Dienstag, Oktober 31, 2006

Kochendheiße Schelmenstücke aus der Kälte

John B. Gourley grinst unter seiner Regenjackenkapuze hervor. Sein Schnurrbart zieht sich in die Breite. Der hochgezurrte Gitarrenkorpus schrammt fast sein Kinn. "Vielleicht ist Euch aufgefallen, dass wir die Stücke live etwas anders spielen als sie auf Platte klingen. Aber sorgt Euch nicht: wir kennen die Unterschiede." Einige im Publikum runzelten zuvor bereits die Brauen.

Die Ohren turnen verwirrt durch die spinnerte Klanglawine, die sich ihnen entgegenwälzt, spähen nach einem bekannten Fetzen, verlieren ihn wieder, geben die Hoffnung auf Orientierung auf, ehe sie sich urplötzlich wieder auf bekanntem Terrain befinden. Einen Heidenspaß haben Portugal. The Man, scheint`s, am akustischen Verwirrspiel. Sie narren das Gedächtnis des Publikums, das so gern darauf wartet, sich selbst zu beklatschen, weil es kennt, was es hört und voraussagen kann, was gleich kommen wird. Stattdessen halten sie dem Publikum den Eulenspiegel vor und schicken den Bollerwagen der Vorhersehung auf schlammige Pfade. Denn im Endeffekt ist eine Scheibe doch nicht mehr als der stillgestellte Moment, das eingefrorene Jetzt von damals.

Die Songs von Portugal. The Man sind vom Hafer gestochene Wildpferde. Immerhin für den kurzen Moment der Plattenaufnahmen haben die Jungs sie bändigen können; jetzt gehen sie wieder mit ihnen durch, schlagen nach hinten aus, galoppieren in völlig unbekannte Richtungen, werfen Dich unterwegs fast ab, rasen durch bekannte Gegenden in schillernd fremdes Terrain und zurück. Liebliche Melodienseligkeit wird in der Mitte gespalten, von lateinamerikanischen Grooves durchgekitzelt, Bratgitarrenriffs zerbröseln in infernalischem Improvisationsgewitter, der Bass brodelt sich um Kopf und verschwitzten Kragen.

Und aus der Mitte des Klangschuttberges ersteht leuchtend, federleicht und augenzwinkernd der Song. Neugeboren. Phoenix grüßt. Du erlebst hautnah, wie sich dasselbe Stück immer wieder neu entwickeln kann; hier hat die Chaostheorie noch einen Sitz im Beirat. Kurz halten sie inne, nehmen sich zurück, geben Dir zartleises Zuckerbrot, lassen Dich ein wenig auf sicherem Gebiet verschnaufen. Dann gibt es die Peitsche, und der Gaul geht - vor Spielfreude berstend - erneut mit ihnen durch. Schweiß tropft von der niedrigen Decke auf Gourleys Kapuze. Er grinst verschmitzt: "Nun, es ist doch schließlich lustiger, Spaß zu haben als keinen Spaß zu haben, oder?"

Zach Carothers zuckt epileptisch wie ein Derwisch über die Bühne als wolle er den Hals seines Basses zur Spitzhacke umfunktionieren und sich damit von der Bühne in den Keller durchschlagen. Jason Sechrist wirbelt sich selbst und das Rudel Haie auf seinem T-Shirt schwindelig , verschiebt Rhythmen und Metren, während Wesley J. Hubbard erst mit irrem Blick über seine Congas flitzt, dann ein paar niedliche Melodien aus dem Synthie quetscht, ehe er sich am Lech Walesa-Gedächtnisbart zupft. Zwischen ihnen turnt der fipsige Gourley durch, War ihre Debütplatte schon ein verschroben collagiertes Sammelsurium versponnenster Ideen und zuckriger Melodien, glitzert dem Quartett aus der Einöde Alaskas auf der Bühne der Wahnsinn im Blick und zwinkert der Schalk im Nacken. Oft an der Grenze, manchmal darüber hinaus, doch packend und mitreißend. Und Sorgen zu machen brauchen wir uns ja keine: Sie wollen doch nur spielen.
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Wer zumindest die Songs des famosen Erstlings näher für sich entdecken möchte:
Mit Stables & chairs, Aka M80 the wolf und Tommy laden die fantastischen Vier dem interessierten Hörer gleich dreimal zum Gratisverkosten.

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Montag, Oktober 30, 2006

Womöglich ist die Funkzentrale meines Funkweckers über Nacht nach Greenwich, Aberdeen, Dublin oder auf die Hebriden verlegt worden. Oder mein Funkwecker lebt noch immer im Glauben, es sei Sommerzeit.

