Die ersten waschwassergrauen Wolken sind in den Frühling gezogen und senken sich über die Dachfirste, um sich kalt und nass zu ergießen. Pollenallergiker jubeln, die zuletzt überbevölkerten Balkons verwaisen wieder ein Stück weit. Plötzlich halten viele sich wieder häufiger innerhalb der vier Wände auf. Und vielleicht findet sich da sogar etwas Zeit, das Datenkabel schwitzen zu lassen, die Boxen aufzudrehen und einmal mehr die Ohren zu spitzen, um sich für die neuesten Musiktipps begeistern zu können. Wie immer kann ich den Kauf der jeweiligen Original-CDs nur empfehlen.
Ein wahres Füllhorn genialer und hoch origineller Ideen, gewitzter und geschickt instrumentierter Arrangements, virtuos verzwirnter Popsongs und herrlicher Melodien finden sich auf "Trompe l'oeil", dem in meinen Ohren fast schon unverschämt großartigen neuen Album von den frankophilen Kanadiern
Malajube. Es rumpelt, taumelt, bricht auseinander ohne zu zerfallen und verzaubert und betört im selben Augenblick. Nichts ist, wie es scheint, alles hat mehr als einen Boden, aber was es ist, ist fantastisch. Ohren weit aufsperren, reinlauschen, lieben lernen und danach zum Plattenhändler rennen:
Montreal -40. Sie erinnern auch ein wenig an die ähnlich augenzwinkernd-verrückten und versponnenen
Islands, die
hier spontan gleich noch im Anschluss kennen gelernt werden können mit ihren rohen und zugleich verspielten, ungeschliffenen Diamanten. Die Islands wiederum nannten sich ja zuvor
The Unicorns und waren nicht weniger irrwitzig und famos, wie sich
hier nachhören lässt.
Fast schon unverschämt unscheinbar, auf spektakuläre Weise unaufdringlich und zugleich berückend schön sind die Songs von
The National. Lieder, gut abgehangen wie edler Parmaschinken, vollmundig, sanft und in Ruhe gereift wie ein teurer Rotwein. Irgendwo zwischen Leonard Cohen, American Music Club, Nick Cave und Wilco. Fast beiläufig brennen sich die kleinen Mikro-Epen ein, bleiben die feinen Gitarrenlinien, das perlende Klavier, die luftigen Grooves, sanften Bläser und der schnurrende Bariton von Matt Berninger hängen.
Hier lassen sich zwei tolle Songs der Vorgängeralben kennen lernen. Wichtiger aber noch: Mit
"Boxer" erscheint in knapp zwei Wochen ihr großartiges neues Album, das ich nur zum Kauf empfehlen kann. Und mit
The fake empire gibt es hier den ersten Song zum Reinschnuppern.
Um kein falsches, sondern um das Ottomanische Imperium geht es im Song von
A Hawk And A Hacksaw, dem neuen Projekt des ehemaligen
Neutral Milk Hotel- und
Bright Eyes-Schlagzeugers Jeremy Barnes. Nachdem auch er für die famos rumpelnde, weltmusikalische Balkancountry-Platte von Zach Condons
Beirut (siehe
hier für Anspieltipps) hinter der Schießbude saß, scheint er auf den Geschmack gekommen zu sein. Während Condon für Beirut seine Songs aus dem Gedächtnis im Anschluss an seine Balkanreise schrieb, sind Jeremy Barnes und seine Mitstreiter stracks nach Rumänien gedüst, um direkt vor Ort mit den Blechblasderwischen, der Speedpolka-Legende
Fanfare Ciocarlia ihre Titel einzuspielen. Wild wirbelnder Klezmer trifft Country, Punk und Rock. Neugierig?
God bless the Ottoman empire! und
Zozobra.
Auch
Björk bringt dieser Tage ein neues Album heraus - "Volta". Davon gibt es vorab noch nichts Schillerndes zu hören. Beim Buddeln habe ich aber immerhin die sehr fein versponnene Nummer
Verandi vom Vorvorgänger "Vespertine" wiederentdeckt. Wer's noch nicht kennt, kann es nun prompt ändern.
