Montag, Juli 31, 2006

Misthaufens versteckte Seiten

Heimlich nannten wir ihn Misthaufen. Dabei sah er aus wie ein dickes Pferd. Ein sehr altes und schlappes. Eine wulstige Nase verbreiterte sich zur Spitze hin und mündete unter den schlabbernden Lippen in einen kraftvollen Überbiss. Er flötete mit einem glockengellen Gummizwillentrimbre, wenn er sprach. Und er wieherte, wenn er lachte. Seine blonden Haare glänzten gern in der Sonne. Sie waren strähnig. Er trug gern weite Trainingshosen oder Leggings, in denen er seinen rundum weichen Körper erstaunlich langsam bewegte.

Wir gingen gemeinsam zur Schule. Damals. Und in einer Pause sagte er, dass er zusammen mit Heini und einigen anderen einen Geheimbund gegründet habe. Ob ich denn beitreten wolle? Ich zeigte mich interessiert und radelte eines Nachmittags zu ihm nach Hause. Er führte mich hinter den Garten. Dort hatte er mit Mamas Gartenschaufel ein knapp metertiefes Loch gebuddelt. "Wenn Du mitmachen willst, musst Du Dich nackt ausziehen, ins Loch springen und Dich um Deine eigene Achse drehen." "Und was habt Ihr dann an spannenden Geheimaktionen vor?" Er verstummte lange, runzelte angestrengt die Stirn, schien nachzudenken. Dann wieherte er: "Das ist doch geheim!." "Ach ja. Stimmt." Mangelnde Aussichten auf spannende Abenteuer und fragwürdige Aufnahmekritierien ließen mich von einer Mitgliedschaft Abstand nehmen. Vier Tage später löste sich der Geheimbund, ohne, dass irgendwer davon mitbekommen hätte, mangels Mitgliedern auf.

Ein Jahr später feierte der Misthaufen seinen zehnten oder elften Geburtstag. Um halb drei war ich eingeladen. Gewünscht hatte er sich Geld und Schokolade. Und so fuhr ich schon um kurz nach zwei in Richtung seines einige Kilometer entfernten Hauses, kam am Privatpuff vorbei, das Misthaufen angeblich mit Fernrohr bespitzelte, fragte mich, was wohl ein Puff sei, und klingelte. Seine Mutter öffnete. Ihr Gesicht war chronisch in sich zusammengefallen. Sie ächzte, und seufzte mir schwerer Stimme zu: "M. ist oben in seinem Zimmer." Dorthin stapfte ich auch fröhlich. Kam oben an, vergaß zu klopfen, stolperte hinein und erstarrte. Misthaufen quiekte, wieherte, wurde blass und zuckte zusammen. Er hatte splitternackt auf dem Fußboden gesessen und körpererforschende Experimente in Bezug auf schrittnahe Reibungswärme unternommen. Nun stand er da. Der Glanz in seinem Haar war vor Schreck zersplittert. Sein Teint graublass und stumpf. "E...e...erzähl das Keinem, verstehst Du? Kei-nem! Überhaupt, was machst Du schon hier?" "Meine Eltern mussten früher zur Arbeit und da bin ich schon jetzt gekommen." "Aber Du kommst doch sonst immer zu spät!" "Stimmt. Nun ja... meine Eltern mussten früher zur Arbeit. Und da dachte ich... naja... und Deine Mutter hat gesagt, ich soll einfach hochgehen." Mir wurde heiß, kalt, dann schwindelig. Ein wenig blass wurde ich auch. Denn hübsch anzusehen war der Misthaufen nicht, wie er da so stand. Nackt, mit seinem Pferdegesicht. Und dann vergaß ich ganz, dass Kindergeburtstag war. Und rannte schnell zum Fahrrad und fuhr nach Hause. Auch wenn da niemand war. Und den Jungs in der Schule erzählte ich nix und war angeblich krank gewesen. Denn wer hätte mir schon geglaubt? Der dicke Misthaufen nackt vor dem Fernseher in seinem Zimmer bei Selbstexperimenten... so weit hätten sie mir geglaubt. Denn der Misthaufen prahlte gern mit Quartett-Kartenspielen, die er seinem Vater geklaut hatte, da waren Frauen drauf. Ganz ohne irgendwas an. Ich hatte sie nie ansehen dürfen. Ich war dem ehemaligen Geheimbund ja nicht beigetreten. Doch niemand hätte mir die Wahrheit abgenommen: Er hatte MacGyver geguckt.

