Sonntag, April 30, 2006

Es ist schon eine Kunst, zwischen Sex- und Babyspielzeug unterscheiden zu können.

Freitag, April 28, 2006

Autrefois

Während es um ihn herum mechanisch ratterte und klöterte, dachte Wolf-Dieter Kölsch an die längst vergangenen Zeiten zurück, als er noch jede abgefüllte Flasche Bier mit Vornamen kannte.

Donnerstag, April 27, 2006

Richard legt los

„Es ist schon unglaublich, was für menschliches Kroppzeug auf Fahrgäste in der Deutschen Bahn losgejagt wird“, knirscht Richard P., der angeblich in Amerika lebt und sich soeben mit dem Schaffner angelegt hat, als er sich unter großem Ächzen und Schnaufen wieder in seine Sitzbank quetscht. „Der Junge soll bloß Anzeige erstatten. Mein Anwalt würde ihm dasselbe raten. Den kennst Du sicher, oder? Gossi?“ Szoltan zuckt verlegen mit den Schultern. Inzwischen hat er seinen Laptop aus der flachen schwarzen Tasche auf seine Oberschenkel bugsiert und rührt mit dem Zeigefinger über das Touchpad.

„Naja, ist ja auch egal“, zwitschert Richard P. „Oh, Laptops brauche ich auch viel; darüber bekomme ich meine gesamten Aufträge.“ „Aha?“ „Ja, weißt Du? Ich bin Bodyguard.“ Plötzlich zückt Richard P., der angeblich in Amerika lebt und anscheinend als Leibwächter arbeitet, seinen amerikanischen Akzent und spricht, als habe er eine kochend heiße Kartoffel im Mundinnenraum, die den Gaumen nicht berühren darf. Szoltan sagt: „Oh.“ „Tjaha, Peter Maffay, Michael Douglas, für die habe ich schon gearbeitet. Die kenne ich auch persönlich… um die halbe Welt reise ich und schütze das Leben von Prominenten.“ Szoltan erkennt, dass sein Laptop ein ebenso schlechtes Versteck wie seine Nooteboom-Lektüre ist vor den aufdringlichen Kommunikationsofferten von Richard P., der angeblich in Amerika lebt und als Leibwächter für Peter Maffay oder Michael Douglas gearbeitet hat, klappt den Bildschirm hinab und hört, halb genervt halb neugierig, zu. „Ich mach das nun schon gut fünfzehn Jahre. Hab damals die Ausbildung in Israel gemacht. Die Firma gehörte heimlich zum Mossad. Mossad kennst Du, oder?“ „Israelischer Geheimdienst“, knarzt Szoltan. „Richtig. Schlauer Bengel biste. Studierst Du?“ „Ja, Germanistik.“ „Was? Ballistik? Waffen und so?“ „Nein, Germanistik. Deutsche Literatur.“ „Achso. Was ich mag ist Geschichte. Altertümliche Geschichte…. (er schnäuzt sich in den Jackenärmel, Szoltan verdreht die Augen, bemüht sich aber, unbeeindruckt zu wirken) Jedenfalls… Zwanzigtausend Mark hat die Ausbildung damals gekostet. Hat meine Mama mir vorgestreckt, dafür habe ich dann später… später… später…“

Plötzlich schießen salzige Tränenrinnsale aus seinen Augenwinkeln, seine harten Gesichtszüge verkrampfen. Richard P., der angeblich in Amerika lebt, als Leibwächter für Peter Maffay und Michael Douglas gearbeitet hat und angeblich in einem Seitenarm-Unternehmen des israelischen Geheimdienstes für 20.000 DM seine Ausbildung absolviert hat, die seine Mutter vorfinanziert hat, schlägt die Hände vors Gesicht und beginnt, bitterlich zu weinen. „Und jetzt… (es tropft aus seiner Nase in den Schnurrbart)… tot… Herzschlag. Rummsbumms. Tot. Einfach so. Und ich bin grad auf dem Broadway, als mein Handy klingelt. Meine Tochter sagt: ‚Papa, Oma ist tot’.“ Und jetzt komme ich gerade aus Grimersum, wo wir sie auf dem winzigen Dorffriedhof beerdigt haben.“ Richard P., der scheinbar auf dem Broadway via Handy vom Tod seiner Mutter erfahren hat und jetzt allem Anschein nach auf dem Rückweg von der Beerdigung ist, wirft seinen massigen Leib um die verdatterten, knöchrigen Schultern von Szoltan und bebt und schüttelt ihn, während sich eine feuchtkalte Tränenschwemme von Richards Wangen in Szoltans Nacken ergießt. Irgendetwas riecht nach Patschuli.

to be continued

Mittwoch, April 26, 2006

The new pollution

Wie ein Vampir mit abgeschliff'nem Eckzahn durchschleich' ich schlaff die wunderbaren Tage. Die Sonne strahlt sanft, die Vögel zwistschern keck, es grünt, es blüht, mit feschem Farbpinsel tanzt der Lenz durchs Land. Auch Birken und Erlen recken sich vor Freude, behängen sich mit Troddeln und berieseln die Welt mit ihrem Blütenstaub. Nun ist mein Körper da anderer Meinung. Idylle? Iwo! Drangsal und Leid! Die Augen sie tränen tief blutunterlaufen, die Nase sie juckt und sie quillt alle Zeit. Der Rücken er kribbelt nervös wie von zigtausend winzkleinen Nadeln gepiesackt. Der Atem geht flach, Lunge krampft, fiept und ziept. Reizhusten verscheucht flugs den Schlaf. Die Nächte durchwacht, die Tage durchschlummert. Der Kopf dick und träge, prall und zäh aufgeblasen, ein Heißluftballon voller Staub. Die Sehnsucht nach Regen, nach stürzenden Güssen, die Pollen zu Boden hinweg nur bald reißen, die Vorfreude dann, auf die Zeiten danach, wenn die Birken verblüht sind und ich dann befreit.

