Mittwoch, Mai 31, 2006
Dienstag, Mai 30, 2006
Onkels Worttrostpflaster
Von der Kuppe aus hat man einen herrlichen Blick ins sanft geschwungene Tal. Doch heute irrt der Blick unruhig, mag sich nicht freuen. Nicht, dass der Anblick nicht erfreulich wäre. Er ist köstlich wie immer. Das Tal sonnt sich entspannt, die kleinen Dörfer recken und strecken sich hügelan. Doch ich merke es gar nicht wirklich. In meinem Bauch klumpen Sorgen in flauem Unterdruck. Fast schmerzhaft kitzeln die Eingeweide, als durchsausten ängstliche Hummeln die Bauchhöhle. Das irre Geflirre dehnt sich aus, quetscht die Kehle zu. Ich liege am östlichen Rand der Kuppe im schrägen Frühsommerlicht unter einer sattgrünen Eiche, ganz für mich, als Onkel Jiří nähergeschlurft kommt.
Eine Pfeife wippt in den Mundwinkeln unter seinem silbernen Zwirbelschnurrbart. Stoßweise hüpfen Wölkchen aus dem Pfeifenkopf. In seinem Nacken schläft Tannenzapfen, sein zahmes Eichhörnchen, dessen buschiger Schwanz sich um Jiřís Hals geschwungen hat. Sein kugelrunder Bauch schaukelt im Takt der Schritte und spannt unter seinem senfgelb-braunen Holzfällerhemd. Während er mir entgegenschlurft, ploppt plötzlich einer der Hemdleistenknöpfe ab. Er bückt sich, durchwuschelt Grashalme und pult den Knopf aus dem Rasengeflecht zu seinen Füßen. „Oh, da habe ich wohl zu kräftig eingeatmet“, krächzt er heiser, als er schon fast bei mir angekommen ist. Seine Augen funkeln vergnügt, doch als er mich länger anblickt, wird sein Blick seltsam blass und ernst. Er kniet sich neben mich, nimmt Tannenzapfen von seinen Schultern, das sich erst schläfrig mit den Pfoten die Augen reibt und dann die Eiche über uns hinaufhüpft.
„Zapatka, was ist los?“ „Ich weiß nicht, meine Ohren hängen heute ein wenig.“ „Ei. Wieso bist Du traurig? Wer hat Dir was getan?“ „So richtig eigentlich niemand, aber der Emil stand heute in der Schule bei der Evá und hat sie in der Pause heiß umschwänzelt. Und dann hat er ihr ins Ohr geflüstert, und dann hat sie mit dem Finger auf mich gezeigt, gekichert, und gequietscht: ‚Zapatka ist eine Mottenkugel! Kugelrund und stinkt!’“ „Der Emil, diese Frettchenschnauze! Den habe ich letzte Woche erwischt, wie er mit der Rosenschere einfach den Weidezaundraht, unten am Bach, kaputtgeknipst hat. Und die Evá, wer ist die?“ „Sie ist in der Nachbarklasse, ich mag sie eigentlich sehr gern.“ „Ist das die kleine mit den Rotweinlocken?“ „Ja.“ Eine Krokodilsträne kullert in Schlangenlinien meine Wange hinab. „Sie hat so ein klingelndes Lachen und ein lustiges Kleid mit Delfinen drauf.“
Onkel Jiří zupft an seinen Schnurrborsten, seine Stirn kräuselt sich zu kleinen Bergen und Tälern. „Dann tut es besonders weh, wenn sie so etwas Blödes zu Dir sagt.“ „Ja“, seufze ich und erschrecke wie sich meine Stimme, halb erstickt, überschlägt. „Und dabei bist Du doch kein bisschen dick und rund und stinken tust Du schon gar nicht. Da ist der Emil doch viel schlimmer. Der lässt doch sogar Papierschiffchen in der Jauchegrube schwimmen.“ „Ich weiß“, schluchze ich, während mir Onkel Jiří durch die Haare streichelt. Und dann brummt er „Wer lacht und mit dem Finger auf andere zeigt, ist in Wirklichkeit mit sich im Unreinen und will nur von sich ablenken. So wahr ich Jiří Kolář heiße, wenn jemand dick ist, dann vielleicht ich. Sollen sie doch über mich lachen. Mir macht das nichts. Ich habe Gurken gegessen, groß wie Bahnschranken und Äpfel, auf denen die Wartburg stehen könnte. Es hat mir geschmeckt und gut getan!“
Ich musste lachen. Er lachte zurück und klopfte seine Pfeife auf einem Stein neben uns aus, ehe er etwas sagte, was ich nicht ganz begriff. „Hör keinesfalls zu wachsen auf, bevor Du nicht mit einem Bein auf der Erde stehst und mit dem anderen auf dem Mond, damit Du die Sterne abwischen kannst, die matt geworden sind und nicht mehr funkeln, weil sie der Kosmosstaub zwei Finger dick bedeckt. Vor allem aber, lass Dir nicht einmal im Träume einfallen, den Großen Bären zu necken, den Kleinen Bären mit Erdnüssen zu füttern oder gar den Polarstern abzulutschen wie ein Eskimoeis, Du fielest sonst wie eine reife Birne aus der Höhe und nur ein Fettfleck bliebe von Dir übrig.“