Freitag, Juli 28, 2006

Wenn der Drescher mäht

Schwarz wölbt die Nacht sich über Baum und Borke, raschelnd wie ein feines Seidentuch. Inmitten des Dunkels, während Du an den weit geschwungenen Weizenfeldern vorbeikurvst, werfen reglose Riesenaugen grell gleißende Lichtkegel. Wie gefräßige Riesenkäfer malmen sich Mähdrescher dumpf dröhnend durch die dicht gedrängten Halme. Vorwärts. Langsam. Unaufhaltsam. Bahn um Bahn, Feld um Feld, Stunde um Stunde. Erbarmungslos und ohne Rast keilen ihre Messer wie Mandibeln tausende Halme nieder, saugen die Mahd in ihr Inneres. Hinten stoßen sie gewaltige Staubwolken aus ihrem stählernen Abdomen, die in den stumpfen Lichtkegeln der nachtuckernden Trecker wie Feenstaub glitzern. Ein leichter Schauder rieselt Deinen Rücken hinab. Etwas Unheimliches hat sie, die nächtliche Getreideernte. Immer wieder scheint es, als starrten Dich die pupillenlosen Scheinwerferaugen direkt an. Sie blenden Dich. Richten ihren leeren, weißen Blick minutenlang auf Dich, als wollten sie Dich ausleuchten, röntgen, Dein Innerstes herauskehren. Dabei mähen sie doch nur. Und sie starren auch nicht Dich an, sie beleuchten das Feld vor den Messern, um sehen zu können, wo der Stand der Halme endet. Dieselruß liegt in der Luft, hier in der Feldeinsamkeit, hinausgeschleudert von riesigen Motoren. Du ziehst vorbei, doch immer wieder fangen Dich die gleißenden Blicke ein. Immer wieder krabbeln die monströsen Käfer über die Felder links und rechts der Straße. „Fast wie eine nützliche Heuschreckenplage“, denkst Du und musst kurz schmunzeln. Eine Ampel mitten auf dem Land. Sie steht auf rot, Du wartest, da rattert und knarzt es hinter Dir, und unter schwerem Ächzen schiebt sich solch ein Riesenkoloss auf die Straße, just hinter Dich. Im Radio sägen schrille Dissonanzen, werden durchdringender, bohren sich in die Hirnrinde. Ligetis „Atmosphères“. Der Magen windet sich. Von hinten blenden Dich kleine Teleskopaugen über den Messern unerbittlich durch den Seitenspiegel. Fast winzig kommst Du Dir vor. Du bist der Zwerg, hinter Dir schnauft der Riese. Doch Du bist schneller. Die Ampel springt auf grün. Du trittst aufs Gas, entsaust dem schwer röchelnden Berg. Es wird der letzte gewesen sein, dem Du heute nacht begegnet bist.

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Donnerstag, Juli 27, 2006

Schwere Jahre sind es gewesen zwischen Heckenschere, Rhododendron, Rasensprenger, Matschkrumen, und Kantentrimmer. Doch durch große Kraftan- strengungen ist es dem Gärtner gelungen, sein Mörderimage abzulegen. Heute befüllt er Lohntüten, denkt an uns, sorgt für Zuversicht, Ordnung, wird toll gefunden, sorgt für Kinderzukunft und tummelt sich vielleicht bald gar im Rathaus.

Mittwoch, Juli 26, 2006

Besuch zu Tisch

Da sitzt sie vor mir, in ihrem Ed von Schleck-Gedächtniskleid. Ich muss die Augen ein wenig zusammenkneifen. Die grelle Sommersonne spiegelt sich in ihrer Sonnenbrille und sticht direkt hinein. Sie sitzt da, ringelt ihre erdnussfarbenen Locken mit dem rechten Zeigefinger auf und ab und spielt genüsslich mit dem Rauch ihrer Zigarette. Kleine Kringel umschweben ihr Kinn.

Von der Seite knirscht eine drahtige Strubbelkopftrulla heran und mürbelt: "Boah ey, Alte, Du stinkst hier alles voll!"
"Bitte? Wir sitzen draußen in einem Biergarten an der frischen Luft. Das verfliegt doch alles."
"Ja und? Die Pest wünsch ich Dir an den Hals! Verreck Du ruhig an Deinen verfickten Glimmstengeln! Wenn Dir erst die Haut verschrumpelt, die Lunge in Lebensnot fiept, Du blass, fahl und morsch dahinsiechst, wirst Du merken, wie dumm rauchen doch ist!" Gurkengrün verfärbt sich das Gesicht der ungebetenen Dame am Tisch vor Eifer. Ungerührt zieht meine Ed von Schleck-Biergartenbegleitung noch einmal, bläst ihr den Rauch wonnevoll ins Gesicht und grinst sie mit zynischem Engelsgesicht an: "Ich rauche gern. Mir schmeckt's!"

Die gurkengrüne Vettel kocht. Fast meint man Rauchschwaden aus ihren Ohren aufsteigen zu sehen. Sie wendet sich zum Gehen, zischt vorher aber noch: "Scheiße kann so lecker sein, wenn man Scheiße mag!"

Dienstag, Juli 25, 2006

Media vita supra mortem rimus

Gängig schien die Regel, wonach der Tod nahestehender Menschen tiefe Trauer, hilflose Verzweiflung und mitfühlende Anteilnahme auslöst. Zuweilen wird diese Regel von nahezu bitterbösen Ausnahmen bestätigt. Kein Requiem für Karl.

Montag, Juli 24, 2006

Steinfruchtstein

Verwirrende Gefühle durchsprudelten ihn. Auch wenn er mitten unter seinen Freunden, den anderen Kieseln, im eisigen Gebirgsbach umhertollte, fühlte sich Rudi Riesel manchmal einsam - wurde er doch das Gefühl nicht los, dass er einen zu obstigen Teint besaß und optisch eher einer saftigen Steinfrucht glich.

Freitag, Juli 21, 2006

Heiße Hinterbühnen-Einblicke

Die Hitze überbrüllt sogar den Verkehrslärm, lässt die Hirnwindungen in apathische Starre fallen. Alles ist im Fluss, nur nicht die Gedanken. Und wenn, dann nur seltsame. Und so stumpf man vor sich hindämmert, so spitzfindig geht es hier heute zu, denn: Heute startet die Reihe "Romantische Lyrik, neu übersetzt". Hier werden schonungslos subtile Andeutungen mit grellem Scheinwerferlicht ausgeleuchtet! Hier wird gezeigt, was die poetischen Schlingel des 19. Jahrhunderts, die zartbesaiteten Lustmolche, die todverbundenen Träumer wirklich gedacht haben. Oder wenigstens "auch gemeint haben könnten". Absurdistan goes Hermeneutik. Hüpfen wir nun in medias res, schauen uns ein wunderbar zünftiges Volkslied an, das Johannes Brahms gar zauberschön vertont hat und schauen hinter die Bühne der vordergründig kreuzbraven Worte:


Erlaube mir, feins Mädchen,
in den Garten zu gehn,
daß ich dort mag schauen,
wie die Rosen so schön.
Erlaube sie zu brechen,
es ist die höchste Zeit;
ihre Schönheit,
ihr Jugend hat mir mein Herz erfreut.