Dienstag, April 25, 2006

Schaffner gibt's

Es zischt. Schlagartig brüllt das Räderrattern umso lauter, hämmert mit metallischen Schlägen auf die Schläfen. Die Verbindungstür zwischen den Waggons hat sich geöffnet. Der Schaffner betritt das Abteil. „Zugestiegene, die Fahrkarten bitte.“ In der Sitzgruppe neben Szoltan und Richard P., der in Amerika zu leben vorgibt, sitzt ein Mittzwanziger mit schlaffen Mundwinkeln und gläsernem Blick. Den linken Arm winkelt er verkrampft an, die Finger teils übereinander geschoben. „Hallo! Können Sie mich verstehen!“, bölkt ihn der Schaffner an. „Ihre Fahrkarte! Na wird’s bald?“

Angestrengt zerrt der Beschimpfte seine Karte hervor. Einen Schwerstbehindertenausweis. „Tja, mein Lieber“, feixt der Schaffner, dessen Augen hämisch funkeln, „da werden wohl vierzig Euro wegen Schwarzfahrens fällig. Auf Deinem Ausweis hier (sobald er gemerkt hat, dass der Fahrgast behindert ist, fällt der Schaffner vom Sie ins Du) steht keine Fahrstrecke drauf. Damit ist der ungültig. Das macht vierzig Euro plus die Fahrtstrecke nach… wo willst Du hin?“ „Leverkusen.“ „Aha. Leverkusen. Wohnste neben der Bayer-Fabrik? Kähähähä. Haben Sie ne EC-Karte, hach nein, ich meine Bahn-Card. Naja, mit Deiner EC-Karte könnte ich mir einen umso schöneren Tag machen. Meine Frau wünscht sich noch ein Kleid, weißt Du? Das macht dann… 58,90 €. Zu zahlen sofort.“

„Aber mein Ausweis gilt doch für ganz Deutschland. Deswegen steht da nichts drauf“, entgegnet der inzwischen mehlbleiche (Type 405) Fahrgast mit dem Behindertenausweis.

„Papperlapapp. Wenn das bei allen so wäre, säßen unsere Züge ja bald nur noch voller Mongos. Geh zu Deiner Anstalt und sag denen, sie sollen Dir ne Strecke draufdrucken, dann darfste damit auch fahren. Meine Tochter sagt immer: ‚Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.’ Und die studiert Jura. Das hier ist Strafgesetzbuch § 263, Erschleichung von Leistungen und Betrug. Ich würde an Deiner Stelle auch flott überweisen. Sonst sehen wir uns in Leverkusen vor Gericht. Du blutest umso heftiger und ich mach mir nen tollen Tag.“

Richard P. schnaubt, wiegt seinen bulligen Oberkörper, drückt sich mit den muskulösen Oberarmen hoch und schiebt seine massige Gestalt schnaufend in Richtung Schaffner. Er tippt im auf den Rücken; erschrocken fährt der fipsige kleine Bahnbeamte herum und kräht: "Sie, was wollen Sie? Ich bin beschäftigt."

Mit enorm bestimmter Seelenruhe brummt Richard, während er auf den zwei Köpfe kleineren Schaffner herabblickt "Ich wollte nicht mit Ihnen sprechen. Menschen wie Ihnen habe ich nicht viel zu sagen. Ich möchte nur meinem Mitfahrgast, den Sie hier aufs Übelste beleidigen und schikanieren, versichern, dass er auf mich und den Herrn mir gegenüber zählen kann als Zeugen in einer Verleumdungsklage, die er hoffentlich anstreben wird. Und ich werde ihm abraten, das Geld zu überweisen, was Sie ihm hier aus scheinbar purem Abscheu und eigennütziger Boshaftigkeit abknöpfen wollen. Mein Bruder ist ebenfalls schwerstbehindert, er hat ebenfalls einen entsprechenden Ausweis und wenn darauf keine Strecke gedruckt steht, bedeutet das, er darf im gesamten Bundesgebiet fahren." "Aber, aber. aber... nu hör'nse Mal...", fiepste der froschgrün angelaufene Schaffnerzwerg. "Mach Dich vom Acker und schäm Dich in Grund und Boden... und wehe, ich bekomme mit, wie Du noch mehr Leuten unschuldig und haarsträubend pingelig Geld aus der Tasche ziehst. Das widert mich an." Dann nahm Richard dem Schaffner die gerade ausgestellten Bußgeldbescheide aus der Hand, zerriss sie und wies ihm mit dem Finger den Weg durch den Gang in Richtung des nächsten Waggons. Der Schaffner zitterte, wollte zu einem Satz anheben und eilte dann zischelnd von dannen.

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Montag, April 24, 2006

Mööp

Besagter Lenz ist da

Es ist schon so. Der Frühling kommt in Gang.
Die Bäume räkeln sich. Die Fenster staunen.
Die Luft ist weich, als wäre sie aus Daunen.
Und alles andre ist nicht von Belang.

Nun brauchen alle Hunde eine Braut.
Und Pony Hütchen sagte mir, sie fände:
Die Sonne habe kleine, warme Hände
und krabble ihr mit diesen auf der Haut.

Die Hausmannsleute stehen stolz vorm Haus.
Man sitzt schon wieder auf Caféterrassen
und friert nicht mehr und kann sich sehen lassen.
Wer kleine Kinder hat, der fährt sie aus.

Sehr viele Fräuleins haben schwache Knie.
Und in den Adern rollt’s wie süsse Sahne.
Am Himmel tanzen blanke Aeroplane.
Man ist vergnügt dabei. Und weiss nicht wie.

Man sollte wieder mal spazierengehn.
Das Blau und Grün und Rot war ganz verblichen.
Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen!
Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehn.

Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt.
Auf dem Balkon stehn Männer ohne Westen
und säen Kresse in den Blumenkästen.
Wohl dem, der solche Blumenkästen hat.

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache,
und doch ist’s immer wie zum erstenmal.

(Erich Kästner [1928])

Donnerstag, April 20, 2006

Wutbrand in der Einöde

Stoßweise vibriert der Boden. Kurze Zeit wälzt sich ein massiger Koloss von den Augenwinkeln her ins Sichtfeld. Er schnauft, quetscht sich ohne zu fragen in die Sitzbank gegenüber und wirbelt eine Wolke von abgestandenem Qualm mit sich. Die Federn quietschen entsetzt, Szoltan erschrickt. Schrotkugelschwarze Pupillen mustern ihn aus zusammengekniffenen Sehschlitzen über einem dichten Gewirr von Oberlippenborsten, das eine blassgraue Nasenknolle umstrüppt. Szoltan versucht, dem bohrenden Blick auszuweichen und versenkt sich bemüht tief in seine Lektüre – Nootebooms „Philip und die anderen“. Doch das zerfledderte Büchlein ist zu klein. Das gegnerische Starren durchschneidet das Papier, dann zerbricht der tonnenschwere Bass seines Gegenübers das monotone Rattern der Waggonräder auf den Schienen.