Samstag, Oktober 28, 2006

Plastikherbst

Plötzlich entgleisen Knucki ihre Gesichtszüge. "Ich bin ganz erschrocken. Und Brunner & Brunner sind schuld."
"Sind das diese inzwischen faltenverhangenen Schlagerdauerwellenschönlinge?"
Gunnar faltet seine Stirn, lässt die Augen irritiert durchs ovale Weiß tanzen und drückt sich von der Tischplatte hoch. Irgendwer hat die Benzinkanisterlampe angelassen, die anzeigt, dass der Mehrfachstecker noch eingeschaltet ist. Er kippt den Schalter, das orangene Licht erlischt. Dann setzt er sich wieder. Fragezeichen haben sich noch immer in seiner Mimik verhakt.
"Die Beschreibung trifft es grob, ja. Der Charly und der Jokel." Knucki raucht.
"Und die sind schuld?"
"Ja."
"Beide?"
"Komplett."
"Woran denn?"
"Am Plastikherbst im Wohnzimmer meiner Eltern!"
"Am Plastik.. Plastikherbst?"
"Sag ich doch."
"Was ist denn der Plastikherbst?"
"Ich hab doch erzählt, dass meine Eltern sich einen fabrikneuen Retortenwald aus Kunststoffpalmen, Plastikgeranien und ähnlichem artifiziellem Geblätter angeschafft haben."
"Es dämmert mir dunkel, ja." Gunnar schenkt sich Rotwein nach. "Wieso eigentlich?"
"Meine Mutter hatte sich doch ihr Bein gebrochen und konnte nicht mehr durchs ganze Haus laufen und die Blumen gießen."
"Und Dein Vater?"
"Musste zu der Zeit vom Morgengrauen bis tief in die Nacht arbeiten, nachdem Jens, sein Teilhaber in der Firma, bei der Gartenarbeit versehentlich Düngerpulver inhaliert hatte, fast erstickt wäre und ein halbes Jahr nicht arbeiten konnte."
"Achherrje."
"Ja. Beinahe tragisch. Wie dem auch sei: Am Mittwoch hatte meine Mutter, wie Du weißt, ja Geburtstag."
"Ich erinnere mich."
"Am Wochenende nun war ich ja zu Hause zum Nachfeiern. Samstags kam Frau Schnurs zum Kaffee, die Leiterin des Ikebana-Kurses, den meine Mutter an der Volkshochschule macht."
"Und?"
"Zunächst war sie schockiert, gerade als Blumensteckerin vor dem Herrn und Pflanzenliebhaberin, denn sie kannte unseren leblosen Plastikdschungel ja noch nicht."
"Liegt nahe. Aber warum bist Du jetzt erschrocken? Und was haben Brunner & Brunner damit zu tun?"
"Frau Schnurs hat meiner Mutter die neueste Brunner & Brunner-CD geschenkt. 'Ich liebe Dich' heißt sie." Knucki quetscht ihren Zigarettenrest in ihren selbstgetöpferten Aschenbecher. 'Kippenfriedhof' hatte sie mit einem Zahnstocher in den Ton geritzt, damals.
"Meine Mutter steht mit Schlagermusik auf Kriegsfuß, aber das wusste Frau Schnurs nicht. Sie kennen sich ja kaum. Meine Mutter hat die CD trotzdem höflich und interessiert aufgelegt. Schleimige Schlagerschwaden troffen aus den Boxen und etwa in der Mitte des zweiten Liedes begann es seltsam zu zittern und rascheln. Und binnen einer Minute hatten sämtliche der Plastikpflanzen und -bäume ihr Laub verloren. Es hatte sich sogar verfärbt. Wurde schlagartig gelb und braun und matschig. Brunner & Brunner haben in unserem Wohnzimmer den Plastikherbst ausgelöst."

Donnerstag, Oktober 26, 2006

Plattdüütske Spreekworden (IX)

"Woor Rook is, is meestsied ook Füür!", sä Hinnerk un' holl sien Zigarr an een dampen Peerappel.

("Wo Rauch ist, ist meistens auch Feuer", sagte Hinnerk und hielt seine Zigarre an einen dampfenden Pferdeapfel)

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Mittwoch, Oktober 25, 2006

Locklied


Willst du meine Schrippen bestrippen?
Soll ich deine Backen auspacken?

Willst du meine Stellen abpellen?
Soll ich deine Flecken entdecken?

Willst du meine Axeln bekraxeln?
Soll ich deine Haxen befaxen?

Willst du meine Lappen betappen?
Soll ich deine Happen aufschnappen?

Willst du meine Ecken ablecken?
Soll ich deine Schnecken abschmecken?

Willst du meine Ritzen beflitzen?
Soll ich deine Spitzen erhitzen?

Willst du meine Morcheln beschnorcheln?
Soll ich deine Funzeln rapunzeln?

Willst du meine Muskeln majuskeln?
Soll ich deine Datteln besatteln?

Willst du meine Koppeln behoppeln?
Soll ich deine Moppeln verdoppeln?

Willst du meine Gipfel bewipfeln?
Soll ich deine Wipfel bezipfeln?

Willst du mir ecetraecetra?
Soll ich dir ecetrapepe?

(Jan Koneffke)

Dienstag, Oktober 24, 2006

Kladdenverwirrung

Gedanken sind flüchtiger als Edelgase und Ideen bröseliger als jahrzehntealter Wandsandputz, wenn man sie nicht fixiert. Deswegen trage ich gern kleine gebundene Heftchen bei mir, in die ich Gedankenblitze schleunigst krakeln kann, bevor sie auf Nimmerwiedersehen verpuffen. Das ist durchaus praktisch. Meistens.

Ich nutze mein Vademecum allerdings wahrlich nicht immer. Gern vergesse ich es auch. Dann wurmt es manchmal, wenn man nichts zur Hand hat, falls wirklich einmal eine vermeintlich große Idee mir auf die Schulter klopft. Meist finde ich es aber vor allem albern, urplötzlich im Café während einer witzighitzigen oder gemütlichen Diskussion schlagartig das Heft zu zücken, nach einem Kuli zu buddeln und unverhofft drauflos zu krickeln.

Das ist so ähnlich wie bei Menschen, die eine Digitalkamera besitzen und ständig alles um sich herum knipsen zu müssen. Gern auch ihre Mitmenschen, egal wie groß deren Begeisterungsfähigkeit hierfür ist. Schließlich ist auf der Speicherkarte noch Platz. Und wo Platz ist, darf und sollte auch festgehalten werden. Oder unentwegt SMS an die Liebste tippen zu müssen, in denen man 47 Mal in Folge den "Ich vermisse Dich"-Topos variiert. Derweil wird das Gegenüber zunehmend müde, klickert mit den Fingernägeln auf der Tischplatte, fährt sich durch die Haare, beobachtet andere Gäste oder wünscht sich insgeheim, eine Kladde dabei zu haben, in die man die gerade aufgekommenen Gesprächsideen und anderen Unsinn schreiben könnte, die gerade durch den Kopf spuken, aber nicht angebracht werden können, weil der Gesprächspartner ja gerade beschäftig ist. So etwas gehört sich nicht.

Wenn es wirklich dringend ist, geht man zu einem geeignet erscheinenden Zeitpunkt in Richtung Badezimmer, versucht, die Idee so lange in gedanklichen Tupperdosen frisch zu halten und sie erst zum späteren Zeitpunkt, in ungestörter Abgeschiedenheit hinter bemalten Toilettentüren oder andersörtlicher Ungestörtheit, aufzuschreiben. Keine Sorge, ich bin hier nicht wahnhaft veranlagt. Ich habe nicht permanent wildeste Geistesblitze und auch nicht den Wahn, unentwegt Ideen festzuhalten. Wer mich kennt und mag, weiß, dass ich nicht häufiger auf die Toilette renne als andere. Vielleicht abgesehen von Situationen, in deren Vorfeld ich kannenweise Tee getrunken habe. Ich habe keine Konfirmandenblase. In aller Regel mache ich es mir gern gemütlich, krickele nichts, wenn ich mich mit Freunden unterhalte, beobachte lieber und höre zu.

