet worden. Klasse.

- Die Spanischklausur war durchaus machbar. War nach knapp 15 Minuten fertig.

Blinde Melonen gegen unaufhörlichen Niederschlag

Die ganze Welt hat in kilometerlangen Trauerzügen und stundenlangen Elegien dem Ende von Ronald Reagan nachgetrauert. Dem Ende des Regens hingegen werden wohl die wenigsten nachtrauern, momentan. Ich will Sonne, knackige Bräune und im T-Shirt eisessen und nicht klamm, frierend und frustriert in nasskalten Wassermassen versuppen!

Ich wünsche mir "No rain" von Blind Melon. Vielleicht hilft's... wenn nicht - nettes Lied gehört. Momentan kriegt ja noch eher Phil Collins seinen Wunsch...

Sonntag, Juli 18, 2004

Wenn man Gott nicht nur den Hals umdreht...

Der englische Gott ist ein umgedrehter, rückwärtiger Hund. Der deutsche Gott ist ein rückwärtiger Ttog. Was auch immer das sein mag. Klingt außerirdisch und erinnert entfert an Kinderprogramm auf Super RTL. Nicht alles, was göttlich ist, taugt als Palindrom.

Samstag, Juli 17, 2004

Flut

Hier eine spontan aus einer ICQ-Konversation entstandene Kurzgeschichte (ohne Omas Brotmesser)... Aufgabe war - Du kriegst 5 Stichwörter, bastel daraus eine Geschichte, fix!

1) autopilot
2) wasserflasche
3) haarbüschel
4) ölheizung
5) lendenschurz

Und hier ist mein Ergebnis:

Er fuhr die B 70 in seinem Kombi in Richtung Süden, rechts von ihm erhob sich düster und gewaltig der schemenhafte Schatten der riesigen Müllhalde von Breinermoor, bedrohlich, darüber wogte der traurig-ruhige langsam dunkler werdende Schein des sterbenden Tages. Die linke Glühbirne seiner Armaturenbrettbeleuchtung hatte einen Wackelkontakt.

Die sanfte Schönheit ihres Gesichtes kam ihm vor Augen, während er zugleich traurig und entrückt in das Abenddunkel starrte. Es fiel ihm schwer, die Straße zu fixieren, er schaltete kurz die Innenbeleuchtung an, griff nach der Wasserflasche, nahm einen Schluck. Das Wasser schmeckte staubig, abgestanden, fad, und seine emporkletternden Erinnerungen, an das was geschehen war, verliehen einen bitteren Nachgeschmack, der ihm beinahe feurig in der Kehle brannte und sie gleichzeitig zuschnürte. Er warf einen kurzen Blick auf die Karte, um die weitere Fahrtroute zu überprüfen. Es war noch weit. Gern hätte er einen Autopiloten gehabt.

Er dachte an sie, sie, deren Körper er jetzt roch, ein wilder, schmachtender Geruch. Ihr wohlig warmer Körper an seinem, mit dem vereinigt er sanft pulsierend sich ganz gefühlt hatte, das heimliche sanfte Seidenbettuch, auf das ihr Körper seinen Duft genetzt hatte. Und doch war das Bild jetzt verzerrt, wie von fauligem Wasser. Sie hatten sich gestritten, weil er vergessen hatte, die Ölheizung auszuschalten, als sie in Urlaub gefahren waren. "ich kann auch kein Geld scheißen!" hatte sie gebrüllt. "Kann man sich EIN Mal auf Dich verlassen?" Es war, als seien eiskalte Wände aus dem Nichts zwischen sie geschossen. Sie hatte höchst teilnahmslos "tschüs" gesagt, unbewegt, unnahbar, beiläufig.