Zunächst röcheln die Bronchien, dann rasseln Schleimbrocken den Hals hinauf. Räuspern. Runterschlucken. Der Adamsapfel zuckt kurz nach vorn. Die Zunge umschleckt die Lippen, ehe er brummelt: „Kennen Sie das, junger Mann, dass man sich von der Deutschen Bahn vergackeiert fühlt?“ Szoltan hebt zu einem verlegenen, stummen Nicken an, doch sein schüchtern gemurmeltes „Ja“ geht im brodelnden Wortschwall unter, den ihm sein Gegenüber entgegenblubbert.

„Ist das denn die Possibility? Da bin ich schon mal in Deutschland und bin sogar bereit der Deutschen Bahn meine wertvollen Kröten in den Rachen zu werfen und dann so was. Will ich eine Fahrkarte am Automaten ziehen, sagt der erste Automat in der Bahnhofshalle, er sei kaputt. Stürze ich aufs Gleis zum zweiten Automaten, drücke mich durch abertausend Menüpunkte und am Ende weigert das Kackvieh sich, meine EC-Karte zu akzeptieren. Dreimal!

(sein Schnurrbart zittert)

Renne ich also vom Gleis zurück nach innen zum Barbezahl-Automaten, will das Ticket lösen und was ist? Er schluckt meine Scheine nicht. Frage ich freundlich bei der Bäckerei in der Halle, ob die mir aus Scheingeld Kleingeld machen würden – und? Es tut uns sehr Leid, werter Herr, aber das Problem gibt es scheinbar schon den ganzen Tag. Und wir haben leider auch nur ein begrenztes Kleingeldkontingent. Wenn Sie sich vielleicht doch zuerst an den Schalter der Bahn gegenüber wenden mögen. Da ist selbstverständlich eine meterlange Schlange… ccchhhk…

(er zieht Schleim hoch)

…und als ich dann endlich an der Reihe bin, sitzt vor mir am Schalter diese kleine Hippe mit schlecht gelaunten Mundwinkeln, die so weit herunter hängen, dass man ihre Lefzen auch als Staubwischer benutzen könnte. Ich will also eine Fahrkarte kaufen und sie schüttelt den Kopf.

(er wechselt zwischen Basslage und schrillem Krähen)

Neinnein, wir verkaufen nur Karten für den Fernverkehr…. Wie, Fernverkehr? frage ich. Ich fahre eine Strecke von über 200 Kilometern! Muss ich bis nach Timbuktu tuckern, nur damit ich bei Ihnen ne Karte kaufen kann? Ich darf Ihnen diese Karte nicht verkaufen. Sie müssen mindestens 250 Kilometer weit fahren und Ihre Fahrstrecke liegt, wenn auch knapp, darunter.

(seine Schrotkugelaugen schießen kochendes Schwarz um sich)

Nu hör mal zu, Täubchen, brülle ich sie an, dann wechsel’ mir wenigstens mein Kleingeld, denn der eine Automat von Euch ist kaputt, der zweite will meine Karte nicht, der dritte nimmt keine Scheine und ich habe nicht genügend Kleingeld bei mir, um die Fahrt damit zu bezahlen, Du willst mir keinen… Wer gibt Ihnen das Recht mich zu duzen?, quiekt sie mich an… Ich nehme es mir einfach, brülle ich zurück.

(und er brüllt auch, während er die Geschichte ungefragt berichtet. Szoltan unternimmt gequälte Versuche, aus dem Fenster zu blicken. Andere Passagiere linsen schräg hinüber zur bebenden Erscheinung in der abgewetzten Jacke über dem ausgewaschenen blasstürkisen Strickpulli und schütteln stumm den Kopf)

Da hamm wir sie ja wieder, die Servicewüste Deutschland, habe ich ihr an den Kopf geknallt. In Amerika, wo ich seit Jahren wohne, würden sie achtkantig mit derbem Arschtritt gefeuert. Und jetzt, Lady, schieben Sie die Fahrkarte rüber, sonst ist hier Achterbahn! Ich werde mit Sicherheit nicht riskieren, die Gefahr auf mich zu nehmen, nur wegen Ihrer sturen Bockigkeit für Schwarzfahren blechen zu müssen oder auch nur Aufschlag zu zahlen, in dem ich im Zug löse. Es ist eine Frechheit, wie Sie sich aufführen. Es kann ja mit der Deutschen Bahn nur in den Keller gehen, wenn man fast zwanzig Minuten braucht und auch noch ein bis zwei Morde begehen muss, nur damit man eine Fahrkarte bekommt!

(er richtet sich auf, beugt sich weit zurück, verschränkt die ausgestreckten Arme. Die Finger knacken, als er sie spreizt. Szoltan versinkt tiefer in seinem Sitz)

Das lasse ich nicht mit mir machen, so wahr ich Richard P. heiße! Und guck, plötzlich gings. Die kleine hat gezittert, ihr Gesicht verzogen als hätte sie Batteriesäure geschluckt und mir dann den Fahrschein rübergeschoben. Na endlich. Wäre ich nicht eine halbe Stunde vor Abfahrt dagewesen, ich hätte meinen Flieger verpasst!“

Er, der Richard P. heißt und scheinbar inzwischen in Amerika wohnt, nickt sich und Szoltan selbstzufrieden zu, schnäuzt sich mit Zeigefinger und Daumen [in Ermangelung eines Taschentuchs?] und wischt den Handrücken an seiner speckigen, erdnussfarbenen Cordhose ab. Danach schiebt er seine Schirmmütze aus der Stirn weit auf den Schädel und krault sich das dünne, strähnig verklebte, graue Deckhaar, in das der Schweißriemen der Mütze einen tiefen Rand gedrückt hat. Sein Blick bleibt erwartungsvoll auf Szoltan geheftet, der sich ein größeres Buch zum Dahinterverstecken wünscht und verlegen zur Decke starrt. Ihm war, als hätte Richard P. noch eine Menge mehr mitzuteilen.

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Mittwoch, April 19, 2006

Die Quadratur des Kreises

Schnüffelnasen schnuppern die Sensation. Schon seit Wochen schnarren Trendscouts vor Begeisterung mit den Ohrläppchen und haben sie eifrig auf dem "Next big thing"-Kladdenkritzelzettel vermerkt. Zugleich tüfteln findige Produktdesigner schon, inwiefern sie als nachwachsender Tapetenrohstoff die Erfurter Rauhfasertapete verrenten können: Viereckige Pfannkuchen.