Wenn ich jedoch etwas notiert habe - irgendwann - so fische ich später immer wieder gern in trübsuppigen Gewässern, beim Versuch mich daran zu erinnern, was ich irgendwann einmal gemeint, ausgedacht oder anderweitig für festhaltenswert gefunden haben könnte, wenn meine Finger sich durch die mit Zeichnungen übersäten, verwirrenden, amorphen und wild collagierten Seiten blättern. Vor allem dann, wenn die Sätze mutterseelenallein und komplett isoliert von jedem Kontext auf den Seiten prangen und mit ausgefuchster Kryptik zu bestechen scheinen. Gerade blättere ich wieder einmal. Und nach drei Leerseiten steht windschief gekritzelt: "Opas dunkler Flaum am Ohr." Auf der nächsten Seite folgt "zerrupfter Charme". Das Notizbuch ist ein Jahr alt, mein Opa ist seit fünfzehn Jahren tot und über seine Ohrbehaarung ist mir nichts im Gedächtnis geblieben.

Sonntag, Oktober 22, 2006

Les feuilles mortes

herbstlaub3















Die Vögel ziehen südwärts, die Blätter fallen abwärts. Bunt geworden, bald umhergeweht, zertreten, um ihre Adern herum zerfasernd. Die Sonne spürt leichten Muskelkater, streckt sich aber, um die Wolken noch einmal auseinander zu schieben. Nussschalen segeln bunt durcheinander über den Aasee, schrammen mit Seglern in plötzlichem Hohlkreuz hauchdünn an Havarien vorbei. Hunde beschnuppern einander am Ufer. Manche haufen ins trockene Gras, einige knabbern herabgefallene Eicheln, andere jagen Ästen hinterher, einer saust beinahe gegen eine Blutbuche. Verliebte picknicken auf Sponge Bob-Handtüchern, entpellen Überraschungseier, tunken Fladenbrotfetzen in Tzatziki-Schälchen oder den Dressingrest in der leergegessenen Salatschüssel. Dauerwellenträgerinnen schleichen in rosa Trainingsanzügen über die rotgekiesten Pfade und beruhigen ihr sportliches Gewissen. In unbeholfenen Bananenflanken fliegt ein Fußball über die hügeligen Anhöhen. Familien spazieren vom Jahrmarkt heim. Der Sohn hat einen Luftballon, die Tochter ein Plüsch-Seepferdchen. Die Luft ist kühl, viele tragen schon Schals. Paare kuscheln sich nun enger aneinander. In vielen Wohnungen wird die Heizung eingeschaltet. Auf manchen Fensterbänken flackern Kerzen. Aus der Ferne weht Juliette Gréco herüber. Es wird wieder mehr Tee getrunken.

Freitag, Oktober 20, 2006

Komplimente, bei denen die Zielgruppe genau bedacht sein will (I)

"Du siehst so glänzend aus wie eine Mettwurstscheibe, die vier Tage in der prallen Sonne gelegen hat."

Donnerstag, Oktober 19, 2006

Budapester Denkbilder (II): Schnabelgerechte Schicksalsbotschaften?

"Du hast doch ne Kohlmeise!"
"Nur weil ich..."
"Genau, weil Du meinst, es könnte lustig sein, Dein Glück in den Schnabel eines Wellensittichs zu legen."
"Wäre doch mal etwas anderes."
"Papperlaplüsch! Selbst wenn, Du würdest doch kein Wort von dem verstehen, was Dir angeblich blüht - egal, ob Du nun daran glauben würdest."
"Macht es das weniger originell?"
"Zumindest noch sinnloser."
"Es wäre doch auch für einen guten Zweck... irgendwie."
"Nunja. Aber..."

Mein Schalk im Nacken und die Vernunft bewerfen sich mit Brotkrümeln, während sich schwerer Verkehr über den Ferenciek tere wälzt und die Passantengespräche zermalmt. Und so lehne ich unentschlossen neben den rußbestäubten Blumenrabatten. Wenige Meter weiter kauert eine alte Sintifrau mit Haut aus Blätterteig und schwarzgrauem Hydraschlangenhaar an der Betoneinfassung. In ihrem Schoß birgt sie einen aufgeklappten, kleinen Holzkasten mit winzigen Briefumschlägen in verschiedenen Farben. Ihr Blick fleht verarmt. Auf dem Kastenrand hocken ein gelber und ein blauer Wellensittich. Sie zwitschern nicht. Und selbst wenn, würde man es kaum hören können. Aber ab und zu kommen Passanten, bleiben stehen, geben der alten Frau ein wenig Geld. Und dann darf einer der Wellensittiche, auf ein geheimes Zeichen hin, sich zum Kästchen umdrehen und einen der glückskeksartigen Umschläge mit dem Schnabel herauspicken. Darauf steht wahrscheinlich ein Wink des Schicksals, eine Zukunftsbotschaft, eine Lebensweisheit. Auf ungarisch. Sinn machen würde es nur bedingt, so etwas zu kaufen, aber ich mag Wellensittiche als Zufallsgeneratoren. Und so zanken sich die beiden Sturgeister auf meinen Schultern weiter. Nicht wenige Krümel sind schon auf den Boden gefallen.

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Mittwoch, Oktober 18, 2006

Gleichschaltung in der Leichenstadt

„Also ich bewundere ihn. Er ist ein Pionier, ein genialer Erfinder. Der ist hochintelligent, und auch, wenn er heute so ein berühmter Mann ist, verliert er uns kleine Leute nicht aus dem Auge und tut was für die Region. Schließlich hat er ja auch klein angefangen, damals in der Garage mit der Brotschneidemaschine.“ So ähnlich sprach einst eine Mitarbeiterin im Plastinationswerk von Gunter von Hagens in seiner chinesischen Plastinationsfabrik gegenüber den Kameras von Spiegel TV. Nun gab es ein gräusliches "Déjà entendu".