Soll heißen: Oh bitte, lass mich ran, eröffne mir Deine geheimsten Stellen.
Auf dass ich Einblick in Dein verborgenes Paradies erhalte.
Mein Herz pocht erregt bei dem Gedanken: Lass mich der Mann sein,
der Dir Deine zarte Unschuld nimmt,
Dich in die Liebe einführt und defloriert.

O Mädchen, o Mädchen,
du einsames Kind,
wer hat den Gedanken
ins Herz dir gezinnt,
daß ich soll den Garten,
die Rosen nicht sehn?
Du gefällst meinen Augen,
das muß ich gestehn.


Soll heißen: Mein lieber Herr Gesangsverein, Madame,
Du prüde, vereinsamte Rostfelge.
Es ist kein Wunder, dass Du Single bist,
wenn Du keinen Mann ranlässt.
Was bildest Du Dir eigentlich ein,
wenn Du glaubst, es Dir leisten zu können,
mir nicht Deine geheimsten Stellen zu zeigen
und mich dort hinein zu lassen?
Und das, wo ich Dich doch derart scharf finde....

Donnerstag, Juli 20, 2006

Tied löppt

Ein Fruchtfliegenrudel surrt verärgert über dem Hausmülleimer und beklagt, dass wir inzwischen täglich die Abfälle in die Hoftonne verbringen, um keine gesteigerte Nahrungsgrundlage für das flatterhafte Winzvieh zu schaffen. In der Küche liegen träge Schatten. Das Thermometer hat den Glauben an sich selbst verloren. Trotz brütendster Sommerhitze und obwohl man mir sonst manchmal gar südländischen Teint nachsagt: In diesem Jahr ist es ein wenig anders. Eher barocke Bleiche durchschimmert meine Poren, eher masurisch als südfranzösisch. Meine Tage verbringe ich derzeit im Schatten. Die Füße gern zwischenzeitlich in einem kalten Fußbad, die Handballen auf Taschentücher gebettet; die Finger huschen über die Tastatur. Eingekerkert wird nicht. Aber in praller Hitze lässt sich noch schlechter denken. Und es sind nurmehr vier Wochen bis. Ja, bis. Dann werde ich wohl zum letzten Mal in meinem Leben an meiner Magisterarbeit geschrieben haben. Bis dahin ist noch einiges zu tun. Packen wir's an. Braun werden kann man danach immer noch. Dann werden auch wieder weniger Fruchtfliegen schwirren. Vielleicht.

Mittwoch, Juli 19, 2006

Im letzten Jahrhundert hopsten einige von ihnen schon frei durch den Wald bei Bonn, jetzt springt eins vergnügt durchs Münsterland. Ein Känguru samt Nachwuchs im Beutel durchhüpft seit acht Tagen den Landkreis Borken bei Gronau und hat einen Passanten aufgeschreckt. Wie die Polizei mitteilte, husche es auch gelegentlich h am Anwesen seines Privatbesitzers vorbei. Einfangen lassen wollte es sich bislang noch nicht und hüpft vorerst weiter.
Reinheizgebot

Dienstag, Juli 18, 2006

Mathematische Früherziehung

Die Sommersonne hat sich für heute verausgabt und klettert mit müden Augen hinter die leerstehenden Lagerhäuser und das Heizkraftwerk am Hafen, um sich alsbald zur Ruhe zu betten. Am Kai kniet ein buschbärtiger Mathelehrer mit seinem kleinen Sohn. Etwas unsicher tappst der Kleine am Rand der gemütlich schwabbernden Fluten entlang. Papas Baumwollhemd spannt am Bauchansatz. Eine Entenfamilie schaukelt dösend im Halbkreis auf dem Wasser. Aus der Ferne schweben weiche Bossa-Nova-Klänge herüber. Der kleine Sohn tritt mit seinen winzigen Salamandersandalen einen Kieselstein ins Wasser. Sein Vater stützt sich ab, wie von einem Geistesblitz durchzuckt, und fährt mit seinen kräftigen Fingern über den Boden, ehe er einen flachen Stein aufklaubt, in den Händen wiegt und aufs Wasser schlenzt. Fünf Mal tischt er auf; dann versinkt er in den warmen Fluten. Sein Sohn kichert. Die Entenfamilie schreckt auf und paddelt unter eifrigem Geschnatter weiter in Richtung Hafenmitte, um weiter ungestört dösen zu können. "Schau mal, Jannes", brummelt es aus dem buschigen Bart. "Du musst ganz flache Kieselsteine nehmen und sie in einem Winkel von zwanzig Grad gegen die Wasseroberfläche werfen, dann hüpfen die Steine am Längsten." Jannes Augen glänzen. "Bei mir grad ist er fünf Mal gehüpft. Beim Weltmeister sogar über vierzig Mal." Jannes kratzt sich am Kinn, lacht glockenhell und stolpert ein paar Schritte weiter. Dort buddelt er mit seinen Händen im Staub, hievt einen kantigen dunkelgrauen Betonsteinbrocken hoch und wirft ihn in hohem Bogen über seine Schulter ab. Steil fällt der Stein und klatscht nur etwa einen halben Meter neben dem Ufer ins Wasser. Ein wuchtiger Schwall spritzt den beiden entgegen. Jannes Vater schneuzt sich und wischt dann mit dem Hemdsärmel seine Brille ab. "Ich hab doch gesagt im Winkel von zwanzig Grad." "Papa, was ist zwanzig Grad?" Die kurzzeitig verbiesterten Gesichtszüge seines Vaters weichen auf, der vorwurfsvolle Blick gerinnt zu einem milden Glänzen. Er legt seinen massigen, behaarten Arm um die schmale Taille seines winzigen Zöglings. Dann flüstert er halb: "Das wirst Du schon noch lernen, wenn Du in die Schule kommst."