Dienstag, April 18, 2006

Schwabbeltrabbel

Leises Schaudern perlt den Rücken kalt hinab beim Gedanken an die inneren Werte. Gerade jetzt, nach Ostern, explodieren Blutzucker und Cholesterinspiegel gern. Raschelnd reißt man das Stanniolpapier um die Schoko-Hasen, vertilgt wonnevoll Fruchtgummi-Eier, stürzt sich auf mächtigköstliche Torten, lässt Vanille-Eis im Gaumen schmelzen und das Festmahl auf der Zunge zergehen. Wer Kalorien zählt, riskiert arge Schewindelgefühle. Der Bauch wölbt sich eieroval, die Atmung geht schwer, man schleppt sich von Köstlichkeit zu Köstlichkeit, mampft, stopft, futtert. Kleine Gewissens-Erleichterungen bringen Osterspaziergänge entlang vom Eise befreiter Ströme und Bäche. Das fettspeckige Grundgefühl mag trotzdem nicht recht weichen. Doch: Wer nun seinen Schwabbel loswerden will, bitte einmal links abbiegen und dort abgeben.

Donnerstag, April 13, 2006

Im Hintergrund schnurrt's III

Teil 1
Teil 2

Krrrchhhhhk.
Schinken war in Papas Windschatten in die Küche getrottet. Dort kauerte sich nun auf die kalten Fliesen und fing an, markerschütternd zu keuchen, ehe er ein großes, klebriges Gewöllknäuel vor seine Pfoten gehustet hatte. Pugardnik zog seine Wildlederhandschuhe aus, schwang seinen schwarzen Mantel auf die Lehne eines der Küchentischstühle, der dort nun die Polster mit Restregen volltropfte. Er beulte seine aufgeweichte Melone aus und legte sie mitten auf den Tisch. Dann quetschte er seinen massiven Leib in die Sitzecke. Papa setze sich ihm gegenüber und musterte ihn skeptisch. "Wirklich", knödelte er, "es ist mir irrsinnig peinlich. Wissen Sie, wir sind wahrlich keine unreinlichen Menschen. Auch wenn unser Flur gerade aussieht wie... und eigentlich haben auch nicht wir diese fiesen Krabbelviecher, sondern die Wollbrenners obendrüber. Von denen sind die an den Heizungsrohren zu uns hoch. Uns selbst wäre so etwas nie passiert. So sind wir nicht." Papa schwitzte. Pugardnik verdrehte die Augen, starrte dem surrenden Flug einer Stubenfliege hinterher, die die Hängelampe umschwirrte, spielte Däumchendrehen und versuchte, seine Oberlippe komplett in der Unterlippe zu verstecken.

"Machen Sie nicht Fählrr und glauben, Wanzen..." Papa zuckte zusammen. "Wanzen in Wohnung sind eigene Schuld. Kchannte ich alten General in Brno. Der wjarre fast in Trrjanen ausgebrrochen, als er pljotzlich sah, dass krabbeln Wanzen aus seiner... wie sagt man.. špižírna... äh, Speisekammer..." Papas Gesicht wurde froschgrün. "Aber warr sauber bis an sein Cherz. Nie irgendwo Dreck gehabt."

Papa schluckte angestrengt. "Naja, aber schließlich... Wanzen sind Wanzen." Er hielt sich dabei vorsorglich die Hand vor den Mund. Schinken hatte sein Gewöllknäuel - wohl aus Langeweile - wieder heruntergeschluckt und würgte heftig, weil es ihm scheinbar quer im Hals saß. Als er es endlich doch wieder hinausbefördert hatte, ließ er den angespeichelten Klumpen liegen und umschnurrte Papas Beine in der Hoffnung, nun doch endlich etwas Schmackhafteres als klebrige Haare in den Rachen zu bekommen. Pugardnik fuhr mit dem Finger die Krempe seiner Melone entlang. "Wissen Sie", fuhr Papa fort. "Wir sind wirklich sehr sauber. Ich habe auch so einen seltsamen Tick: Immer, wenn ich einen Igel sehe, habe ich das Bedürfnis, ihn zu waschen." Pugardnik sah aus, als suche er nach dem geeignetsten Fluchtweg, brummte dann aber "chatt nix mit Sauberrkeit zu tun. Sage ich doch. Chabe ich Errfahrung. Ich kchenne auch Fjalle, wo Wanzen so etwas wie individuellen Charrakterr entwickchelt chaben."
"Sie meinen: Instinkt", verbesserte ihn mein Vater, der sich die schweißnassen Hände an der Cordhose abwischte.
"Meine ich Charrakterr." Pugardniks Augen funkelten energisch. Papa wich zurück und machte "Ach". Und dann, nachdem er kurz durchgeatmet hatte: "Auch Mäuse? Bekämpfen Sie die auch?"
"Nicht nurr Mjause", krächzte Pugardnik, halb hustend. "Auch Rratten."

to be continued

Mittwoch, April 12, 2006

Morgen sind die Hundert voll

Die Sonne scheint, da sie keine andere Wahl hat, auf wenig Neues. Wir sehen noch immer: Eine Landstraße, einen Baum, Abend. E. sitzt auf einem Stein und versucht seinen Schuh auszuziehen. W. kennt das Spiel schon und malt mit einem Stock ein Kuchenrezept in den staubigen Boden am Straßenrand.