Eine Pfeife wippt in den Mundwinkeln unter seinem silbernen Zwirbelschnurrbart. Stoßweise hüpfen Wölkchen aus dem Pfeifenkopf. In seinem Nacken schläft Tannenzapfen, sein zahmes Eichhörnchen, dessen buschiger Schwanz sich um Jiřís Hals geschwungen hat. Sein kugelrunder Bauch schaukelt im Takt der Schritte und spannt unter seinem senfgelb-braunen Holzfällerhemd. Während er mir entgegenschlurft, ploppt plötzlich einer der Hemdleistenknöpfe ab. Er bückt sich, durchwuschelt Grashalme und pult den Knopf aus dem Rasengeflecht zu seinen Füßen. „Oh, da habe ich wohl zu kräftig eingeatmet“, krächzt er heiser, als er schon fast bei mir angekommen ist. Seine Augen funkeln vergnügt, doch als er mich länger anblickt, wird sein Blick seltsam blass und ernst. Er kniet sich neben mich, nimmt Tannenzapfen von seinen Schultern, das sich erst schläfrig mit den Pfoten die Augen reibt und dann die Eiche über uns hinaufhüpft.
„Zapatka, was ist los?“ „Ich weiß nicht, meine Ohren hängen heute ein wenig.“ „Ei. Wieso bist Du traurig? Wer hat Dir was getan?“ „So richtig eigentlich niemand, aber der Emil stand heute in der Schule bei der Evá und hat sie in der Pause heiß umschwänzelt. Und dann hat er ihr ins Ohr geflüstert, und dann hat sie mit dem Finger auf mich gezeigt, gekichert, und gequietscht: ‚Zapatka ist eine Mottenkugel! Kugelrund und stinkt!’“ „Der Emil, diese Frettchenschnauze! Den habe ich letzte Woche erwischt, wie er mit der Rosenschere einfach den Weidezaundraht, unten am Bach, kaputtgeknipst hat. Und die Evá, wer ist die?“ „Sie ist in der Nachbarklasse, ich mag sie eigentlich sehr gern.“ „Ist das die kleine mit den Rotweinlocken?“ „Ja.“ Eine Krokodilsträne kullert in Schlangenlinien meine Wange hinab. „Sie hat so ein klingelndes Lachen und ein lustiges Kleid mit Delfinen drauf.“
Onkel Jiří zupft an seinen Schnurrborsten, seine Stirn kräuselt sich zu kleinen Bergen und Tälern. „Dann tut es besonders weh, wenn sie so etwas Blödes zu Dir sagt.“ „Ja“, seufze ich und erschrecke wie sich meine Stimme, halb erstickt, überschlägt. „Und dabei bist Du doch kein bisschen dick und rund und stinken tust Du schon gar nicht. Da ist der Emil doch viel schlimmer. Der lässt doch sogar Papierschiffchen in der Jauchegrube schwimmen.“ „Ich weiß“, schluchze ich, während mir Onkel Jiří durch die Haare streichelt. Und dann brummt er „Wer lacht und mit dem Finger auf andere zeigt, ist in Wirklichkeit mit sich im Unreinen und will nur von sich ablenken. So wahr ich Jiří Kolář heiße, wenn jemand dick ist, dann vielleicht ich. Sollen sie doch über mich lachen. Mir macht das nichts. Ich habe Gurken gegessen, groß wie Bahnschranken und Äpfel, auf denen die Wartburg stehen könnte. Es hat mir geschmeckt und gut getan!“
Ich musste lachen. Er lachte zurück und klopfte seine Pfeife auf einem Stein neben uns aus, ehe er etwas sagte, was ich nicht ganz begriff. „Hör keinesfalls zu wachsen auf, bevor Du nicht mit einem Bein auf der Erde stehst und mit dem anderen auf dem Mond, damit Du die Sterne abwischen kannst, die matt geworden sind und nicht mehr funkeln, weil sie der Kosmosstaub zwei Finger dick bedeckt. Vor allem aber, lass Dir nicht einmal im Träume einfallen, den Großen Bären zu necken, den Kleinen Bären mit Erdnüssen zu füttern oder gar den Polarstern abzulutschen wie ein Eskimoeis, Du fielest sonst wie eine reife Birne aus der Höhe und nur ein Fettfleck bliebe von Dir übrig.“
Sonntag, Mai 28, 2006
Der George und der Tony und der Ort, wohin sie einander vielleicht mitnehmen würden
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Freitag, Mai 26, 2006
Forever young?