Montag, Juli 17, 2006

Sommer am Kanal

Blut dampft,
Mut stampft,
Knut klampft,
Ruth mampft.

Freitag, Juli 14, 2006

Get inside the mud, honey!

Glatt und viel zu warm liegt sie da, die trübbraune Suppe. Harte Halme ragen büschelweise in die muffige Luft. Modrige Blätterschlingen gären im Morast. Ein Hauch von Verwesung klettert die Nasenscheidewand empor. Es gluckst und gnurpst bei jedem Schritt das feuchte Ufer entlang. Der zähklebrige Schlamm umklammert Sohle und Spann. Froh darf sein, wessen Gummistiefel keine Löcher aufweisen. Vielleicht ist hier auch schon wer umgekommen. Im blickdichten, blassgrauen Nebel.

Hier in Wales, zwischen buckligen Hügeln und knorrigen Baumresten kauert sich der kleine Flecken Llanwrtyd Wells in die Landschaft. Und hier wird auch in diesem Jahr wieder die Weltmeisterschaft stattfinden, im August. Eine Weltmeisterschaft, für die kein Kaiser Hubschrauberflugrekorde aufstellen wird. Eine Weltmeisterschaft, bei der es keine öffentlichen Übertragungen auf Großleinwände geben wird, vor denen hunderttausende Fans bierbeschwipst feiern. Eine Weltmeisterschaft, deren Finale nicht von Reinhold Beckmann kommentiert und nicht von Kerner anmoderiert wird. Eine Weltmeisterschaft, von der der Großteil der Welt nicht einmal weiß. Es ist die Weltmeisterschaft im Sumpfschnorcheln. Sieger wird, wer einen 50 Yard langen, schlammigen Graben am schnellsten durchschwubbert. Egal ob watschelnd, schwimmend oder tauchend. Kleidungskonventionen gibt es keine - egal, ob Ostfriesennerz mit Gummistiefeln, Bastrock oder Kittelschürze. Manche Anwärter hechten auch im Business-Anzug in den Sumpf. Der bravouröseste der etwa 100 Schlammschwimmer war im letzten Jahr ein Bristoler Feuerwehrmann. Ob die letztjährigen Gewinner des Ditzumer Kreier- oder Schlickschlittenrennens eine Delegation ins Vereinigte Königreich entsenden, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

(Bildquelle: www.web.de)

Donnerstag, Juli 13, 2006

Gregor bekommt Hausbesuch

Unvermittelt riss ihn die Türklingel aus seinem Abendtraum. Das Bewusstsein fixierte wieder die gebogene Messingleselampe. Dann den Tisch, auf dem noch ein vollgekrümeltes Brett, zwei abgekaute Brotrinden und ein leerer Kaffeebecher vom Abendessen vor sich hindösten. Es klingelte abermals. Endgültig hatte das Hier und Jetzt Gregor wieder. „Waking kills the dream“, dachte er. Irgendeine Platte hatte so geheißen. Oder war es eine Band? Er wusste es nicht mehr; erheblich war es wohl auch nicht unbedingt. Er erhob sich, buddelte sich mit den Füßen flüchtig in seine grauen Turnschuhe, schlurfte zunächst zur Anlage, um die Musik leiser zu drehen und dann in den Flur, um die Tür zu öffnen.

Er löste das kleine Kettenschloss, drehte die Klinke. Mit Spannung blickte er in den Lichtkegel der Lampe, in dem drei Gesichter, beschienen, farblos schimmerten. Ihm völlig unbekannte.

Zwei aschfahle Herren, beide in steinlausgraue Filzmäntel gehüllt, starrten ihn durch dicke Hornbrillengläser an. Beide. Die strähnigen Haare klebten vom Haaransatz akkurat nackenabwärts. Möglicherweise Zwillinge. Fast symmetrisch rahmten sie eine hutzelige Frau ein. Fast zwei Köpfe kleiner, kaum jünger als die beiden Herren, die Haare streng nach hinten zu einem Dutt gebunden, braunweiß geblümte Bluse mit einer fischförmigen Brosche, langer, aschgrauer Rock. Ihre vor der Brust gekreuzten Arme umschlossen eine großformatige, schwarze Bibel mit goldenem Kreuz. Gregor musste schmunzeln, als er das biedere Triumvirat vor seiner Tür stehen sah. Sehr skurril, erinnerte es ihn doch auch an einen seiner Lieblingsfilme. Den Schalk im Nacken fragte er dann auch spontan: „Schickt Sie Dr. Pirkheimer? Droht Unheil vom Venusmond Tetra?“

Gläubige Augen blickten ihn ungläubig an.

„Entschuldigung?“
„Ach, nichts. Womit kann ich Ihnen helfen?“
„Wir kommen von der Adventistengemeinde und machen eine kleine Umfrage. Hätten Sie kurz Zeit?“
„Moooment… Wenn es nicht zu lange dauert.“

Der rechte der grauen Herren zog aus einer Ledertasche ein Klemmbrett, einen Zettel und zückte einen Stift.

„Sind Sie Christ? Ja? Nein? Keine Ahnung?“
„Gilt auch zeitweise?.“
Der rechte graue Herr stutzte. "Oh. Diese Antwort haben wir leider nicht berücksichtigt."
"Dann kreuzen Sie 'ja' an."
„Sind Sie der Meinung, dass es neben dem Christentum noch andere Religionen geben sollte?“
„Geben sollte? Es gibt doch noch andere Religionen.“
„Ja, aber halten Sie deren Existenz für berechtigt?“
„Natürlich.“
„Besitzen Sie eine Bibel?“
„Eine Zeit lang musste sie aushelfen als Stütze meiner Wohnzimmerkommode, deren einer Fuß zu kurz ist, aber ja, ich besitze eine.“

Getuschel. Abschätziges, beinahe entsetztes adventistisches Stirnrunzeln.