Der Tod knackt mit den fleischlosen Fingern und zerrt an meinem Toastbrot. Imaginäres Kreischen von Kreissägen, die Knochen zerfetzen, durchfletscht mein Innenohr. Erzähl mir gern Schrumpfkopfwitze beim Essen, fabuliere von fauligem Eiter und aufgebrochenen Wundkrusten: Ich bin da nicht empfindlich, ich breche nicht ins Essen. Und doch zucke ich hier zusammen. Meine Frühstücksbissen werden zu zähklebrigen Brocken, die sich kaum mehr den Hals hinab bugsieren lassen. Es ist nicht der Ekel, der in meinem Magen klumpt, als vielmehr das Erschrecken, wie schnell in schwer anmutenden Zeiten die Scheu verklappt wird. Nicht nur Liebe macht blind, es ist die Hoffnung, die in Verheißung gelegt wird generell. Zwei- bis dreihundert Arbeitsplätze schillern golden am Hoffnungshorizont im Neißestädtchen Guben, inmitten sanft geschwungener Felder und pilzreicher Wälder direkt an der polnischen Grenze. Bald wird man sie die Leichenstadt nennen können. Denn Gunter von Hagens, der wandelnde Totengräber, der Revolutionär der Plastination und ruchlose Gottkaiser makabrer Machenschaften baut in dieser von Glück und Arbeit verlassenen Stadt eine neue Fabrik, in der jährlich Leichen in fast eine Million Scheiben gesägt und für teures Geld verschachert werden sollen. Neben dem riesigen Plastinationswerk in China, fernab des westlichen Fokus und mit fragwürdigen Praktiken und undurchschaubaren Machenschaften mehrfach ins Schlaglicht der Kritik geraten, möchte von Hagens nun etwas für die strukturschwache Region in Brandenburg tun und mit Millioneninvestitionen sein Schärflein für einen neuen Aufschwung beitragen. Die „Länderzeit“ des Deutschlandfunks versammelte Beteiligte, Fürsprecher und Widersacher, um aus O-Tönen eine Eindruckscollage entstehen zu lassen.

Mit beinscheibendünnem Vorsprung von einer Stimme wurde in den lokalen Gremien die Zustimmung erboxt. Und plötzlich, wie gleichgeschaltete Zombies, eiern die Begünstigten mit leichenstarrer Stimme ihr Glücksempfinden über die anlaufenden industriellen Leichenschnitzereien herunter, als seien sie frisch aus der Gehirnwaschanlage gekommen. Die Dankbarkeit über neue Hoffnung verbietet alles Nachdenken. Ungeklärt ist, ob Teile des Hirns, in denen sich reflektiertes Denken ereignet, bei den Neubeschäftigten – z.B. langzeitarbeitslosen Lastkraftfahrern, Metzgereigehilfinnen, Friseurinnen oder Hutmacherinnen – heimlich nach Vertragsunterschrift herausgetrennt wurden. Womöglich nicht. Und doch erschrickt, mit welch stumpfer Einförmigkeit und welch blinder Hörigkeit sie ihrem neuen Jobmarktmessias nach dem Mund reden.
"Ich arbeite hier bereits und war zu einer Fortbildung in China. Das ist alles sehr interessant, und ich muss sogar sagen, die Arbeit gibt mir was. Und ich kann die Kritiker nicht verstehen. Wir tun doch alles für die Forschung. Und wir sollen doch froh sein, dass er uns diese Chance gibt. Nein, ich weiß nicht, woher die Leichen genau kommen, aber es werden doch immer mehr Körperspender."

Über die Techniken dort dürfen sie nicht reden, scheint es. Den Mund verboten hat man ihnen über die Praktiken in der Fabrik. Zumindest wirkt es so. Auch, wenn von Hagens in Kürze ja jede Menge Besucher dort erwartet. Der Bürgermeister selbst wird patzig, verkniffen und laut, als er mit dem Etikett der "Leichenstadt Guben" konfrontiert wird. Welche Ungeheuerlichkeit dies doch sei. Eine infame Beleidigung. Und doch freut er sich auf die Touristenbusse, die hoffentlich bald massenhaft nach Guben gekarrt werden. Denn von Hagens plant, wie er sagt, eine Art musealen Aspekt seiner Fertigung, indem Besucher mit eigenen Augen zuschauen dürften, wenn verstorbene Körper für die Ewigkeit haltbar gemacht und zersägt werden. Er hofft, es kommen mindestens so viele Besucher in seine niedliche Stadt, um dem Körpersägewerk ihre Aufwartung zu machen wie zu den Körperwelten-Ausstellungen.

Vielleicht lässt sich dann auch vortrefflich Augapfelkuchen futtern auf dem Marktplatz, immerhin wird es wohl keine - wie dereinst im KZ Buchenwald - Nachttischlampen mit Schirmen aus Menschenhaut im Souvenirladen geben. Man weiß es nicht. Es mutet wie ein faustischer Pakt aus Verzweiflung an in einer Region, in der die Kraft der katholizistischen Begräbnisrituale eh nur mehr schwach zuckt, Todesfälle überwiegend den Weg in Krematorien finden und kein allzu enges Verhältnis zur Unversehrtheit des beerdigten Körpers mehr vorhanden scheint. Wir verkaufen uns an den Tod, dafür erhält er uns Lohn und Brot. Ein "danse macabre" ums geschlachtete goldene Kalb, scheint es.

Eine verzweifelt klingende Dame schmuggelt sich vor das Mikrofon.

"Mein Mann ist ja schon lange tot", seufzt sie. "Und meine Kinder... ich weiß ja nicht. Und wenn ich mal tot bin, wer soll denn da mein Grab pflegen? Ich lasse mich da doch lieber plastinieren." Und ihr Sohn träumt schon davon, später einmal als Plastikleiche in einem Museum zu sehen zu sein: "Auf einem Motorrad sitzend oder als Didgeridoospieler." Cool findet er auch, dass von Hagens zum Beispiel da Vincis Abendmahlgemälde mit Leichen nachstellen will. Dass womöglich große Mengen Aceton in die Neiße fließen können, stört inmitten der tristen Arbeitslosigkeit niemanden.

