Die Paar Probleme (V)
"Ja? … Ach, Peter, Du bist’s… Ja, ich bin schon angekommen… Wie?... Gebrochen?... Das linke Bein und den linken Unterarm? Und auch noch die Schulter geprellt?... Wie hat sie das denn geschafft?... Ach Du heilige Scheiße!... Und jetzt?... In der Raphaels-Klinik, ah… und das heißt, heute abend… fällt aus, hmm ja… Das ist ja ärgerlich…. Also, ihr Unfall natürlich – wobei, das mit der Party ist natürlich auch schade… hmm… Kann man sie da besuchen?... Vorerst noch nicht ratsam, okay… Und wie lang wird das… mindestens zwei Monate, verstehe… Naja, lass uns morgen doch noch mal telefonieren. Vielleicht können wir uns ja wenigstens noch auf nen Kaffee… ach, da bist Du bei Deinen Eltern schon… ah. Nun gut. Ich meld mich morgen trotzdem noch mal. Mach’s erstmal gut. Dir trotzdem nen schönen Abend. Grüß sie lieb… Ja, mach ich… Okay… Ciao!"
Eine zerknirschte Blässe huscht auf sein Gesicht, er presst kurz die Lippen aufeinander, seufzt.
"Tines Geburtstagsparty heute abend fällt aus."
"Ist was passiert?"
"Sie ist im Kreisel mit dem Rad von einem Sportwagen, der ihr die Vorfahrt genommen hat, gerammt worden, über den Lenker abgestiegen und liegt jetzt in der Raphaels-Klinik."
"Und was machen wir jetzt?"
"Nun... ich weiß nicht. Ich dachte erst, wir könnten ihr kurz nen Besuch abstatten und dann weitersehen, was wir ausfressen. Aber Peter meinte, heute lieber nicht. Insofern dachte ich, das könnten wir jetzt gemeinsam besprechen."
"Ich hätte ja eigentlich eh keine Lust auf die Party gehabt."
"Aber Du hast doch gesagt..."
"Ja. Habe ich. Ich hätt's für Dich getan. Aber das sind ja alles nur Deine Freunde, und letztes Mal haben sich Peter und die anderen auch nur aus Mitleid mit mir unterhalten."
"Das ist doch kompletter Sahnequark! Peter hat noch gesagt, er hätte Dich richtig nett gefunden."
"Da haben wir's doch... nett! Nett! Nett sind harmlose Menschen, die man völlig uninteressant findet, die niemandem etwas tun, und die man sich nicht traut offen zu beleidigen, weil man heimlich Mitleid mit ihnen hat."
"Nett ist in diesem Fall nett gemeint gewesen."
"Da haben wir's doch!"
"Nein, eben nicht! Nix haben wir da!"
"Doch!"
"Schalt doch bitte mal kurz die Wortgoldwaage ab! Ich überbring Dir Komplimente und Du bist mit nichts beschäftigt, als den nächsten Hinterhalt zu wittern! Peter fand Dich supersympathisch."
"Das sagt er doch nur, um Dir zu schmeicheln!"
"Sag mal, was ist eigentlich los? Hast Du ne Kratzbürste gefrühstückt? Hat Dir Dein Badezimmerspiegel nach dem Duschen ins Gesicht gespuckt und Dir eingeflüstert, dass Du ein hässliches, unbedeutendes Entlein seist?"
"Jetzt fang Du nicht auch noch an, auf mir herum zu hacken!" Cora zündet sich erneut hektisch eine Zigarette an, zieht daran und scheint krampfhaft bemüht, ihre Tränen zurück zu halten.
"Wieso auch noch? Das war alles nur Spaß. Aber Du machst Dich den ganzen Abend unentwegt klein, fühlst Dich an jeder Ecke angegriffen und bedroht. Und ich frag' mich, ob ich, der mich saumäßig gefreut habe, Dich wiederzusehen, irgendwas in der Richtung ausstrahle. Verdammt noch mal, ich brenne vor Leidenschaft für Dich und selbst das scheinst Du infrage zu stellen."
"Naja..."
"Naja was..."