„Haben Sie das Gefühl, dass Sie Hilfe benötigen, um Bibeltexte zu verstehen?“
„Ich halte die Bibel für ein durchaus sehr interessantes Buch und mich durchaus für fähig, mir die Texte auch ohne externe Hilfestellungen zu erschließen.“
„Glauben Sie an die Wiederkunft Jesu Christi, unseres Herrn, auf Erden?“
„Ich wüsste nicht, warum er noch einmal wieder kommen sollte.“
„Gut, danke. Als Dankeschön für die uns gewidmete Zeit haben wir hier noch ein kleines Präsent für sie. Zum einen unseren aktuellen Gemeindebrief, in dem wir über uns und unsere Gemeinde informieren und zu den nächsten Gottesdiensten einladen, denn wir würden uns freuen, Sie bald vielleicht auch einmal bei uns begrüßen zu dürfen. Zum Anderen ein kleines Büchlein, in dem wir Ihnen Hilfestellungen geben, was Sie tun müssen, um nicht am jüngsten Tag, beim nahenden Ende der Zeiten der Verdammnis der Hölle anheim zu fallen, wie so viele Ungläubige der heutigen Zeit.“
„Verdammnis? Hölle? Ende der Tage? Sind Sie sicher, dass sie nicht im Auftrag von Dr. Pirkheimer kommen?“
„Wir zeigen Ihnen den richtigen Weg zu Gott und zum Himmel.“
„Wenn das jüngste Gericht schon naht, wenn die Apokalypse unabwendbar scheint: Bieten Sie auch Wurzelbürsten und Badezusatz? Äußerlich wie innerlich fühle ich mich bislang rein und ich hoffe, sie kämen jetzt nicht jeden Donnerstag, falls ich nicht irgendwo unterschreibe.“
„Wie meinen? Werter Herr, ich fürchte, Sie begegnen uns und Gottes Wort nicht mit gebührendem Maße ernst und machen sich über uns lustig. Auch Sie werden am Ende der Tage vor Gott, unserem Herrn stehen und sich für Ihr Verhalten rechtfertigen müssen. Gott lässt nicht mit sich spaßen.“
"Oh, Verzeihung."

Gregor schlug den im Auftrag ihres Herrn befindlichen drei Gestalten die Tür vor der Nase zu und überließ sie dem schwach flackernden Licht und dem Geruch von Bohnerwachs im Treppenhaus.

Mittwoch, Juli 12, 2006

Relikte aus prä-absurdistanischen Zeiten (heute: 15. November 2001)

Irgendwie wurde Heinz-Rembert das Gefühl nicht los, dass sein neues aphrodisierendes Deo die Wirkung auf die falsche Zielgruppe ausübte.

Dienstag, Juli 11, 2006

To boldly show what no man has shown before...


Die multimedialen Ereignisse überschlagen sich. Zum allerersten Mal ist exklusives Film-Material der UFA (Useless Films [from] Absurdistan) aufgetaucht und uns zugespielt worden. Zusehen ist ein Ausschnitt aus dem Trainingslager der LeRoes (Lepusculi rosae). Hierbei handelt es sich, kundigen Quellen zufolge, um eine spezielle Geheimorganisation langohriger, pinkbefellter Hasen, die an einer speziellen, türkisfarbenen Kriegsbemalung in den Innenlöffeln und sonnenblumengelber, bei Bisswunden tödlich wirkender Curare-Tinktur auf Nase und Zähnen zu erkennen sind. Für den extrem seltenen Fall, dass man einen von ihnen in freier Wildbahn erspähte. Sie lassen sich von japanischen Ninjas und Assassinen schulen, um in schwer zugänglichen Berggegenden gelbe Rosen vor Wasserdürre zu schützen. Besonders berühmt sind die Lepusculi rosae für ihre sinnfreien wagemutigen Sprünge in uneinsehbare Abgründe. Stolz sind wir, Ihnen dieses Video präsentieren zu können, das wohl selbst Bernhard Grzimek ein Glitzern in die Augenwinkel gezaubert hätte.

Alphabetisches Rechenexempel

Auch wenn sich Gigi Buffon als "sicherer Rückhalt beim Elfmeterschießen" (Kicker) bei jedem französischen Schuss in die verkehrte Ecke warf und keinen einzigen Schuss ansatzweise hielt, und auch wenn "Mad Jens" Lehmann dank Spickzettel zweimal souverän parierte gegen Ayala und Cambiasso: Es gibt Anzeichen dafür, dass wir auch dann gegen Italien im Halbfinale gescheitert wären, wenn wir nicht in den letzten zwei Minuten noch die beiden Hütten von Grosso und del Piero bekommen hätten. Denn: Bei der jüngst abgelaufenen WM hat immer die Nationalmannschaft des Landes das Elfmeterschießen gewonnen, das im Alphabet weiter hinten steht.

Schweiz - Ukraine 0:3 n.E.
Argentinien - Deutschland 3:5 n.E.
England - Portugal 1:3 n.E.
Frankreich - Italien 4:6 n.E.

Schaut man nun nach Deutschland - Italien, hätten die Klinsmänner auf Grund dieser an den Haaren herbeigezerrten Kausalbeziehung möglicherweise ihren Unschlagbarkeitsmythos im Elfmeterschießen gegen Italien verlieren können und wären trotzdem nur ins kleine Finale gerutscht.

Montag, Juli 10, 2006

Radschläge zum Wochenanfang


Im Leben geht nicht immer alles rund. In Hamsterlaufrädern manchmal auch nur bedingt. Absurdistan startet tierisch in die Woche.