E. gibt wieder auf: Da passiert nichts.
W. rauft sich die Haare: Das kennst Du doch.
E. erinnert sich: Da bist Du also wieder.
W.: Wirklich?
E.: Ich freue mich, Dich wiederzusehen. Ich dachte, Du seist weg für immer.
W.: Ich auch. Obwohl.
E.: Ja, was?
W.: Ich stand doch hier, die ganze Zeit.
E.: Oh ja, fast hätte ich’s vergessen.
W.: Ei.
E.: Hast Du ihn in der Zwischenzeit gesehen?
W.: Wen?
E.: Na, wen schon? Ihn.
W.: Nein.
E.: Ob er wohl noch lebt?
W.: Wer? Godot?
E.: Ich weiß es nicht, er sagte, er wolle noch kommen. Wenn er noch lebt. Aber der andere.
W.: Noch jemand? Wer?
E.: Na, Du weißt schon.
W.: Nein.
E.: Man weiß es nicht, doch sagt man, er wird nun hundert.
W.: Dann sollten wir feiern.
E.: Meinst Du, er kommt?
W.: Wohin?
E.: Hierher.
W.: Vielleicht.
E.: Das wär’s.
W.: Wir brauchen Mehl.
E.: Ich habe keins.
W.: Und Eier auch.
E.: Vom Huhn?
W.: Was sonst?
E.: Und wofür, sagst Du, brauchen wir’s?
W.: Zum Kuchenbacken – Eier, Mehl.
E.: Und wie sieht’s mit nem Ofen aus?
W.: Oh stimmt, der fehlt uns bislang auch.
E.: Lass uns kurz schau’n, was haben wir?
W.: Ein Dutzend Rüben, gelb und weiß.
E.: Und sonst?
W. nimmt seinen Hut vom Kopf, klopft darauf, schaut hinein und rupft einzelne Gräten aus einem Karpfenskelett.
W.: Kein Ofen.
E.: Wie sollen wir denn ohne Ofen einen Geburtstagskuchen backen?
W.: Vielleicht bringt Godot ja einen mit.
E.: Wann kommt er denn?
W.: Vielleicht morgen. Er hat gesagt, er käme.
E.: Wann?
W.: Ich weiß nicht mehr, ist lange her.
E.: Wenn er kommt, soll er auch Mehl und Eier mitbringen.
W.: Und Zucker. Zucker brauchen wir auch. Und Butter.
E.: Für wen backen wir noch mal?
W.: Na, für ihn.
E.: Für Godot?
W.: Nein.
E.: Aber der bringt einen Ofen mit?
W.: Ich weiß nicht.
E.: Vielleicht sollten wir ihm Bescheid sagen.
W.: Wem?
E.: Godot.
W.: Achso. Aber wie?
E.: Ich weiß nicht. Wir könnten ihn auch fragen, wann er kommt.
W.: Und dann?
E.: Wüssten wir mehr.
W.: Könnte er nicht auch einen fertigen Kuchen kaufen?
E.: Das wäre vielleicht einfacher.
W.: Aber weniger persönlich.
E.: Und wann überreichen wir den Kuchen?
W.: Morgen. Denn morgen hat er seinen hundertsten Geburtstag.
E.: Wer? Godot?
W.: Nein.
E.: Und wenn er vor morgen noch nicht da ist?
W.: Godot?
E.: Ja.
W.: Dann haben wir keinen Kuchen.
E.: Dann müssten wir ohne Kuchen feiern. Oder er bringt den Ofen und Zucker, Butter, Mehl und Eier mit.
W.: Könnten wir ihn denn bezahlen?
E. kramt in seinen zerfledderten Jackentaschen, zaubert ein zerknülltes Taschentuch hervor, an dem ein Karamellbonbon klebt, und einen Manschettenknopf: Wo ist denn alles hin?
W.: Was ist denn alles?
E.: Alles Geld.
W.: Hinfort?
E.: So scheint’s.
W.: Vielleicht kann er uns ja etwas leihen.
E.: Godot?
W.: Ja. Für den Ofen. Oder den Kuchen.
E. springt auf: Das ist die Idee! Und dann können wir ihm den Kuchen zum Geburtstag schenken!
W.: Godot?
E.: Nein. Aber wann kommt er denn?
W.: Godot?
E.: Ja. Heißt er so?
W.: Ich glaube. Er sagte, er käme bald.
E.: Kann man ihm trauen?
W.: Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie getroffen.
E.: Und woran erkennen wir ihn dann?
W.: Ich weiß nicht.
E.: Es wird nacht.
W.: Sehr schnell dunkel wird’s zurzeit.
E.: Hoffen wir, dass Godot morgen kommt.
W.: Mit dem Kuchen.
E.: Oder dem Ofen.
W.: Und dann feiern wir mit ihm Geburtstag. Den hundertsten.
E.: Mit Godot?
W.: Nein.

Dienstag, April 11, 2006

Im Hintergrund schnurrt's II

Teil 1

Schlotter.
“Was führt Sie denn zu uns? Ich kann mich nicht erinnern, Ihr Gesicht schon einmal bei uns zu Gast gesehen zu haben”, brachte ich mit espenlaubzitternder Stimme hervor, die Schulterblätter schüchtern hochgezogen. In der Erwartung eines grässlichen Schicksals, schlichen meine Angst erfüllten Blicke in sein bleigraues, Narben zerfurchtes Antlitz. Ich wich einen Schritt zurück, meine Fußsohle klebte auf den Fliesen. Die Verstandesscherbe hatte eine blutende Wunde gerissen.
“Komme ich, um zu entwanzen”, knurrte er und trat einen klatschnassen Schritt auf mich zu.
“Entwas?”
“Entwanzen. Chabben Sie angerrufen, dass sich Wanzen in ihrrer Wohnung versteckt.”

Zack.
“Huch!” Mein Herz klappte vor Schreck zusammen, faltete sich zu einem Origamivogel und sann auf Flucht. Schinken, der sich anschickte, meine Beine zu umschnurren in der Hoffnung auf einen vollen Futternapf, sprang vor Schreck so grazil zur Seite, wie ein sieben Kilo schwerer Fellberg eben springen kann. In mir tummelte sich ein verwirrendes Gewusel diffuser Angstvorstellungen. Sollten wir in das Visier von Geheimdiensten gelangt sein? Wir? Eine harmlose Famile aus dem pumpernickelnden Ostwestfalen?
“Keine Sorrge, wirrd schnell vorrbei. Ich gäche kchurz Lieferrwagen und chole das Gift.”
“Moooooment. Wieso Gift?”
“Junger Mann, wenn ich Wanzen beseitigen soll, soll ich jede einzeln fangen? Mit derr Chand? Nähme ich Gift, wird alles ausgerjauchärrt.”

Plingpling.
Jetzt klackerte es in meinen furchtstarren Gehirnwindungen. Das war der Kammerjäger, den Michaela angerufen hatte, weil seit ein paar Tagen seltsames Ungeziefer unsere Küche durchkrabbelte und sich Papa selbst zu sehr dafür geschämt hatte.
“Oh… ko…ko…kommen Sie doch herein.” Er drehte sich um auf halbem Wege zu seinem Lieferwagen. Noch immer goss es in Strömen. Ich machte einen Schritt zur Seite und ließ Herrn Pugardnik eintreten. "Dankä." Die letzten Scherben meines Verstandes knisterten, als sie unter Pugardniks hartem und durchnässtem Schuhwerk zu feuchtklebrigem Staub zertreten wurden. Ich wies ihm den Weg in die Küche, er trottete mir unter erheblichem Pfützenaufkommen hinterher.

