Bildquelle: www.sonybmg.deEine synthetische Fanfare knattert aus den Boxen, und unter streicherschwangerem Getöse springt die riesige Videoleinwand an. Ein Kamerateam stolpert durch weißgetünchte Katakomben. Und da, plötzlich: Ein Flippers-Zettel an einer Tür. Sie öffnet sich für uns. Dahinter steht er, der Bernd. Seine Frau richtet ihm noch die Föhnwelle hinter den Ohren, schrägt die Haarspraydose und lässt noch etwas Festiger auf die güldengraue Haarpracht zischen. Bernd lächelt ins Objektiv, winkt und zupft die Bügelfalten seines kreischroten Anzugs mit den asiatischen Goldapplikationen glatt. Ein wenig wirkt er wie der roylose Siegfried aus Las Vegas nur ohne weiße Tiger und ohne operative Liftungsstraffungen. Ein winziges Doppelkinn baumelt vor seinem Kehlkopf.
Doch wir verlassen Bernd schon wieder und kurven zur Kabine nebenan. Tür auf. Guck an. Der Manfred. Er streichelt seinen Bauch, rückt die Aufschläge seines aralblauen Glitzerpaillettenjacketts, winkt und telefoniert noch. Und auch den Olaf holen wir noch ab. Der tuschelt noch ein wenig mit seiner Sonja und funkelt uns in silberner Paillettenjacke entgegen. Fast will dank der Kamera-Einblicke leise Boxkampf-Atmosphäre aufkommen. Nur dass die Protagonisten nicht zwei sondern drei sind und dass sie keine Gegner schlagen sondern uns mit Schlagern begegnen wollen.
Jetzt geht's lohoos...Die drei lustigen Zwei folgen unserer Kamera dann beschwingten Schrittes durchs Ganggewirr irgendwo in den Gebäudekomplexen, bekommen noch "a Glaserl Sekt", mit dem sie anstoßen, sich und uns einen wunderschönen Abend mit herrlicher Musik wünschen und an dem sie noch einmal kurz nippen, ehe sie in einem blauen Vorhang verschwinden. Und der führt direkt auf die Bühne. Auch die Hüftsteifsten hält es nun nicht mehr auf den Sitzen. Riesige Jubelwellen branden und brechen sich am Bühnenrand. Die füllige Dame vor mir quiekt noch vergnügter und fuchtelt ekstatisch mit ihrem Blinkflipper.
"Hallo Münster. Welt-klas-se! Ihr seid immer noch das tollste Publikum der ganzen Republik!", jubelt der Olaf. Die Menge glaubt ihm und legt noch eine Jubelschippe drauf. Auch die drei Begleitmusiker haben inzwischen Platz genommen. Ein schmächtiger Fratz hinter der Schießbude, der dem Manfred die lästige Rhythmusarbeit abnimmt, lugt zwischen seinen Plastikbecken hindurch. Der junge Herr am "Frontkeyboard" heißt Holger, hat einen Kinnbart, sehr lange Haare und trägt ein "Nightwish"-T-Shirt. Und der legt mit seinem Kumpan am Hinterkeyboard (Name ist der Redaktion entfallen) gleich los. Glockenhelle Keyboardzuckerwürfel purzeln aus den Boxen, das Schlagzeug wuppert mit dem lebendigen Schwung eines Plastikblumenstraußes hinterher. Dumm - tschack - dumm - tschack. Synthieschwaden glänzen hochpoliert, naturidentische Trompeten-Aromen werden zackig eingestreut. Der Manfred klöppelt auf seine beiden Frisbeescheiben ein. Den Takt halten muss er gottseidank nicht, es ist die Geste die zählt, seine Fans lieben ihn auch, ohne dass man sein Getrommel hört. Olaf schringelt eifrig auf der Gitarre. Was er spielt, weiß nur er selbst, schließlich gibt es keine Gitarren im Song. Zwischendurch unterbricht der Manfred sein Geklöppel, grinst in die Menge, demonstriert seinen geschmeidigen Hüftschwung, zeigt mit seinem Schlagzeugstock auf eine dauergewellte Dame und winkt ihr. Die fällt fast vom Hocker. Manfred hat auf sie gezeigt.
Das Publikumsblut gerät in Wallung, die füllige Dame vor mir schwingt die Hüften, versucht, den Takt nachzuklatschen, entscheidet sich aber bald für die vergleichsweise einfachere Aufgabe, mit ihrem Blinkdelfin zu wedeln. Mutter und Tochter daneben versuchen sich an die Discofox-Schrittfolge zu erinnern. Olaf schäkert mit den Frauen in der ersten Reihe. Die werden ganz rot, wenn er ihnen zuzwinkert. Die Videokamera verfolgt alles Treiben auf der Bühne und projiziert es in Großaufnahme auf die Riesenleinwand, so dass Oma Bilsenkötter aus Billerbeck neben der Hornbrille nicht auch noch ein Fernglas braucht, um ihre Lieblinge zu sehen. Das Live-Bild wird perfekt eigefasst von digitalen Bilderrahmen aus dem Computer, so dass je nach Song herrliche Herzen am Rand entlangschweben, Blumen erblühen, hübsche Damen sich räkeln oder Sonnenuntergänge schimmern.
Man muss schon sehr genau hinhören...Gleich mehrfach nacheinander spielen die Flippers denselben Song. Scheint es. Er heißt nur immer ein wenig anders. Wobei: Irgendwas mit "Liebe", "Herzen", "Traum", "Rose" oder "Insel" ist immer im Titel. Ich bewundere einige Damen im Publikum, die jede Textzeile des gesamten Abends auswendig mitsingen. Eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, bedenkt man den Detailteufel, dass nicht nur die Musik sondern auch die Texte den Regeln der "Minimal music" gehorchen: Permanente Reproduktion des Ewiggleichen mit klitzekleinen Variationen im Detail. Man muss schon sehr genau hinhören.