Kritik prallt ab wie Wassertropfen von Silikonbackformen.

Von Hagens selbst lavriert sich auch mit seltsamen rhetorischen Schlingerbewegungen an den Anfeindungen vorbei. Ihm geht es um Demokratie, sagt er. Und Demokratie sei, dass jeder plastiniert werden kann, der plastiniert werden will, sagt er. Und dass er die Würde des Menschen sehr wohl respektiert, sagt er. Aber eine Leiche sei nunmal eine herrenlose Sache, insofern auch kein Mensch mehr. Er zahle auch nicht dafür, weil Leichen als herrenlosen Sachen kein Handelswert gebühre. Er berechne nur die Plastinationsarbeiten. Und er betreibe Forschung fürs Volk, nicht wie die elfenbeintürmernen Universitätsprofessoren, die nur im Versteckten von seinen Erfindungen profitierten. Demokratisierung ist ihm immer wieder wichtig. Dass gerade in seinem chinesischem Werk, wie der preisgekrönte Beitrag letztes Jahr im Spiegel enthüllte, der Verdacht besteht, dass Todeszellenkandidaten dort zerlegt werden und auch aus Russland dunkle Kanäle ihm Leichen zuschiffen, übergeht er beinahe. Alle Exponate der Körperwelten seien aus freiwilligen Körperspenden angefertigt worden. Darüber hinaus bekäme er Leichen von der University of Florida zugesandt. Woher sie kommen, welches Schicksal sie erlitten haben? Er habe sogar einen kostenlosen Leichenabholservice von zu Hause initiiert, sodass die Spender keinerlei Kosten mehr zu tragen haben. Und ein honoriger Rentier aus Guben habe ihn angerufen und gesagt: "Wenn Du in Polen Probleme hast, dann komm doch zu uns! Wir haben freie Fabriken." Und die Stadt habe ihm eine perfekte Infrastruktur für die Leichenverarbeitung ermöglicht.

"Die Leute, die über uns reden, wissen doch gar nichts. Und es ist doch eine tolle Sache, für die wir hier arbeiten. Es wird kein Image-Schaden an der Stadt haften bleiben. Es ist perfekt für unsere Region." Der Bürgermeister ist stolz. Alle stünden hinter der guten Sache, fast alle Entscheidungen seien mit überwältiger Mehrheit zugunsten des Projektes gefallen. Die 26:25 Entscheidung mit nur einer Stimme Mehrheit, die letztlich den Ausschlag gab, überhört er geflissentlich und verkündet Parolen, die sich durch Ausblenden der Fragestellung in glitzerndes Licht rücken und die vermutbaren dunklen Flecken überdecken.

"Es ist eine tolle, eine abwechslungsreiche Arbeit", kräht eine andere Arbeiterin über den Äther. "Und dass das hier alle schlimm finden stimmt doch gar nicht. Meine Campingplatzfreunde, mit denen wir das ganze Wochenende zusammen sind, haben gejubelt. Sie finden das auch eine großartige Sache. Und wir tun doch nix Schlimmes. Es ist doch alles erlaubt. Und endlich mal jemand, der sich hier kümmert."

Dienstag, Oktober 17, 2006

Budapester Denkbilder (I): Polgarmesterjelölt

Die Stadt ist tapeziert mit Tausenden von Pappgesichtern. Sie kleben an Stromverteilerkästen, grinsen von riesigen Plakatwänden oder wurden mit Draht über den Köpfen der Stadt an zig Pfähle gezurrt. Nicht wenige von ihnen wollen Bürgermeister werden. Einige sind promoviert. Viele tragen einen Schnurrbart. Pausbacken und Knollennasen scheinen üblich. Eins der Gesichter ähnelt einem frisch angegrillten Dönerspieß. Auf den ersten Blick. Du erschrickst, als Du dies denkst, und grübelst, ob Du bei der kommenden Stadtparlamentswahl wohl einem Dönerspieß die Stimme schenken würdest.

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Montag, Oktober 16, 2006

Die doppelgesichtige Stadt

Die späte Septembersonne senkt sich über die Stadt und taucht die Fassaden der Stadt in sanftes Gold. Hoch oben auf dem steilen Gellért-Hügel reckt die Freiheitsstatue ihre Hände ins schimmernde Licht, als wolle sie Sterntaler auffangen. Tief darunter durchquirlen die Schrauben eng aufeinander folgender Touristenschiffe die mächtigen, strahlenden Donaufluten. Von Deck flackern Digitalkamerablitze in die Dämmerung und verebben doch schon nach wenigen Metern. Gierige Blicke verschlingen das malerische Szenario zu beiden Seiten rund um die Kettenbrücke. Ein ganzer Bezirk als Weltkulturerbe. Die zwei so unterschiedlich schönen Gesichtshälften der Stadtmitte.
Budaer BurgLinks der Donau wirft sich das mondäne Pest in Schale. Feinziselierte, mehrstöckige Prunkkolosse mit üppigen Säulenportalen, ein Jugendstilpalast neben dem anderen schmeichelt dem Auge. Und alle werfen sie Dich um in ihrer verspielten Wucht, die filigran verschnörkelte Riesen an Prachtboulevards. Einkaufspassagen der Jahrhundertwende lassen ob der schnöden Glasbetontristesse heutiger Shoppingmalls sehnsüchtig seufzen. EinkaufspassageVerkehr braust.

Du bist betört und erschlagen zugleich von so viel massiver Schönheit. Gigantische Museen dominieren weite Plätze, die riesige Stephansbasilika versprüht weihevolle Grandezza. Ein milder Windhauch umspielt die neogotischen Winkel und Zacken des größten Parlamentsgebäudes der Welt. Prächtige Kaffeehäuser lassen ihr Weiß in der Abendsonne glühen.Gerbeaud
An unzähligen Außenfassaden tummeln sich unzählige steinerne Figürchen wie Galionsfiguren. Putten kuscheln sich unter Fenstersimse, antike Götter und nationale Helden durchwuscheln ihre Bärte und posieren über Torbögen, nackte Grazien sehen aus, als wollten sie sich lustvoll aus der Höhe auf Dich stürzen. Gemeinsam beobachten sie mit heimlichem Grinsen das Getümmel unter sich: die zur Arbeit hetzenden Bänker, Regierungsbeamte, die sich den Schlaf aus den Augen wischen, die Touristenmassen mit ihren knisternden Stadtplänen und hilflosen Blicken in Sprachführer, wenn sie versuchen, die abstrusen Lautgebilde der so eigenartigen Landessprache auf Straßennamen, Restaurantkarten oder gar in ganzen Sätzen auszusprechen.. Hauchfein geschnitzte Türportale lassen verstohlene Blicke zu auf weit geschwungene Treppenportale im Inneren. Edle Geschäfte locken die Reichen, die in feinen Zwirnen und mit prallen Einkaufstaschen durch die Fußgängerzone der Vaci útca flanieren.