Klackklack.
Hinter uns ging das Haustürschloss. "Retours!", schallte es aus dem Flur. Mein Vater - Französisch- und Erdkundelehrer - war zurück. Endlich. "Sagt mal, wer hat denn diesen Pfützensaustall hier im Flur veranstaltet? Blut, Matsch, Dreck... Was ist hier denn los? Kann das nicht mal jemand wegwischen?" Er schritt flugs zur Küche, und auch er erschrak beim Anblick des schwarz gewandeten, hünenhaften Riesen, der triefend in unserer Küche in einer nassen, dreckigen Lache zu zerfließen schien. "Jonas, wer ist der Herr? Habe ich Dir nicht gesagt, dass Du Fremde nicht einf..." "Pugardnik. Pavel Pugardnik. Ich bin Kchammerjagrr." "Ach sie sind... hatten wir Sie denn..." Papa kräuselte die Stirn. "Ich glaube, Michaela hatte ihn angerufen", entgegnete ich leise. "Michae... achso, ja." "Sie chabben Wanzen, ich soll beseitigen." "Ach so, ja... also, so einfach kann man das nicht sagen, aber setzen Sie sich doch."

to be continued

Montag, April 10, 2006

Im Hintergrund schnurrt's

Rattatazong.
Ich stürzte die treppabwärts. Glockenhell hatte die Türklingel einen Besucher angekündigt. Erst das zweite Klingeln hatte ich wirklich wahrgenommen, als ich auf dem Dachboden klatschfeuchte Wäsche an schlaffgespannte Nylonschnüre klammerte. Als ich nun loshechtete, um zu öffnen, übersah ich Schinken, unseren Kater, der es sich mit seinem knubbeligen Körper auf der Treppe gemütlich gemacht hatte. Ich wollte meinen Fuß noch über seinen massigen Leib hinweglupfen, blieb in der Eile aber trotz allem in seinem wuscheligen Fell hängen. Padautz.

Dingdong.
Flugs sammelte ich noch meinen Verstand und mein Schmerzempfinden vom gefliesten Flurboden auf. Beide lagen in unzählige Kleinstscherben verstreut, zerscheppert, zerdeppert, kaputt. Nun gut, den Rest könnte man später auch wegsaugen. Nur zur Vorsicht aufrufen, nicht dass jemand hineintritt.

Dingdingdong.
Ja, ist ja gut, ich komme ja schon. Ich riss ächzend die Türe auf. Ein rabenschwarz gewandeter, bulliger Herr stand in strömendem Regen davor und kippte einen großen Schwall Wasser auf seine linke Schulter, als er seine Chaplin-Gedächtnis-Melone zum Gruße vom Kopf hob. Sein Kinnbart troff. „Ahoj. Pugardnik. Pavel Pugardnik“, raunte mir der furchteinflößende Herr mit seinem immensen Bass entgegen, das „r“ ließ er dabei markerschütternd rollen. „Sind Eltern auch da?“ Nur wenige pomadige Strähnen klebten auf seiner schütteren Stirn. Er zog die Schultern ein Stück weit zusammen, da sich der kalte Regen in seinen Kragen ergoss.
„Nein. Die sind zur Arbeit.“
„Ist immer gut, wenn Menschen mit Arbeit gibt.“ Doch seine Augen funkelten finster, als er das sagte, und er offenbarte eine dunkle Schneidezahnlücke, als er den Mund weiter öffnete. Regen perlte in wirren Strömen von seiner Stirn, dann flüsterte er fast. „Also bist Du ganz allein?“

Ich hielt mir das Steißbein, das sich anfühlte, als sei es zentimeterweit verrutscht. Außerdem war ich gerade barfuß in eine Scherbe meines Verstands getreten, die ich übersehen haben musste beim flüchtigen Wegfegen. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und gab zur Antwort: „Nein, Michaela ist auch da, meine Schwester. Aber die ist gerade mit ihrem Freud… na, ist ja auch egal.“

„Mächtest Du mich nicht chineinlassen? Ich choffe, dass Deine Eltern Dir beigebracht haben, dass man Gäste nicht draußen im Regen stehen lässt.“ Ein vorwurfsvoller Blick zischte aus seinen Augen auf mich zu und brannte auf meiner Netzhaut, als er mich traf. „Ich wusste nicht, dass… na ja… dass… äh… sie Gast sind.“ „Weißt Du, dort, wocherr ich komme, gibt es Wort ‚umdrovat se’. Das cheißt sich in Irrenchaus philosophieren.“ Kalte Angst durchschoss mich. Was wollte dieser Herr von mir? Ich hatte die leise Befürchtung, er wolle mir nun eine Sterbeversicherung andrehen und mich im direkten Anschluss aufschlitzen, wie in dem Film, den ich vor dem Schlafengehen geguckt hatte.

To be continued

Freitag, April 07, 2006

Szoltan, der Dauerpassagier

Morgenhell erstrahlte die Sonne in Es-Dur, die Bäume sausten im Dreivierteltakt an den schlierigen Scheiben vorbei. Szoltan Szemengdefer schob mit seiner Zunge einen großen Bissen Graubrot mit Kochschinken zwischen seinen kugelrunden Backen hin und her. Zwei Schweißperlen erglitzerten auf seiner Stirn und rannen die Schläfe hinab. Auf der Sitzbank gegenüber hing windschief seine zerknautschte Reisetasche, deren Rückgrat wegen dauerhaft schlechter Haltung schmerzte.Szoltan war eigentlich Student. Lust, zu studieren hatte er keine. Doch hatte man als Student das Glück eines Semestertickets. Und so fuhr Szoltan einfach den ganzen Tag lang Zug.