Zwischen den Songs halten die funkelnden Glitterboys auf der Bühne immer wieder Geschichts-Stunde. Dass sie gerne nach der Show nen Absacker trinken, erzählt Bernd, der blonde Engel. Er ist das ironiefreie Drittel der Truppe, der perfekte Schwiegersohn, der brave Pathosjünger mit dem reinen Herzen, dem es ein inneres Anliegen ist, mit seiner Musik Freude zu schenken. Und der Bernd verträgt nicht viel Alkohol, verrät er uns. So auch gestern. Und dann ist er nach dem Absacker nämlich betrunken vom Stuhl gefallen. Das Publikum johlt. Und dann haben der Manfred und der Olaf auf ihn gezeigt und gesagt: "Schau, der Olaf weiß immer, wann er genug hat."
Alle Hits spielen sie. Ihren ersten Oberkracher "Weine nicht kleine Eva" von 1969, der schon genauso klingt wie alles, was sie danach komponiert haben, natürlich auch "Die rote Sonne von Barbados". Wer Barbados war, kann die Dame schräg vor mir auf Nachfrage nicht beantworten, aber Schweißperlen purer Freude überglitzern ihr Antlitz. Und auch die Damen hinter uns sind ganz aus dem Häuschen. "Hey junger, schicker Mann", tippt mich die Mittvierzigerin mit der Ilona-Christen-Gedächtnisbrille hinter mir an und scheint meine Verkleidung ehrlich toll zu finden, "schunkeln sie ein bisschen mit mir?" Ich lasse mich beknien, habe aber in der Folge das Problem, mein Taktgefühl auszuschalten und den unberechenbaren Schunkelrhythmus der musikbezauberten Dame zu erahnen. Keine leichte Aufgabe.
Und plötzlich häufen sich die Tüten...
Einige geschliffen schillernde Schlagerdiamanten später ereignet sich dann tatsächlich, wovon man mir im Vorfeld bereits zugeraunt hatte. Eine Dame mit altmodischer Kurzhaarfrisur, zu Ehren des Abends in ein goldenes Kostüm gewandet, schiebt sich aus der Tiefe des Raumes mit drei goldenen Taschen und Freudentränen in den Augen an uns vorbei. Sie stöckelt vor zum rechten Bühnenrand, wird dann aber prompt aufgehalten von einem geldschrankigen Security-Guard. Sie muss die Taschen auspacken. Man muss vorsichtig sein in terrorverdächtigen Zeiten. Aber es ist alles ganz harmlos. Hervor zaubert sie drei goldene Oscar-Figuren. Aus jeder Tüte eine. Und das passt doppelt. Einerseits zu ihrem feschen Goldkleid, andererseits zum Titel des neuen Albums: "Du bist der Oscar meines Herzens". Mit Sicherheit haben die Figuren ein Heidengeld gekostet. Aber die Flippers sind ihrem Publikum eine Menge wert. Plötzlich hält der glitzernde Schlagerreigen inne, und es ist Bescherungszeit. Ganz hibbelig vor Freude, zitternd, darf sie dem Olaf, dem Manfred und dem Bernd ihre Geschenke überreichen.
Und plötzlich brechen die Dämme. Erst eine, dann zwei, dann wird es wuselig. Gleich eine Hundertschaft begeisterter Damen stürmt nach vorne. Alle haben sie Geschenke dabei. Niemand wirft Schlüpfer, kaum jemand bringt Teddies, aber sie haben stundenlang zu Hause Weihnachtsplätzchen gebacken, haben frisches Tannengrün gepflückt, sich für teuren Rotwein ins Zeug gelegt, haben voller Liebe und Zuneigung selbst Strohsterne gebastelt, Schneekugeln gekauft, Schokonikoläuse erstanden und Bilder gemalt. "Das ist auf jedem Konzert so", erfahre ich. Kurz vor der Halbzeitpause des Konzertes ist Bescherung. "Wir freuen uns, denen was zu schenken und die freuen sich, von ihren treuen Fans etwas geschenkt zu bekommen." So einfach ist das.
Die drei heiligen Knittlinger schütteln brav Hände, haben die dankbare, gerührte Maske angelegt und nehmen die Schenkungen entgegen. "Der Peter", seines Zeichens glatzkahler Bühnenroadie, hat alle Hände voll zu tun, den Geschenkeberg zu ordnen. "Endlich wieder Eierlikör!", jubelt der Manfred. "Und sogar selbstgemachter." Die Schenkerin errötet. Der Manfred hat einmal in einem Interview auf die Frage, was er sich am Meisten wünsche, gesagt: "Eine neue Leber." Natürlich mit seinem berühmten Augenzwinkern. Der Manfred ist ein Schelm. Ob in einer der glänzenden Papiertüten auch eine solche steckte, bleibt geheim. Im Hintergrund wird der Mob ungeduldig und skandiert "Wir.... wolln.... die.... Flippers seh'n, wir wolln die Flippers sehn..." Mit beschwichtigenden Gesten beruhigen die glitzernden Helden ihre Anhängerschaft. Und nachdem "der Peter" alle Geschenketüten geordnet hat, gibt es noch zwei weitere Hits, ehe die drei Schlagergötter weiter an ihrem Sekt nippen können und sich das gemeine Volk Pils und Bratwurst gönnen oder am Merchandise-Stand noch eine Kuscheldecke für unterm Weihnachtsbaum kaufen kann.
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