Donnerstag, November 30, 2006
Anna echauffiert sich, während hinter ihr bunte Rauchschwaden sich verknoten. Sie ist vor Jahrzehnten aus Russland hierhergekommen, hat in Moskau Chemie studiert und zeigt nun freiwillig Schülern, was man alles Praktisches mit Chemikalien anstellen kann. Explosionen erzeugen, Schmuck basteln, bunte Farben herbeizaubern und so weiter. Einen viel zu schlechten Ruf hat Chemie, sie ist erschrocken, wie wenig Schüler darüber wissen und wie wenig Lust sie im normalen Unterricht haben. Und so flucht sie auch über die Sprache, die der Disziplin schon vorab Wundmale in die Stirn ritzt: "Schauen Sie, jeder sagt, es sei zuviel Chemie in Lebensmitteln oder in Dünger. Aber sagt auch jemand, es sei zuviel Erdkunde in der Landschaft oder zuviel Physik in abgewogenem Obst auf dem Wochenmarkt?"
Dienstag, November 28, 2006
Montag, November 27, 2006
Bitte jeder nur ein Kreuz
Wenn das pekuniäre Räderwerk knarzt und knirscht, liegt es nahe, seinen Blick zu schärfen und auf der Suche nach Auswegen umherschweifen zu lassen. In dem Bestreben, meinem Geldbeutel die kalte Klämme zu nehmen und Haushaltslöcher zu stopfen, habe auch ich den Kescher nach weiteren legalen Geldquellen ausgeworfen. Und nun hat wirklich ein kleines Jöbchen im Netz gezappelt. Folglich werde ich ab heute und bis einschließlich Freitag von morgens um acht bis abends um sechs zehn Stunden in der spätherbstlich-feuchten Kühle draußen im Juridicum sitzen und engagierten Studierenden als Wahlhelfer bei den Hochschulwahlen Wahlzettel in die Hand drücken, Striche auf Listen eintragen, Studentenausweise abstempeln und Wahlkämpfer von meiner Urne fernhalten. Gerade das Juridicum, das ich sonst eher beschleunigten Schrittes durchquere oder weiträumig umfahre, könnte nebenbei auch interessante Einblicke in gesellschaftliche und menschliche Bereiche ermöglichen, denen ich sonst nicht einmal von Weitem zusehe. Seien wir gespannt. Ich zumindest bin es. Und jetzt noch Brote schmieren und Thermoskannen befüllen. Wer zufällig (oder absichtlich) vor Ort ist, darf auch gern vorbeischauen und (sofern nicht vorab schon woanders erledigt) sich das Zettelsammelsurium zum Ankreuzen aushändigen lassen. Und ganz abseits dessen, ob man mich nun treffen mag oder lieber nicht, ist es doch wichtig, seine Stimme abzugeben. Denn wie schnell lassen sich studentische Initiativen sonst abbügeln von anderer Seite: "Interessant, Sie glauben also im Namen der Studierendenschaft zu sprechen? Und das, wo Ihrer Liste nichtmal ein Fünftel von 22% aller Studierenden die Stimme geliehen haben?" Wer kann und darf, sollte sein Wahlrecht nutzen. Und wer gerade in juridischer Nähe ist, darf gern vorbeikommen. Ich tippe grob, wenige Meter weiter gibt es auch wieder wahlmotivierenden Glühwein.
Samstag, November 25, 2006
Finnisches Maschinenbogenabklatschen? Zwischen den Zähnen!
Es ist schon eine Weile her, als eine Herzschlag beschleunigende Frau noch kein "scharfes Gerät", keine "geile Braut" oder "Hammerschnitte" sondern noch ein "steiler Zahn" war, und eine Vielzahl solch betörender Erscheinungen auf dem Schulhof gar zu einem "steilen Gebiss" werden konnte. Damals lag Tschetschenien noch nicht auf Rang 3 der "unbeliebtesten Urlaubsziele der Deutschen". Doch wurde sich auch damals schon in der kribbelnden Liebesanbahnungsphase am Ende eines gemeinsamen Abends manchmal eingeladen, noch auf ein Kalt- oder Heißgetränk mit nach oben in die Wohnung zu kommen.
Damals verschleierte der geneigte Schwärmer seiner Herzensdame allerdings noch nicht seine schlafgemachzerwühlenden Wunschträume, indem er sie einlud, seinen Gamecube, sein CD-Regal, seinen DVD-Schrank oder seinen Badezimmerjacuzzi einmal in näheren Augenschein zu nehmen. Nicht selten, so ist mir glaubhaft versichert worden, wurde damals der steile Zahn vielmehr eingeladen, sich von der Durchzähnung kleiner Papierschnipsel zu überzeugen, die oft mit Dampf von Umschlägen gelöst und sorgfältig in Alben drapiert wurden: Man bestaunte die Briefmarkensammlung. Ich selbst habe als Kind noch Luftsprünge gemacht, wenn wieder Post von meiner sächsischstämmigen Großtante aus Hamburg kam mit Dutzenden bunter Frankierpappen aus der DDR, Ungarn, Polen oder auch der BRD. Blumengestecke waren darauf zu sehen, Altstadttürme, Diesellokomotiven oder Speerwerfer.
Kaum ein Hobby hat so an Schnarchnasigkeit im Image zugelegt und so krass an Kitzel für die Jugend verloren wie Briefmarkensammeln - egal ob bei pomadepolierten Halbstarken oder steilen Gebissen. Zurecht, möchte man raunen. Philatelisten sind ungefähr so sexy und angesagt wie schlabbrige Feinrippunterbuxen mit Eingriff oder Graupensuppe. Ob es je Philatelistenparties gegeben hat, weiß ich nicht. Möglich ist es. Ich war nie auf einer. Falls jemand von Euch aber jemals auf einer Party finnischer Philaetlisten eingeladen werden sollte, könnte es hilfreich sein zu wissen, dass "durchgezähnt" auf finnisch "arkinreunaan hammastettu" heißt und "loppuunmyyty" ausverkauft, dass "ennakkomitätöinti" die finnische Vorausentwertung ist, "hirsipuukirje" ein Galgenbrief, "hyväntekeväisyysmerkki" eine Wohltätigkeitsmarke, "ikkunakirjekuori" ein Fensterumschlag, "jälkikäyttöleima" ein nachverwendeter Stempel, "konearkkitarttuma" ein Maschinenbogenabklatsch, "puristeruudukku" eine Waffeleinpressung und "ympyräleima lohkoviivoituksin" einen Kreisstempel mit Gitterbogen bezeichnet. Wem kein Freudeglitzern bei der Vorstellung über die Stirn huscht, mit finnischen Philatelisten über Wohltätigkeitsmarken oder Kreisstempel mit Gitterbogen zu diskutieren, kann hoffen, dass noch Wodka im Kühlschrank liegt und vielleicht noch der ein oder andere steile Zahn in dessen Nähe wurzelt, den man im Anschluss heimbringen und noch auf ein Kalt- oder Heißgetränk einladen kann. Und dann zeigt man seinen Gamecube, sein CD-Regal, seinen DVD-Schrank oder seinen Badezimmerjacuzzi her und vielleicht erfüllt sich in dieser Nacht mehr als nur ein Traum.