Sich im Alter wieder jung fühlen zu können, ist manchmal ein zweischneidiges Schwert. Das erfrischende Jungbrunnengefühl, das juvenile Prickeln zerbarst in Hildesheim letzte Woche in tausend Scherben. Vielleicht heißt sie Rita, vielleicht auch nicht, aber sie ist 68. Vielleicht hatte sie Kuchen gekauft, vielleicht auch nicht, aber sie fuhr ihre 92-jährige Mutter besuchen. Und die empörte sich aufs Äußerste über die wilden Männergeschichten ihrer fast 70-jährigen Tochter. Sowas ziemt sich ja nicht. Und was tut Muttern in diesem Fall? Richtig. Sie ruft das Jugendamt an, damit die ihre Tochter wieder auf den rechten Pfad der Tugend zurückführen. Das Jugendamt war sich nach Auskunft der Presse aber mindestens unsicher, inwiefern dieser Fall in ihren Zuständigkeitsbereich fiel.
Montag, Mai 22, 2006
Más turbo!
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Sonntag, Mai 21, 2006
...tut Wahrheit kund
Voller Inbrunst hatten sie den Koch eingestielt, sein absolut Bestes zu geben. Sie waren schließlich die wichtigste Familie im Dorf, und Hölzerne Hochzeit feiert man auch nicht so schrecklich oft im Leben. Eine Gaumenweide, ein Augenschmaus sollte es werden, so allerfeinst wie es sich sonst auch nur wenige Familien leisteten. Die weniger wichtigen Familien im Dorf schon gar nicht. Knusprigen Hummer sollte es geben, Kaviar, geschmorte Lammkeule toskanisch, Pannacotta, Ossobucco. Die große weite Welt im kleinen Dorf am Südrand der Lüneburger Heide. Und vorweg eine passierte Broccolicrèmesuppe mit Mandelsplittern und Zitronengras. Der Koch schwitzte in der kleinen Küche. Die Rezepte hatte er sich per Telefon und die Zutaten aus der großen Stadt besorgt. Er kochte sonst eher Wiener Schnitzel mit Pommes Schranke, Erbsensuppe oder Strammen Max.
Voller Ehrfurcht begegnete die illustre Runde dem ersten Gang. Vorfreudig klackerten die Silberlöffel auf dem Tisch, es wurde ein Toast ausgegeben, dann verschwanden die Löffel in der grünglänzenden Bouillon. Doch das glitzernde Lächeln auf den Antlitzen wich seltsam. Irgendetwas schmeckte anders als geplant. Ein leiser Hauch von Spülmittel. Doch man musste sich täuschen. Das konnte doch gar nicht sein. Amorphes Gemurmel schwubberte durch den Raum. Alles hinter vorgehaltener Hand. Nur einer brach aus dem Tuschelreigen aus. Der kleine Max. Mit seinen gerade vier Jahren hatte er tapfer die Suppe ausgelöffelt, ehe er sein Besteck wegwarf, mit der Hand auf den Tisch schlug (er konnte kaum über die Platte gucken) und sagte: "Das war schonmal nix!"
Voller Ehrfurcht begegnete die illustre Runde dem ersten Gang. Vorfreudig klackerten die Silberlöffel auf dem Tisch, es wurde ein Toast ausgegeben, dann verschwanden die Löffel in der grünglänzenden Bouillon. Doch das glitzernde Lächeln auf den Antlitzen wich seltsam. Irgendetwas schmeckte anders als geplant. Ein leiser Hauch von Spülmittel. Doch man musste sich täuschen. Das konnte doch gar nicht sein. Amorphes Gemurmel schwubberte durch den Raum. Alles hinter vorgehaltener Hand. Nur einer brach aus dem Tuschelreigen aus. Der kleine Max. Mit seinen gerade vier Jahren hatte er tapfer die Suppe ausgelöffelt, ehe er sein Besteck wegwarf, mit der Hand auf den Tisch schlug (er konnte kaum über die Platte gucken) und sagte: "Das war schonmal nix!"