Schon als Kind hüpfte sein Herz vor Freude, wenn er qualmende, zischende Dampfloks sah. Lokführer wollte er werden. Gigantische Eisenschlangen durch die Lande steuern. Unbedingt. Und den Heizer herumkommandieren. Aber den Heizer gab es nicht mehr, seine Minitrix-Eisenbahn hatten seine Eltern verscheuert, als er zwölf war. Dann waren kurzzeitig auch Mädchen spannender geworden. Aber mit Mädchen konnte man sich nicht über Eisenbahn unterhalten. Über den Kohletender der alten 52, über das Krokodil, über Neigewagentechnik, Drehscheiben vor Ringlokschuppen, den Güterbahnhof in Hamburg-Maschen oder die alten Schweineschnauzentriebwagen.

So wurden ihm Gespräche mit Mädchen früh fad, auch wenn ihre Gegenwart auf anderer Ebene seltsam prickelte. Seit zwei Jahren studierte er nun. Beziehungsweise: Er fuhr Zug. Schmierte sich frühmorgens einige Stullen, nahm sich Lektüre mit (alte, antiquarisch erworbene Modelleisenbahnmagazine mochte er), kochte sich eine Thermoskanne Kaffee und fuhr einfach los. Kurvte quer durch Niedersachsen. Kaufte sich ein Teilchen im Uelzener Bahnhof, stieg in Helmstedt aus, um nicht die Bordtoilette benutzen zu müssen, suchte in Hameln nach einer Telefonzelle.

Während tausende unbekannter Häuser an seinem Blick vorbeizischten, wurde ihm bewusst, wie viele dieser Häuser er nie in seinem Leben betreten würde, wie viele Frauen dort wohnten, mit denen er nie schlafen würde, wie viele Menschen es überhaupt gab, die man nie kennen lernen würde. Doch wollte man das wirklich?

Auch dachte er manchmal darüber nach, wenn der Zug jetzt dauerhaft verschlossen bliebe und man auf lange Zeit nur mit den derzeitigen Insassen zu tun hätte - mit wem könnte man sich anfreunden, welche Frauen würde er für sich interessant finden? Auch konnte er, was er sah, in Musik umsetzen im Kopf. Das Talent hatte er, doch entgegen aller guten Ratschläge weigerte er sich, es zum Geldverdienen zu nutzen. Diese Gedankenspielereien verkürzten ihm die Fahrzeit enorm. Und sie ergänzten sich mit seinem zweiten Hobby, Menschen zu beobachten, ihnen fiktive Biographien anzudichten.
Langweilig nur, dass scheinbar heute niemand von Osnabrück nach Diepholz fahren wollte. Nun gut, es war erst 7 Uhr morgens. Aber niemand zum beobachten.

So durchwaberte das Abteil eine reglose Langeweile. Szoltan kaute weiter an seiner Kochschinkenstulle und starrte aus den schlierigen Scheiben. Draußen erstrahlte die Sonne inzwischen in reinem Fis-Dur, die Bäume sausten im Dreivierteltakt vorbei. Ritardando, nächster Halt: Lemförde.

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Donnerstag, April 06, 2006

Schock! Glück!

Es ist schon fast drei Stunden her, doch noch immer rast der Puls, als sei er auf der Flucht vor den grauen Herren. Die Synapsen brutzeln noch immer lichterloh, die Atmung geht flach, hechelnd. Erholung setzt nur schleppend ein. Selige Erschöpfung ermattet das Hirn, denn: Ich bin das verpeilteste Glückskind südlich von Helgoland. Indes stand ein neunflügliger Schutzengel mir hilfreich zur Seite und hat die Katastrophe verhindert.

Leicht benommen von pollendurchzwirbelter, durchwachter Nacht, stieg ich in den Bus in Richtung Innenstadt, um zur Uni zu kurven. Generell umständlich, in den letzten Tagen war jedoch zu viel Stress und zu wenig Zeit, mein plattes Hinterrad zu flicken. Auf dem Rücken wuppte mein Rucksack, leger über die Schulter geworfen, baumelte meine Notebook-Tasche. Entspannt, vielleicht zu entspannt fläzte ich mich in die Bussitze, beide Taschen übereinander gestapelt zu meiner Rechten. Die Sonne glitzerte, tagträumerisch glitt mein Blick aus dem Fenster.

Als der Bus den Bahnhof passierte, schoss mir siedend heiß in den Kopf, wie weit fortgeschritten der Vorverkauf für das diesjährige Hurricane-Festival laut Newsletter schon ist. Also hechtete ich schnurstracks aus dem Bus, um im Plattenladen noch schnell ein Ticket zu ergattern. Die Türen schlossen sich, der Bus fuhr an und bog um die Ecke. Erst langsam formierten sich im trübmatten Hirn klare Gedanken: Auf Deinem Rücken der Rucksack. Auf Deiner Schulter... auf Deiner Schulter... auf Deiner Schulter... äh... Donner die Axt! Mein Notebook fuhr soeben allein gelassen mit dem Stadtbus weiter durch die Stadt.

Sämtliche Nervenstränge glühten ultrahocherhitzt, binnen Sekunden zimmerte mein Hirh tausende apokalyptischer Szenarien zusammen, Sorgentürme schossen gen Himmelreich. Gedanken zerstoben wie gesprengter Kies. Du hast kein Geld für einen neuen, Deine Magisterarbeit ist drauf, in der Tasche wissenschaftliche Bücher, überhaupt, wenn jetzt einer das Teil schnappt und an der nächsten Haltestelle...

Sofort raste ich unter Volldampf zur anderen Straßenseite sprang bald panisch in die Kundenzentrale der Stadtwerke, wo eine viel zu entspannte und laaaaaaaaaaaangsame Angestellte sich gemütlich daran machte, meinen hektisch vorgebrachten Wunsch, sofort hinterherzufunken, umzusetzen. Quälende Minuten bangen Wartens zerflossen wie zäher Zuckerrübensirup. Und dann doch: Busfahrer kaum versteh deutsch, aber gefunde Notebook, könne abhol in ein Stunde Bussteig gegenüber.
Inzwischen habe ich ihn wieder. Donnerknispel, welche Aufregung. Und so sehr ich Nerven kitzelnde Aufregung in manchen Momenten auch mag und spannend finde. Diese Art von Abenteuer darf sich vorerst eine Weile fernhalten von mir, wennmöglich auf ewig.

