„Also ich bewundere ihn. Er ist ein Pionier, ein genialer Erfinder. Der ist hochintelligent, und auch, wenn er heute so ein berühmter Mann ist, verliert er uns kleine Leute nicht aus dem Auge und tut was für die Region. Schließlich hat er ja auch klein angefangen, damals in der Garage mit der Brotschneidemaschine.“ So ähnlich sprach einst eine Mitarbeiterin im Plastinationswerk von Gunter von Hagens in seiner chinesischen Plastinationsfabrik gegenüber den Kameras von Spiegel TV. Nun gab es ein gräusliches "Déjà entendu".
Der Tod knackt mit den fleischlosen Fingern und zerrt an meinem Toastbrot. Imaginäres Kreischen von Kreissägen, die Knochen zerfetzen, durchfletscht mein Innenohr. Erzähl mir gern Schrumpfkopfwitze beim Essen, fabuliere von fauligem Eiter und aufgebrochenen Wundkrusten: Ich bin da nicht empfindlich, ich breche nicht ins Essen. Und doch zucke ich hier zusammen. Meine Frühstücksbissen werden zu zähklebrigen Brocken, die sich kaum mehr den Hals hinab bugsieren lassen. Es ist nicht der Ekel, der in meinem Magen klumpt, als vielmehr das Erschrecken, wie schnell in schwer anmutenden Zeiten die Scheu verklappt wird. Nicht nur Liebe macht blind, es ist die Hoffnung, die in Verheißung gelegt wird generell. Zwei- bis dreihundert Arbeitsplätze schillern golden am Hoffnungshorizont im Neißestädtchen Guben, inmitten sanft geschwungener Felder und pilzreicher Wälder direkt an der polnischen Grenze. Bald wird man sie die Leichenstadt nennen können. Denn Gunter von Hagens, der wandelnde Totengräber, der Revolutionär der Plastination und ruchlose Gottkaiser makabrer Machenschaften baut in dieser von Glück und Arbeit verlassenen Stadt eine neue Fabrik, in der jährlich Leichen in fast eine Million Scheiben gesägt und für teures Geld verschachert werden sollen. Neben dem riesigen Plastinationswerk in China, fernab des westlichen Fokus und mit fragwürdigen Praktiken und undurchschaubaren Machenschaften mehrfach ins Schlaglicht der Kritik geraten, möchte von Hagens nun etwas für die strukturschwache Region in Brandenburg tun und mit Millioneninvestitionen sein Schärflein für einen neuen Aufschwung beitragen. Die „Länderzeit“ des Deutschlandfunks versammelte Beteiligte, Fürsprecher und Widersacher, um aus O-Tönen eine Eindruckscollage entstehen zu lassen.
Mit beinscheibendünnem Vorsprung von einer Stimme wurde in den lokalen Gremien die Zustimmung erboxt. Und plötzlich, wie gleichgeschaltete Zombies, eiern die Begünstigten mit leichenstarrer Stimme ihr Glücksempfinden über die anlaufenden industriellen Leichenschnitzereien herunter, als seien sie frisch aus der Gehirnwaschanlage gekommen. Die Dankbarkeit über neue Hoffnung verbietet alles Nachdenken. Ungeklärt ist, ob Teile des Hirns, in denen sich reflektiertes Denken ereignet, bei den Neubeschäftigten – z.B. langzeitarbeitslosen Lastkraftfahrern, Metzgereigehilfinnen, Friseurinnen oder Hutmacherinnen – heimlich nach Vertragsunterschrift herausgetrennt wurden. Womöglich nicht. Und doch erschrickt, mit welch stumpfer Einförmigkeit und welch blinder Hörigkeit sie ihrem neuen Jobmarktmessias nach dem Mund reden.
"Ich arbeite hier bereits und war zu einer Fortbildung in China. Das ist alles sehr interessant, und ich muss sogar sagen, die Arbeit gibt mir was. Und ich kann die Kritiker nicht verstehen. Wir tun doch alles für die Forschung. Und wir sollen doch froh sein, dass er uns diese Chance gibt. Nein, ich weiß nicht, woher die Leichen genau kommen, aber es werden doch immer mehr Körperspender."
Über die Techniken dort dürfen sie nicht reden, scheint es. Den Mund verboten hat man ihnen über die Praktiken in der Fabrik. Zumindest wirkt es so. Auch, wenn von Hagens in Kürze ja jede Menge Besucher dort erwartet. Der Bürgermeister selbst wird patzig, verkniffen und laut, als er mit dem Etikett der "Leichenstadt Guben" konfrontiert wird. Welche Ungeheuerlichkeit dies doch sei. Eine infame Beleidigung. Und doch freut er sich auf die Touristenbusse, die hoffentlich bald massenhaft nach Guben gekarrt werden. Denn von Hagens plant, wie er sagt, eine Art musealen Aspekt seiner Fertigung, indem Besucher mit eigenen Augen zuschauen dürften, wenn verstorbene Körper für die Ewigkeit haltbar gemacht und zersägt werden. Er hofft, es kommen mindestens so viele Besucher in seine niedliche Stadt, um dem Körpersägewerk ihre Aufwartung zu machen wie zu den Körperwelten-Ausstellungen.