Cora stockt. Raucht. Schweigt nachdenklich. Raucht. Eine Frau stolziert hüftschwingend von hinten durch die Durchgangstür, nur wenige Zentimeter an Jens vorbei, der direkt am Gang sitzt. Er blickt kurz irritiert auf, sieht ihr den Bruchteil einer Sekunde hinterher, wendet sich prompt wieder Cora zu. Die keift plötzlich:
"Genau das meine ich!"
"Was genau meinst Du?" Jens kräuselt seine Stirn in Fragezeichenfalten.
"Ständig..." Sie hält inne, zieht an ihrer Zigarette, wischt sich Tränen aus den Augenwinkeln. "Ständig guckst Du andern Frauen hinterher. Sogar wenn ich dabei bin. Weißt Du eigentlich, wie weh das tut?"
"Äh... was? Was ist los?"
"Meinst Du, ich merk' das nicht, wie Du ständig andere Frauen sondierst, ihnen auf die Brüste schaust und heimlich schöne Augen machst?"
"Nein?"
"Was, Du glaubst auch noch, ich merk das nicht?"
"Nein, Killefitt! Ich weiß überhaupt nicht, wovon Du sprichst!"
"Da gerade... ich hab doch gesehen, wie Du der Frau auf ihren wackelnden Arsch gestarrt hast"!
"Welcher Frau?" Verwirrte Schweißperlen glitzern auf Jens' Stirn.
"Die Wackelarschtante, die hier gerade direkt an Dir vorbeigetänzelt ist."
"Der hab ich doch nicht nachgeschaut..."
"Doch, natürlich, ich hab's doch gesehen!"
"Das war ein reiner Blickreflex, verdammt! Da hätte genauso gut ein speckiger Heizungsmonteur mit ölverschmierten Armen und Wärmetauschern in der Hand langgeschlurft kommen können. Wenn direkt - mit nur wenigen Zentimetern Abstand - irgendwer an Dir vorbei läuft, passiert es doch ganz automatisch, dass man guckt, wer das ist. Das ist doch quasi evolutionär schon begründet. Verteidigungsreflex und so."
"Ach, jetzt kommt er mir auch noch mit der Evolutionsbiologie. Das wird ja immer schöner! Steh' doch wenigstens dazu, dass ich nur ein Sprungbrett für Dich bin, ein leichter Fick für zwischendurch, ehe Du Dich aus dem Staub machen kannst, sobald Du die Nächstbeste aufgegabelt hast. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass es nicht Hunderte von Frauen in Hamburg gäbe, die Du geil findest. Und wahrscheinlich sogar geiler als mich!" Sie bricht vollends in Tränen aus.
"Kannst Du mir mal erzählen, wer Dir diesen völligen Mumpitz ins Hirn geschmiert hat? So langsam hab ich echt die Schnauze gestrichen voll. Nicht von Dir. Nicht direkt. Aber dieses Endlosgezicke geht mir gerade tierisch auf den Senkel. Und vor allem, dass Du mir hier in einer Tour Verhaltensweisen in die Schuhe schiebst, an denen so viel Wahrheit dran ist wie Busen an Kate Moss."
"Da haben wir's doch schon wieder... der Busen von Kate Moss. Der gefällt Dir wahrscheinlich auch besser als meiner."
"Es reicht, Cora! Wirklich! Ich geh' jetzt für kleine Königstiger, in der Zwischenzeit regst Du Dich ab, und danach überlegen wir, was wir mit dem Rest dieses seltsam angefangenen Abends anfangen! Ich hätte nach dieser Riesenszene beinahe Lust, prompt in den nächsten Zug nach Hamburg zu steigen und zurück zu fahren. Aber ich hab mich zu sehr auf Dich gefreut."
Hugh! Jens hat gesprochen. Just danach schiebt er seinen Stuhl zurück, steht auf und schlurft grummelnd in Richtung Herrentoilette. Cora sitzt - völlig verdattert und kreidebleich - auf ihrem Stuhl und nippt verwirrt an ihrem Kaffee, der längst erkaltet ist.
to be continued...
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