Damals verschleierte der geneigte Schwärmer seiner Herzensdame allerdings noch nicht seine schlafgemachzerwühlenden Wunschträume, indem er sie einlud, seinen Gamecube, sein CD-Regal, seinen DVD-Schrank oder seinen Badezimmerjacuzzi einmal in näheren Augenschein zu nehmen. Nicht selten, so ist mir glaubhaft versichert worden, wurde damals der steile Zahn vielmehr eingeladen, sich von der Durchzähnung kleiner Papierschnipsel zu überzeugen, die oft mit Dampf von Umschlägen gelöst und sorgfältig in Alben drapiert wurden: Man bestaunte die Briefmarkensammlung. Ich selbst habe als Kind noch Luftsprünge gemacht, wenn wieder Post von meiner sächsischstämmigen Großtante aus Hamburg kam mit Dutzenden bunter Frankierpappen aus der DDR, Ungarn, Polen oder auch der BRD. Blumengestecke waren darauf zu sehen, Altstadttürme, Diesellokomotiven oder Speerwerfer.
Kaum ein Hobby hat so an Schnarchnasigkeit im Image zugelegt und so krass an Kitzel für die Jugend verloren wie Briefmarkensammeln - egal ob bei pomadepolierten Halbstarken oder steilen Gebissen. Zurecht, möchte man raunen. Philatelisten sind ungefähr so sexy und angesagt wie schlabbrige Feinrippunterbuxen mit Eingriff oder Graupensuppe. Ob es je Philatelistenparties gegeben hat, weiß ich nicht. Möglich ist es. Ich war nie auf einer. Falls jemand von Euch aber jemals auf einer Party finnischer Philaetlisten eingeladen werden sollte, könnte es hilfreich sein zu wissen, dass "durchgezähnt" auf finnisch "arkinreunaan hammastettu" heißt und "loppuunmyyty" ausverkauft, dass "ennakkomitätöinti" die finnische Vorausentwertung ist, "hirsipuukirje" ein Galgenbrief, "hyväntekeväisyysmerkki" eine Wohltätigkeitsmarke, "ikkunakirjekuori" ein Fensterumschlag, "jälkikäyttöleima" ein nachverwendeter Stempel, "konearkkitarttuma" ein Maschinenbogenabklatsch, "puristeruudukku" eine Waffeleinpressung und "ympyräleima lohkoviivoituksin" einen Kreisstempel mit Gitterbogen bezeichnet. Wem kein Freudeglitzern bei der Vorstellung über die Stirn huscht, mit finnischen Philatelisten über Wohltätigkeitsmarken oder Kreisstempel mit Gitterbogen zu diskutieren, kann hoffen, dass noch Wodka im Kühlschrank liegt und vielleicht noch der ein oder andere steile Zahn in dessen Nähe wurzelt, den man im Anschluss heimbringen und noch auf ein Kalt- oder Heißgetränk einladen kann. Und dann zeigt man seinen Gamecube, sein CD-Regal, seinen DVD-Schrank oder seinen Badezimmerjacuzzi her und vielleicht erfüllt sich in dieser Nacht mehr als nur ein Traum.
Donnerstag, November 23, 2006
Großartige Musik für neugierige Ohren (V)
Die Wolken senken sich tiefer, schmieren ein äschernes Grau an den Himmel und verdüstern die Tage schon früh. Regengischt spiegelt den Lärm der Straße zischelnd aufwärts. Die letzten Blätter, die sich noch todesmutig an karge Äste klammern, werden mürbe, ergeben sich und gesellen sich zu den anderen, die schon vor ihnen wie Lemminge abwärts gestürzt sind. Die Menschen schlagen sich Schals um die Hälse, ziehen die Kapuzen tief ins Gesicht, suchen in abgelegenen Schubladen nach den Handschuhen, die sie erst letztes Jahr gekauft haben aber nach dem Sommer nicht wieder finden. Die Busse werden voller, hinter zugezogenen Gardinen knistern mehr Kerzen.
Inzwischen ist es drinnen wieder gemütlicher. Heißer Tee über flackernden Stövchen, Wolldecken, warmes Licht. Zeit, sich Zeit zu nehmen. Gern auch für gute Musik. Insofern hier einmal mehr ein paar Tipps für neue Ohrenreisen. Alles kostenlos anzuhören, aber alles auch Musiker, die eine Anschaffung der originalen Platten mindestens lohnen.
Mit Dreams and Bridges und dem brandneuen Nightmares gibt es einen kleinen Einblick in das Schaffen einer der beeindruckendsten Bands der letzten Jahre, Aereogramme. Von ihrem grandiosen Meisterwerk "Sleep and release" gab es leider nichts, was sich kostenlos vorstellen ließe, aber auch diese Songs reißen Strudel auf zwischen gewaltiger Gischt und Melodieseligkeit, spannend gesetzten Streichern, klug eingeflochtenem Geräuschgeplucker und großen Gesten. Nightmares gibt es hier übrigens zudem noch als hauchzarte Akustikversion aus dem Jahr 2004. Spannende Gratwanderungen zwischen zart gewebten Melodietüchern, verspielten Sphärenwolken und wuchtigen Pathosvulkanausbrüchen lassen sich auch mit Annuals unternehmen: Brother und Dry Clothes lohnen die Ohrenschenkung in jedem Fall.
Wunderschönen, verspulten Indie-Pop mit ausgefuchsten Arrangements, witzigen Ideen und herrlichen Meldien liefern Margot & The Nuclear So And So's - meine bisherige Entdeckung des Herbstes. Eintauchen und mitwippen bei Skeleton key. Einen ganzen Haufen mehr von dieser feinen Band zu entdecken gibt es noch hier, wo sich gleich mehrere Livekonzerte in Gänze und weitere tolle Songs kostenlos kennen lernen lassen. Ihr Album "The dust of retreat" jedenfalls kann ich nur empfehlen. Nicht mehr ganz so taufrisch aber immer noch erfrischend sind Gorky's Zygotic Mynci, die hier mit How I long ein paar wärmende Sonnenstrahlen aus vergangenen Monaten durchs Herbstgrau zurück schicken. Rotweinschwanger, durchtrieben und wundersam poetisch sind die kleinen Folk-Epen von Jenny Owen Youngs. Neugierig? Fuck was I ermöglicht Euer erstes Date mit der Dame.
Einer der traurigsten und zugleich wunderschönsten Songs der fantastischen Okkervil River, denen allmählich mehr verdiente Aufmerksamkeit zukommt, ist auch frei für Euch zugänglich: A favor. Wer hier nicht sehnsuchtsvoll zu schwärmen beginnt, sollte seinen Organspenderausweis abgeben: Steinerne Herzen werden nicht transplantiert.
Wer es definitiv auch verdient hätte, bekannter zu werden, sind Victory At Sea. Groovig, mit Melodien gesegnet, die sich in die Gehörgänge krallen, schnodderigen Gitarren und zerperlenden Klaviersprenklern, sprudeln ihre dezenten, aber punktgenau gesetzten Songs zwischen Leisetreten und Rockkelle. To you and me ist Euer Ticket, um für die Seeschlacht anzuheuern. In ähnlichen Gewässern schippern auch Sometree, die mit ihrem tollen Song Hands and arrows darauf warten, von Euch entdeckt und lieb gewonnen zu werden.
Vielleicht sollte man sich auch mit The Long Winters auch schon einmal darauf vorbereiten, dass der Frühling wohl noch Monate auf sich warten lassen wird: Warmen Pullover anziehen, Pushover hören. Und vielleicht in ferne Welten schweifen. Dorthin, wo sich amerikanischer Folk und tarantelgestochene Balkanblasmusik aus dem Donaudelta heimlich unter dem Tisch befummeln und gemeinsam feiern gehen. Mitfeiern, staunen, jubeln: Mount Wroclai (Idle days) und Postcards from Italy Sie entstammen der Feder des seltsam obskuren Zach Condon, der sich Beirut nennt, mit seinen Anfang Zwanzig klingt wie eine Mischung aus Arcade Fire und Django Reinhardt und auf seiner neuen Scheibe "Gulag Orkestar" sogar einen Song über den Prenzlauer Berg geschrieben hat. So klingt die oft zu kitschbefrachtete Weltmusik aufregend frisch.