Fluffig zarten Sommersonnenpop mit unschuldiger Mädchenstimme und cleveren Arrangements bieten
The Postmarks mit
Goodbye. Ähnlich gut gelaunt, aber weit druckvoller und mitreißender poltern
The Lodger, eine der neuesten Hype-Bands von der "Insel", durch ihre beschwingten Punkpopnummern wie
You got me wrong. Auch von der Insel (genauer: von einer Insel vor der Insel, der Isle of Wight) kommen
The Bees, die ansonsten aber mit ihren wuseligen Kollegen aus Leeds kaum etwas verbindet. Vielmehr machen sie herrlich gestrigen, leicht psychedelisch angehauchten und schleiervernebelten Indierock. Tief entspannt, enorm wandelbar und zugleich quicklebendig, mal mit sägenden Gitarren, oft mit zigstimmen Himmelschören, manchmal auch mit brodelndem Gänsemarsch-Arschwackel-Funk. Auch sie haben mit "Octopus" just ein neues Album draußen. Eine ihrer vielen Facetten zeigen sie
hier.
Eine kleine Träne hatte ich am Rande verdrückt für
David & The Citizens, eine der feinsten Indie-Rockbands der letzten Jahre. Anscheinend ohne Grund. Denn wie völlig überraschend in den Kommentaren zu lesen ist, stimmt das Gerücht, dass sie sich aufgelöst hätten und das ich einer Meldung einer Musikzeitschrift entnommen hatte, wohl nicht. Wärmstens empfehle ich hier
The end, eine famos quirlige Nummer mit dengelnden Fuzzgitarren, wumpernden Tubas und einem Hauch von Pulp Fiction.
Sehr feiner deutscher Indie-Rock, nicht mehr so sehnig und rumpelig wie früher, stattdessen aber zupackender und geradliniger und mit großem Pop-Appeal, kommt von
Pale und hier gibt es die Hymne
You wanna be so good vom aktuellen Album "Brother. Sister. Bores!". Auf demselben Hamburger Label, dem feinen
Grand Hotel Van Cleef, tummelt sich auch ein neuer, talentierter Songwriter, der sich
Ola Podria nennt, und dessen Song
Cindy Ihr hier für Euch entdecken könnt. Nicht aus dem hohen Norden, sondern aus Wiesbaden kommen die immer noch viel zu unbekannten, aber sehr talentierten
Scut, die just ein wirklich gelungenes neues Album vorgelegt haben. Davon gibt es leider nichts zum kostenlosen Kennenlernen, wohl aber eine ältere Nummer, eine zarte, zerbrechliche Ballade:
You love me 'cause I'm always lateBeinahe sensationell ist auch das Comeback der Indierock-Legenden von
Dinosaur Jr. gelungen. Höchst vital und überraschend frisch sind J Mascis und seine Companeros zurückgerauscht auf die Bühnen der Welt. Und
hier kann man sich mit "Beyond" davon überzeugen. Weit weniger legendär aber auch klasse sind die Schweden von
Surrounded, die hier mit
Safe tomorrow sun angeschippert kommen.
Ein tolles neues Album haben auch
Blonde Redhead hingelegt. Zu hören gibt es hier davon
23. Selbiges gilt für die quirligen, cleveren Songs von
Birdmonster, die hier mit
All the holes in the walls vertreten sind.
Schrullig bis zum Anschlag, verquer, aber enorm faszinierend sind
Make Believe. Einen Einblick in ihren verschrobenen Kosmos gibt es hier mit
Pat tillman, emmitt till. Ebenfalls spinnert, einfallsreich, hoch energie geladen und vorwärts sausend ist der Schweiß treibende Rockquirl der
Klaxons, die ihre erste Single nach Thomas Pynchons genialem Romanmonstrum "Gravity's rainbow" benannt haben und hier mit
Atlantis to interzone angedüst kommen.
Nachtrag: Zusätzlich sei mit Dank an den famosen Musiktipp-Pionier
Uli noch heißestens
hierauf hingewiesen. Ein Videosammlung gewordenes Sammelsurium fantastischer Bands, die auf Kamera mitgeschnitten wurden.
Labels: Oles Musiktipps