Was ist hängen geblieben von den vielen Eindrücken, die in Finnland auf mich eingeprasselt sind?
Die
Spiel-Automaten. In beinahe jedem Supermarkt steht hinter den Kassen am Ausgang eine Phalanx von oft mehr als einem halben Dutzend einarmiger Banditen, klötert, dudelt. Zitronen, Dollarsymbole und andere Zeichen rasen in Dreier-Reihen um ihre eigene Achse. Selten klimpert Geld in den Auswurfschacht. Trotzdem sind fast alle besetzt. Zuweilen bilden sich regelrechte Schlangen von Spielwütigen. Erstaunlich.
Geldautomaten heißen in Finnland "
Otto".
Über den Spülen hängen oft
Abtropfschränke, in denen man in mehreren Etagen das Abgewaschene einstellen und trocknen lassen kann.
Zum Frühstück sind
Essig-Gurken sehr verbreitet, sie werden - ebenso wie
Reisbrei - aber auch sonst zu allen Tageszeiten liebend gern verspeist.
Rohe Erbsen, die literweise abgefüllt werden, finden ebenfalls reißenden Absatz.
Innerhalb der Supermärkte überrascht das wirklich immense Angebot an
fettarmen und fettfreien Milch-Produkten. Die Kühlregale wimmeln von niedrigsten Prozentzahlen: 0,0%, 0,5%, 1,0%... Selbst wer Halbfettmilch kauft, wird womöglich noch als Fettjunkie gebrandmarkt. Butter? Bitte laktosefrei! Wenn überhaupt! Zigfach entfettete Margarine ist Trumpf. Joghurt? Bitt’schön! Gern! Aber auch den bitte ohne geschmackstragende Dickmacher. Vielleicht wird so der Umstand ausgeglichen, dass in den Fleisch-Abteilungen der Märkte überraschend viel Fettschwarte an den Stücken klebt, nicht selten die Hälfte der gekauften Masse ausmacht.
Vielleicht wird auch die Lust am Schlickern so kompensiert. Finnen scheinen ein immenses Faible für
Süßes zu haben. Zuckerschübe gegen die Dunkelheit? Womöglich. In nahezu jedem Geschäft gibt es riesige Selbstbedienungsburgen mit zig Dutzend Fächern voll bunter Bonbons, Fruchtgummischnüre, vor allem aber kiloweise unterschiedlichster Lakritzsorten - lakritsi und salmiakki (Salmiak/Salzlakritz).
Lakritz scheint zu einem der Hauptnahrungsmittel in Finnland zu zählen. Es gibt Lakritz-Donuts, Lakritz-Schokolade, Lakritz-Kekse, Lakritz-Eis, Lakritztabak für Pfeifen, Lakritz-Soße als Fleischbeilage, Lakritz-Adventskalender, Lakritzpaste als Brotaufstrich... Es zudem wird angewandt für chemische Analysen, in der Medizin, als Lötflussmittel in Trockenbatterien und sogar, um T-Shirts zu bedrucken. Allzu gern wird Salzlakritz-Sirup oder Salmiak auch mit Vodka gemixt und als "Salmiakkikossu" geschlürft. Manche sagen, das Zeug habe die Nation zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ähnlich bedroht wie der Absinth die Bohème in Frankreich.
Gewürze kann man in Finnland im Tetra-Pak kaufen.
So teuer
Bier dort auch ist: Der Preis fällt drastisch, je größer die Menge ist, die man auf einen Schlag kauft. Kostet ein kleiner Sechser-Träger noch gut sechs Euro, kann man den Preis deutlich drücken, wenn man gleich 24 Dosen auf einen Schlag kauft. Ob das Gefühl, zu sparen, wenn man mehr trinkt, nicht vielleicht den Absichten hinter der hohen Alkoholsteuer zuwider läuft, soll hier nicht interpretiert werden. Höherprozentiges als normales Bier oder alkoholreduzierte Weine können indes nur zu horrenden Preisen in speziellen Schnaps-Läden gekauft werden.