Wer noch mehr Zeit, Lust und Neugier hat, kann darüber hinaus noch im riesigen Archiv kostenloser Songs auf der Seite des traumschön musizierenden Singer/Songwriters John Vanderslice stöbern. Definitiv lohnend und so umfangreich und durchgehend schön, dass ich nichts hervorheben mag.
Bisherige Episoden: Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV
Inzwischen ist es drinnen wieder gemütlicher. Heißer Tee über flackernden Stövchen, Wolldecken, warmes Licht. Zeit, sich Zeit zu nehmen. Gern auch für gute Musik. Insofern hier einmal mehr ein paar Tipps für neue Ohrenreisen. Alles kostenlos anzuhören, aber alles auch Musiker, die eine Anschaffung der originalen Platten mindestens lohnen.
Mit Dreams and Bridges und dem brandneuen Nightmares gibt es einen kleinen Einblick in das Schaffen einer der beeindruckendsten Bands der letzten Jahre, Aereogramme. Von ihrem grandiosen Meisterwerk "Sleep and release" gab es leider nichts, was sich kostenlos vorstellen ließe, aber auch diese Songs reißen Strudel auf zwischen gewaltiger Gischt und Melodieseligkeit, spannend gesetzten Streichern, klug eingeflochtenem Geräuschgeplucker und großen Gesten. Nightmares gibt es hier übrigens zudem noch als hauchzarte Akustikversion aus dem Jahr 2004. Spannende Gratwanderungen zwischen zart gewebten Melodietüchern, verspielten Sphärenwolken und wuchtigen Pathosvulkanausbrüchen lassen sich auch mit Annuals unternehmen: Brother und Dry Clothes lohnen die Ohrenschenkung in jedem Fall.
Wunderschönen, verspulten Indie-Pop mit ausgefuchsten Arrangements, witzigen Ideen und herrlichen Meldien liefern Margot & The Nuclear So And So's - meine bisherige Entdeckung des Herbstes. Eintauchen und mitwippen bei Skeleton key. Einen ganzen Haufen mehr von dieser feinen Band zu entdecken gibt es noch hier, wo sich gleich mehrere Livekonzerte in Gänze und weitere tolle Songs kostenlos kennen lernen lassen. Ihr Album "The dust of retreat" jedenfalls kann ich nur empfehlen. Nicht mehr ganz so taufrisch aber immer noch erfrischend sind Gorky's Zygotic Mynci, die hier mit How I long ein paar wärmende Sonnenstrahlen aus vergangenen Monaten durchs Herbstgrau zurück schicken. Rotweinschwanger, durchtrieben und wundersam poetisch sind die kleinen Folk-Epen von Jenny Owen Youngs. Neugierig? Fuck was I ermöglicht Euer erstes Date mit der Dame.
Einer der traurigsten und zugleich wunderschönsten Songs der fantastischen Okkervil River, denen allmählich mehr verdiente Aufmerksamkeit zukommt, ist auch frei für Euch zugänglich: A favor. Wer hier nicht sehnsuchtsvoll zu schwärmen beginnt, sollte seinen Organspenderausweis abgeben: Steinerne Herzen werden nicht transplantiert.
Wer es definitiv auch verdient hätte, bekannter zu werden, sind Victory At Sea. Groovig, mit Melodien gesegnet, die sich in die Gehörgänge krallen, schnodderigen Gitarren und zerperlenden Klaviersprenklern, sprudeln ihre dezenten, aber punktgenau gesetzten Songs zwischen Leisetreten und Rockkelle. To you and me ist Euer Ticket, um für die Seeschlacht anzuheuern. In ähnlichen Gewässern schippern auch Sometree, die mit ihrem tollen Song Hands and arrows darauf warten, von Euch entdeckt und lieb gewonnen zu werden.
Vielleicht sollte man sich auch mit The Long Winters auch schon einmal darauf vorbereiten, dass der Frühling wohl noch Monate auf sich warten lassen wird: Warmen Pullover anziehen, Pushover hören. Und vielleicht in ferne Welten schweifen. Dorthin, wo sich amerikanischer Folk und tarantelgestochene Balkanblasmusik aus dem Donaudelta heimlich unter dem Tisch befummeln und gemeinsam feiern gehen. Mitfeiern, staunen, jubeln: Mount Wroclai (Idle days) und Postcards from Italy Sie entstammen der Feder des seltsam obskuren Zach Condon, der sich Beirut nennt, mit seinen Anfang Zwanzig klingt wie eine Mischung aus Arcade Fire und Django Reinhardt und auf seiner neuen Scheibe "Gulag Orkestar" sogar einen Song über den Prenzlauer Berg geschrieben hat. So klingt die oft zu kitschbefrachtete Weltmusik aufregend frisch.
Wer noch mehr Zeit, Lust und Neugier hat, kann darüber hinaus noch im riesigen Archiv kostenloser Songs auf der Seite des traumschön musizierenden Singer/Songwriters John Vanderslice stöbern. Definitiv lohnend und so umfangreich und durchgehend schön, dass ich nichts hervorheben mag.
Bisherige Episoden: Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV
Labels: Oles Musiktipps
Mittwoch, November 22, 2006
Crash! Boom! Bang!
Manchmal passiert es aus heiterem oder bewölktem Himmel, da knallt es urplötzlich so laut, dass Dir die Gedanken aus dem Kopf und die Dinge aus der Hand fallen. Und dann kniest Du Dich hin und wischst den verspütterten Kaffee vom Linoleumboden der Küche, sinnierst, wie es sich wohl anfühlen mag, wenn das Herz unvermittelt stehen bleibt und grübelst in der Folge Deine Stirn faltig, mit welcher Absicht Du doch gleich das Telefonbuch aus der Kommode im Flur geklaubt hattest. Und dann fragst Du Dich, was das wohl soeben für ein seltsam explosiver Krach gewesen sein mag, mit dem Dein inneres Chaos plötzlich begann.
Dienstag, November 21, 2006
Sonntag, November 19, 2006
Entführt
Nur noch matt brummten die letzten Erinnerungen an damals, an das kalte klebrige Dunkel. Nie hatte sie sich lebendiger gefühlt als damals, als plötzlich Fremde sich einmischten und sie mit stahlkalter Gewalt herausrissen aus ihrer finsteren Gemütlichkeit. Draußen hatte der Wind sanft in ihren Augen gekitzelt. Niemand sagte ihr etwas. Sie wurde entführt. Wollte um Hilfe schreien, fand aber keine Stimme.
Sie schrappten an ihr rum, rüttelten sie durch bis ihr schwindelig wurde. Manche ihrer Freundinnen hatte man auch erwischt, mit scharfen Messern zum Verlassen des Unterschlupfs gedrängt. Gegen ihren Willen an fremde Orte wurden sie verbracht, einige wurden – nur weil ein paar Beulen, Falten und weiche Stellen den Betrachtern faul erschienen – völlig weggerissen und sonst wohin geschleudert. Was mit ihnen wohl passiert sein mochte?
Kalt geduscht hatte man sie, mit harten Borsten ihre Haut zerkratzt, dann hatte man sie abgeführt und ohne Angabe eines Grundes in einen Käfig aus harten Schnüren geschleudert. Über Wochen harrte sie hier aus, in diesem dicht gedrängten Pferch. Ohne Chance zu entkommen ohne, dass je ein Anwalt gekommen wäre um Partei für sie zu ergreifen, ohne dass auch nur irgendwer es für nötig befunden hatte, ihr und ihren Mitinsassen zu Hilfe zu kommen. Durchgeschüttelt wurden sie, mehrfach an andere Orte verbracht. Dann plötzlich kam einer, riss sie fort, verschleppte sie abermals, und kurz darauf zerschnitt er den Käfig. Die Rettung schien nahe, doch er holte ein kalt blitzendes Messer, dieser Riese. Grapschte mit fettigen Fingern nach ihr, betatschte sie, tastete ihre Rundungen ab, warf sie mit anderen auf frisch gewischten Holzboden.