Mittwoch, April 05, 2006

Sehen, staunen, lachen, weinen


Kristallklare Tränen schießen wie wilder Sprühregen, das Zwerchfell zittert wie bei einem mittleren Erdbeben, Du kreischst, Du johlst, Du japst nach Luft, hechelst, wälzt Dich auf dem Fußboden. Und gleichzeitig formiert sich das schlechte Gewissen und steigt mit schäumender Empörung auf die Barrikaden. Eine Achterbahn der Emotionen. Über sowas lacht man nicht, das geht nicht, das gehört sich nicht, Das weißt Du auch, aber Du musst beinahe zwangsläufig. Und schon prustest Du wieder los, schüttelst Dich, gierst, juchzt, versuchst Dich zu beherrschen, weil Du weißt, wie völlig unangebracht es ist. Aber es gibt kein Entrinnen vor dem Lachanfall. Alle Kontrollversuche machen's nur schlimmer.

Es geht um einen Ausschnitt aus "Boemerang", in etwa die belgische Version von Jürgen Fliege. Erik Hartman, der Moderator, ist seit Jahren beliebt für seine einfühlsame und anteilnahmsvolle Gesprächsführung und hat diesmal Opfer verkorkster medizinischer Operationen zu Gast, die infolge der Verpfuschungen nun mit schweren Folge-Erscheinungen zu leben haben. Sie leiden unter ihren enormen Bürden, haben schwer mit Vorurteilen und Verhöhnungen zu kämpfen. Nur so viel hier: Es ist die allerletzte Sendung des Moderators gewesen, der danach achtkantig gefeuert worden ist. In aktuellen Einblendungen lässt er die damalige Katastrophe Revue passieren, immer noch von Schuldgefühlen geplagt, traurig über die fatale Wende, die diese wenigen Minuten seinem Leben gegeben haben.

Doch was ist überhaupt passiert? Eine Aufzeichnung dieser Talkshowtragikomödie kann man hier sehen. Es ist zugleich das mit Abstand Witzigste und Bitterste zugleich, was ich seit ganz Langem gesehen habe. Unbedingt ansehen (sofern es die Verbindung zulässt) und nicht von den flämischen Wortbeiträgen einschüchtern lassen, das Wichtige bekommt man auch ohne wortwörtliches Verständnis problemlos mit.

Dienstag, April 04, 2006

Not to be taken very seriously

Wenn man die Form dem Inhalt überstülpt
und Sinngehalt dem Metrum unterwirft,
man jedes Wort nach Vers und Form bemisst
und Kraft aus schnöden Pentametern schlürft,
dann folgt daraus nicht flugs des Lesers Gunst,
denn sinnentleert bleibt's dennoch scheele Kunst.
Gewiss, es ist ein Doppelschneidenschwert,
und immer einen Asbach Uralt wert.

Wenn Aale Grace Kelly umzucken

Die verramschte Schauspielerin schlurft durch die verdreckten Straßen von Paris in der backofenen Augusthitze. Die Sonne schmilzt ihr abgewetztes Lächeln, während sie sich dumm und dusselig sucht nach einem Dach überm Kopf für die Nacht. Alle ihre alten Träume hat sie drangegeben, hinwegfliegen lassen und verschleudert, wo sie doch eine Königin ist und königliche Familien für so einen Quark keine Zeit haben. Deine Kristallkugel verbirgst Du heimlich vor neugierigen fremden Blicken.

Der Sattelschlepperzugfahrer-CB-Funk krächzt: "Hilf' mir doch irgendwer, ich bin hier draußen völlig alleingelassen in der Ödnis. Ich truckfahre die Nacht hinfort, bete für's Tageslicht."

Das Kind im Einkaufszentrum schuftet an der Hot-Dog-Bude. Sein Hut sieht lustig aus, sein Herz ist ein Backstein. Wenn er Deine Bestellung entgegennimmt, guckt er weg, zu sagen hat er nichts.

Aber ich selbst, mir geht's für's Erste ziemlich klasse. Ich bin alles andere als sicher, wann oder wie ich hier gelandet bin. Die Sonne zerschmilzt das Lächeln? Ich denke, ich werd' da schon heil durchkommen.

frei übersetzt nach "Eels - Grace Kelly Blues"

Montag, April 03, 2006

Von der Rolle

Gebrummt hatte das Geschäft schon lang nicht mehr, seit einiger Zeit zwitscherte es aber nicht einmal mehr, nicht in Leipzig, nicht in Schwerin, nicht in Wanne-Eickel, nicht in Bad Reichenhall - was Eugen und seine kleine Ilona maßgeblich darauf zurückführten, dass es die neuesten Hits von Tokio Hotel oder Robbie Williams nicht mehr auf Drehorgelrollen herausgebracht wurden.

Sonntag, April 02, 2006

Gewichtige Preise

Ein wohliges Schmunzeln perlte über meine Lippen, als mir gestern die Aprilscherz- Meldung der "dpa" auf den Monitor flatterte, die SPD erwäge eine Gesetzesnovelle, nach der künftig alle Preise im öffentlichen Nahverkehr abhängig vom Körpergewicht der Passagiere variieren sollten. Witziger Einfall.

Doch:

Was andernorts als Aprilscherz und kruder Einfall belächelt wird, hat in meiner Heimat längst zu einem neuen Konzept geführt. Vielleicht ist die Grundidee für den Aprilscherz sogar genau hier zu finden. Denn im Hotel Ostfriesland in Norden haben die Zimmer keinen festen Preis mehr. Zumindest seit dem 15. März und noch bis zum 10. April. Stattdessen hat in dem Hotel, das seinen Gästen auch geselliges Krabbenpulen als Freizeitvergnügen offeriert, jeder Gast die Chance, durch Sport und geschickte Diät seinen Urlaub zu verbilligen.

Denn jedes Zimmer kostet fünfzig Cent pro Kilo Körpergewicht des Gastes. Spindeldürre Zwerge schlafen hier entsprechend für einen Bruchteil des Preises, den schmerbäuchige Wuchtbrummen latzen müssen. Gewogen wird übrigens bei Ankunft im Hotel. Wer sich also beim reichhaltigen Büffet den Wanst vopllschlägt, braucht keine Preiserhöhungen zu fürchten. "Schlanke Gäste leben länger und können öfter wiederkommen - das belohnen wir", erklärt Jürgen seine Idee. Gerade die leidgeprüften Leihfahrräder, die im Zimmerpreis inbegriffen sind, dürften es ihren Besitzern mit einem dankbaren Kettenquietschen quittieren, dass mehr leichtgewichtige Gäste auch ihre Lebenszeit verlängern.

Samstag, April 01, 2006

Aprilscherze gibt es gar nicht.




(April, April)