Freitag, Juli 07, 2006

Rosa Sprudel

Das Zwinkern einer Erdnuss in der trockenen Bastschale?
Meins ist es nicht, nimm es lieber nicht an. Denn wer weiß schon?
Wannenwasser von Marat in Weißblechdosen?
Ist wahrscheinlich nicht echt, so wie tütenweis’ Stadiongrasduft.
Der Silberstreif am Horizont – doch nichts als Alufolie?
Weiße Glut schillert im schwarzhaarigen Monstrum schwachberieselter Schrumpeligkeit.
Wurst ist auch nicht mehr als grüne Seide.
Rotbeschwänzter Schwung knackt im rechten Mittelohr.
Knarzknarz. Gemeinheit!
Richard der Dritte hatte auch keine Lauch-Hackfleischsuppe in Reichweite, als er verschied.
Zieh niemals einen Mann an seinem Schwanz hoch und versuche ihn gen Horizont zu schleudern.
Ganz klar: Gilligans Insel schliddert auch nicht unbedingt näher an Bornholm als Reinecke Fuchs.
Denn der Kessel knistert und schwatzt,
und eine Unruhe in Spiegeln –
das Meer zerbricht seine grauen Scherenschnittschatten
Der Mond ist mein Kissen, es ist nicht sehr süß.
Seinen Federn entfliegen nicht Fledermäuse und Eulen.
Seidengrashalme umstreicheln die knacknackten Knöchel.
In Dich selbst verwickelt wie eine Spule,
Träumst Du dem dämmernden Morgen entgegen.

Donnerstag, Juli 06, 2006

Zehne zeigen

Wie bereits irgendwann berichtet, arbeite ich immer noch erfolglos daran, meine österreichischen Zimmergeister zu Stubenreinheit zu erziehen. Und so hinterlassen sie weiter ihre Notdurft ungefragt und ungewollt in meinen vier Wänden. Gerade auch auf Büchern, die schon eine ganze Weile nur so dastehen, obwohl zumindest so einige ein ganz anderes Dasein verdient hätten. Von Ally aufgefordert, komme ich der Bitte selbstverfreilich gern nach und präsentiere zehn brachliegende Lektüreschauplätze in meinem übervölkerten Bücherregal:

1. Thomas Bernhard - Alte Meister

Beim Durchstöbern staubigverwinkelter Antiquariate ist mir eine alte Erstausgabe zum Spottpreis in die Hände gefallen. Leichte Ehrfurcht vor dem edlen Gebinde und magistrale Zeitnot haben mich noch nicht eintauchen lassen.

2. Javier Marías - Mein Herz so weiß
Eine äußerst belesene Freundin von mir schwärmt von diesem Roman, der wohl durchaus mehr Menschen als nur sie begeistert hat. Ich selbst habe mich aber schon auf den ersten Seiten im hypotaktischen Gewirr roter Fäden im Satzbau verheddert und das Buch vorerst auf der Lektüreliste wieder in den Wartezustand geschickt.

3. Friedrich Nietzsche - Also sprach Zarathustra
Habe ich "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" doch durchaus mit kribbelndem Interesse durchförstert und aufgesogen, habe ich den Zarathustra doch nach gut 100 Seiten in die Ecke gepfeffert und den Schmarrn nicht mehr ausgehalten. Steht seit Jahren eingeschüchtert zwischen Kant und Wittgenstein, wird wohl so schnell nicht mehr in die Leseliste eingewechselt.

4. Johann Wolfgang von Goethe - Die Leiden des jungen Werther
Dereinst vor vier Jahren halb gelesen, dann bittere Trennung durchlitten. Mutter war besorgt um Sohn, verbat die Lektüre aus übertriebener Furcht vor potenziellem Suizid. Sohn folgte einsichtig, verpasste nach überstandener Herzreparatur einen neuen Versuch.

5. Gustave Flaubert - Die Erziehung des Herzens
Das letzte große Flaubert-Werk, was mir noch nicht unter die Lese-Augen gekommen ist. Wurde bislang auf die Zeit nach der Magisterarbeit vertröstet. Gesichtsausdruck: Bislang noch entspannt und geduldig.

6. James Joyce - Dubliners
Angeschafft, nach dem "Ulysses" und "Das Porträt eines Künstlers als junger Mann" zu blitzblanker Begeisterung führten. Aus irgendwelchen, kaum benennbaren Gründen nur zur Hälfte gelesen, trotz der Kürze. Fortsetzung soll folgen.

7. Juan Carlos Onetti - Das kurze Leben
Opfer mangelnder Lesedisziplin. Die ersten vierzig Seiten stilistisch fantastisch gefunden, abgelenkt worden, aus der Hand gelegt, vorerst noch "Lese-Ruine". Fehlende Seiten sollen jedoch noch nachgeholt werden. Wartelistenplatz weit vorn.

8. Marcel Proust - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Leidet immer noch unter dem schlechten Ruf, man verlöre sehr viel Zeit, läse man es ganz. Bislang vor allem Blickfang und Regalbeschwerer. Hofft auf zu viel Zeit des potenziellen Lesers. Die Umstände, die so viel Zeit ermöglichen sorgen den potenziellen Leser aber. Vorerst auf die lange Bank geschoben.
9. Terézia Mora - Alle Jahre
Ein verblüffender, sprachlich brillanter und erstaunlich erzählter Roman. Auf den ersten einhundert Seiten. Teilt das Schicksal mit Onetti, Joyce, Goethe und vielen anderen. Weiterlektüre erscheint mindestens enorm lohnend. Sobald Zeit ist.

10. Robert Musil - Der Mann ohne Eigenschaften
Teilt das Schicksal mit Proust. Zu viele Seiten brauchen bei zu langsamem Lesetempo und zu wenig Disziplin zu viele Anläufe. Bislang nicht über die Anschaffung und einen Spitzenplatz auf der Liste "ambitionierte Vorhaben" hinausgelangt.