Er konnte sich nicht mehr konzentrieren, hielt am Straßenrand, stieg aus. Den Kopf klarbekommen. Zu seiner rechten nahm er durch das Dunkel eine Pforte war, die Eingang zu einem Park zu sein schien. Ein wenig Spazieren gehen könnte nicht schaden. Riskiert zumindest weniger Menschenleben, als vor emotionaler Zerwühlung berstend sich beinahe blind für alles Äußerliche durch den Straßenverkehr zu bewegen. Ihm fiel ihr Haarbüschel ein, das er noch in seinem Portemonnaie stecken hatte. Wehmütig zog er seine Geldbörse heraus, nahm das Büschel Haare, begann zu weinen, stampfte wütend mit dem Fuß auf, schlug seinen Kopf gegen die knorrige Rinde einer Eiche, trat gegen eine undeutlich im Dunkeln wahrnehmbare Bierdose zu seinen Füßen, erschrak über die Lautstärke, das blechernde Scheppern der Dose, wie sie über den Kiesweg rollte.

Die Parkbäume waren regenschwer und scheinbar für ewig fiel der Regen, hart und kalt klatschte er auf seinen Pullover. Es fröstelte ihn. Er kam an einen Weiher, der grau dalag wie ein Schild, auf der Mitte zwei Schwäne, das Ufer hell, schleimig von Algen. Die beiden Schwäne umarmten sich sanft, getrieben von dem grauen regnichten Licht, den nassen, schweren Bäumen, nicht leidenschaftlich aber voller Zartheit.

Leda? Hatte er hinter sich gelassen. Doch ob Zeus ihr ähnlich erschienen war?

Eine Träne rann stumm seine Wangen hinunter. "Kann man sich EIN Mal auf Dich verlassen?" Natürlich konnte man. Warum sah sie das nicht, warum verstand sie nicht, was er Ihr zeigen wollte, wieso vertraute sie ihm nicht mehr, sah hinter jeder simplen Aussage einen Dämon, der ihr scheinbare Weisheiten einflüsterte darüber, was er eigentlich gemeint hätte. Auf dem Boden im Dunkel lag eine zertretene Banane.

Wie es das Klischee wollte, hatte er auf ihrem letzten gemeinsamen Urlaub, sie waren nach Hawaii geflogen, ehe die Ölheizung zu einem nicht ernstzunehmenden aber ernsthaften Problem wurde, einen Bananenrock getragen, als Lendenschurz. Sie hatte ihn angestrahlt und gelacht. Er hatte sich über den Erfolg seiner Albernheit gefreut. Das sanfte Licht der Sonne, das weiche blau des Meeres, sie, er war glücklich gewesen.

Seine Schuhe knirschten im Kies, er hob die Augen, blieb stehen, es war dunkel, seine Nase begann von den Tränen zu laufen, er brauchte ein Taschentuch, fand keins, nahm seinen Ärmel. Gedrungen kauerte er sich auf einen feuchten Steinbrocken, starrte auf den See, die Flut seiner taubtrüben Gedanken stieg, er verharrte, während der Regen immer noch unaufhörlich herabprasselte. Es erschien ihm unglaublich laut. Finster wurde sein Blick. Er fror, sein ganzer Körper war feucht von kaltem Regen. Er hätte gern schlafen wollen. Müde war er.

Der Weg zurück zum Auto erschien ihm unvorstellbar. Zu schwer hingen die Kleider an ihm, zu hoch schlugen die Wellen seiner schweren Gedanken und lähmten ihn, als wären seine Füße einbetoniert. Er blickte zu Boden, still.

Freitag, Juli 16, 2004

Kommentarium

Wer will, kann jetzt frei von der zirrhosierten Leber weg seinen Senf (wahlweise auch Wurzelbürsten oder Badezusatz) zu dem abgeben, was ich hier von mir gebe. Ich dachte, ich hätte die Kommentarfunktion schon lange eingeschaltet, war sie aber scheinbar nicht. Nun gut...
 
Lasst hören, was Ihr hören lassen wollt. Wenn Ihr namentlich kommentieren wollt, müsst Ihr Euch scheinbar kurz anmelden. Wenn Ihr unter "anonymous said..." laufen wollt, dann klickt auf den kleinen Link unter dem Anmeldefeld der Kommentare.
 
Mann, ist das ein kompliziertes System hier! Kann ich nix für!