Freitag, Mai 19, 2006
Hauen und Stechen
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Die Hydraulik zischt, die alarmrote Doppeltüren werden auseinander gezogen. Dicke Basketballtreter mit roten Schnürsenkeln stampfen hinein. Zwei junge Frauen, vielleicht sechzehn, vielleicht zwanzig. „So’n Scheiß, sag ich Dir, kaufste extra ne Wochenkarte und kein Karl Arsch kontrolliert Dich. Keiner von den verfickten Schaffnerwichsern will Deine Karte sehen. Ey Fuck! Weißte, dafür hätt ich mir locker fünf Gramm Gras kaufen können. Aber nee: Die Popelfresser ham’s ja nicht nötig.“ Die Vordere bölkt quer durch den Waggon, ehe sie sich Kaugummi kauend in die Sitze neben mir auf der anderen Gangseite fläzt. Blasse Locken krallen sich wütend an die trübe Stirn, unter der in dunklen Höhlen teerschwarze Augen Funken sprühen. Die ebenso schwarzen Lippen fest aufeinander gepresst, schmal und rissig, wie ein Laubsägeblatt. Während sie keift, ballt die die Fäuste oder spielt mit ihrem silberglänzenden Feuerzeug.
„Ey ich muss morgen wieder zur Drogenberatung. Ma hat angerufen. Ey, kontrolliert Deine Ma Dich auch?“
„Joa“ nuschelt ihre Begleiterin schüchtern. Die Stimme dünn wie der dritte Aufguss mit demselben Teebeutel. Sie zuckt die Schultern. Die Haare kinnlang, blassrot, glatt. Ihre Unterlippe hängt schlaff vor, hinter ihrer Stirn meint man, ein Fragezeichen blinken zu sehen. Es scheint, als liefe die blassgrüne Farbe der Iris in ihrem Auge seitwärts aus, schlierig, trübe, ein wenig wie Fischfond. Ein Schneidezahn fehlt. Gleich mehrere Brandlöcher sorgen an ihrem Trainingsanzug für unerwartete Zusatzbelüftung.
„Aber, ey, zieh Dir das mal rein!“ Die Lockige bölkt umso lauter, reißt das Wort an sich. „Die unterstellt mir auch, ich würd schnupfen. Komm ich nach Hause und erwisch die doch glatt, wie se meinen Müll durchwühlt. Sachtse: ‚Du rauchst zu viel, Kind. So viele Kippenschachteln.’ Sach ich: ‚Ja und? Rauchen is ja wohl auch eine der geilsten Sachen neben Sex, die Du tun kannst. Und watt durchwühlst Du meinen Müll, bekackte Drecksfotze?’ ‚Ich mach mir Sorgen um Dich und Deine Drogen, ich will ja nicht, dass Du vor die Hunde gehst!’ Sach ich: ‚Ich bin doch nicht so strunzendoof, dass ich, sollte ich was nehmen, das hier in meinen Müll schmeiß, oder? Wie hohl bist Du eigentlich, Du Pottsau, dass Du das glaubst? Und wenn Du mit so kacke kommst, schmeiß’ ich gleich noch viel mehr ein. Weil’s geil ist und um’s Dir zu zeigen.’ Und dann flennt die Trulla wieder rum von wegen ich tu ihr weh und so, und ich sach nur: ‚Verpiss Dich, Scheißkuh! Raus! Das ist mein Zimmer!’ Und dann holt sie aus und hebt die Hand über mich und ich sach nur: ‚Waaaaag das bloß nicht! Wenn Deine Hand auch nur ir – gend - ein Körperteil von mir berührt, dann bist Du erledigt! Dann schlachte ich Dich ab, reiß Dir die Eingeweide raus und werf sie Deiner beschissenen Töle zum Fraß vor! Und wenn ich zurück nach Lathen ziehen soll, ey, ich sach Dir, ich lauer’ denen vom Jugendamt auf. Die mach ich eiskalt fertig. Die ha’m so schnell nix mehr zu lachen.“
Sie zieht eine Kippenschachtel aus ihrer Jeansjacke, klappt sie auf, steht auf, durchschlurft das Abteil: „Ey ich bin mal eine qualmen aufm Klo. Scheißladen, Bahn! Ich lass mir das Rauchen doch nicht verbieten, ey!“ Die Blasse bleibt zurück.