Budaer BurgGegenüber, auf der Budaer Seite der Donau, thront der jahrhundertealte Burgkoloss mit seinem kuppelüberwölbten Palast auf mild geschwungenen Hügeln. Mit der zweitältesten Zahnradbahn des Kontinents ruckelst Du hinauf. Hier ist plötzlich andere Welt. Als seist Du zurückgeworfen in eine pittoreske Kleinstadt im Hinterland. Kleine Häuser in sanften Pastellfarben kuscheln sich an alte, verwinkelte Kopfsteinpflastergassen. Budaer BurgviertelTrotz der gewaltigen Burg zur Linken ist das Viertel zart, niedlich, fast schüchtern. Auch hier ist vieles für Besucher zurechtgeputzt, doch mit kleinbürgerlichem, fast biedermeierlichem Charme. Es riecht nach frischgebackenem Kuchen, hier und da auch nach Hundehaufen. Ein krummer alter Herr wäscht sein Auto. Reife Kastanien fallen auf das Pflaster. Mit der buntgedeckten und verschnörkelten Mátyás-Kirche und der zuckerbäckrigen Fischerbastei, von der aus Du einen herrlichen Blick auf die Donau, das Parlament und die imposante Pester Grandezza gewinnst, nennt indes auch dieses Viertel weitere beeindruckende Schönheiten sein eigen. In Budapest hast Du gleich mehrere Städte in einer, und jede zieht Dich auf ihre ganz eigene Weise in den Bann.

Soweit das diesmonatige Flickr-Hochladekontingent reichte, gibt es hier noch ein paar weitere Bilder.

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Samstag, Oktober 14, 2006

Stockschießen

Äste sind brüchig. Und gerade in der Netzwelt rütteln viele gern an morschem Holz, klauben Fallholz auf und schleudern es munter durch Morgenluft und Abendhimmel. Dies sorgt für allgegenwärtiges Surren, Schwirren, so manche Beule am Kopf und Rindenfetzen im Haupthaar. So hat mich nun einmal mehr ein solches Stöckchen getroffen, beinahe zeitgleich geschmissen von der bezaubernden Frau Rabe und dem feinen Dreimaldenker. Ein wenig müde bin ich der Reißbrettbeitragsschwemme generell so langsam geworden. Doch wenn ich so nett gefragt werde, bin ich natürlich auch nicht so. Und entsprechend habe ich mich nun noch einmal gern aufgerafft und mich selbst durchschüttelt und durchrüttelt. Dreimal fünf Antworten sind dabei aus der Krone gepurzelt. Eine situative Momentaufnahme:

… fünf Dinge, die ich bislang noch nicht habe, aber gerne hätte
1. Eine klarere Vorstellung für die Zeit nach dem Studium
2. Hochinteressante Angebote für die Zeit nach dem Studium
3. Ein Ferienhaus auf Mêlée-Island
4. Eine Undo-Taste für grobe Fehlentscheidungen (da decke ich mich verblüffend mit Frau Rabe)
5. Mehr Zeit und Gelegenheit, mich meinen heißgeliebten Musikinstrumenten zu widmen.

… fünf Dinge, die ich derzeit noch habe, auf die ich jedoch verzichten kann
1. Noch etwas schwammige Zukunftsvorstellungen
2. Ein immer wieder gern chaotisches Zimmer
3. Pollenallergie
4. Seit vier Tagen ein leichtes Ziepen unterhalb des rechten Auges
5. Finanzielle Sorgen

… fünf Dinge, die ich bislang noch nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Kakerlaken im Unterwäschefach
2. Schallplatten von Helmut Lotti
3. Eine Affäre mit Mariah Carey
4. Rote Augen
5. Rostige Hirnwindungen

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Die unbeschriebenen Bereiche des Ziels

















Wir flogen nicht nach Ägypten. Und trotz leise pochender Skepsis purzelte auch unser Gepäck in Ferihegy II, dem Flughafen vor den Toren von Budapest, aus der Gepäckluke aufs Gummifließband. Ägypten konnten wir nun also abhaken. Erstmals in unserem Leben ungarischen Boden unter den Füßen. Er roch nach Scheuermittel. Wenige Minuten später und nach dem Geldtausch in Besitz von einigen zerknitterten Forint-Scheinen, kletterten wir in den Bus, der uns der Innenstadt näher bringen sollte.

Einen ersten Blick auf die traumschöne Stadt konnten wir schon aus dem Flieger erhaschen. Doch erst jetzt allmählich begann die Transformation. Der Wandel, wenn Angelesenes zu Gesehenem wird, wenn Fotos zum Leben erwachen, das Starre sich plötzlich bewegt, das Stumme plötzlich klingt, das Reglose plötzlich riecht, berührt und erlebt werden kann und Du Deinen eigenen Blick gewinnst auf das vorher stillgestellte Panorama. Zunächst jedoch erlebst Du das Unbeschriebene, das Verschwiegene der Reiseführer, den zerbröselnden Tellerrand.

Du durchkurvst die grauen, kamerascheuen Vororte mit ihren flachen Blechhütten, die im Schatten der gigantischen T-Mobile-Plakatwände dem Abend entgegendämmern, die rostenden Schrottplätze, die Betonburgen und kargen Plattenklötze, die von monströsen Ausfallstraßen zersägt werden. Schlaglöcher langweilen sich in unbevölkerten Gehwegen am Straßenrand. Riesige Industriehallen wärmen ihr Blech in der Feierabendsonne. "Rossmann" steht daran. Und "dm". Schon wieder saust ein grellpinkes Plakat der Deutschen Telekom am Fenster vorbei und schlägt Dir Dinge in umlautlastigen Worten vor, die Du nicht entziffern kannst. Die Globalen spielen nun auch in Ungarn, scheint's. Irgendwann steigst Du um in die U-Bahn, immer noch fernab der Innenstadt. Noch immer bist Du ein Stück weit entfernt von den zauberhaften Gegenden, von denen Du gelesen hast.