Seine Mundwinkel blieben ungerührt, und doch erhob er sein Messer und drang in sie ein, zog ihr die Haut ab, Fetzen für Fetzen. Sie konnte immer noch nicht schreien. Fror. Schockerstarrt. Und nicht nur an ihr verging er sich. Auch an einigen ihrer Zellengenossinnen. Dann, immer noch ohne dass irgendwer sie gehört hatte, ohne dass ihr irgendwer ein Wort der Rechtfertigung zugestanden hätte, tauchte er sie unter, verbrühte sie, alles an ihr schmerzte. Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Nur noch matt brummten die letzten Erinnerungen an damals, an das kalte klebrige Dunkel. Die Kartoffel. Nie hatte sie sich lebendiger gefühlt als damals, als plötzlich Fremde sich einmischten und sie mit stahlkalter Gewalt herausrissen aus ihrer finsteren Gemütlichkeit. Draußen hatte der Wind sanft in ihren Augen gekitzelt.
Sie schrappten an ihr rum, rüttelten sie durch bis ihr schwindelig wurde. Manche ihrer Freundinnen hatte man auch erwischt, mit scharfen Messern zum Verlassen des Unterschlupfs gedrängt. Gegen ihren Willen an fremde Orte wurden sie verbracht, einige wurden – nur weil ein paar Beulen, Falten und weiche Stellen den Betrachtern faul erschienen – völlig weggerissen und sonst wohin geschleudert. Was mit ihnen wohl passiert sein mochte?
Kalt geduscht hatte man sie, mit harten Borsten ihre Haut zerkratzt, dann hatte man sie abgeführt und ohne Angabe eines Grundes in einen Käfig aus harten Schnüren geschleudert. Über Wochen harrte sie hier aus, in diesem dicht gedrängten Pferch. Ohne Chance zu entkommen ohne, dass je ein Anwalt gekommen wäre um Partei für sie zu ergreifen, ohne dass auch nur irgendwer es für nötig befunden hatte, ihr und ihren Mitinsassen zu Hilfe zu kommen. Durchgeschüttelt wurden sie, mehrfach an andere Orte verbracht. Dann plötzlich kam einer, riss sie fort, verschleppte sie abermals, und kurz darauf zerschnitt er den Käfig. Die Rettung schien nahe, doch er holte ein kalt blitzendes Messer, dieser Riese. Grapschte mit fettigen Fingern nach ihr, betatschte sie, tastete ihre Rundungen ab, warf sie mit anderen auf frisch gewischten Holzboden.
Seine Mundwinkel blieben ungerührt, und doch erhob er sein Messer und drang in sie ein, zog ihr die Haut ab, Fetzen für Fetzen. Sie konnte immer noch nicht schreien. Fror. Schockerstarrt. Und nicht nur an ihr verging er sich. Auch an einigen ihrer Zellengenossinnen. Dann, immer noch ohne dass irgendwer sie gehört hatte, ohne dass ihr irgendwer ein Wort der Rechtfertigung zugestanden hätte, tauchte er sie unter, verbrühte sie, alles an ihr schmerzte. Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Nur noch matt brummten die letzten Erinnerungen an damals, an das kalte klebrige Dunkel. Die Kartoffel. Nie hatte sie sich lebendiger gefühlt als damals, als plötzlich Fremde sich einmischten und sie mit stahlkalter Gewalt herausrissen aus ihrer finsteren Gemütlichkeit. Draußen hatte der Wind sanft in ihren Augen gekitzelt.
Samstag, November 18, 2006
Wiederbegegnung in Gedanken
Er wurde nicht mit Dreadlocks geboren, aber blass war er immer. Damals im Kindergarten pinkelte er mit seinem Zwillingsbruder in den großen Legokasten. Mehrfach. Völlig wich der Geruch nicht mehr, auch wenn viele emsig schrubbten. Fast alle fluchten dabei, einigen wurde übel. Geschlagen wurde er nicht, genauso wenig wie sein Zwillingsbruder. Auf dem Schlaf-Fest hat er K. heißen Kakao ins Gesicht gekippt, als der Mond mit seinem Silberschein gerade in die Küche geschlurft war, um der Morgenröte schon einmal das Teewasser aufzustellen. Den Kakao hatte er in einer Thermoskanne gefunden. Er mochte K. nicht, wollte aber nur Spaß machen. Sie musste mit Verbrennungen ins Krankenhaus. Er musste drei Wochen zu Hause bleiben. Als er wiederkam, pinkelte er wieder in den Legokasten.
Später gründete er eine Band, zusammen mit seinem Bruder. Sie spielten Punk mit immensen Tempowechseln, die nicht nur das Publikum sondern auch sie selbst oft verblüfften. Zu zweit. Sie beschrien, der Punk sei nicht tot. Die Riffs knatterten aus einem winzigen Verstärker. Der war nach den Konzerten heiserer als die Kehlen der zwei. Das Schlagzeug klang ein wenig nach Joghurtbechern.
Er trug Dreadlocks und Ringelstrumpfhosen, die nach schalem Bier rochen, zerrissen, zerschlissen, zerfetzt. Ihm fehlte ein Schneidezahn. Angeblich ist er betrunken ins Nachbargymnasium eingebrochen und hat auf Drogen mit einem Baseballschläger den Computerraum zertrümmert. Über wilde Kerle wird ja gerne viel geredet. Oft auch Falsches. Und er war einer der Wildesten. Spuckte, kotzte, keifte und randalierte mehr als viele, bewarf Unschuldige mit Fleischsalat. Angeblich hat er mehrere Kuckuckskinder, er der schrille Vogel. Seine engen Freunde sagen, daran sei nichts. Aber er sei manchmal traurig gewesen, dass das Dosenpfand ihn seiner Leidenschaft beraubte: Dosenstechen mit Karlsquell. „Aldis Rache“ hatte er die Plörre gern genannt. Oder „K21“, weil einundzwanzig Dosen auf die Palette passten. Überhaupt kann man seitdem kaum noch Dosen stechen. Es lohnt nicht mehr. Vielleicht ein bisschen traurig. Ein bisschen. Doch "ein Punker ist nicht traurig", sagte er, "ein Punker ist entweder betrunken oder wütend" und oft auch beides.
Ich habe ihn lange nicht mehr getroffen. Viele Jahre nicht mehr. Letztens wehten allerdings Neuigkeiten zu mir herüber. Vor Kurzem hat er geheiratet, auch wenn er noch nicht einmal Vater geworden ist. Er lebt mit seiner Frau in Südamerika. Dorthin ist er ausgewandert. Er soll sehr freundlich geworden sein. Und dort tritt er nun manchmal im Fernsehen auf, erzählt man sich. Er sei dann abonniert auf die Rollen von anämischen Wahnsinnigen und Kriminellen, und für diese tauge er hervorragend, mit seinen Dreadlocks, sagen sie, auch wegen seines bleichfahlen Teints. Und blass war er ja schon immer.
Später gründete er eine Band, zusammen mit seinem Bruder. Sie spielten Punk mit immensen Tempowechseln, die nicht nur das Publikum sondern auch sie selbst oft verblüfften. Zu zweit. Sie beschrien, der Punk sei nicht tot. Die Riffs knatterten aus einem winzigen Verstärker. Der war nach den Konzerten heiserer als die Kehlen der zwei. Das Schlagzeug klang ein wenig nach Joghurtbechern.