Dinosaurier in der rosafarbenen Stadt und Erdnussflip gewordene Röstbohnenaufgussgetränke

Ich fürchte, es steht schlimmer um meine Aussprache, als ich bisher dachte. Im Zug nach Mainz heute meinte ich im Bistro einen Kaffee bestellt zu haben, bekam aber nichts, was einem Kaffee ansatzweise ähnlich sähe, in die Hand gedrückt.

Es knisterte verblüffend laut, wenn man es schüttelte raschelte es, es dampfte weder, noch schien es flüssig zu sein und nach Kaffee roch es auch nicht. Es war eine Tüte Erdnussflips. Kein Kaffee, Flips. Aber keine Flips sondern Kaffee dachte ich bestellt zu haben.

Auf Nachfrage wurde mir auch bestätigt, dass es kein Kaffee sei, den ich da in Händen hielt. "Abbär müsse schie sssage, wänn Schie Kaffä chabbe wolle..."

Ich dachte, ich hätte. Nun gut, das Missverständnis war schnell geklärt und ich sah mich flugs im Besitz eines warmen, dampfenden Kaffees, der nicht knisterte und auch nicht raschelte, wenn man ihn schüttelte.

Mainz ist sehr rosa. Man umziert gern Fenster mit Stuck und malt den rosa an, nimmt rosafarbene Backsteine und baut daraus Karnevalsmuseen und Kirchen. Mein zukünftiges Domizil ist nicht rosa sondern grau und hoch. Mit blauen Rallyestreifen am Dach. Und einem komischen Anbau nach vornehin, den ich noch nicht verstehe. Ein fünfzehnstöckiges Hochhaus, das den leicht maroden Charme der inzwischen einige Jahrzehnte vergangenen Zweckbaumodernität der späten 60er Jahre atmet.

Dafür gibt es keine quetsch-engen Bettabwandlungen mit Kippscharnierrückenlehne, wie damals an der alten Sternwarte. Das ganze Viertel atmet den Betonbaucharme vergangener Jahrzehnte, aber das darf es zwei Monate lang auch.

Nur zwei Minuten zu Fuß ist ein Dönermann, die Mensa ist auch nicht weit. Irgendwo da werde ich mir von 70 Cent Essenszuschuss einen Snickers kaufen.

Im Mainzer Bahnhof wird man von einer helltürkisblauen Kiste begrüßt, etwa drei mal drei Meter groß, die an den Seiten Schaukästen hat, mit Eisenstäben vergittert. Dahinter stehen winzige Plastik-Dinosaurier, wahrscheinlich in Craiova oder Witebsk von Frauen mit tief zerfurchten Händen bemalt. Sie stehen dichtgedrängt nebeneinander, aufgereiht wie Hühner in einer Legebatterie. Durch die Eisenstäbe werden sie an der Flucht gehindert.

An einer Seite der Kiste ist kein Gitter, sondern ein Verkaufstresen. Wenn man möchte kann man da winzige Plastikdinosaurier kaufen. Oder auch größere. Es gibt auch Plüschexemplare, Dinos auf Papier zum Malen nach Zahlen, Schlüsselanhängersaurier und in PVC gegossene Nachbildungen fleischfressender und vegetarischer Riesenechsen als Briefbeschwerer.

Vor dem Bahnhof stehen größere Dinosaurier. Vielleicht sind auch sie aus Plastik. Zumindest sind sie nicht vergittert, scheinbar können oder wollen sie nicht fliehen. Toller Werbespruch: Wer Dinosaurier mag, wird den Mainzer Bahnhof lieben.

Im Gegensatz zu vielem anderen in Mainz waren allerdings nur wenige bis gar keine Dinosaurier rosa. Zusammenhang zwischen Dinosauriern und Hauptbahnhöfen: bisher unbekannt. Vorschläge?

Habe vor der Rückfahrt am Mainzer Bahnhof Kaffee bestellt und keine Erdnussflips bekommen.


P.S.: Ich mag Mütter nicht, die um acht Uhr morgens einen aus dem Bett telefonieren, wenn man erst um fünf Uhr angetrunken in die Federn gefallen ist.