Vielleicht lässt sich dann auch vortrefflich Augapfelkuchen futtern auf dem Marktplatz, immerhin wird es wohl keine - wie dereinst im KZ Buchenwald - Nachttischlampen mit Schirmen aus Menschenhaut im Souvenirladen geben. Man weiß es nicht. Es mutet wie ein faustischer Pakt aus Verzweiflung an in einer Region, in der die Kraft der katholizistischen Begräbnisrituale eh nur mehr schwach zuckt, Todesfälle überwiegend den Weg in Krematorien finden und kein allzu enges Verhältnis zur Unversehrtheit des beerdigten Körpers mehr vorhanden scheint. Wir verkaufen uns an den Tod, dafür erhält er uns Lohn und Brot. Ein "danse macabre" ums geschlachtete goldene Kalb, scheint es.
Eine verzweifelt klingende Dame schmuggelt sich vor das Mikrofon.
"Mein Mann ist ja schon lange tot", seufzt sie. "Und meine Kinder... ich weiß ja nicht. Und wenn ich mal tot bin, wer soll denn da mein Grab pflegen? Ich lasse mich da doch lieber plastinieren." Und ihr Sohn träumt schon davon, später einmal als Plastikleiche in einem Museum zu sehen zu sein: "Auf einem Motorrad sitzend oder als Didgeridoospieler." Cool findet er auch, dass von Hagens zum Beispiel da Vincis Abendmahlgemälde mit Leichen nachstellen will. Dass womöglich große Mengen Aceton in die Neiße fließen können, stört inmitten der tristen Arbeitslosigkeit niemanden.
Kritik prallt ab wie Wassertropfen von Silikonbackformen.Von Hagens selbst lavriert sich auch mit seltsamen rhetorischen Schlingerbewegungen an den Anfeindungen vorbei. Ihm geht es um Demokratie, sagt er. Und Demokratie sei, dass jeder plastiniert werden kann, der plastiniert werden will, sagt er. Und dass er die Würde des Menschen sehr wohl respektiert, sagt er. Aber eine Leiche sei nunmal eine herrenlose Sache, insofern auch kein Mensch mehr. Er zahle auch nicht dafür, weil Leichen als herrenlosen Sachen kein Handelswert gebühre. Er berechne nur die Plastinationsarbeiten. Und er betreibe Forschung fürs Volk, nicht wie die elfenbeintürmernen Universitätsprofessoren, die nur im Versteckten von seinen Erfindungen profitierten. Demokratisierung ist ihm immer wieder wichtig. Dass gerade in seinem chinesischem Werk, wie der preisgekrönte Beitrag letztes Jahr im Spiegel enthüllte, der Verdacht besteht, dass Todeszellenkandidaten dort zerlegt werden und auch aus Russland dunkle Kanäle ihm Leichen zuschiffen, übergeht er beinahe. Alle Exponate der Körperwelten seien aus freiwilligen Körperspenden angefertigt worden. Darüber hinaus bekäme er Leichen von der University of Florida zugesandt. Woher sie kommen, welches Schicksal sie erlitten haben? Er habe sogar einen kostenlosen Leichenabholservice von zu Hause initiiert, sodass die Spender keinerlei Kosten mehr zu tragen haben. Und ein honoriger Rentier aus Guben habe ihn angerufen und gesagt: "Wenn Du in Polen Probleme hast, dann komm doch zu uns! Wir haben freie Fabriken." Und die Stadt habe ihm eine perfekte Infrastruktur für die Leichenverarbeitung ermöglicht.
"Die Leute, die über uns reden, wissen doch gar nichts. Und es ist doch eine tolle Sache, für die wir hier arbeiten. Es wird kein Image-Schaden an der Stadt haften bleiben. Es ist perfekt für unsere Region." Der Bürgermeister ist stolz. Alle stünden hinter der guten Sache, fast alle Entscheidungen seien mit überwältiger Mehrheit zugunsten des Projektes gefallen. Die 26:25 Entscheidung mit nur einer Stimme Mehrheit, die letztlich den Ausschlag gab, überhört er geflissentlich und verkündet Parolen, die sich durch Ausblenden der Fragestellung in glitzerndes Licht rücken und die vermutbaren dunklen Flecken überdecken.
"Es ist eine tolle, eine abwechslungsreiche Arbeit", kräht eine andere Arbeiterin über den Äther. "Und dass das hier alle schlimm finden stimmt doch gar nicht. Meine Campingplatzfreunde, mit denen wir das ganze Wochenende zusammen sind, haben gejubelt. Sie finden das auch eine großartige Sache. Und wir tun doch nix Schlimmes. Es ist doch alles erlaubt. Und endlich mal jemand, der sich hier kümmert."