Er trug Dreadlocks und Ringelstrumpfhosen, die nach schalem Bier rochen, zerrissen, zerschlissen, zerfetzt. Ihm fehlte ein Schneidezahn. Angeblich ist er betrunken ins Nachbargymnasium eingebrochen und hat auf Drogen mit einem Baseballschläger den Computerraum zertrümmert. Über wilde Kerle wird ja gerne viel geredet. Oft auch Falsches. Und er war einer der Wildesten. Spuckte, kotzte, keifte und randalierte mehr als viele, bewarf Unschuldige mit Fleischsalat. Angeblich hat er mehrere Kuckuckskinder, er der schrille Vogel. Seine engen Freunde sagen, daran sei nichts. Aber er sei manchmal traurig gewesen, dass das Dosenpfand ihn seiner Leidenschaft beraubte: Dosenstechen mit Karlsquell. „Aldis Rache“ hatte er die Plörre gern genannt. Oder „K21“, weil einundzwanzig Dosen auf die Palette passten. Überhaupt kann man seitdem kaum noch Dosen stechen. Es lohnt nicht mehr. Vielleicht ein bisschen traurig. Ein bisschen. Doch "ein Punker ist nicht traurig", sagte er, "ein Punker ist entweder betrunken oder wütend" und oft auch beides.
Ich habe ihn lange nicht mehr getroffen. Viele Jahre nicht mehr. Letztens wehten allerdings Neuigkeiten zu mir herüber. Vor Kurzem hat er geheiratet, auch wenn er noch nicht einmal Vater geworden ist. Er lebt mit seiner Frau in Südamerika. Dorthin ist er ausgewandert. Er soll sehr freundlich geworden sein. Und dort tritt er nun manchmal im Fernsehen auf, erzählt man sich. Er sei dann abonniert auf die Rollen von anämischen Wahnsinnigen und Kriminellen, und für diese tauge er hervorragend, mit seinen Dreadlocks, sagen sie, auch wegen seines bleichfahlen Teints. Und blass war er ja schon immer.
Freitag, November 17, 2006
Biologische Horizonterweiterung
Von der Welt vergessene Wesen: Die Zyklopenkatze (Polyphema). Hauptsächlich anzutreffen ist die Zyklopenkatze in zerklüfteten Gebirgsschluchten und felsigen Geröllwüsten, durch die sie mit ihrem muskulösen Schwanz springt. Sie ernährt sich hauptsächlich von Erdnüssen und Wellnessflakes. Sie scheut Tages- und Nachtlicht und ist deswegen höchstens an regenfreien Tagen in der Dämmerung zu erspähen. Ungeklärt ist, zu welcher biologischen Gattung sie zählt. Widersprüchliche Beobachter berichten von Zyklopenkatzen die Eier legten, andere sagten, sie hätten einer Geburt beigewohnt, und es seien lebend geborene Säugetiere gewesen. Gerüchten zufolge kann sie mit ihrer nicht vorhandenen Nase bis zu 17 identische Gerüche unterscheiden. Da sie nur über Ohren verfügt, laufen sämtliche Sinneswahrnehmungen über Schnurrhaare und Auge. Das Auge verfügt über eine oszillosensible Membran, die es zumindest ermöglicht, akustische Phänomene von der Lautstärke einer Flugzeugexplosion zu hören. Die Schnurrhaare besitzen olfaktorische Schnupperschuppen, die der Zyklopenkatze die Düfte der Welt näherbringen. In den meisten Fällen besteht sie nur aus Kopf und Schwanz. Hier sieht man sie gemeinsam mit ihren Artverwandten, dem Monokel-Aal und dem Giraffenschwan.
Donnerstag, November 16, 2006
Der Musikerwitz für zwischendurch (I)
Beinahe zufällig treffen sich ein Musicalkomponist, ein Schlagersänger und ein Jazz-Musiker im Foyer einer Bank. Alle drei haben just ihre neuesten Gehaltsschecks eingelöst. Sie kennen sich aus gemeinsamen Zeiten an der Musikhochschule, und spontan entspinnt sich ein Gespräch darüber, was jeder von ihnen mit dem neuen Geldsegen anzufangen gedenkt.
"Auch mein neuestes Musical ist ein Welterfolg geworden. Ich beabsichtige, mir zwei neue Ferienvillen zu kaufen. Eine auf Sylt, die andere in der Karibik", beginnt der Musicalkomponist. Ein selbstherrliches Sahnelächeln gerinnt ihm beinahe auf den Lippen.
"Meine neue Platte läuft noch etwas schleppend an, aber sie wird noch durchstarten. Fürs Erste werde ich mir einen neuen Sportwagen zulegen", entgegnet der Schlagersänger.
"Unsere neue Scheibe hat in allen Magazinen herausragende Kritiken bekommen, und das Publikum auf Tour war begeistert von unserem Sound", schwärmt der Jazz-Musiker.
"Und was wirst Du Dir Feines leisten von der frischen Finanzspritze?"
"Ich habe im Second-Hand-Laden einen Ringelpulli gesehen. Den werde ich mir wohl kaufen."
"Und was ist mit dem Rest des Geldes?"
"Den wollte mir meine Großmutter dazusteuern."
"Auch mein neuestes Musical ist ein Welterfolg geworden. Ich beabsichtige, mir zwei neue Ferienvillen zu kaufen. Eine auf Sylt, die andere in der Karibik", beginnt der Musicalkomponist. Ein selbstherrliches Sahnelächeln gerinnt ihm beinahe auf den Lippen.
"Meine neue Platte läuft noch etwas schleppend an, aber sie wird noch durchstarten. Fürs Erste werde ich mir einen neuen Sportwagen zulegen", entgegnet der Schlagersänger.
"Unsere neue Scheibe hat in allen Magazinen herausragende Kritiken bekommen, und das Publikum auf Tour war begeistert von unserem Sound", schwärmt der Jazz-Musiker.
"Und was wirst Du Dir Feines leisten von der frischen Finanzspritze?"
"Ich habe im Second-Hand-Laden einen Ringelpulli gesehen. Den werde ich mir wohl kaufen."
"Und was ist mit dem Rest des Geldes?"
"Den wollte mir meine Großmutter dazusteuern."
Dienstag, November 14, 2006
Frühstück mit Tieren
Satie zählt die Ringe unter seinen Augen. Innerlich. Links sind es fünf, rechts sieben. Dass er noch immer Nummer sechs trägt, passt in die Reihe. Die Nacht war zu lang und zu dunkel. Die Sterne hatten ausgesehen wie Kokosmakronen. Es wird der Absinth gewesen sein. Man kann nicht sagen, dass Absinth den Magen schont. Doch nach durchtrunkenen Nächten ist das beste Heilmittel ein gutes Frühstück und ein Frischluftspaziergang. Der Fußweg von Arceuil hierher, zur Auberge du Clou, war schon erfrischend, wenn auch auf leeren Magen. Keine Zwischenfälle. Zum Glück! Denn heute ist der Hammer versehentlich unter dem Bett liegen geblieben.
Der Garcon schwingt heraus, dreht Kreise wie Vogel bei der Landung und bleibt dann vor ihrem Tisch stehen. Satie bestellt Milchkaffee, Contamine de Latour einen doppelten Cognac und ein Croissant. Taufrisches Licht tanzt zwischen den Baumkronen vor der Auberge du Clou hindurch. Eine Pfütze glitzert. Genau dort, wo kurz zuvor ein struppiger Golden Retriever einen Strauch in sein Revier eingemeindet hat. Satie sieht ihm nach und versucht, einen Knoten, den er beim Wuscheln im Bart entdeckt hat, zu entwirren. Ihre Bestellung wird serviert. Contamine de Latour kratzt sich am Arm. Er mag keine Mückenstiche. Und er lässt sich ungern von Herren bedienen. Warum ist die Serveuse heute nicht da? Satie sieht immer noch dem Hund nach.
"Contamine, habe ich das je gesagt? Ich liebe die Tiere. Sie danken es mir. Die Tiere kennen und anerkennen mich, vor allem die Hunde. Ja, ich liebe das Hühnchen, das Schaf, die Ente, den frischen Lachs, das Rind, den Truthahn… mit und ohne Kastanien… ja, sogar mit Trüffeln und ohne."
Satie leckt Milchschaum aus den Bartspitzen über seiner Oberlippe. Contamine de Latour wischt sich Croissantkrümel aus dem Schritt seiner neuen Hose.
"Ja, ich liebe die Tiere, denn ich bin gut zu ihnen. Zu gut vielleicht. Ich folge ihnen von ihrer Kindheit an, nehme Teil – als Freund – an ihren Verlobungen, ihren Hochzeiten. Ich schreite freundschaftlich ein, wenn sie streiten – nur dann, wenn ich will, freilich. Ich gebe Ihnen väterliche Familienratschläge."
Contamine de Latour fragt sich, wo die Serveuse jetzt wohl steckt. Er würde ihr gern einen Besuch abstatten. Satie nippt an seinem Milchkaffee.
"Sie verdanken mir viel, denn all diese mit ihnen verbrachte Zeit hat mich die Hälfte meines Vermögens gekostet. Weil ich mit ihnen verkehrte, habe ich mir Gebrechen zugezogen: Ich habe eine Glatze bekommen – auf dem Kopf – aber das ist nicht schlimm, man sieht es nicht."
Eine linde Böe weht ein Platanenblatt in Saties Milchschaum. Er pflückt es heraus, leckt es ab und lässt es zu Boden treideln.
"Michelet hat gesagt, die Tiere seien ‚unsere niederen Brüder’, was heißen soll, der Mensch sei der höhere Bruder der Tiere. Die Ansicht der Tiere zu dieser Ansicht kennen wir nicht. Es ist der Mensch, dem es an Höflichkeit gegenüber dem Tier gebricht! Wenn zum Beispiel eine Katze auf einem Fauteuil schläft, jagt der Mensch sie weg. Dass eine Katze kommt und den Menschen vom Fauteuil verjagt, ist mir hingegen noch nicht begegnet. Doch die weit interessantere Frage nimmt von hier erst ihren Ausgang..."
Teil 1
Der Garcon schwingt heraus, dreht Kreise wie Vogel bei der Landung und bleibt dann vor ihrem Tisch stehen. Satie bestellt Milchkaffee, Contamine de Latour einen doppelten Cognac und ein Croissant. Taufrisches Licht tanzt zwischen den Baumkronen vor der Auberge du Clou hindurch. Eine Pfütze glitzert. Genau dort, wo kurz zuvor ein struppiger Golden Retriever einen Strauch in sein Revier eingemeindet hat. Satie sieht ihm nach und versucht, einen Knoten, den er beim Wuscheln im Bart entdeckt hat, zu entwirren. Ihre Bestellung wird serviert. Contamine de Latour kratzt sich am Arm. Er mag keine Mückenstiche. Und er lässt sich ungern von Herren bedienen. Warum ist die Serveuse heute nicht da? Satie sieht immer noch dem Hund nach.
"Contamine, habe ich das je gesagt? Ich liebe die Tiere. Sie danken es mir. Die Tiere kennen und anerkennen mich, vor allem die Hunde. Ja, ich liebe das Hühnchen, das Schaf, die Ente, den frischen Lachs, das Rind, den Truthahn… mit und ohne Kastanien… ja, sogar mit Trüffeln und ohne."
Satie leckt Milchschaum aus den Bartspitzen über seiner Oberlippe. Contamine de Latour wischt sich Croissantkrümel aus dem Schritt seiner neuen Hose.
"Ja, ich liebe die Tiere, denn ich bin gut zu ihnen. Zu gut vielleicht. Ich folge ihnen von ihrer Kindheit an, nehme Teil – als Freund – an ihren Verlobungen, ihren Hochzeiten. Ich schreite freundschaftlich ein, wenn sie streiten – nur dann, wenn ich will, freilich. Ich gebe Ihnen väterliche Familienratschläge."
Contamine de Latour fragt sich, wo die Serveuse jetzt wohl steckt. Er würde ihr gern einen Besuch abstatten. Satie nippt an seinem Milchkaffee.
"Sie verdanken mir viel, denn all diese mit ihnen verbrachte Zeit hat mich die Hälfte meines Vermögens gekostet. Weil ich mit ihnen verkehrte, habe ich mir Gebrechen zugezogen: Ich habe eine Glatze bekommen – auf dem Kopf – aber das ist nicht schlimm, man sieht es nicht."
Eine linde Böe weht ein Platanenblatt in Saties Milchschaum. Er pflückt es heraus, leckt es ab und lässt es zu Boden treideln.
"Michelet hat gesagt, die Tiere seien ‚unsere niederen Brüder’, was heißen soll, der Mensch sei der höhere Bruder der Tiere. Die Ansicht der Tiere zu dieser Ansicht kennen wir nicht. Es ist der Mensch, dem es an Höflichkeit gegenüber dem Tier gebricht! Wenn zum Beispiel eine Katze auf einem Fauteuil schläft, jagt der Mensch sie weg. Dass eine Katze kommt und den Menschen vom Fauteuil verjagt, ist mir hingegen noch nicht begegnet. Doch die weit interessantere Frage nimmt von hier erst ihren Ausgang..."
Teil 1
Labels: De la vie de Satie
Sonntag, November 12, 2006
Lust auf Linsen?
Der Wochenendplan war diesmal schnell geschrieben. Wulnikowski klaubte einen Kugelschreiber aus der Stiftekiste, klickte die Mine heraus und kritzelte nur einen einzigen Programmpunkt auf den Notizzettel: "Den Pappkoffer ausmisten und aufräumen." Zarte Kardamomwolken dufteten aus dem Teebecher. Mit dem angefeuchteten Zeigefinger sammelte Wulnikowski Krümel auf, die beim Brötchenaufschneiden neben den Teller gefallen waren. Er nahm den letzten kräftigen Schluck Tee, spülte das Geschirr hastig über, verzog sich ins Arbeitszimmer, und binnen einer guten Stunde war das Innenleben seines Pappkoffers entrümpelt und wieder feinsäuberlich sortiert.
Überraschend früh hatte das Wochenende seine lästigen Pflichten abgeschüttelt. Wulnikowski entschied, in die Stadt zu gehen. Vielleicht etwas frischen Thymian auf dem Wochenmarkt kaufen, an französischem Käse schnuppern oder sich eine lange Mettwurst, die im kalten Herbstwind fror, vom Haken nehmen und in Packpapier einschlagen lassen. Eng aneinander gekuschelte Paare flanierten über die Trottoirs, als er sich auf den Weg machte. Mehr als sonst, mochte man meinen. Er hatte noch immer vergessen, die Seife aus seinem beigen Mantel zu nehmen. Leise Sehnsuchtswolken beflockten das Herbstblau des Himmels. Es waren nun schon fast anderthalb Jahre, dass Dorothea das letzte Mal neben ihm eingeschlafen war. Am nächsten Morgen war sie noch vor der Morgendämmerung gegangen. Nie wieder hatte sie von sich hören lassen. Frauen waren nicht alles. Aber schön, fand er. Und er war gern mit ihnen zusammen. Auch wenn sie selten lange bleiben mochten.
In der Fußgängerzone flatterten Luftschlangen und Ballons. Im ehemaligen Gemüseladen von Frau Schmal feierte ein Optikerladen Neueröffnung. Ein Riese mit Zylinder stakste auf Stelzen. In seinem Schatten schlenderte eine Frau im Hosenanzug. "Hätten Sie vielleicht Lust auf ein Glas Sekt?" Alkohol am Vormittag war nicht unbedingt, was Wulnikowski gut hieß, aber es war Wochenende und die Hosenanzufrau strahlte bezaubernd. Er bejahte, bedankte sich, dann bekam er einen Gutschein, ein Lächeln und die Einladung, sich das Glas drinnen abzuholen.
Er schlenderte hinein und gab einer viereckigen Verkäuferin den handwarmen Zettel, den er just bekommen hatte. "Ich hätte gern das Glas Sekt." "Gern. Aber hätten Sie nicht vielleicht Interesse an einem Paar farbiger Kontaktlinsen? Ich hätte da ein ganz hervorragendes Angebot für Sie." "Ich weiß nicht, ich wollte eigentlich nur den Sekt." Die Verkäuferin schmälerte ihre Lippen. Wulnikowski ergänzte, "ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meinen blaugrauen Augen. Und ich sehe auch ohne zusätzliche Linsen hervorragend." "Das glaube ich Ihnen gern. Aber finden Sie den Wechsel nicht reizvoll? Häufiger neue Augen. Das macht einen völlig anderen Menschen aus Ihnen. Und ich sage Ihnen, die Frauen schmelzen dahin." Wulnikowski seufzte. "Welche Frauen?" Beinahe beschwichtigend und als hätte sie sich erschrocken, hob die Verkäuferin die Hände. "Oh là là, Verzeihung, ich konnte ja nicht ahnen... nein, natürlich schlagen bei unseren Modellen auch Männerherzen höher." Wulnikowski hatte keinen Durst mehr. Er drehte sich um, schlug den Kragen seines beigen Mantels höher und ging. Fremde Verkäuferinnen über sein Herz aufzuklären, hatte nicht auf seinem Aufgabenzettel für das Wochende gestanden, da war er sich sicher.
Überraschend früh hatte das Wochenende seine lästigen Pflichten abgeschüttelt. Wulnikowski entschied, in die Stadt zu gehen. Vielleicht etwas frischen Thymian auf dem Wochenmarkt kaufen, an französischem Käse schnuppern oder sich eine lange Mettwurst, die im kalten Herbstwind fror, vom Haken nehmen und in Packpapier einschlagen lassen. Eng aneinander gekuschelte Paare flanierten über die Trottoirs, als er sich auf den Weg machte. Mehr als sonst, mochte man meinen. Er hatte noch immer vergessen, die Seife aus seinem beigen Mantel zu nehmen. Leise Sehnsuchtswolken beflockten das Herbstblau des Himmels. Es waren nun schon fast anderthalb Jahre, dass Dorothea das letzte Mal neben ihm eingeschlafen war. Am nächsten Morgen war sie noch vor der Morgendämmerung gegangen. Nie wieder hatte sie von sich hören lassen. Frauen waren nicht alles. Aber schön, fand er. Und er war gern mit ihnen zusammen. Auch wenn sie selten lange bleiben mochten.
In der Fußgängerzone flatterten Luftschlangen und Ballons. Im ehemaligen Gemüseladen von Frau Schmal feierte ein Optikerladen Neueröffnung. Ein Riese mit Zylinder stakste auf Stelzen. In seinem Schatten schlenderte eine Frau im Hosenanzug. "Hätten Sie vielleicht Lust auf ein Glas Sekt?" Alkohol am Vormittag war nicht unbedingt, was Wulnikowski gut hieß, aber es war Wochenende und die Hosenanzufrau strahlte bezaubernd. Er bejahte, bedankte sich, dann bekam er einen Gutschein, ein Lächeln und die Einladung, sich das Glas drinnen abzuholen.
Er schlenderte hinein und gab einer viereckigen Verkäuferin den handwarmen Zettel, den er just bekommen hatte. "Ich hätte gern das Glas Sekt." "Gern. Aber hätten Sie nicht vielleicht Interesse an einem Paar farbiger Kontaktlinsen? Ich hätte da ein ganz hervorragendes Angebot für Sie." "Ich weiß nicht, ich wollte eigentlich nur den Sekt." Die Verkäuferin schmälerte ihre Lippen. Wulnikowski ergänzte, "ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meinen blaugrauen Augen. Und ich sehe auch ohne zusätzliche Linsen hervorragend." "Das glaube ich Ihnen gern. Aber finden Sie den Wechsel nicht reizvoll? Häufiger neue Augen. Das macht einen völlig anderen Menschen aus Ihnen. Und ich sage Ihnen, die Frauen schmelzen dahin." Wulnikowski seufzte. "Welche Frauen?" Beinahe beschwichtigend und als hätte sie sich erschrocken, hob die Verkäuferin die Hände. "Oh là là, Verzeihung, ich konnte ja nicht ahnen... nein, natürlich schlagen bei unseren Modellen auch Männerherzen höher." Wulnikowski hatte keinen Durst mehr. Er drehte sich um, schlug den Kragen seines beigen Mantels höher und ging. Fremde Verkäuferinnen über sein Herz aufzuklären, hatte nicht auf seinem Aufgabenzettel für das Wochende gestanden, da war er sich sicher.
Labels: Wulnikowski
Samstag, November 11, 2006
Unweit der Bewegung von Knorpeln, Hohlräumen, Muskeln und Schleimhäuten
- Die Lunge, dieses blödsinnige Organ (Katzenfutter!), schwillt, wird aber nicht straff: In der Kehle, dem Ort, wo das Lautmetall gehärtet wird, bricht die Signifikanz auf und lässt nicht die Seele sondern die Wollust hervortreten.
- So blödsinnig finde ich die Lunge nicht. Schließlich bist Du kein Fisch.
- Wobei ich bis zu meinem letzten Shampookauf sogar einige Jahre lang Schuppen hatte.
- Fische haben aber keine Probleme mit Schuppen und sind eher froh, dass sie Schuppen haben.
- Woran merkst Du, dass Fische sich freuen?
- Wahrscheinlich wackeln sie mit der Flosse. Und Flossen hast Du so wenig wie Kiemen. Insofern bist Du kein Fisch. Und auch wenn selbst eine Artischocke ein Herz hat, bist Du auch kein Gemüse. Was aber findest Du nun so blödsinnig an Lungen? Immerhin bekommst Du nur dank ihnen überhaupt Luft, ohne die Dir jedes Überleben vergleichsweise schwer fallen dürfte.
- Es ging mir doch nur um Gesang.
- Um Gesang?
- Ja.
- Was hat Gesang mit Katzenfutter zu tun?
- Lungen werden zu Katzenfutter verarbeitet.
- Lungen... zu...
- Tierlungen.
- Nun ja. Und auf die Idee bist Du selbst gekommen?
- Nein, das steht in dem Artikel über den Körper der Musik, den ich gelesen habe.
- Darin steht, dass Tierlungen zu Katzenfutter verarbeitet werden.
- Nein, aber da steht Katzenfutter. Mit Ausrufezeichen! Eingeklammert.
- Ach. Nun ja. In der Bibel steht auch: "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras."
Donnerstag, November 09, 2006
Flugzettel im Danach
Hier stehe ich nun. An dieser Ecke, von niemandem beachtet, starre ich in die umgestülpten Feierabendverkehrgesichter. Ich umklammere meinen Stapel Blätter, presse eins gegen meine Brust, sehe ihm zu, wie es herabsaust und dem Boden entgegenstottert. Ich bin der rechten Winkel und des abgekürzten Tageslichts so müde und warte darauf, dass sich der Winter erledigt.