Wenige Minuten später stampft die Lockengöre zurück, stößt demonstrativ noch mitten im Abteil ihre letzte Rauchwolke aus. „Ey, weißte was?“, keift sie, als sie, immer noch Kaugummi kauend, wieder in den Sitzen hängt. „Ich hab mich ja vorhin auch noch geprügelt.“ „Echt?“ „Klar. Erst mit meinem Scheißweicheibruder. Und mit Olli, die olle Rennsau. Kack Adoptivsohn. Der hat ne vorlaute Fresse, ey, ich sach so „Moin Olli“, er so „Boing!“, der wird fünf, und knallt mir eine, ey, ich glaub ich spinn, hab ich erstmal ne Kippe in seiner Armbeuge ausgedrückt, boah, ich will nicht wissen, wie der aussieht, wenn er sechzehn ist. Und meine Ma, ey“! ‚Du hast schon lange keine Privatsphäre mehr’, sagt sie. Die olle Fotze, die soll mal lernen, wer hier der Herr ist. Glaub mir, ich hab drüber nachgedacht, ich knall die ab. Von der lass ich mir nichts mehr sagen. Und ich sag Dir, wenn ich Willi die Wahrheit sage, wenn der erfährt, was Mama hinter seinem Rücken macht, dann ist der auch schwupps weg, und dann isse nicht nur bei mir am Arsch. Sie ist doch diejenige, die wegen jedem Schlappwichser die Beine breit macht. Das ist doch die Hammerschlampe, die ist doch der verschissene Pharmakajunkie, die schluckt doch Pillen ohne Ende und die sacht noch, sie macht’s nur für den Alten. Und der Willi sacht echt so an mir: ‚Ich lass nicht zu, dass Du Deine Mutter schlägst.’ Und ich so: ‚Wie willste mich davon abbringen, ihr die Fresse zu polieren? Sie hat’s doch verdient wie nur watt. Und davon bringst Du Winzling mich nicht ab. Und versuchste’s haste’n Messer anner Kehle.’ Das ist nicht das letzte Mal, dass die Alte Angst gehabt hat. Blut soll se kotzen, die verfickte Drecksau! Und wie widerlich ihr bekackter Bankangestellter wohl drauf ist, der muss doch mindestens fünf Minuten lang schlabbrige Hautfalten auseinander wälzen, ehe der überhaupt bei Mamas Loch angekommen ist. Sieht doch auch schon aus wie Hundertachtzig Jahre!“ „Nee… dreitausendmillionentausendmilliarden.“ Ihre stumme Begleiterin freut sich, wie weit sie zählen kann, lacht zahnlos und verstummt wieder, während die Lockengöre weiterkeift. „Und so, wie die sich durche Gegend fickt, und so klein wie dem sein Piss-Schniedel ist, ist datt auch nicht anders, als wennde ne Teewurst innen Hausflur wirfst. Nee, echt, ey! Der scheiß Schlampe prökel ich das Hirn kaputt, nach dem ich sie aufgeschlitzt habe. Mir vorschreiben wollen, von wem ich mich ficken lassen darf oder dass ich gleich gar nicht erst ficken darf und selber in der halben Stadt Flecken auf den Bettlaken hinterlassen, doh! Oder ich puste sie mit der Wumme kaputt, boah nee. Der hetz ich Sergej und seine Bande auf den Hals, und die machen Hackfleisch aus ihr.“ Die Bordlautsprecher des Emsland-Expresses krächzen: „Nächster Halt: Lathen. Ausstieg in Fahrtrichtung lllinks.“ Die beiden steigen aus. Im Herausklettern zischt die Lockengöre noch: „Scheiß Bahnhofsangestellte, Scheiß Schaffner!“ Dann zischt die Hydraulik der Tür wieder zu, und plötzlich ist es seltsam still. Nichts als das monotone Rattern der Räder.
Donnerstag, Mai 18, 2006
Hier die Wahrnehmung, da die harmlose Absicht, die sich diametral mit der Wahrnehmung beißt. Hier die tiefe Verletzung, da Mitgefühl für die Verletzung aber Hilflosigkeit, gegen Eiswände verständlich zu machen, dass alles anders gemeint als aufgefasst war. Hier brodelnde Gischt, da Arme rudernde Hoffnung, sich verständlich zu machen. Hier betroffene Kränkung wegen mangelndem Wohlwollen, da wohlwollende, brennende Zuneigung und Hoffnung auf Vertrauen in das Gesagte, die mit Worten ringt, da ihre Worte nicht verständlich machen können, was sie sagen möchten.
Dienstag, Mai 16, 2006
Verworrene Verwirrung
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Pfingsten: Livepremiere aus Absurdistan
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Montag, Mai 15, 2006
Ausgänge, wie ich sie liebe
Calypso und Riffrock gehen auf nicht gemeinsam auf eine Kuhhaut? Fußscharrender Schuffelreaggae und Punkkeule schlafen nur in getrennten Betten? Hanoi. Die famosen New Yorker Jungs von "The Exit" verquirlen entlegenst scheinende stilistische Spielarten mit enormem Schmiss und Witz zu betörend brodelnden Klangvulkanen. Virtuos und vertrackt ohne verkopft und frickelig zu sein, rauhlippige Zärtlichkeit, schlaues Geprügel, hauchzarte Härte. Ihr Album "Home for an island", das am 2. Juni in die Läden kommt, gehört schon jetzt zu den Alben und die Band zu den absoluten Entdeckungen des Jahres für mich. Hier kann man sich das Video zur ersten Single anschauen. Hier geht's direkt zur Bandseite mit weiteren Clips und immerhin Livestreamanhörchancen, wo ich doch schon keine legal runterladbare MP3s zum Präsentieren gefunden habe.
