Die meisten Menschen haben irgendwann in ihrem Leben einmal Zeit. Bei einigen kommt das sogar häufiger vor. Manche nutzen diese Zeit, um sich mit pragmatischem Blick einen Überblick zu verschaffen, was noch zu tun ist, um es direkt im Anschluss anzupacken und die übrig bleibende Zeit dann entweder zu entspannen oder darüber nachdenken zu können, ob nicht noch mehr zu tun sein könnte, was man prompt anpacken könnte. Andere nutzen die Zeit lieber, um intensiv darüber nachzudenken, was im Anschluss an die Zeit, die man zum Nachdenken benötigt, theoretisch noch alles zu tun wäre, um nach Abschluss des Nachdenkens zu bemerken, dass überhaupt keine Zeit übrig geblieben ist. Und so hat das Nachdenken doch immerhin den Beweis erbracht, dass zum Handeln gar keine Zeit war. Wieder andere meiden lieber
a priori den Gedanken darüber, ob noch etwas zu tun sein könnte, da solche Gedanken nichts hervorbringen als mit allzu irdischer Trübnis den Tag und das Dasein zu vergiften und mit bürgerlicher Pflichterfüllung und gleichgeschaltetem Alltagsgeklingel den Glanz von der Schönheit des Müßiggangs zu kratzen.
Unter solchen und ähnlichen Menschen gibt es manche, die setzen sich stundenlang vor Bibliotheken, führen Strichlisten und sinnieren darüber, woran es wohl liegen mag, dass zwanzig Mal mehr Menschen die linke Eingangstüre sowohl zum hinein- wie herausgehen benutzen. Andere forschen jahrezehntelang an der Kommasetzung in Texten Martin Luthers (dies hochbezahlt, wohlgemerkt). Noch andere denken sich Namen aus oder streuen Fremdwörter in Diskussionen ein. „Procrastination“ ist so ein Wort, das sich Menschen mit zu viel Zeit ausgedacht haben, um endlich bezeichnen zu können, was sie tun: Sich mit Vergnügen Tätigkeiten hingeben, die nach öffentlicher Anschauung höchstens bedingt voranbringend sind, während potenziell auch – nach Meinung der profanen Umwelt – andere Aufgaben anlägen, die weit dringender sind und womöglich auch sinnvoller.
„Das Kind braucht doch einen Namen!“, krakeelen sie dann, um im nächsten Moment im Studiverzeichnis zu recherchieren, wie viele Gruppen es dort wohl inzwischen zu den Themen „Ball-Agnostizismus“, „Derrida“ oder „Eva Herman“ gibt. Solches, nicht zielgerichtetes Umherschweifen kann sehr kreative Ideen hervorbringen, kann aber auch nur als riesengroße Klatsche dienen, mit denen man Stunden gleich im Dutzend totschlägt. Auch ich habe letztens einmal wieder nachgedacht. Das kommt vor. Meistens tut es auch nur kurz weh. Dabei ging es mir um das
Verhältnis von Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit. Nehmen wir ein konkretes Beispiel:
Der
Saftblog hat über das Verhältnis eines Zeitraums zu einem Sportereignis (Olympdings 1 zu Olympdings 2) nachgedacht und dabei die entsprechenden Begriffe verwendet. Ein sehr freundlicher, harmloser Artikel, aus dem in keiner Hinsicht das Ziel ersichtlich gewesen wäre, damit mehr Saft zu verkaufen. Zudem sich wohl noch erdreistet, das olympdingische Logo zu verwenden. Folgend flog ihnen eine Abmahnung in Höhe von
150.000 (in Worten: einhundertfünfzigtausend)
€ ins Haus. Weil sie die Worte benutzt hatten und das Bild mit den Ringen drauf. Das dürfen wahrscheinlich nur Mitarbeiter, Mitglieder und Verwande des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Und die finanziell butternden Sponsorfirmen, die dafür bezahlt haben, die Worte und das Bild im Kleingedruckten ihrer Anzeigen unterzubringen. Es mag juristisch korrekt sein, hier abzumahnen. Schließlich haben die Blogbetreiber sich über geltendes Recht hinweggesetzt. Nun darf man aber mehrere Fragen stellen (wenn man Zeit hat):
Steckt der DOSB in einer prekären pekuniären Krise? Wie kann es sein, dass Wörter, die die betreffenden Personen nicht höchstselbst erfunden haben, plötzlich von ihnen urheberrechtlich geschützt sind und bei Gebrauch sofort Unsummenklagen ins Haus flattern? Ich könnte mir auch Wasser schützen lassen und folglich von aller Welt zusätzliche Nutzungsentgelte verlangen, da ich mir Wasser habe schützen lassen und alles Wasser folglich meins ist. Ich bitte Sie, werte Herren Sportler und Juristen. Wo bleibt denn da der
Sportsgeist und der
Gedanke der Fairness? Na? Hallo? Und dann mit der kompletten gerichtlichen Dampframme angepoltert kommen. 150.000 €! Ich bitte Sie!
Haben wir es hier mit dem zwischenmenschlichen Fingerspitzengefühl von Axel Schulz in Boxerhandschuhen zu tun? Mit dem Einfühlungsvermögen einer Kalksteinwand? Dass Sie im Recht scheinen, Forderungen zu stellen, vermag ich nur bedingt zu beurteilen, billige ich Ihnen aber zu. Vielleicht wäre es aber doch ein Weg gewesen, erst einmal Bescheid zu sagen, dass hier geltendes Recht verletzt wird (alle Paragraphen haben wohl nicht einmal alle Juristen auswändig parat). Dann hätten die Betreiber die achso geschützten Worte und das Bild gelöscht, sich entschuldigt, und die Sache wäre wahrscheinlich flugs vom Tisch gewesen. Vielleicht bin ich auch naiv.
Aber hier stellt sich mir glasklar die Frage nach dem Verhältnis von Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit. Neben der in meinen Augen menschlich erschreckenden und sogar vor Existenzvernichtung nicht zurückschreckenden Kleinkariertheit, Starrköpfigkeit und juristischen Stieseligkeit (inwiefern auch Sehnsucht nach Mehreinnahmen ein vorderer Beweggrund war, kann ich nicht beurteilen) bietet sich nun nochmals die Frage an: Hatten da einige Menschen zu viel Zeit, die sie nicht mit reinem Nachdenken sondern mit Handeln zu füllen trachteten? Vor allem aber: Woher nimmt der DOSB oder irgendeine gesetzgebende Instanz das Recht, gebräuchliche Wörter zu schützen? Insofern ermuntere ich, an
dieser Petition teilzunehmen. Kürzer und prägnanter zum Thema kann man sich auch beim hochverehrten
Fellow Passenger und bei
Viktor ein Bild machen. Wenn man Zeit hat.