Misthaufens versteckte Seiten
Wir gingen gemeinsam zur Schule. Damals. Und in einer Pause sagte er, dass er zusammen mit Heini und einigen anderen einen Geheimbund gegründet habe. Ob ich denn beitreten wolle? Ich zeigte mich interessiert und radelte eines Nachmittags zu ihm nach Hause. Er führte mich hinter den Garten. Dort hatte er mit Mamas Gartenschaufel ein knapp metertiefes Loch gebuddelt. "Wenn Du mitmachen willst, musst Du Dich nackt ausziehen, ins Loch springen und Dich um Deine eigene Achse drehen." "Und was habt Ihr dann an spannenden Geheimaktionen vor?" Er verstummte lange, runzelte angestrengt die Stirn, schien nachzudenken. Dann wieherte er: "Das ist doch geheim!." "Ach ja. Stimmt." Mangelnde Aussichten auf spannende Abenteuer und fragwürdige Aufnahmekritierien ließen mich von einer Mitgliedschaft Abstand nehmen. Vier Tage später löste sich der Geheimbund, ohne, dass irgendwer davon mitbekommen hätte, mangels Mitgliedern auf.
Ein Jahr später feierte der Misthaufen seinen zehnten oder elften Geburtstag. Um halb drei war ich eingeladen. Gewünscht hatte er sich Geld und Schokolade. Und so fuhr ich schon um kurz nach zwei in Richtung seines einige Kilometer entfernten Hauses, kam am Privatpuff vorbei, das Misthaufen angeblich mit Fernrohr bespitzelte, fragte mich, was wohl ein Puff sei, und klingelte. Seine Mutter öffnete. Ihr Gesicht war chronisch in sich zusammengefallen. Sie ächzte, und seufzte mir schwerer Stimme zu: "M. ist oben in seinem Zimmer." Dorthin stapfte ich auch fröhlich. Kam oben an, vergaß zu klopfen, stolperte hinein und erstarrte. Misthaufen quiekte, wieherte, wurde blass und zuckte zusammen. Er hatte splitternackt auf dem Fußboden gesessen und körpererforschende Experimente in Bezug auf schrittnahe Reibungswärme unternommen. Nun stand er da. Der Glanz in seinem Haar war vor Schreck zersplittert. Sein Teint graublass und stumpf. "E...e...erzähl das Keinem, verstehst Du? Kei-nem! Überhaupt, was machst Du schon hier?" "Meine Eltern mussten früher zur Arbeit und da bin ich schon jetzt gekommen." "Aber Du kommst doch sonst immer zu spät!" "Stimmt. Nun ja... meine Eltern mussten früher zur Arbeit. Und da dachte ich... naja... und Deine Mutter hat gesagt, ich soll einfach hochgehen." Mir wurde heiß, kalt, dann schwindelig. Ein wenig blass wurde ich auch. Denn hübsch anzusehen war der Misthaufen nicht, wie er da so stand. Nackt, mit seinem Pferdegesicht. Und dann vergaß ich ganz, dass Kindergeburtstag war. Und rannte schnell zum Fahrrad und fuhr nach Hause. Auch wenn da niemand war. Und den Jungs in der Schule erzählte ich nix und war angeblich krank gewesen. Denn wer hätte mir schon geglaubt? Der dicke Misthaufen nackt vor dem Fernseher in seinem Zimmer bei Selbstexperimenten... so weit hätten sie mir geglaubt. Denn der Misthaufen prahlte gern mit Quartett-Kartenspielen, die er seinem Vater geklaut hatte, da waren Frauen drauf. Ganz ohne irgendwas an. Ich hatte sie nie ansehen dürfen. Ich war dem ehemaligen Geheimbund ja nicht beigetreten. Doch niemand hätte mir die Wahrheit abgenommen: Er hatte MacGyver geguckt.