Freitag, Mai 12, 2006
Ich habe es (akustisch) nicht verstanden wieso, aber in Münster beginnen die Hörgeräte-Test-Wochen, wie mir ein Schild am Bahnhof verraten hat. Falls es für wen interessant ist, sollte er hierher eilen...
Donnerstag, Mai 11, 2006
Zum Kloster eine Tür weiter bitte
Worüber ich bislang noch nie geschrieben hatte, sind freiwillige Klosteraufenthalte. Ein klein wenig hat sich das geändert. Wenn auch nur bedingt. Aber immerhin. Allerdings gibt es meinen heutigen Text es eine Kammertür weiter.
Mittwoch, Mai 10, 2006
Als Nicky in Rupert erwachte
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Dienstag, Mai 09, 2006
Nichts gegen Ungeduld und Jähzorn, aber hinfort mit ihnen, wo sie nicht notwendig sind
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Gerade beim aktuellen Werkeln an der Magisterarbeit: Wie Zeit sparend ist es doch, kurz Strg+Alt+F zu drücken, will man eine Fußnote einfügen, anstatt mühsam den Zeiger hochzuschieben, um erst das Menü „Einfügen“, dann „Referenz“, dann „Fußnote einfügen“ und dann noch „bestätigen“ zu klicken. Statt fast 8 Sekunden, die ich mit dem Steuerungspinökel benötige, dauert das Einfügen per Kurzbefehl nicht einmal eine halbe. Gerade bei längeren Arbeiten wie meiner derzeitigen summiert sich das auf. Doch muss man sich solche Tastenkombinationen ja auch merken können. Umso schneller und vergnüglicher geht dies mit den grandiosen Eselsbrücken aus Till Schaffarczyks Bildband „Der Mausetod“, der insgesamt 56 der praktischen Kurzbefehle für den PC und 84 für Apple-Rechner gesammelt und bebildert hat: Alltagssituationen, die Bild und Befehl im Kopf zusammenschweißen. Beispiele? Männerhände, die sich am tückischen BH-Verschluss zu schaffen machen: Strg+O = Öffnen. Ein völlig zerdepperter VW-Käfer, der sich um eine Laterne gewickelt hat: Strg+Z = Aktion rückgängig machen. Ein Pudel, der Herrchens Bein zu begatten versucht: F8=Markieren. Ein riesiger Heuhaufen, in dem sich vielleicht irgendwo eine Nadel versteckt: Strg+F = Suchen.
Selbst, wer die Befehle schon kennt, dessen Mundwinkel hängen kurz vor den Ohrläppchen fest beim Schmunzeln über die enorm witzigen, absurden, teils derben und makabren, teils auch leicht politischen Assoziationen, die Schaffarczyk für das Bebildern der Befehle herausgesucht hat. Ich sage: Wer Ungeduld und daraus erwachsendem Jähzorn einen amüsanten Riegel vorschieben will, sollte mindestens einen Blick in diesen grandiosen Band werfen. So kreativ und vergnüglich haben sich Kurzbefehle bislang noch nicht einprägen können. Und sollte es noch dauern, ehe sich die Kurzbefehle klare Wege aus dem Gedächtnis in die Finger gebahnt haben, kann man den handschmeichelnden, gepolsterten und enorm schicken Band auch vorübergehend immer noch als Mousepad benutzen – bis man die Finger dressiert hat. Das Kunstwerk ist mit knapp 20 € zwar nicht der billigsten eins, aber wenn man überlegt, wie viel Zeit, Ungeduld und Jähzorn man damit sparen kann, ist es am Ende doch fast schon wieder ein Schnäppchen.
(Genaueres weiß ich selbst noch nicht, unter Umständen kann es in Bälde aber unangekündigte Kunstkurzpausen geben, weil meine Magisterarbeit zunehmend mehr Zeit in Anspruch nimmt. Sich Sorgen zu machen, wäre in kürzeren Schweigeperioden nicht. Ich verschwinde garantiert nicht gänzlich von der Bildfläche)
Montag, Mai 08, 2006
Durst ist besser
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„Getrud, mach mir ma wie immer! Ich trockne schon aus. Von innen“, krakeelt er in Richtung Tresen und krächzt Jupp zu: „Viel trinken is’ datt Wichtichste.“ „Da sachste watt“, murmelt Josef, den sie hier Jupp nennen, während er eifrig eine ‚Ernte 21’ aus seinem Edelstahl-Etui zu friemeln versucht. „Datt sach ich Heinzi, also dem Heinz-Dieter auch immer. Aber der trinkt ja fast nix. Schon mal nen Schnaps, aber Wasser, Kaffe, Limo… nix.“ „Und datt bei der Hitze jetzt. Der hat ja bald nix mehr zum Schwitzen.“ „Und nich nur datt. Gestern, als Du mit Hilde nache Stadt gefahren bist, ne? Weißte: Dadurch, dass der Heinzi nix trinkt, oder… was weiß ich… jedenfalls geht der nur alle drei, vier Tage mal kacken.“ „Woher weißt Du, wie oft der kacken geht?“ „Hat Seine Helga meiner Wilma erzählt.“ Jupp lupft die linke Augenbraue. „Soviel, wie der in sich hineinschaufelt, und dann nur alle drei Tage? Wo lässt der datt denn?“ „Komprimieren ist datt Stichwort, datt sach ich Dir.“ „Komprimieren?“ „Kom-pri-mie-ren! Ver-dich-ten! Seine Gedärme pressen alles Verdaute so dicht und fest zusammen wie möglich. Wie Beton! Und das passt dann trotzdem. Scheinbar.“ „Ach…“
„Jo, na ja… und gestern nun saß ich mit meiner Wilma draußen. Sie stopft mir Zigaretten, ich schraub die neue Gasflasche an, da brüllt das ausm Waschhaus, ne? ‚Heeeeeeeeeeeeeellllgaaaaa!’ Und noch mal ‚Heeeeeeeeeeeeeellgaaaaaaaa!’“ „Der Heinzi?“ „Jo.“ „Sach bloß.“ „Und Helga rennt dann gleich nachm Waschhaus hin, wahrscheinlich auch Angst und so, dass was passiert ist, und kommt kreideweiß aber lachend wieder raus, holt Essbesteck und rennt wieder hin.“ „Hä?“ „Ich sach Dir, das hat die Helga selbst der Wilma erzählt: Der Heinzi hatte ne derart große und steinharte Riesenwurst inne Schüssel gesetzt, datt glaubt man wohl gar nicht. Und die ließ sich nicht wegspülen. Da hat er komplett hilflos Helga gerufen, damit sie mit Messer und Gabel seine Wurst klein schneidet, sodass er sie dann endlich wegspülen kann.“ „Potz Blitz!“ „Und deshalb sag’ ich jetzt erst recht: Immer regelmäßig ölen und durchspülen, den Körper. Nich, datt wir da nachher auch aufm Schont zu Haufen hängen und den Backstein erst kaputtsprengen müssen, eh die Spülung dat Gedöns aus der Schüssel drücken kann.“ Schorsch reibt sich den Bauch. „Also, watt is’ nu, Gertrud? Solln wir hier verdursten?“
Freitag, Mai 05, 2006
Oh Doktor, mein Doktor...
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Dr. Mowinckel.
Nebel beschlägt sein Monokel, er tanzt Samba auf dem Podium, weiß, wie er mit seinem Schwert zu rasseln hat und spielt mit dem Adel Poker. Er weiß, wo Du wohnst, bleibt immer auf dem Laufenden. Die beste Medizin ist gleich zur Hand.
Dr. Mowinckel
frei nach "Dr. Mowinckel" von Kaizers Orchestra
Donnerstag, Mai 04, 2006
Le printemps de la nuit
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Mittwoch, Mai 03, 2006
Aus neun mach elf
Erst war sie Frankreichs heller Mond, ein silbergleißender Strahl am Firmament aus Zeichen, dann zottelten die Locken. Aus Nichts und Nacht entkrabbelte ein Prickeln, erst zeitverschoben aus irrwitz'ger Ferne, das näherkam, bald heiß entflammt, dass allzubald zu Glut geriet und brennend heiß die Sinne briet. Zu heiß beinah, zu kalt die Folgeferne. Das Herz verkrampft, beinahe implodiert. Heißkalt, die Sinusnervenachterbahnen. Zwei Krümel, links und rechts, wie Augen auf glänzenden Tellern. Doch flaches Porzellan dazwischen. Und nicht nur das und immerhin. Ein Band riss ein, nur halb gewollt und doch nie ganz entzweit. Allmählich sanken traumseidene, doch dunkle Nebelschleier hinab und umhüllten gar beide. Wo zieh'n sie hin, die silbrigdunklen Schwaden? Kein Dunkel weit und breit, doch mehr noch still.
Dienstag, Mai 02, 2006
Verliebt in Kalbfleischschnipsel
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Krack.