Donnerstag, Juli 08, 2004

Die öffentlich-rechtlichen Sender sind spendabel! Als Hospitant bekommt man zwar keinerlei monatliche Vergütung/Gehalt, aber immerhin 70 Cent Essenszuschlag pro Tag. Großartig! Ohne Gebührenerhöhung hätte es wahrscheinlich nur 20 Cent gegeben.
Ich glaube, dass Jörg Wontorra viel friert. Und Jörg Wontorra glaubt an das Thermokonzept. Deswegen hängt er an Münsteraner Bussen, lächelt, und hofft, dass auch wir bald an das Thermokonzept glauben.

Dienstag, Juli 06, 2004

Metallisches Schweigen

Ein in unserer Gesellschaft meist mit breitklingigem Messer untergebuttertes und aufs Sträflichste missachtetes Problem ist die Schweigsamkeit von Ritterrüstungen. Aus schwerem Eisen gegossen, stehen sie oftmals als stumme Zeitzeugen in staubigen Ecken von Museen, klingen blechern und hohl, wenn man dagegenklopft, reflektieren nur noch matt die letzten Sonnenstrahlen am Feierabend; schon lange hat sie niemand mehr blankpoliert.

Vor kurzer Zeit in Speyer war dann aber Schluss. Ein Passant hatte die Wortlosigkeit einer stillschweigend und reglos dastehenden Ritterrüstung satt. Er hatte sehr viel Bier getrunken. Und Schnaps. Vielleicht auch noch ein Glas Wein. Gern hätte er jemandem erzählt, wieviel er an diesem Abend getrunken hat. Es war schon früh morgens, der Himmel hellte sich langsam auf, die Stadtwerke hatten soeben die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet. Es war gespenstisch still auf den Straßen. Am Horizont nahm er verschwommen die Lichter eines Lastwagens wahr.

Unentschlossen bog er nach rechts ab in eine Seitenstraße, auf der rechten Straßenseite sah er vor einem Geschäft eine dunkle Gestalt stehen. Endlich jemand, dem er sich mitteilen konnte. Er eilte über die Straße, durch den schnellen Schritt begann sein gesamtes Blickfeld zu wackeln. Ihm wurde schwindelig.

Ins Dunkel hinein lallte er "Hey!". Keine Antwort. Die Gestalt blieb regungslos stehen. Wirr und ungeordnet erschienen Sätze in seinem Kopf, zum Ordnen war keine Zeit mehr, wer weiß, wie lange die Gestalt noch da sein würde, man musste die Chance nutzen. Wem sollte er sich sonst mitteilen? Er redete sich in Rage, verlangte nach Antwort, Bestätigung. Nichts. Kein Hauch, kein Laut, keine Gegenreaktion.

Das brauchte er sich doch nicht bieten zu lassen! Man begegnete ihm nicht einfach mit Schweigen! Vor Wut überquellend schlug er zu. Der Oberkörper der dunklen Gestalt, die nicht einmal auswich war hart kalt und überraschend unbekleidet. Seine Hand schlug auf Metall, so fühlte er. Die Gestalt begann sich ganz langsam nach links zu bewegen, dann schneller, schlug auf dem Boden auf. Mit unglaublich lautem, metallsischem Scheppern und Getöse.

Schlagartig war er ernüchtert. Er hatte versucht, mit einer Ritterrüstung zu diskutieren. Sie hatte nicht geantwortet. Jetzt lag sie, in Einzelteile auseinandergebrochen auf dem Gehsteig. Im ersten Stock öffnete sich ein Fenster, der Ladenbesitzer schrie: "Halt! Stehenbleiben!" Er blieb stehen in benebelter Verwirrung. Auch er hatte das Gefühl, beinahe zu fallen, schwankte, der Stand wurde unsicherer. Er sackte zusammen. Als er aufwachte, waren Männer in Uniform um ihn. Er saß in einem VW-Bus, die Fahrerbank war durch ein Gitter abgesperrt. Der Polizist ihm gegenüber sagte: "Was haben Sie sich denn dabei gedacht?" "Ich wollte nur mit ihm reden, und als er nicht geantwortet hat, bin ich sauer geworden."

Freitag, Juli 02, 2004

Eine sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.


Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.


Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.


Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner