Samstag, Dezember 31, 2005

Fiert mooi!

Schnee pfeift nicht. Aber er liegt in klatschnassen Massen auf den Dächern der Stadt. Dort, wo sonst die Spatzen sitzen. Und die wiederum pfeifen. Momentan pfeift also nahezu nichts von den Dächern, doch die Gerüchte verdichten sich, dass das Jahr in Kürze seinen Hut nimmt und in die Vergangenheit huscht. Rutscht allesamt vergnügt und sturzfrei ins kommende Jahr! Lasst Sektkorken knallen, verschont Kapuzenpullikapuzen von D-Böllern und lasst es Euch gut gehen!

Dienstag, Dezember 27, 2005

Trügerische Hoffnung

Die Flamme der Teekerze im schneeweiß glanzlackierten Porzellan-Engel flackerte noch kurz. Dann quoll eine dünne Rußfahne aus den sternigen Luftlöchern im Rücken der Engelspuppe, die bis eben flackernde Flamme war erloschen.

Noch stollenvoll vom Vorabend saßen Wiebrand und Helga am Weihnachtsfrühstückstisch. Wiebrand versuchte mit Feuereifer und stumpfem Messer das hartgekochte Ei zu köpfen, Helga kletterte vom Stuhl hinter dem massiven Eichentisch hervor, um weiteren Kaffee aufzubrühen.

Um das bisher vertilgte Frühstück ein wenig sacken zu lassen, streckte Helga sich. Ihr Pullover rutschte leicht aufwärts und gab für wenige Sekunden den Blick auf ihren rosigen Bauch frei. Plötzlich umspielte ein vergnügtes Grinsen Wiebrands gemütlich geschwungenen Mund.

"Na? Hast Du grad überlegt, wie schick es wohl aussähe, wenn ein kleiner Brillant in meinem Bauchnabel funkeln würde, Schatz?", frage Helga kokett.

"Nicht ganz. Ich habe einen Blick auf Deine Hosentasche gewagt und überlegt, wieso da ein Müllsackband herausbaumelt."

Sekunden hoffnungsvoller Romantik zersplitterten im Nu wie die Eierschale, die Wiebrands stumpfes Messer nun endlich durchdrungen hatte.

Samstag, Dezember 24, 2005

Trojanisches Pferde-Gebiss.

Donnerstag, Dezember 22, 2005

Ein paar Nachzügler quetschen sich noch in überfüllte Geschäfte, um auf den letzten Drücker doch noch das passende Geschenk zu ergattern, das wie die Boxerfaust auf's blaue Auge passt. Vielerorts werden die Reisetaschen gepackt, Rucksäcke geschnürt und Pakete verstaut, um sich in überfrachteten Zügen in Richtung des heimatlichen naturgrünen Weihnachtsbaums mit frischen natürlichen Äpfeln aufzumachen. In wenigen Tagen schon kugeln sich die Bäuche vor üppigem Essen. Geschenkpapier und Klarsichtfolie rascheln unter den Tannennadeln, Spannung knistert, Vorfreude kribbelt. Vati probiert mit Dicki den Miniatur-Atomkraftwerk-Bausatz aus, steckt den knuffigen Neutronenbeschleuniger in die niedliche Brennkammer und staunt, als es "Puff" macht und die Kuh umfällt. Opa kräht "früher war mehr Lametta!", klettert durch die Papierberge und sucht eine Steckdose für seinen neuen Plattenspieler, während Mutti sich über den brandheißen Heinzelmann Saugblaser freut.

Auch ich werde mich in Bälde auf den Heimweg machen, um in ostfriesischen Gefilden mit dem Christkind einen Weihnachtspunsch zu trinken, der lieben Verwandtschaft mal wieder in die Augen zu blicken, unter flackernden Kerzen Schokolade zu futtern und die Füße hochzulegen und lieb gewonnene alte Freunde zu treffen (und auf den obligatorischen Weihnachtsparties zudem jede Menge Leute, deren Existenz mir seit der letzten Weihnachtsparty schon fast wieder entfallen und vergleichsweise egal war).

Ich wünsche Euch allen schon jetzt, bevor ich's von Leer aus nicht mehr rechtzeitig schaffe, angenehmst mögliche und höchst erfreuliche Weihnachtstage, wie auch immer die individuellen Pläne, Wunschvorstellungen und Traditionen aussehen. Wie ich selbst zeichnerisch dokumentiert habe, ist der Weihnachtsmann auf dem Wege der Besserung. Erkältungsbäder mit Fichtennadelöl zeigen überraschend heilsame Wirkung. Möglicherweise ist er bis Heiligabend doch schon wieder auf dem Damm. Die Hoffnung grünt weiter.

Dienstag, Dezember 20, 2005

Maulwurfshaufen treten häufig gehäuft auf.

Aistear i dtreo Atha Clíath - Erinnerungen an Erlebnisse in der Hauptstadt der grünen Insel (III)

Schotter kracht auf Stein und Matsch. Die Ladefläche des Frontkippers neigt sich immer steiler. Ratsch. Ein heiseres Donnergrollen. Der Haufen liegt. Kleine Staubwolken tanzen umher. Mit kohleschwarzen Schaufeln schieben sie ihn auseinander. Stahl auf Stein klirrt metallisch. Bagger zerkratzen das Erdreich. Krrk. Sein Diesel köttelt und rußt. Der Vergaser tut’s nicht mehr lang. Pressluftbohrer zersplittern die steinige Erde, kreischend wird Teer und Beton auseinander gefräst, Rohre zerfallen unter der schneidenden Flexwucht in ihre Einzelteile. Srrrrrrrrrk. Ting Ting.

Presslufthammer wuppern den Boden eben. Schweiß perlt über schmutzige Stirne, verschmiert sich mit dem Dreck. Blaubehoste Schnurrbartträger wischen sich den Staub aus den Augen, rücken ihren Helm zurecht und gießen neue Betonplatten. Rastlose Maschinen dampfen, sprühen Funken, pressen und rollen, rumpeln, schlagen, grubbern und klappern. Lastwagen setzen zurück. Der Bagger dreht sich. Dem Baggerführer fällt die Zigarette zwischen die Pedale. Versehentlich. Und hier wird in Bälde glühend heiß neue Haut auf die Hauptschlagader der Stadt geklebt. Die Stadt lebt, die Stadt bebt.

Der Prachtboulevard im Umbruch. Auf Fotos standen hier grünende Bäume. Momentan stehen hier Baustellengitter und Zäune. In den engen Fluchten zwischen den Zäunen quetschen sich zweireihig die gelbblauen Doppeldeckerbusse. Motoren grollen, heulen auf beim Tritt aufs Gaspedal. Kleine Autos sind dazwischen eingeklemmt. Keiner hupt. Die Bürgersteige bersten vor Menschen. Alle warten auf ihre Busse. Keiner murrt. Ein Labyrinth aus Einkaufstaschen macht den Weg zur Slalomstrecke.

Da kaum Straßenbahnen fahren und es keine U-Bahn gibt, fährt hier alles und jeder Bus, scheint’s. Die überfülltesten Bushaltestellen der Welt gibt es wahrscheinlich in Dublin. O’Connell Street hat einen sehr speziellen Klang dieser Tage. Unablässiges, munteres Gebrabbel in vielen Sprachen und Lautstärken durchschwirrt die graue Nachmittagsluft auf beiden Straßenseiten.

Viele warten an den Ampeln (die vielleicht einzigen Ampeln der Welt mit einem digitalen Sekundencountdown, der anzeigt, wie viele Sekunden noch rot ist), um hinüberzusausen. Der Baulärm. Unzählige kleine Charity-Gruppen krähen Christmas Carols und klappern mit geschlitzten Blechbüchsen. Schmalztriefende Panflötenweihnachtslieder tropfen zähfließend aus den Boxen vor Clery’s Kaufhaus und verkleben den Bürgersteig. Eine blonde Frau mit grellhellblauer Jacke lehnt am Schaufenster und raucht. Sie schnippt die Kippe auf die klangklebrigen Steine. Ein whiskeytrunkener Wanderprediger hält seine kleine Bergpredigt. Sein Kopf ähnelt einer im Sonnenlicht welk gewordenen Broccolirose, sein rotbärtiges Gesicht ist ölig. Er reckt beide Arme gen Himmel und keift Flüche über jene, die da sündig sind. Die Stadt lebt. Die Stadt bebt.

Hundertfünfundneunzig zu eins

VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVögelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel
VogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogelVogel

Montag, Dezember 19, 2005

Wenn der Fuß zum Fluch wird

Wulnikowski ist auf einen rostigen Nagel getreten, der sich durch die Schuhsohle direkt ins Fleisch gebohrt hat. Ausgerechnet in den Fuß, wo eh schon ein Zeh fehlt. Mit Füßen wird er von nun an ewig per Sie sein. In schwarzem Frack und mit zerlaufender Kartoffelnase kommt ihm Urs, der Schweizer Bestattungsunternehmer aus der Hornstraße entgegen. Vor drei Jahren waren sie kurzzeitig Nachbarn. Urs sieht Wulnikowski und sagt:

"Mein Onkel hat sich mal auf die Hand gepisst, als ihn ein Drachenfisch gebissen hat. Pisse desinfiziert."
"Ich kenne nur Drachenfrucht."
"Nein, Drachenfisch. Frucht gibt's auch. Beißt aber nicht."
"Und wie soll ich mir auf die Schuhsohle pinkeln, Du Trottel? Ich habe zwar enorm viele Schlangen, bin aber doch kein Schlangenmensch."
"Ich übernehm das, wenn Du willst."
"Wirkt fremde Pisse denn überhaupt desinfizierend? Ich habe da meine Zweifel."
"Pisse ist Pisse. Wir werden doch wohl alle die gleiche Pisse haben?!"
"Na gut, dann piss mich an."

Urs versucht, ihm auf den Fuß zu pissen, aber die Anstrengung ist zu groß. Er schafft es nicht. Nicht mal darüber können sie noch lachen. Was aus dem Fuß wird, weiß vielleicht der Geier, der Himmel oder sonstwer. Sonst wird es die Zukunft zeigen.

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Samstag, Dezember 17, 2005

Aistear i dtreo Atha Clíath - Erinnerungen an Erlebnisse in der Hauptstadt der grünen Insel (II)

Am nördlichen Ende der O’Connell Street, von Buskolonnen und Kleinwagen umtost, steht, in Stein gehauen,das Parnell-Denkmal. Dahinter breitet das Gate-Theatre seinen runden Bauch aus, um die Statue aufzufangen, sollte sie fallen. Linkerhand liegt das Rotunda Hospital, Europas erste offizielle Entbindungsklinik. Die Grandezza dieses Prachtboulevards zerbröselt abrupt, biegt man hier nun rechts in die Seitenstraße ein.

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Nichtmehrgetragnes, dem trotz allem noch etwas geschieht. Zweigeschossige Häuschen, deren Backsteingemäuer von den dreckiggrauen, gierigen Zungen des ewig niederklatschenden Regens wund und matt geleckt wurden, lehnen verschieden hoch und Schulter an Schulter aneinander - wie Nationalspieler bei der Kamerafahrt zur Hymne. Oben winzige Wohnungen, unten schäbbige Pubs, verwesende Internetcafés, afrikanische Friseurläden, Off-Licence Schnapsläden. Neonreklamen überflackern zerrupfte Müllsäcke. Der drängelnde Verkehr der O’Connell-Street brandet hier, die blecherne Gischt fegt über die Teerdecken ostwärts. Ein trainingsbehostes Pärchen verschlingt sich gegenseitig. Ein kleines, dunkeläugiges Mädchen dreht mit der linken Hand an seinem goldenen Kringelohrring und nuckelt am rechten Daumen. Der Mund ist marmeladeverschmiert. Fettflecken glänzen auf der rosafarbenen Steppjacke. Vor den Pubs liegen zerkaute Wurststückchen und andere Bissen in galligfeuchten Pfützen. Parnell Street.

Wir biegen links in die Northern St. Georges Street. Nur eine Ecke weiter, und das Flair wendet sich erneut. Eben noch Prachtboulevard, dann schlumpig-herunter gekommene, wuselige Kleinkrämerstraße, jetzt bürgerliches Wohnviertel. Zig Bäckereidutzend georgianische Bürgerhäuser. Braunrot gemauert die Front, senkrecht hochgezogen, klar abgeschnitten der waagerechte Giebel. Freudlose Gleichförmigkeit. Die Kellertreppen und Eingangspforten umfasst von schulterhohen, schwarzen Gusseisenzäunen. Die Variation liegt nur in der Größe der Fenster und im Schwung und der Üppigkeit der sandsteinernen Säulenportale mit ihren kunstvoll mit Glas übewölbten, bunt gestrichenen Eingangstüren. Farbenfroh einladende Eingänge kontrastieren mit tristem, gleichförmigem Gemäuer.

Kunstvoll geschwungene, arabesk verzierte Straßenlaternen beugen sich auf die Fahrbahn. Rechterhand, zu Beginn, liegt – völlig unauffällig – in einem dieser Häuser das James Joyce Centre. Es hat noch bis Januar geschlossen. Die Reliktherberge des Meisters wird renoviert. Einige hundert Meter bergan, ebenso unauffällig, liegt Mount Eccles Court, unser Hostel. Mit slawischem Akzent begrüßt uns die Empfangsdame. Wir leben unter kroatischer Hausherrschaft und erfahren, dass wir am kommenden Tag das Zimmer tauschen müssen, bekommen Schlüsselkarten und Frühstückszettelchen und verschwinden durch die hellblau getünchte, leicht verzogene Holztür zum Treppenhaus. Die gedrungene, steile Treppe ächzt und knarzt unter unseren Füßen wie ein heiserer Hund, als wir hinauf in den dritten Stock klettern. Kurze Verschnaufpausen. C. geht es immer noch nicht besser. Süßlich sticht abgestandener Chlorgeruch in unsere Nasen.

Karte in den Schlitz gesteckt, es klackt. Neugierig betreten wir unser Domizil für die kommende Nacht. Klein ist die Bude. Zwei frisch bezogene Betten kauern sich in der Enge an die Längsseiten. Bräunlicher Schimmel klettert durch die hornhautfarbenen Wände. Ein einzelner Tisch steht verlassen in der Ecke. Seine einstigen Freunde, der Mülleimer und er Stuhl wurden vor Urzeiten entfernt. Kalte Windfetzen fegen durch den Spalt des Holzfensters. Zwischen den verwitterten Sprossen geben schlierige Scheiben den Blick frei auf einen Innenhof. Ein verschachteltes Gewirr von Mauern, teils mit Stacheldraht überzogen. Der weiße Lack ist weitflächig abgeplatzt. Das Badezimmer ist gestrichen in der Farbe schlecht geputzter Zähne, der Klorollenhalter biegt sich verbeult unter der nagenden Last von schichtweisem Rost. Während der Spiegel nur für kleinstgewachsene Menschen einen Blick ins Gesicht ermöglicht (ich sehe mich bis zur Brust), scheint der Duschgelkorb in der Dusche für Basketballspieler ausgelegt und hängt in zwei Metern Höhe. C. schwitzt und begibt sich alsbald ins Bad. Seinem Magen geht es nicht besser, der Kopf schmerzt immer noch. Ich lasse das schwere Gepäck liegen, frage besorgt, ob ich ihm etwas Gutes tun kann und mache mich auf zur ersten Stadterkundung, während er vorerst in der kleinen Kammer verbleibt, um zu schlafen und sich wieder zu Kräften zu ruhen, in der Hoffnung, dem nervösen Magen und der mörsernden Migräne ein Schnippchen schlagen zu können.
Und dann fragte sie: "Wie war das eigentlich? Stimmt es, dass Richard Clayderman damals einige Stücke für Mozart komponiert hat?"

Freitag, Dezember 16, 2005

Herr, wenn die stolzen Feinde Wikingerhelme tragen

Wir steckten in einem Zwiespalt, damals vor sieben Jahren. Jan und ich. Beide waren wir zentrale Pfeiler im Bass des Ubbo-Emmius-Chores in Leer. Nun, in der Adventszeit, standen zwei große Aufführungen von J.S. Bachs "Weihnachtsoratorium" an. Die eine davon in der kerzenerleuchteten Großen Reformierten Kirche in Leer, die andere in der Gemeinde, wo der Dirigent des Orchesters der Folkwang-Hochschule Essen als Organist tätig war, in Gelsenkirchen. Eigentlich standen wir in der Pflicht. Bach die Ehre erweisen, dem Chor Treue bezeugen, auch wenn wir als Sänger, die wir doch dem Publikum etwas boten, noch 15 DM zahlen sollten für den Hin- und Rücktransport. Leicht mürbelnd über diese Schiefstände, gerieten wir in einen Zwiespalt. Denn am gleichen Abend des Gelsenkirchen-Konzerts fand auch die "Beinharte Bagaluten-Wiehnacht" von Torfrock in Aurich statt. Wikingischer Quatsch aus Torfmoorholm oder hocherwürdiges Kulturerbe aus Leipzig?

Heimlich entschieden wir uns, Bach die Ehre erweisen, aber nur das Leeraner Konzert mitzusingen und am Vorabend über eisglatte Straßen nach Aurich zu schlittern, um dort Presslufthammer B-B-B-Bernhard "moin" zu sagen, mit Torfstecher Adula Zech mit der Straßenwalze durch Torfmoorholm zu knattern, volle Granaade Renaade mit Rollo dem Wikinger an Bord zu gehen, Methumpen zu heben und die Hohekunst barocker Geniestreiche und festlicher Kontrapunktik einen Abend lang in den Hintergrund treten zu lassen. Das Publikum barst von buschbärtigen Zauselbärten, Wikingerhelme waren die gängigste Kopfbedeckung. Alles grölte, vieles lachte, Bierbecher wurden geworfen, die Stimmung kochte, die massiven Körper schwitzten unter ihren Lederkutten.

***

In winterliche Filzmäntel gewickelt eilten die Konzertgänger über das vereiste Kopfsteinpflaster in die festlich erleuchtete Kirche. Adrette Jugendliche in feierlichen Anzügen huschten in das Gemeindehaus. Der Abend der großen Aufführung des Weihnachtsoratoriums in Leer. Kurz vor Konzertbeginn traf ich Herrn E., den Lehrer meines Musik-Leistungskurses. In dem Glauben, ich sei in der Gelsenkirchener Kirche bei der adventlichen Weihnachtsoratoriums-Aufführung gewesen, unwissend über meinen torfrockenden Geheim-Exkurs, fragte er mich:

"Wie ist denn das Konzert gelaufen, gestern? Hat alles gut geklappt?"

"Oh, war super. Die Herrscher des Himmels hatten das Lallen erhört. Im Publikum hatten fast alle Wikingerhelme auf, haben mit Bierbechern geworfen, mitgegrölt und gesungen, Methumpen gehoben. Es hat unglaublich nach Schweiß und schalem Alkoholdunst gestunken, aber sonst war's klasse."


Er erblasste, witterte Verrat am barocken Grandseigneur, womöglich durchgeisterten randalierende Schalke-Fans in einer weihnachtlich geschmückten Kirche seine Kopfkinosäle, Rabauken, die den eigentlichen Chor mit kehligem Gegröle übertönen und das heilige Werk entweihen.

"Die haben heute ja auch vor nix mehr Respekt, diese Asis!"

"Tja..."
, konnte ich noch hervorbringen, dann stürzte ich fort, um meinen Lachanfall vor seinem Antlitz zu verbergen. Aufgeklärt habe ich es ihm gegenüber bis heute nicht.

Donnerstag, Dezember 15, 2005

Der Weihnachtsmann hat Grippe


Tief verbuddelt unterm Schnee,
so dass man’s kaum noch sehen kann,
friert selbst ein dick bepelztes Reh
und wohnt der liebe Weihnachtsmann.

Doch dieses Jahr, wer sollt’ es ahnen,
es passte gar nicht in den Kram,
zog eine Krankheit ihre Bahnen
und legte „Father Christmas“ lahm.

Statt „Hohoho“ gibt’s Aspirin,
statt Schlittenfahrt Echinazin.
Nichts wird’s mit auf den Schlitten springen
Und der Welt Geschenke bringen.

Decke drüber, rauf auf’s Laken,
die rote Mütze bleibt am Haken,
das ganze Jahr lang ging nichts schief,
doch jetzt wo’s ernst wird, kommt der Schnief.

Die Puppenwichtel sind verwirrt,
nichts ist hier mehr koordiniert.
Selbst an der Decke klebt der Teig
Jetzt in der Weihnachtsbäckerei

Die Wichtel machen Chaos pur,
von Disziplin ist keine Spur,
ein jeder macht hier was er will
und die Geschenkfabrik steht still.

„Hey, Käpt’n Blaubär, bist Du dran?
Hallo, hier ist der Weihnachtsmann.
Hast Du am Heiligabend frei?
Sonst schick’ mir doch Hein Blöd vorbei.

Denn ich lieg krank und schlapp im Bett,
und wenn das klappte, fänd’ ich’s nett,
wenn Du Dich von der Reling schwingst
und für mich die Geschenke bringst.“

„Jawohl“ sagt Käptn „das geht klar.
Hein Blöd ist morgen bei Dir da.
Dann fliegt, wer hätte das gedacht?
‚ne Ratte durch die heil’ge Nacht.“

Mittwoch, Dezember 14, 2005

Fröhöliche Weihnacht auf dem Markt

Süßer die Glocken nie rieselt der Schnee, still und starr liegt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben. Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen, tönt es durch die Lüfte, froher Schall. Nur der Engel Hallelujah, holder Knabe im lockigen Haar. Vorweihnachtszeit.

Glühweindunst durchfuselt die kaltklare Innenstadt ab dem späten Vormittag, trinkt Brüderschaft mit Bratfettwolken, Zimtduft, einem Hauch kandierter Äpfel, Honig, gewachstem Holz, Hirschtalgsalben, knusprigem Pizzakäse, gebrannten Mandeln, Grünkohl und Bratwurst. In verknoteten Horden quellen die sanguinischen Weihnachtssternsinger mit trübem Lichterkettenblick durch die Innenstadt, ballen sich vor hölzernen Hütten, wo sie sich in bunter Reihenfolge und beachtlichen Mengen Rumkakao gewordene Premierenpremierminster der demokratischen Republik Kongo, Hirschkakao, heißen Apfelsaft mit Amaretto oder schnöden Kanisterglühwein die Kehle abwärts schütten.

Wichtig ist, in großen Gruppen die verwinkelten Weihnachtsmarktgässchen zu fluten und jede Fluss-Unterbrechung, wenn mal wer was gucken will, zum Trinken zu nutzen. Damit man sich auch wieder erkennt (zu späterer Stunde: doppelt), trägt man rotweiße Zipfelmützen oder Plüschgeweihe (Rentierantennen), im Optimalfall blinkend, und erkennt alsbald, dass andere das auch dachten und es viel einfacher gewesen wäre, sich wiederzufinden, wenn man kein Mützenblinkgezipfel auf dem Kopf getragen hätte. Unbekannte Mitmenschen kommen sich nahe, indem sie sich mit ihren unförmigen Einkaufstüten verhaken. Irmgard schleicht sich heimlich von der Punschbude weg. Bei ihr dreht sich alles, grad im Magen. Als sie wieder zu ihrer Gruppe stößt funkelt eine Stückchenpfütze in Form des Sterns von Bethlehem in der Kleinen Gasse. Fast wäre sie noch über einen geflochtenen Korb gestolpert. Doch beim Ausweichen kollidierte sie mit der Telefonzelle. Stehen auch nur im Weg rum.

Wham!, Chris Rea, Bing Crosby und Roxette aus verschiedenen Boxen verschwurbeln sich zu vorweihnachtlichem Bastard Pop. Der Kegelclub „Gossenfrei“ grölt punschbefeuert vielstimmiges „Jingle bells“. Hiltraud tropft Apfelmus von der Reibekuchenschale auf die Wildlederschuhe. „Verflixte Axt!“, krakeelt Rainer. Mit Fausthandschuhen ließ sich der Glühweinbecherhenkel schlechter festhalten als geplant. Nun liegen Scherben zu seinen Füßen. „Mifft. Hätt doch mal wer fagen kömm, daff daf fo heif ifft. Iff hab mir die Ffunge verbrammp“, mürbelt Ilse. Sie hat ihrem Mann einen rotweißen Plüschtanga gekauft. Der wird an Heiligabend dann eingeweiht.

Dienstag, Dezember 13, 2005

Ohrengold

Weihnachten schlurft täglich näher. Und geduckt dahinter, im Rücken, schlendert uns auch Silvester und der Jahreswechsel entgegen. Jedes Jahr ein angenehmer Anlass, die Halsmuskulatur zu trainieren, den Kopf zu drehen und einen kleinen Blick zurück zu wagen. Ich bin in den Berg aller neu eingezogenen Platten dieses Jahres abgetaucht, habe gebuddelt, durchwühlt und geforscht und am Ende 15 Alben und Songs mit zurück an die Oberfläche genommen, um sie zu den besten des Jahres zu erklären. Nicht wenige Alben und Songs haben am Hosensaum gezupft, gezerrt, gerissen, gebissen und beleidigt die Unterlippe vorgeschoben, weil sie genauso gut und verdient hätten auf der Liste landen können. Aber es ist nicht völlig verkehrt, sich irgendwann auch mal vorläufig endgültig zu entscheiden. Vorhang auf für die musikalischen Sahnestücke 2005:

Meine aus einer momentanen Laune herausdestillierten 15 Alben des Jahres:

1. ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead - Worlds apart
2. The Decemberists - Picaresque
3. Bright Eyes - I'm wide awake, it's morning
4. Ben Folds - Songs for Silverman
5. Kaizers Orchestra - Maestro
6. Okkervil River - Black sheep boy
7. Sigur Rós - Takk...
8. The Fall Of Troy - Doppelgänger
9. Dredg - Catch without arms
10. Sufjan Stevens - Illinois
11. dEUS - Pocket revolution
12. Ryan Adams - Cold roses
13. Pelican - The fire in our throats will beckon the thaw
14. The Mars Volta - Frances the mute
15. The Stereotypes - dto.


10 richtig feine Songs des ablaufenden Kalenderjahrs:

1. ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead - Will you smile again?
2. The Decemberists - The engine driver
3. Kaizers Orchestra - Dieter Meyers Inst.
4. dEUS - Bad timing
5. Sufjan Stevens - John Wayne Gacy jr.
6. Okkervil River - For real
7. Bloc Party - Banquet
8. Amusement Parks On Fire - Venus in cancer
9. The Killers - Mr. Brightside
10. Franz Ferdinand - The fallen
11. The Fall Of Troy - F.C.P.R.E.M.I.X.
12. Kettcar - Deiche
13. Sun Kil Moon - Ocean breathes salty
14. José Gonzalez - Crosses
15. The Stereotypes - Almost lost

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Montag, Dezember 12, 2005

Aistear i dtreo Atha Clíath (I)

Die Nacht selbst liegt noch in lichtleerem Tiefschlaf, als das humorlose Quäken des Funkweckers mich unerbittlich aus sanftesten Träumen schleudert. Schlafkörnchen krümeln aus den Augenwinkeln, als der Blick unwillig zur Ziffernanzeige kriecht: 4:30h. Viel zu früh und doch zur rechten Zeit. Traumtrunken schlurfe ich zur Kaffeemaschine. Doppelte Weckkraft ist jetzt gefragt. Müdigkeitsexorzismus, beschleunigt im Bad von frischkaltem Wasser. Eisige Nebelschwaden schlummern in den Straßenschluchten. Noch dämmert nichts. Kein Hauch, kaum ein Laut. Die Stadt ist erstarrt. Die sonst so lebendigen, gut durchbluteten Verkehrsadern klaffen leer, beinahe verwaist.

Käse segelt in hauchfeinen Streifen auf die Schwarzbrotscheiben als Fahrtproviant. Pfefferminztee dampft aus der Thermoskanne. Der Blick eiert umher, verzettelt sich müde und planlos jenseits eines Ziels. Gedankenverlorenes Schlürfen am Kaffeebecher. Das heiße Gebräu kleckert die schläfrige Kehle hinunter. Der Wecker piept erneut. 5:30h. Zeit, die gepackten Sachen zu schultern und durch die schlafende Stadt zum Bahnhof zu schlurfen. Ein wenig wacher sind die Straßen inzwischen. Vereinzelte Autos treideln gähnend durch die Fahrbahnen. Ihre Scheinwerfer starren blass, als würden sie ihre Lider auch gern noch ein, zwei Stunden schließen.

An der Treppe zum Bahnsteig steht C. und wartet schon. Kaum wacher als ich, schlurfen wir beide in den Zug. Nach einigen Umstiegen sind wir noch pünktlich am Flughafen, lernen, dass 4U kein Abflugterminal sondern das Kennzeichen von Germanwings ist, erfahren, dass nur sehr wenige deutsche Servicemitarbeiter am Flughafen griechisch sprechen und steigen um kurz vor zehn an Bord des Airbus A319 nach Dublin. Leise durchprickelt mich der Reiz des Ungewohnten beim Start, fliege ich doch erst zum dritten Mal in meinem Leben irgendwohin. Viel zu sehen gibt es während des Flugs nicht. Ein beinahe reißfester Wolkenteppich liegt unter uns. Das Sehenswerteste sitzt in der Reihe vor uns. Ein in Würde ergrauter alter Herr, mit einem Aufsehen erregend ausladenden Haargestrüpp, das vom Läppchen die Ohrmuschel hochwuchert.

Und so ist es wie ein Griff in eine Wundertüte, als sich anderthalb Stunden später das Flugzeug in die feuchtweiße Decke buddelt, ehe sich der Vorhang öffnet und unter uns die Bucht von Dublin liegt. So sieht sie also von oben aus, die Stadt der mäandernden Wanderungen Leopold Blooms, Heimat meiner großen Helden wie Joyce, O'Brien, Wilde und Beckett. Sehen und erleben, wovon man gern und ausufernd gelesen hat. Das tiefblaue Meer kräuselt sich. Am Landarm von Howth duckt sich der Omphalos über kalt schäumender Brandung an die Küste. Die grüne Insel gibt sich grau. Die zunächst noch winzigen Häuser wachsen sekündlich, die Felder und Äcker vor der Stadt sind knietief von wässrigem Matsch überpfützt. Kurz bricht die Sonne durch. Das Vieh auf den Weiden wirft meterlange Schatten. C. ist aus seinem Flugschlaf erwacht und wirkt leicht mitgenommen.

Das Gepäck flutscht heil aufs Gummiförderband, wir schnappen uns einen Aircoach in die Stadt. C. wird immer blasser, pulvert sich eine kleine Packung Kopfschmerzmittel in den kleinen Rest Wasser seiner Flasche. Sein Gesicht schimmert nurmehr wie verwässertes, schales Kilkenny, um die Nase ein Hauch von Cashel Blue-Käse, die Gesichtszüge fallen schlaff in sich zusammen. Schweißperlen glitzern plötzlich auf seiner Stirn, das Atmen geht schwerer. Besorgte Blicke eilen aus meinen Augen zu ihm herüber. Erst nach einigen Minuten klackert es in meinem Hirn: Huch, stimmt ja, wir fahren ja jetzt links. Unter den grauknittrigen Wolkentürmen sausen die typischen Doppelhaushälften vorbei, grüne Briefkastensäulen, bunt getünchte Holzverkleidungen, die die Erdgeschosse der Geschäfte und Pubs umarmen. Doch ist es ein eher zerrupfter Charme, mit dem uns die Vorstadt emfängt.

In der O’Connell-Street setzt uns der Bus ab und schickt sich an, beinahe mitsamt unserem Gepäck weiter zu düsen. Zum Glück ist unser Veto von Erfolg gekrönt. Dublin, here we are. Und während ich den Stadtplan nach dem günstigsten Weg zum Hostel durchforste, bleibt C. leider keine andere Wahl, als sich schleunigst in Richtung der Sanitäranlagen einer großen Fast Food-Kette zu beeilen. Der Magen beunruhigt sich. In ruhigem Tempo, mit rücksichtsvollen Pausen, schlendern wir gemeinsam zu unserer Herberge. Schon jetzt zeichnet sich ab: Den ersten Teil der Dublin-Erkundungen werde ich auf Einzelfaust unternehmen.

Sonntag, Dezember 11, 2005

Alkohöllischer Dunst waberte durch den Bullenkopp, als ein volltrunkener Bollo plötzlich gröhlte: "Boah nee, Shakira, die stinkt doch nach Pommes ausse Nase!"

Happy Birthday, Mr. W!

Der bartstoppeligste Meister, der hiphophipste Grandseigneur, der charmanteste Macker, der uncruisigste King of Cool, der Holsten-Sympathieträger Nr. 1 des verworrenen Netzes wird nur auf dem Papier älter, das aber heute. Herzlichen Glückwunsch, MC. Lass Dich nicht verkaufen, auch wenn Du jedem alles verkaufen könntest.

Samstag, Dezember 10, 2005

Ar chúl

Die Schwerkraft beugt meine Augenlider. Ausreichend Schlaf ist ein wenig her. Das Flugzeug ist heil gelandet. Der Zug nach Münster hat sein Ziel nach etwas mehr als zwei Stunden auch gefunden. Daheim. Und noch ein wenig müde. Auf ins Nachtleben also, gleich.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

The next draught will be mine

"Ich machte mich an einem Oktoberabend auf den Heimweg, nachdem ich eine Gallone halbverdautes Porter auf dem Boden einer Wirtschaft in der Parnell Street zurückgelassen hatte, und ich legte mich unter erheblichen Schwierigkeiten zu Bett, wo ich unter dem Vorwand einer Erkältung drei Tage verblieb. Ich war gezwungen, meinen Anzug unter der Matratze zu verbergen, weil mindestens zwei der fünf Sinne daran Anstoß nahmen und er eine Erklärung meiner Krankheit barg, die zu der bereits vorgebrachten im Widerspruch stand." (aus: Flann O'Brien - In Schwimmen-zwei-Vögel)

Um sechs Uhr geht der Zug, um zehn Uhr geht der Flieger, um mittag herum bin ich in Dublin. Mein erstes Mal auf der grünen Insel. Nur für zwei Tage, aber zwei Tage. Ich freu mich, ich bin gespannt. Auf in einen erlebnisreichen Kurztrip! Grüne Insel, ich komme.

Von Ozeanriesen, schuppigen Telefonen und ehemaligen Schiffshebewerken



















J. ruft mich an. Mein Telefon hat orangefarbene Schuppen, die im Gegenlicht glitzern und eine rote Weihnachtsmannmütze auf. Mit Plüschbommel. Es klingelt nicht, es bellt. Sonderlich überrascht mich das nicht. J's Stimme klingt wie immer.

"Kannst Du zum Hafen kommen und mir helfen?"
"Klar, was ist los?"
"Ich schaffe es nicht, den Ozeandampfer auszuparken. Es ist so eng hier und ich will keins der anderen Schiffe rammen."
"Aber ich hab doch auch noch nie einen Ozeandampfer ausgeparkt."
"Macht nix. Das schaffst Du schon."
"Mnnhääähhhhmnjoa... nun gut."

Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und sause in Richtung Kai. Wie ein verknotetes Wirrwarr von Kranarmen und Schiffsmasten kommt mir die Hafenskyline entgegen. In welcher Stadt ich bin, weiß niemand, auch ich nicht. Abgehetzt kurve ich mich zwischen Containertürmen hindurch, nah an die dunkel schwabbernden Fluten. J. ist da, aber wo ist ihr Ozeanriese?

"Den hab ich doch lieber zu Hause gelassen. Aber wir müssen dringend diesen Lastwagen nach Bielefeld fahren, da ist grün leuchtende, vergorene Milch drin, und alle Lastwagenfahrer weigern sich, das Zeug zu transportieren. Eine Firma dort will das Zeug aufkaufen."
"Wir meint ich, oder?"
"Wir meint Du."
"Und wieso schon wieder ich? Ich bin nicht MacGyver, kann keine atomaren Sprengkörper aus Nussnougatriegeln und Taschentüchern basteln und ich habe auch keinen Lastwagenführerschein."
"Das schaffst Du schon."
"Hach."
"Komm."
"Nun gut."

Ich klettere in die Fahrerkabine. Alles klappt wie am Schnürchen. Huch, ich kann Lastwagen fahren. Ich steuere den ultratief brummenden Vierzigtonner durch strudelaufwärtsführende Straßen, die Leitlinien in der Mitte leuchten goldglänzend. Eine E-Gitarre fällt vom Himmel. Ich fahre versehentlich drüber. Ein langhaariger Bombenleger am Straßenrand kreischt mir Flüche hinterher. Wir passieren ein ehemaliges Schiffshebewerk, das jetzt als Bratwursthebewerk fungiert. Und es piept. Unentwegt. Lauter. Schneller. Bratwursthebe... Bratwu... Brat... "Spinnst Du jetzt völlig?", fragt ich mich, noch halb im Traum. Dann, kurz später lichtet sich der Vorhang. Ich bin wach. Eine seltsame Nacht. Ein noch viel seltsamerer Traum. Da sage nochmal jemand, man brauche für seltsame Trips Drogen. Schlaf braucht man.

Dienstag, Dezember 06, 2005

Think pink, oder: Trauma des Sommers


Ein letztes Mal riss der Sommer mit puterrotem Kopf den Rachen auf und stickte Brüllhitze im Kreuzstich in die Straßen. Wir saßen in die übervölkerten Biergarnituren vor dem Café Gasolin gequetscht und warteten auf das heiß ersehnte kühle Alster. Spätnachmittäglicher Wind schickte sich gerade an, unsere dämmernde Hirnrinde zu erfrischen, doch plötzlich floh er. Wurde betäubt, taumelte zu Boden. Verschlungen von einer pinkfarbenen Wolke. Wir hatten doch noch gar nichts getrunken! War das echt? Konnte es sowas... nein, oder? Zwick mich, ich träume!

Aus Richtung des Aasee-Grills wackelten zwei Grazien um die Ecke. Ihre geschwungenen Lippen überglitzerte knatschgrelles Pink. Ihre üppigen Kurven wurden umschmeichelt von hautengen pinken Tops, darüber flatterte jeweils eine extrem kurze Knautschlacklederjacke. Farbe? Richtig: pink. Eigentlich viel zu warm für das Wetter. Der ebenfalls lacklederne Minirock war bei beiden genauso pink wie die klunkernden Armreifen. Die feingliedrigen Füße steckten in spitz zulaufenden, Stöckelschuhen, die pink auf dem Gehsteig klackerten, während sie mit aufreizend pinken Schritten auf uns zu stolzierten. Kreidepink vor Schreck weiteten sich
unsere Augen auf Mühlradgröße. Nun machten die Beiden auch noch Anstalten, sich direkt neben uns zu setzen. O Du, meine seitenstichlige Kicherrippe! Hilfe!

Eine übersüßte
pinke Parfumduftwolke umschlang uns. Näher betrachtet - was nahelag - waren auch die Fingernägel pink lackiert, die wallenden, langen Haare wurden gezähmt von einem pinken Haarreif. Aber: Die Haare waren blond. Ein klarer Bruch im Corporate Identitydesign. Jedoch der einzige. Denn alsbald holte die linke ein pinkes Blechdöschen aus ihrer pinken Lederhandtasche und ein pinkes Feuerzeug. Mein Gesicht zum Überstaunen brachte dann, was im Blechdöschen drin war: Pinkfarbene Zigaretten! Dass die Flamme des Feuerzeugs und der ausgeatmete Rauch nicht pink waren, verblüffte nun schon beinahe. Ein nahezu unglaubliches Szenario, bei dessen Schilderung ich jedem anderen Erzähler unterstellt hätte, zuviel mit Timothy Leary im magischen Bus gefahren zu sein und vorgeschlagen hätte, das Ferienhaus in Wolkenkuckuksheim zu verkaufen.

Fünf Minuten später. Die pinke Süße des Parfums stach immer noch in meine Nase. An der Straße entlang schlenderte ein Jüngling mit pomadeschwerer Rückkämmfrisur, lachsfarbenem Poloshirt unter champagnerfarbenem Pollunder und mit gleichfarbiger Bügelfaltenhose.

Pink1 (erhebt in feldbuschigem Timbre ihre pinke Stimme): "Oooooh, guck mal. Da läuft der Jens. Den hab ich auf dem WiWi-Fest kennengelernt. Den find ich echt süß!" (kichert glockenhell)

Pink2: "Was weißte denn von dem? Praktika? Geld? Auto? Berufsaussichten? Betuchte Eltern?"

Pink1 (klingelkichert wieder): "Keine Ahnung. Aber der ist schnuckelig."

Pink2: "Find das erstmal raus. Mit Sozialschmarotzern geben wir uns nicht mehr ab, stimmt's?"

Pink1 (kichert verlegen und murmelt zögerlich): "Mmhhhmmm."

Die süßliche Porzellanmaske der Rechten fiel aus ihrem Gesicht und zerschellte auf den Fliesen in tausend Scherben. Dahinter kam die berechnende Fratze des materialistischen Mädchens zum Vorschein. Unser Schmunzeln reichte schon bis an die Ohrläppchen, als es noch pinkerbunter wurde, wenige Minuten später.

Pink2 (verzieht ihr Gesicht zu einer Fratze mit apokalyptischem Ausmaß): "Boah! Und weißt Du was?"

Pink1: "Hihi. Ich glaub nicht."

Pink 2: "Mir ist gestern so was Schreckliches passiert!"

(H. und ich grinsen uns an - ist ihr vielleicht der pinke Pudel beim Spazierenstöckeln in die Aa gefallen und hat ihr pinkes Gesamtkunstwerkoutfit mit schmoddergraubraunem Dreckwassergeschmadder besudelt?)

Pink1: "Echt? Was denn?"

Pink2 (emphatisch, zieht noch einmal leidenschaftlich an der pinken Zigarette, um ihr Nervenkostüm zu beruhigen, Rauchwölkchen tanzen aus ihrem Mund, während sie fast loskeift): "Boah! Ich, ne? Ich war gestern bei Ostendorf*, ne? Wollte mir neuen Lippenstift kaufen! 42er, wie immer. Komm ich nach Hause, und was ist? (kreischt) Ist der doch zwei Nuancen dunkler! Z w e i N u a n c e n d u n k l e r ! ! ! Ich natürlich sofort hin und reklamiert..."

Ich schaffte es gerade noch, schnell aufzustehen und in Richtung Toilette zu stürzen, wobei ich die viel zu zerbrechliche Bedienung fast über den Haufen rannte, die gerade unser Alster brachte, ehe mich im erfreulich unpink gekachelten Bad minutenlange, zwerchfellerschütternde Lachkrämpfe durchsprudelten und schüttelten. Pink. Eine Farbe für sich.

Montag, Dezember 05, 2005

Zur Kenntnisnahme

Ich staune. Folgende wichtige Informationen erreichten mich soeben komplett unaufgefordert per Email:

Medien-Information

+++ Deutsche Meisterschaft der Hirschrufer auf der JAGD & HUND +++

+++ Profis aus ganz Deutschland röhren um die Wette +++

+++ Hirsche röhren im Dialekt +++

Die Brunftzeit der Hirsche ist vorbei. Sollten Sie dennoch in nächster Zeit das
Röhren eines vermeintlichen Hirsches vernehmen, könnte es daran liegen, dass
wieder eifrig für die JAGD & HUND (31. Januar bis 5. Februar 2006) trainiert
wird.

(Die ausführliche Presseinformation finden Sie hier:
http://www.westfalenhallen.de/presse4871.php)
Gibt es eigentlich einen Bedeutungszusammenhang von schwarzen Vögeln, die mit Amsel, Fink und Star in Kinderliedern auftauchen, und der Kraftherunterregelung, zum Beispiel bei Mofa-Motoren?

Sonntag, Dezember 04, 2005

Trister Sturm in blau

















Ist Dein Glaube ein Vogel in Finsternis? Zerplittertes Glas. Notiz eines Moments. Hektisches Blitzlicht abtastet eine Ewigkeit. Wird das Ende lügen? Die Fenster zerborsten. Wir sind von Dir vernichtet. Blaue Stürme rollen heran. Schwing Dich nach draußen. Sanft küssender Regen. Schmeckt wie blau und gold. Lichtspritzer, schickt Dich quer durch die Luft. Rauskrachen, durchblicken. Tränentropfenaugen tränken den Gehsteig. Lass es fallen, Lass es fallen. Holzkohlenblaue Stadt schwimmt in Blütenblättern. Alle glauben, keiner von ihnen ist gewarnt. Lass es fallen. Erdrutsch. Genea.

(frei nach: Elliott - Blue Storm)

Freitag, Dezember 02, 2005

Herr (Zeit)Geist

Zu weißen Kaninchen hatte Herr Geist Zeit seines Lebens ein gespaltenes Verhältnis. Schuld daran trug das Lewis Carrolls Wunderland. Genauer: Das weiße Kaninchen, dass atem- und zeitlos vor der verronnenen Zeit davon und der verbleibenden Zeit hinterherrannte. Nicht selten kam es vor, dass sich im Kopf von Herrn Geist alles drehte. In seinen Pupillen, auf seiner Nase und an seinem Kinn drehten sich munter silberglänzende Uhrzeiger auf kleinen Ziffernblättern. Seine wenigen verbliebenen Haare kräuselten sich zeitweise und Zeit weisend im Uhrzeigersinn. Woher diese Seltsamkeiten kamen, wusste keiner. Noch im Mutterbauch hatte Herr Geist die Ärzte mit seltsam tickenden Geräuschen verwirrt. Und als er zur Welt kam, staunten alle. Ein kleines Baby, das nicht schrie, sondern klingelte, mit metallisch schillernden Scheibchen und arhythmisch tickendem Körper. Als seine Mutter ihr Kind in den Arm nehmen wollte, fiel sie in Ohmacht. Das Seltsamste war, dass sämtliche Ziffernblätter in und an ihm verschiedene Zeiten anzeigten. Er war die Zeit, doch die Zeit war nie gleich und an allen verschiedenen Stellen zugleich unterschiedlich. Er war die gleichzeitige Vorzeitigkeit und die Nachzeitigkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Zeit versickerte in ihm, sprudelte aus ihm heraus, entsprang ihm und verpuffte an ihm, zerronn und erneuerte sich selbst, drehte sich mit ihm und er sich mit ihr. Schon als Kind wurde er von allen als "Zeitgeist" gehänselt. Wenn er getrunken hatte, kam es ihm sogar vor, als sei er eine von verrückten Hutmachern mit Butter, Tee und Marmelade kaputtreparierte Taschenuhr. Im Gegensatz zum weißen Kaninchen hatte er immer zuviel Zeit. Gleichzeitig. "Mach eine Zeitreise mit uns", frotzelten seine Kumpanen gern in der Schule. Oder: "Komm schon, klingel' für uns. Dann ist jetzt schon Pause. Oder sorg dafür, dass die Uhren schneller gehen." Das konnte schon der kleine Herr Geist nicht. Und er würde es auch nie lernen. Vor Kurzem hat ihn das Zeitliche gesegnet. Traurig und vereinsamt nahm er sich das Leben und sprang aus einem Zeitfenster im dritten Stock.

Des Rockers Eckfenster


Der Blick schwirrt kreuz und quer über das wuselige Getümmel, das Hirn surrt unter Hochspannung. Suchen, finden, erkennen. Was für ein riesiger Fan ich doch früher von den "Wimmelbildern" war. Und wie begeistert ich war, als ich das hier entdeckte. 74 Bandnamen in einem Bild versteckt. Viel Spaß beim Suchen!

Donnerstag, Dezember 01, 2005

Mir scheint heute, ich habe zuviel Schlafsahne gegessen.