Mich persönlich würde nun ja reizen, wie es auf diesem Gebiet bei Viktor, Nora und Frau Mephistascripts bestellt ist.
Wenn sonst wer mag: Auch sehr gern.

Mittwoch, Juli 05, 2006

Transalpines Fallobst

Je knapper, desto bitterer. Es schmerzt das Herz, das schlägt, wenn die grüne Hoffnung auf dem Rasen Minuten vor Schluss gegen die Wand kracht und im Torjubel der Gegner zerschellt. Schade war's. Effektivität hat einmal mehr gesiegt. Unverdient war es nicht, und vielleicht rettet diese unnötige Niederlage die Jungs mittelfristig vor himmelragenden Erwartungshaltungen. Schön, dass trotzdem tausende Anhänger Fahnen schwenkten und die Jungs gefeiert haben. Schade, wie viele Freudenfahnen binnen einer Nacht verschwunden sind. Grund, stolz zu sein, gibt es immer noch, wie ich finde.

Meine Galle brachte aber zum Brodeln, was gar nicht spielentscheidend war.

Die schon vorher prophezeite und von völlig anderer Seite sogar einstudierte Plumpssucht und eiskalte Ruchlosigkeit der Squadra Azzura. Die commedia dell'arte und die Schwerkraft. Wie blaues Fallobst stürzten Daumenlutscherschnurrbart Totti, der seltsam bezopfte Camoranesi und ihre Kumpanen ein ums andere Mal mit riesigem Trara zu Boden, sobald irgendwer auch nur die Hüfte touchiert hatte, hielten sich schmerzverzerrt die Hände vors Gesicht, wo niemand sie berührt hatte, wanden sich in Todeskrämpfen. Im Augenwinkel immer der Blick zum Schiedsrichter. Sieht er mein Bohei? Wird er ahnden, was gar nicht war? Um alsbald dem Tode zu enthüpfen und quietschfidel weiterzuwuseln. Grässlich. Dass der Sieg in Ordnung geht, dass sie cleverer waren, gestehe ich ihnen gern zu. Aber vor Selbstmitleid und Schmerzsucht zu zerfließen und gleichzeitig hintenrum verdeckt in Hacken zu treten und über die Klinge springen zu lassen, ist von dreister Selbstgerechtigkeit, bei der sich mir die Nackenhaare aufstellen und ich Hautflecken bekomme, ohne unter Neurodermitis zu leiden. Sei's drum. Diese Aktionen waren am Ende ja nicht entscheidend. Vor allem: Noch gibt es ja die Hoffnung auf ein weiteres großes Spiel. Zwar nicht ganz so groß wie am Ende erhofft und doch viel mehr, als man vor Beginn erwarten durfte.

Dienstag, Juli 04, 2006

Peter kann alles

Nach dem bitteren Elfmeterfiasko der Engländer scheint Vielseitigkeit gefragt. An vorderster Front versucht sich nun der bohnenstängelige Superschlacks Peter Crouch in so ziemlich allem und noch mehr. Erstaunlich köstlich. Eigenartigen Dank fürs Finden.

F.

Einige Jahre hat er in Berlin gelebt, obwohl das wuselige Geschnarre der Großstadt, das Knattern, Rauschen, Scheppern und Geschnatter ihm, dem kleinen Ostfriesen vom Lande, zu laut, zu schrill, zu wild war. Viel einsamer hatte er sich gefühlt, unweit vom Westhafen, als in Möhlenwarf, gleich beim Emsdeich. Auch zur See gefahren ist er lange Jahre, als Funk-Assistent. Doch zog es ihn zurück ans Land. Irgendwann fehlten ihm fehlte die Musik, der Jazz, die Bands, sein Gitarrenverstärker und seine Freundin. Und GEZ-Fahnder ist er gewesen und hat sich in vielen norddeutschen Häusern zur persona non grata gemacht. Gleichzeitig ein herrlicher Beruf, weil er unendlich freie Zeiteinteilung erlaubt. Doch der NDR deckt den säumigen Bevölkerungsteil inzwischen mit Briefbergen postalisch ab. Da bleibt nicht mehr viel Rest. So arbeitet er jetzt in der Agentur für Arbeit. Mit Geschäftsleitern und Arbeitern im Küchenverkaufsgewerbe hat er zu tun. Und er hat gemerkt: Nicht nur Hunde und Herrchen gleichen sich mit den Jahren optisch und behavioral aneinander an. Das gilt auch für Küchenverkäufer. Schon mindestens drei sind ihm begegnet, die in ihrem Reden so platt und in ihrem Auftreten gleichzeitig so glatt waren wie ein Ceran-Kochfeld.

Montag, Juli 03, 2006

Was kennt Jubel?

Nur noch das Notstromaggregat des Nervensystems tuckerte, dies aber mit rasender Betriebsamkeit. Das Hauptnetz war zuvor wegen Überhitzung durchgeschmort, unzählige Leitungen zerrissen oder auf Grund von Kurzschlüssen wegen mördervoltischer Hochspannung abgeraucht. Am Ende des herzinfarktträchtigen Viertelfinals gegen Argentinien barst die glühend heiße Begeisterung und ungläubige Freude wie kochend spritzende Lava aus zerklüfteten Vulkanen. Ein dumpfer, taubtrüber, ja, beinahe benommener Glücksrausch, noch halb unter Schock. Heisere Schreihälse benetzten noch kurz ihre freudetrunkenen Kehlen mit lauwarmem Pils, tanzten, schwangen ihre Fahnen und grölten „Ihr seid nur ein Rindfleischlieferant, Rindfleischlieferant, Rindfleischlieferant!“ und unermüdlich die Endlosschleife „Ooleeee, Super Deutschland, Ooleee, Ooleee!“ Wildfremde Menschen fielen sich um den Hals, Freudentränen und der Schweiß der Ekstase ließen die selbstgeschminkten Flaggen in hunderten Gesichtern in joviales Matschbraun zerlaufen. Und was war es für ein Spiel.

Der Anpfiff wirkte zunächst ein „Halali“ zur Treibjagd. Ein druckvolles, wuseliges Hickhack. Ein vielbeiniges Gegrätsche, Geschubse, mehr Spielunterbrechungen als Spielzüge. Die Argentinier kämpften mit offenem Visier, von irrwitziger Leidenschaft befeuert. Ständig einen Schritt schneller, mit unbändiger Energie umsausten sie die noch leicht verschlafenen Jungs von Klinsi, spielten sich selbst schwindelig, knatterten am Ende aber doch nur gegen die deutsche Abwehrwand. Vor allem Arne Friedrich, der noch zu Beginn des Turniers auf fast verblüffende Weise bewies, dass der Ball ihm die Freundschaft gekündigt hatte und er selbst ohne die Pille nicht mehr ganz so genau wusste, was man am Besten auf dem Platz anstellt, er schwang die Spachtelmasse und dichtete die rechte Abwehrseite komplett ab. Auch der Rest verteidigte mit Feuereifer und ließ die Wucht des argentinischen Passgewusels weitgehend verpuffen. Und doch. Gerade im Mittelfeld trabten die Jungs, vor allem Ballack, hinter den wieselflinken Gauchos hinterher, setzten selten energisch nach, ließen sich von der Gegenseite zeigen, was sie selbst eigentlich hätten tun wollen: Den Gegner schon bei der Ballannahme stören, ihm auf die Füße treten, ihn entnerven und zu Fehlern zwingen. Die Flügel lahmten vorn. Die zwei besten Chancen waren trotzdem auf unserer Seite. Ballack wuchtete einem Kopfball nach flauschigweicher Flanke von Schneider hauchknapp am rechten Torwinkel vorbei und Mertesacker einen Drehschuss in die Maschen über und hinter dem Tor.

Die Hoffnung auf Besserung in der zweiten Halbzeit erstarb nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff. Der winzige Verteidigerfloh Ayala hüpfte aus dem Windschatten von seinem Bewacher Klose und wuchtete die Kugel ins rechte Eck. Schock! Sämtliches Blut wich aus den Gesichtern und gerann zu zähflüssigem Entsetzen. Grausame dreißig Minuten musste man ein ums andere Mal fürchten, dass die überlegenen Argentinier gar noch die vielbesprochene Schnittstelle der Viererkette knackten und ein zweites Mal einnetzen. Der schmissige Elan, gerade nach den erstaunlichen argentinischen Auswechslungen, war bei Argentinien flöten gegangen, Klinsis Kerle kämpften mit wachsendem Feuereifer, doch so recht gelang noch nichts außer dass Klose in Abbondanzieri, den als Elfmeterkiller gefürchteten Keeper der Gauchos hineinrumpelte und ihn am Ende unabsichtlich aus dem Turnier kegelte. Und wie fluchten sie um mich herum, als Klinsi tatsächlich wagte, Strubbelsträhnenbernd Schneider, den passgenialen aber diesmal etwas phlegmatischen weißen Brasilianer gegen den ungestümen Grünschnabel Odonkor auszutauschen. Und doch. Der wirbelte über die Flügel und umschlenkerte selbst die Weltklasseverteidiger der argentinischen Deckung, dass ihnen nur die Schweißperlen der Verblüffung auf der Stirn glitzerten. Und plötzlich dann Ballacks Flanke, die in den Strafraum segelte, von Borowskis Mittelscheitel weitertitschte und von der Stirn des tieffliegenden Klose in den Winkel klatschte. Fast ungläubig, blind vor Begeisterung, aufgeputscht, irre, peitschte ein Jubelgebrüll los. Die fast schon Ausgeknockten waren zurück. Die Nervenbahnen ächzten unter Hochdruckspannung, Feuchtigkeitscreme war für die Handinnenflächen wahrlich nicht mehr nötig. Quälende Minuten mit wachsender Zuversicht, aber ständig in Gefahr, durch einen Geistesblitz der ‚Seleccion’ doch noch das Rumpsteakmesser in die Brust gesetzt zu bekommen. Und dann Elfmeterschießen. Manche schlossen sich sogar auf dem Klo ein und hielten sich die Ohren zu. Die Spannung. Kaum noch zum Aushalten. Doch hier passierte es: Der kantige Titanenschatten, Jens Lehmann ist ihm enthechtet. Und selbst der Olli, dem doch der Titanenschatten gehört, umarmte den Jens, lächelte und sprach ihm Mut zu. Mit zerknittertem Spickzettel im Stutzen schmiss der Jens sich den Elfmetern entgegen und ließ Ayalas Hoffnung ebenso zerbröseln, ihn mit einem schlapp geschobenen Kullerball narren zu können, wie er Cambiassos knackigen Schuss nicht an sich vorbeifliegen lassen wollte. „A Woahnsinn!“ Die Argentinier fanden diese Art des Spielendes vergleichsweise verzichtbar und sorgten mit ein paar munteren Kampfsporteinlagen für heißgekochte Rudel. Doch das interessierte keinen großen Geist mehr, Münster ertrank in Landesfahnen und lautem Jubelgesang, der selbst einen startenten Düsenjäger noch in Verlegenheit hätte bringen können. Und das Münsterland trank Bier.Viel Bier, sodass ein einzelner Student, der in der Nacht nach dem Spiel noch mit Medikamenten an Bord durch Dörfer und Kleinstädte kurvte, in schwer einsichtigen Kurven beinahe ein paar Voll- und Freudentrunkene vor die Stoßstange getorkelt wären. Doch nur beinahe. Beidseitiges Geschick half, dass am Ende nur die Freude überwog.

Sonntag, Juli 02, 2006

Wir werden Waldmeister!