Hier hat niemand geputzt, gestrichen und glänzend poliert, nur weil Du kommen könntest. Hier scheint wenig anders als es ist. Zerknitterte Arbeiter rauchen aus schmutzigen Gesichtern und warten auf den Bus nach Hause. Von den Kiosken blättert Farbe ab. Einige betteln unter zerrostenden Stahlträgern im Inneren, andere kaufen Wurst. Manche Frauen tragen Trainingsanzüge, Abreisende winken einem Taxi, um zum Flughafen zu gelangen. Wir erstottern uns Tickets zur Stadt und nähern uns langsam den beschriebenen Bereichen der wunderbaren Stadt, die wir bislang nur aus Büchern kennen: Budapest.

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Dienstag, Oktober 10, 2006

Kalle?

Montag, Oktober 09, 2006

Herbei, oh Ihr Hilfreichen!

Ich bin wahrlich keine technische Wurstsemmel, aber ich habe von Programmiersprachen nur die nötigste Ahnung, die ich mir nach und nach selbst zusammengereimt habe. Nun röhrten mehrfach Stimmen aus den Tiefen des Netzes: "Ole, Dein RSS-Feed ist seit geraumer Zeit funktionsuntüchtiger als ein fünfzig Jahre alter Überlandbus in Kirgistan." Und es scheint zu stimmen. Ich habe noch nie in meinem Leben einen RSS-Feed benutzt. Meine Besuche erfolgen immer manuell, spontan (manchmal auch von langer Hand geplant) und interessiert.

Das absurde Service-Team sorgt sich um die Wünsche seiner Leser, hat selbst allerdings keine Lösung für das Problem. Angeblich ist es sogar umso schuldiger an der Misslage. Genauer, und jetzt passen die Blogger.com-Kenner und Technikfüchse bitte besonders auf:

Ich habe vor Wochen, von Frankreich aus, den Gewinnern des Blogstipendiums gratuliert. Irgendwie bin ich da in den optionalen WYSIWYG-Modus von Blogger.com geraten, der mir heimlich beim Erstellen irgendwelche "open Spaces" in den Beitrag geschnickert hat. Ich kann mir den Begriff übersetzen, was dahinter steht, weiß ich nicht. Nun denn. Ich habe auf den damaligen Hinweis nicht mit einzelnen Löschungen sondern dem Versuch einer Radikalkur reagiert und ihn einfach komplett gelöscht.

Nun steht er aber scheinbar immer noch in der Datenbank, auch wenn ich ihn nicht mehr erreichen kann - in meinem Beitragsarchiv innerhalb der Blogger.com-Seite ist er nicht mehr auffindbar. Und gleichzeitig hat genau dieser Beitrag scheinbar meinen Textnewsticker komplett aus der Bahn gekegelt. Unter Euch sind doch sicher pfiffige HTML-Könige und Computer-Experten, die da vielleicht trotzdem eine Lösung herbeizaubern können?!

Sonntag, Oktober 08, 2006

Grillwurstgeografie















Kohleberge staubten auf dem Vorderdeck des Frachters aus Polen, der sich durch den kalktrüben Kanal schob. Ein Schäferhund sonnte sich am Bug und reckte die Nase in den Fahrtwind. Kleine Wellen schwappten gegen die Stahlbohlen am Ufer. Der Dieselmotor köttelte und stieß schwarzrußigen Rauch aus. Unser Grill rauchte dagegen. Holzkohlen glommen darin und zischten, wenn heißes Fett aus Ritzen in der Bratwurst hinabtropfte. Wir saßen zu zehnt im Gras. Manche standen auch. Ketchupverschmierte Pappteller klebten in einer Plastiktüte. In loser Folge ploppten Bierflaschen auf. Da trat sie auf mich zu. Sie hieß wohl Jenny oder Rita, meinte ich mich grob zu erinnern. Wir studierten gemeinsam, kannten uns aber nur lose über das Geburtstagskind des Abends vom Sehen. Sie ringelte Haarsträhnen auf ihren Zeigefinger auf und ab und trat zögerlich näher.

"Du, sag mal, wie kommt es eigentlich, dass Du so gut Deutsch sprichst?"
"Äh...?"
"Naja, so akzentfrei."
"Ich weiß nicht. Ist das sehr verwunderlich?"
"Naja schon, für einen Auslandsstudenten auf jeden Fall sensationell gut. Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, im Ausland und dann ausgerechnet in Deutschland zu studieren?"

Verwirrter Faltenwurf auf meiner Stirn.

"Es lag doch sehr nahe. Aber wo genau glaubst Du, dass ich herkomme?"
"Markus sagte, Du kommst aus Ostfriesland."
"Das stimmt."
"Na guck, und deshalb frage ich."
"Wie jetzt?!"
"Wegen Auslandsstudium und so."
"Mooooment. Wo genau glaubst Du denn, liegt Ostfriesland?"
"Naja", lacht sie verlegen und glockenhell, "das ist doch da bei Grönland, oder?"

Samstag, Oktober 07, 2006

Schalterschock

Wir sind just aus der Schwebebahn geklettert und schlängeln uns an den Abfertigungsschalter der AirBerlin am Düsseldorfer Flughafen. Ein boybandischer Jüngling zutzelt seinen zu Schlangenlinien zurechtrasierten Bart, grüßt unbeholfen und nimmt unsere Buchungsbestätigung entgegen.

"Sie beiden wollen also nach Budapest, ja?"
"Ja, gern."

Er untersucht den ersten Personalausweis, grabbelt dann nach meinem und druckt eine Gepäckmanschette aus, während sein Blick auf das Gültigkeitsdatum meines Identitätsbeweises schwirrt.