Knusprig krachte es, als Vikke seine strahlend weißen Zähne ein weiteres Mal ins aufgebackene Fladenbrotviertel seines Döners hackte und den mächtigen Bissen verschlang. Kurz baumelte ein halber Zwiebelring noch aus dem Mundwinkel, wurde aber flugs durch die hinterhergeschlürft. Vikke grinste schräg, als Jonas schmunzelnd dessen Kaubewegungen beobachtete. Nahezu niemanden kannte Jonas, der eine so liebevolle und zärtliche Leidenschaft für Döner entwickelt hatte wie Vikke. Halb angetrunken konnte er Stunden mit wachsender Begeisterung im Internet zubringen, um dort Dönerfotos zu vergleichen und bewerten. Über seinem Schreibtisch klebte die Speisekarte seines Lieblingsdönerladens, dem „Aleppo Grill“ an der Steinfurter Straße. Fast verliebt glitzerten seine Augen beim Blick auf die kleinen Fotos mit den Besitzern hinter ihrem Tresen, das Messer am Grillspieß. Als er kürzlich umzog, war die künftige Distanz zum Aleppo Grill tatsächlich auch ein gewichtiger Faktor für die Auswahl der neuen Wohnung. Neben einem Metropolis-Poster hing über seinem Bett auch eine Döner-Flagge, die er spätnachts einmal dank Räuberleiter in der Nähe des Bahnhofs geklaut hatte.
„Ber iff wirkliff bar miff fo flefft“, mümmelte Vikke, noch mit dicken Backen. „Bitte?“ Vikke schluckte hastig. „Der ist wirklich gar nicht so schlecht.“ Ein Freund eines Freundes hatte den beiden empfohlen, doch mal diesen Dönerladen auszuprobieren, bei dem es angeblich noch weitaus besser schmecke als beim Aleppo Grill. „Aber… jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.“ „Wieso das denn?“ „Naja, es ist ja schon ein wenig wie Fremdgehen. Wie absichtliches, hochbewusstes Fremdgehen.“ „Äh… was?“ „Weißt Du, wenn mich der Dönerhunger überfällt, kann es natürlich schon mal vorkommen, dass ich spontan in die nächstgelegene Dönerbude hüpfe, um mir dort einen Döner zu kaufen. Das ist dann vielleicht wie spontan besoffen rumknutschen auf einer Party, wenn man schon gar nicht mehr merkt, was man da gerade tut, und was auch gar nichts zu sagen hat. Aber das hier… ich habe vorher genau geplant hierhin zu fahren und bei einer fremden Dönerbude einen Döner zu essen. Ich werde meiner festen Stammdönerbude hoch bewusst untreu.“ Jonas kräuselte die Stirn und lachte. „Spinner! Und überleg mal: So viel Döner Du auch isst, nur von Dir könnte der Aleppo Grill doch auch nicht überleben. Die verkaufen ja auch anderen Menschen als Dir Döner.“ „Naja, aber meine Döner sind sicher mit viel mehr Liebe gemacht.“ „Möglich. Das ist dann aber fast so, als wenn Du mit einer Prostituierten liiert wärst.“ Vikke verschluckte sich fast. Entrüstet glupschten seine Augen fast aus ihren Höhlen. „Wie bitte?“ „Naja, nehmen wir an, Du wärst mit einer Prostituierten zusammen. Da weißt Du auch ganz genau, mit wie vielen Männern sie Tag für Tag schläft oder schlafen muss, und das einzige, was Dich vor zu viel Eifersucht rettet, ist, dass Du Dir einredet, dass sie mit Dir viel liebevoller schläft und sich nur Dir leidenschaftlich hingibt, während der Rest gleichgültiges, Geld bringendes Pflichtgeruckel ist.“ „Und das heißt im Umkehrschluss?“
Vikke versuchte, seine Tzatzikiflecken von der Backe zu lecken, verschmierte sie aber eher. „Soll das heißen, wenn ich eine Freundin im horizontalen Gewerbe habe, die von Berufs wegen her mit anderen Männern schläft oder schlafen muss, dass ich dann auch einfach mit anderen Frauen schlafen darf, geplantermaßen sogar?“ Jonas kratzte sich am Kinn und zog die Schultern hoch. Schweigen fiel zwischen die beiden. Stumm kauten sie an ihren Dönern herum. Die Afrikaner hatten inzwischen ihren Lieferwagen fertig beladen und verabschiedeten sich von einem schwarz gewandeten Mann, der der Pastor sein konnte. Der Regen war schwächer geworden. Dann murmelte Vikke: „Aber Tobi hatte recht, der Döner hier ist gut. Wirklich gut. Der zweitbeste Döner, den ich hier bisher gegessen habe. Nach dem Aleppo Grill.“