Die Paar Probleme (VII)
Jens räuspert sich, die Stirn in Falten geworfen, die Schläfen straff, der Blick streng und suchend. Wie ein Witzeerzähler, der im geschwinden Spurt zur Pointe hin vergessen hat, wie sie lautet. Wie ein Fußballstürmer, der sich im Konter den Ball weit vorlegt, ihm wild hinterherstürmt und urplötzlich zögert, schüchtern verzagt und fast unmerklich abbremst, sodass der Ball ins Aus trudelt. Chance vertan. Ohne Einwirkung des Gegners. Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. Er reibt sich hinter dem linken Ohr, schweigt, blickt auf die eckige Tischplatte vor sich, dann hinauf zum unbeirrt kreiselnden Ventilator an der Decke, weicht Coras Blicken aus. Und dann, nach quälenden Sekunden, ja vielleicht Minuten des beiderseitigen Schweigens fragt Cora mit zittriger Stimme:
„Dein Beispiel… Du wolltest doch… wolltest Du nicht? Dein Beispiel, Jens?“
„Ach ja… nun… ja… also… wie fange ich an?" Jens stottert beinahe, besinnt sich aber und holt tief Luft. "Also gut... ein Mann, der in seiner Firma eine neue Stellung erhalten hatte und nun oft bis tief in die Abendstunden hinein arbeiten musste, hatte seiner Frau für den Tag das Auto überlassen, die mit den Kindern zur Großmutter fahren wollte. Es war zuletzt zu kleineren Missstimmungen zwischen ihnen gekommen, weil seine Frau – ohne es zu wollen – plötzlich zweifelte, ob er wirklich nur wegen der neuen Aufgaben derart spät nach Hause kam. Alle seine Freunde, die sie heimlich behelligte und subtil befragte, versicherten glaubhaft, dass sie keinerlei Anzeichen wahrgenommen hätten, dass irgendetwas Heimliches im Gange sei. Alle bekräftigten, wie liebevoll und begeistert er immer noch von ihr spräche, und dass es wahrlich keinen Grund gäbe, sich Sorgen zu machen. Die Frau hatte sich hierauf beruhigt, und doch war es, als hätten diese Zweifel ihr leise Gift ins Ohr geträufelt, das die Sinne schärfte, ihre Vertrauensfestigkeit innerlich allmählich zersetzte und wie ein Tumor den Argwohn in ihr streuen und wuchern ließen. Sie bemerkte an sich, wie viel aufmerksamer sie plötzlich auf seinen Stimmfall achtete, wie viel genauer sie auf seine Hände sah, während er, meist von der Arbeit müde, sprach. Teilweise fühlte sie sich wie ein Geheimdetektiv auf Spurensuche, überzeugt davon, dass eine akribische Untersuchung tatsächlich etwas Skandalöses hervorbringen würde, und dann schämte sie sich wieder, weil er sich eigentlich verhielt wie immer. Und doch… warum guckst Du plötzlich so…?“
„Wie gucke ich denn?“
„Naja… ich weiß nicht. Undurchdringlich?“
„Wie kann man denn undurchdringlich gucken?“
„Ich weiß nicht. Aber irgendwie…“
„Du wolltest Deine Geschichte erzählen. Nun bring sie auch zu Ende!“
„Ja… stimmt… also… irgendwelche Zweifel blieben der Frau, auch wenn sie selbst nicht genau benennen konnte, was diese eigentlich nährte. An diesem Tag war sie nun samt Kindern mit dem Auto zu den Großeltern gefahren und saß am Abend, die Kinder hatte sie schon zu Bett gebracht, vor dem Fernseher. Sie hätte ihren Mann mit dem Auto von der Arbeit abholen können, aber sie scheute davor zurück, etwas entdecken zu können, was sie gar nicht wissen wollte und was zu erfahren sie trotzdem brennend drängte. Der Mann wiederum – arglos – spazierte nach Feierabend, diesmal schon etwas früher als sonst, zu Fuß nach Hause und kam an einem Blumengeschäft vorbei, was just im Schließen begriffen war. Spontan sprang er noch in den Laden, flehte die Verkäuferin an, noch nicht zu schließen und ihm noch das gesamte Kontingent roter Rosen zu verkaufen, die sie noch in ihren grünen Plastikvasen stehen hatte. Es waren nur noch neun, ein eher kümmerlicher Strauß, aber es ging bei allem ja um die Geste. Eine Freude machen wollte er seiner Frau und ihr noch einmal zeigen, wie ernst es ihm um sie war, nachdem er zuletzt das Gefühl hatte, sie misstraue ihm plötzlich ein wenig. Und so ging er mit dem kleinen Rosenstrauß durch die dunklen Straßen heim. Zu Hause angekommen, lächelte er seine Frau an, die Rosen noch hinter dem Rücken verborgen, küsste sie (sie küsste nur spitz und mit festen Lippen kurz zurück) und holte dann den kleinen Rosenstrauß hervor, streckte ihr die Rosen freudig entgegen und sagte: ‚Für Dich Schatz, weil ich Dich liebe.’ Die Frau, überrumpelt und verdattert, hörte sich aber selbst daraufhin nur fragen: ‚Wofür denn das? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?’, und insgeheim dachte sie: Der schenkt mir doch nicht ohne Grund einfach Rosen, und warum sagt er exakt in diesem Moment, dass er mich liebt? Er hat womöglich doch etwas zu verbergen und will mich ruhig stellen, ablenken, damit ich seine heimlichen Machenschaften nicht durchschaue. Und so nahm sie ihm die Rosen beinahe ruppig ab, zog eine schnippische Flunsch, zischte ‚Danke’ und eilte energisch in die Küche. Der Mann – völlig verwirrt – schritt ihr hinterher und fragte: ‚Ist alles in Ordnung? Hab ich irgendwas falsch gemacht? Hab ich was Falsches gesagt? Hätte ich Dir keine Rosen mitbringen sollen?’ Sie aber knurrte nur, während sie Wasser aus dem Spülkran in eine Vase füllte, ‚Doch! Alles bestens!’ Sie blieb den Rest des Abends auf Abstand, von stärkeren Zweifeln dunkel durchflutet. Sie schliefen weit voneinander entfernt ein. Der Mann wusste nicht, was los war, mutmaßte aber, die Geste sei vielleicht übertrieben gewesen, schlief still ein und nahm sich vor, es am nächsten Tag anders zu machen. Als er diesmal nach der Arbeit heimkam, hatte er keine Blumen dabei, sagte, als er die Wohnung betrat, nur ‚Hallo’, lächelte flüchtig und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Die Frau wurde hierüber aber noch misstrauischer. ‚Es muss gestern eine Finte gewesen sein. Wenn er gestern gesagt hat, er liebt mich und Blumen mitbringt und heute nur kurz angebunden herein kommt, dann muss das einen Grund haben. Warum sagt er das heute nicht? Hat er innerlich schon mit mir abgeschlossen? Sein Herz schon ganz auf eine andere Schnepfe ausgerichtet? Will er mir nur zeigen, wie verzichtbar ich bin, dieser Schuft?“
Plötzlich fällt Cora Jens ins Wort. Ihr Gesicht hat während seines Monologs eine fast puterrote Farbe angenommen. Die Haut wirkt papiern, fast meint man, sie wütend rascheln und knistern zu hören. Ihre Pflaumenaugen schießen giftige Blitze, sie schnaubt Tabakrauchwolken aus den Nüstern und herrscht ihn an: „Scheißkerl!“
„Wer?“
„Du!“
to be continued...
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