Betrunkene, schweigsam vor sich hin torkelnde Finnen in der Stadt zu erspähen, dauerte zumeist nicht lang. Manche taumelten auch durch Busse und sangen Lieder von Chromosomen. Sie hatten Freude daran. Ob meine Stichproben repräsentativ waren? Schwer zu sagen. Dass auch eine ausgeprägte Begeisterung für Sauf-Butterfahrten mit Fähren gen Schweden besteht, wird an anderer Stelle noch Thema werden.
Auch fällt die große Apotheken-Dichte auf. Kaum ein Straßenzug, in dem nicht „
Apteeki“ in grünen Lettern an einem Gebäude prangt. Zahlen darüber, wie oft Finnen erkranken im Europavergleich, kenne ich nicht. Aber wenn, gibt es zumindest zahlreiche Anlaufstellen, um Abhilfe zu ergattern.
Mindestens so auffällig ist die überraschend hohe Zahl von lamellenverdunkelten Ladenbüros, über denen „Hautaustoimisto“ prangt.
Bestattungs-Unternehmen. „Grabes-Büros“, will man es genauer nehmen. In Turku wahrnehmbar, erschrak die Anzahl vor allem in Tampere, wo sich allein auf dem ungefähr einen Kilometer langen Weg vom Hauptbahnhof zur Jugendherberge neun (!) solcher Institutionen fanden.
Eng verknüpft ist dies Phänomen womöglich mit „
Sisu“. Einem Begriff, der als unübersetzbar gilt und ungefähr mit „Kraft“, „Ausdauer“, „Beharrlichkeit“ oder auch „Unnachgiebigkeit“ – besonders in anscheinend aussichtslosen Situationen –umschrieben werden kann. Als kulturelles Konzept ist Sisu für Finnland in hohem Maße identitätsstiftend. Spätestens mit dem Winterkrieg gegen Russland, Anfang des letzten Jahrhunderts, begann man Sisu als besondere mentale Eigenschaft zu verstehen, die nur Finnen zueigen ist.
Und noch heute sind die drei „S“ für das finnische, kulturelle Selbstverständnis elementar: Sisu, Sauna, Sibelius. Und so heißen auch diverse finnische Produkte danach: nicht nur scharfe Lakritzpastillen, auch Panzer, Eisbrecher und schwere LKWs.
Doch zäh, unnachgiebig, ausdauernd und beharrlich zu sein, auch in ausweglosen Situationen, mentale Kraftakte von sich zu verlangen, kann auch zum Gefühl von Scheitern, Minderwertigkeit, Versagen führen. Und da werden wohl in manchen tragischen Fällen leider häufiger als wünschenswert Bestatter notwendig.
Einen Tango-Abend habe ich leider nicht erleben können. Bestätigen kann ich auch nur bedingt die ausufernde Begeisterung von Finnen für pathetischen
Heavy Metal. Langhaarige Kuttenträger mit T-Shirts, die mit völlig unlesbar verschnörkelten Schriftzügen und morbiden Motiven glänzen, fanden sich mehrere. Doch diejenigen, die sich für Hardcore-Techno, seicht schwubberndem R'n'B oder (auffallend oft!) Tokio Hotel begeisterten, schienen klar in der Mehrzahl.
Nahezu jedes Wohnheim, jedes Haus besitzt eine eigene
Sauna. Gut fünf Millionen Einwohnern stehen etwa zwei Millionen Saunas gegenüber. Auch in den Wäldern an der Ostsee ragen vielfach lange Holzstege hinaus über das Wasser, wohinein die aufgeheizten Körper zur Abkühlung springen. Was mich überraschte: Die Sauna dient durchaus auch der Körperreinigung und wird in Teilen sogar als Badezimmer-Ersatz gesehen oder mit dem Badezimmer zusammengelegt. Weil die Sauna als sauberster und hygienischster Raum des Hauses galt, wurden zumindest früher auch dort meist die Kinder geboren. Auch unter Geschäftsleuten ist angeblich üblich, sich in der Sauna zu treffen, um Entscheidungen zu treffen. Selbstdas buddhistische Zentrum in Turku, das sich sehr umtriebig zeigt, nennt eine Sauna sein eigen. Auch meditiert wird - Gerüchten zufolge - darin. Wie genau finnischer Buddhismus aussieht und wieviel Durst nebenher hineinspielt? Keine Ahnung. Die Zeit war zu kurz für spannende Einblicke und Nahbegegnungen.
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