"Sie wissen aber schon, dass Ihr Ausweis am 8. Oktober ausläuft, oder?"
"Dessen bin ich mir bewusst. Heute ist der 28. September, er gilt also noch. Wir bleiben ja nur bis zum 5., und ein neuer ist bereits beantragt."
"Das hilft Ihnen aber nicht. Ihr Ausweis muss zwei Monate über den Reisebeginn hinaus gültig sein. Sonst können Sie nicht fliegen."

Mein Herz wird glitschig und beginnt vor Schreck zu rutschen.

"Er muss was?"
"Sage ich doch. Zwei Monate vor Reisebeginn muss der Ausweis noch gelten."
"Ach so, ja, aber jetzt ist doch Reisebeginn, und er wird sogar noch über den Rückkehrzeitpunkt hinaus gelten."
"Davor ist doch egal."
"Sie sagten grad davor."
"Nein, danach. Danach muss er noch zwei Monate gelten."
"Das ist mir komplett neu."
"Dann müssen Sie sich eben informieren. Steht in allen Reisebroschüren."

Ich erbleiche innerlich. Ich habe in meinem Reiseführer davon nichts gelesen. Die Gedanken über die fatalen möglichen Folgen rasen in wirren Schlingen durcheinander und schnüren meinen Hals kurz zu. Doch Skepsis schlägt die Trommel.

"Seit wann muss denn ein Personalausweis innerhalb der Europäischen Union zwei Monate über einen Reisebeginn hinaus gültig sein?"
"Sie fliegen doch gar nicht in die EG." Der Schalterboybandknilch blickt wie Kuhmilch und fährt seinen Schlängelbart ab.
"Sondern? Es ist kein Geheimnis, dass Ungarn inzwischen der Europäischen Union beigetreten ist, und Budapest ist Ungarns Hauptstadt. Und ich dachte, das Schengener Abkommen sei hier inzwischen auch gültig."
"Aber Sie fliegen doch nach Ägypten! Oder doch nicht?"
"Ägypten?"
"Ja."
"Nein."
"Oh."
"Sie haben uns den Flug doch auch gerade zu Beginn noch bestätigt. Nach Budapest."
"Achso. Ja... dann..."

Er schluckt. Sein Kuhmilchblick wird flockig.

"Wären Sie nach Ägypten geflogen, hätte Ihr Ausweis aber zwei Monate länger gültig sein müssen."
"Das ist mir komplett wurscht. Kann ich jetzt mitfliegen?"
"Ja."

Er nimmt auch meinen kleinen Koffer aufs Band, vertäut eine Klebemanschette mit Aufklebern daran und händigt uns die Tickets aus. Leise Zweifel, ob unser Gepäck nun nach Ägypten fliegen wird, nagen in uns.

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Donnerstag, Oktober 05, 2006

Figyelem! Budapest! (I)

















Vom wuseligen und authentischen Treiben in der wunderschönen Jugendstil-Markthalle schwärmt der Reiseführer. Und wirklich ist der wuchtige Bau eine Augenweide mit den verspielten Giebelwinkeln und dem buntgemusterten Ziegeldach. Doch viel zu aufgeräumt und ordentlich ist das Innenleben. Künstlich bereinigt und mit dem Zollstock arrangiert wirkt der Trubel. Eher wie eine Schauspiel-Aufführung mit einheimischen Statisten für Busladungen voller Fremder. Trachtenbehemdete Grauherren zupfen auf hochtraditionellen ungarischen Zittern. Aus einem Automaten klötern Plastikbecher mit Pulvercappuccino. Geschenkbereit und feinsäuberlich ringeln sich Paprikaschoten zu Halsketten auf billiges Band. Honigtöpfe tragen verkaufsträchtige Stoffmützen mit mehrsprachigen Aufklebern. Gewürztütchen glänzen keck. Zu echt und zu einheimisch gerieren sich die Stände. Urtümlichkeit verrät ihre Maske und verzerrt sich teils fast zur Fratze. Wenn auch nur fast. Hausfrauen stehen mitten im Gang und verkaufen köstliche Obst- und Krautwickel. Ein authentischer und lukullischer Lichtblick.Doch hat das Marketing den Markt erfasst und, scheint's, bereinigt.
Riesige Fische haben ihren letzten Kiemenzug getan. Wurstketten knoten sich zu dickfleischigen Knäueln. "Ihr taucht uns in völlig unvorteilhaftes Licht! Viel zu blass!", keifen mächtige Schinkenspeckschwarten die Neonröhren in den Auslagen an. Die verschiedenen Stämme des Paprikavolkes haben die Außenbezirke besetzt und sich zu vitaminhaltigen Mittelgebirgen zusammengedrängt.
Bananen beflunkern die Äpfel mit Seemannsgarn aus Übersee. Stofftücher mit Klöppelspitzen hängen stramm, bemühen sich um einen urtümlichen Gesichtsausdruck und bereiten sich auf ihre Auslandsreise auf noch unbekannte Wohnzimmertische geschmacksverirrter Touristengruppen vor. Bekringelte Püppchen langweilen die landesfarbigen Wappen und Aufnäher. Steingutbecher würden sich an den Stellen, an denen die Preisschilder pappen, gern kratzen. Der Kleber juckt, doch scheitern sie an ihren anatomischen Möglichkeiten. Fast entschuldigend blicken sie drein. Sie selbst können nichts für die lieblose Hässlichkeit ihrer Aufdrucke und die Wucherbeträge, die die Fremden für sie berappen sollen. Wir kaufen nur am Rand, dort, wo das Gemüse nicht zirkelgeschichtet und glanzpoliert ist, ein paar Paprikas und verlassen die wuselige Schauspielbühne lieber durch den Haupteingang. Es gibt noch so viel mehr zu entdecken. Jenseits der Masken.

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Sonntag, Oktober 01, 2006

Ich bin nicht ungern in Ungarn

Ich habe mir eine Villa besorgt. Mitten in Budapest. Sie war nicht teuer. Wobei: Darin wohnen kann man nicht. Das ist auch nicht ihre Hauptaufgabe. Sie ist massiv und aus rostfreiem Stahl. In erster Linie kann man damit Lebensmittel zerschneiden.

P.S.: Hier gibt es noch relativ Neues zu lesen, solange ich in Ungarns Metropole urlaube.

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