Warum erblicke ich Dich noch immer im spiegelnden Abglanz jeder Fensterscheibe, in allem, das ich bis jetzt nie überwinden konnte? So, wie ich nichts mehr mit meinen Händen anzufangen vermag, jedes Mal, wenn ich mit Dir spreche. So, wie Du nicht weißt, wohin den Blick richten, und prompt genau auf meine Hände schaust. Wie Bewegungen entspringen und sich dann auflösen, geschmolzen unter unserem flachen Atemhauch. Die Ursachen tanzen hinweg von mir, nun bin ich Dein Streitschriftschreiber!
Pünktlich trete ich in diesen Raum zum Rhythmus des riesigen Druckers, vertiefe mich in mein nächstes Kommuniqué: „Die Rhetorik und der Verrat, ‚Ich vermisse Dich’ zu sagen.“ Darüber, zu sagen: „Hey, Du… vielleicht… vielleicht solltest Du bleiben.“ Darüber, zu singen: „Oh, welche Macht auf Erden könnte schwächer sein als die klägliche Kraft eines Einzelnen?“ Wie mir, der ich mir ausmale, was noch alles hätte sein können.
Hilf mir bei dieser Barrikade! Keine Ergebung, keine Vernichtung! Ein Schreckgespenst sucht die Albert Street heim: Ich bin es, Dein Streitschriftschreiber.
Frei interpretiert nach Weakerthans - Pamphleteer.
Gehörn?
Es ist noch unklar, ob man eher am Gehirn oder am Gehör zweifeln soll, wenn man nach einem Radiowerbespot minutenlang darüber nachdenkt, was denn eine Schiebetür mit Bauernleitung sein könnte.
Mittwoch, November 08, 2006
Zwischen den Texten, abseits der Bühne. Pause im Prinzipalsaal bei der Lesung von Max Goldt
Aus der Seitentasche seines grauen Filzmantels friemelt er seine Packung Filterlose hervor und schüttelt eine heraus, die er mit einem Streichholz knisternd ansteckt. Er zupft sich an der Hornbrille, streicht zwei Haarsträhnen aus der Stirn zurück in seinen Querscheitel und lässt vielschichtige Rauchwolken zur Decke des Foyers schweben. Hinter ihm klebt mit Tesafilm ein „Bitte nicht rauchen“-Schild an der Eingangstür. Doch es hängt verkehrt herum. Er windetdie Glut seines Glimmstengels im mitgebrachten Jackentaschenaschenbecher „aus gebürstetem Edelstahl“; dann schiebt er die Hornbrille auf die Nasenspitze, blickt seine Begleitung über den Rand hinweg an und erhebt mit gerunzelter Stirn seine Stimme: „Ich stimme Dir zu: Die Alltagsbeobachtungen von Max Goldt weisen eine stupende Skurrilität auf und sind sicher von einiger Scharfsinnigkeit. Dennoch möchte ich hier anmerken, dass Goldts Anekdötchen doch einiges trennt von bedeutender Literatur. “
Er zieht mit einem Blick, der wohl bedeutungsschwanger wirken und universalgebildete Überlegenheit suggerieren soll, an seiner Zigarette. „In seinen Werken fehlt der plurale Text im Sinne Roland Barthes’. Und auf den kommt es an, will man die Qualität von Literatur bemessen. Wir haben es doch erst gerade wieder im Seminar erörtert. Hier, bei Goldt, klingt vieles nett, aber es mangelt an vielschichtigen Sinnstrukturen, die das Re-Reading von verschiedenen Perspektiven aus ermöglichen… ah, danke!“ Ein Dritter schiebt sich hinzu und hat ihm ein Glas Rotwein von der Theke besorgt. Er klemmt seine Filterlose zwischen den Lippen ein und hantiert hektisch unter dem Filzmantel hindurch an seiner Hosentasche, um unter Geklimper ein paar Münzen hervorzuzaubern. Der Dritte hebt nun an, dass die Texte auch im Sinne der Erzähltheorie von Gerard Genette hinsichtlich ihrer diegetischen Struktur zu wünschen übrig ließen. Amüsiert habe er sich dennoch.
Ich, der ich nur unfreiwillig auf dem Weg zur Toilette Zeuge seines Geschwurbels wurde, beschleunige meinen Schritt. Zwei Schritte weiter steht ein nackenrasierter Schrank neben seiner Freundin: „Und den Typen findest Du so witzig? Da fand ich Atze Schröder letztens doch viel witziger!“ Auf der Treppe treffe ich David. David liest seiner Freundin jeden Abend vor dem Schlafengehen Texte von Max Goldt vor und berichtet mir schmunzelnd, wie seine Freundin nun – Pawlowscher Reflex – schon inmitten des zweiten Textes in wohligen Schlummer gefallen ist. Es ist schon ihre siebte Max Goldt-Lesung, doch hat sie selten mehr als die ersten drei Texte wach erlebt. Inzwischen ist sie wieder wach. Ein, zwei Texte wird sie wohl auch nach der Pause genießen können.
Das Gros der zighundert Gäste drängt sich an die Theke, um neuen Vorrat an Getränken einzuheimsen und auch, um denjenigen, die sie näher oder flüchtig kennen, zu zeigen, dass sie auch hier sind. Manche freuen sich gar, sich zu sehen. Andere wundern sich: „Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ „Wieso?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass Dir so was gefällt. Du bist doch sonst nicht so für die komische Literatur.“ „Ich habe auch eine sehr humorvolle Seite.“ Viele scharen sich um die Büchertische, vervollständigen ihre Sammlung, besorgen sich neues Lesefutter, grübeln, welches Werk sich wohl zum Einstieg lohnen könne. Andere rümpfen die Nase: Die alten Ausgaben von Haffmanns waren schöner als die neuen bei Rowohlt. Gerade die Klappentexte sind schlapper. Und kaufen müssen sie nichts, sie haben schon alles. Einer erst jetzt: Ein Zutzelbartträger hat sich das Gesamtwerk auf einen Schlag unter den Nagel gerissen und wankt, um gut hundert Euro leichter, mit windschiefem Buchstapel zwischen Bauchansatz und Kinn zurück zu seinem Platz. Er wird sich jedes Exemplar einzeln signieren lassen nach der Lesung, das weiß er schon jetzt.
Er zieht mit einem Blick, der wohl bedeutungsschwanger wirken und universalgebildete Überlegenheit suggerieren soll, an seiner Zigarette. „In seinen Werken fehlt der plurale Text im Sinne Roland Barthes’. Und auf den kommt es an, will man die Qualität von Literatur bemessen. Wir haben es doch erst gerade wieder im Seminar erörtert. Hier, bei Goldt, klingt vieles nett, aber es mangelt an vielschichtigen Sinnstrukturen, die das Re-Reading von verschiedenen Perspektiven aus ermöglichen… ah, danke!“ Ein Dritter schiebt sich hinzu und hat ihm ein Glas Rotwein von der Theke besorgt. Er klemmt seine Filterlose zwischen den Lippen ein und hantiert hektisch unter dem Filzmantel hindurch an seiner Hosentasche, um unter Geklimper ein paar Münzen hervorzuzaubern. Der Dritte hebt nun an, dass die Texte auch im Sinne der Erzähltheorie von Gerard Genette hinsichtlich ihrer diegetischen Struktur zu wünschen übrig ließen. Amüsiert habe er sich dennoch.
Ich, der ich nur unfreiwillig auf dem Weg zur Toilette Zeuge seines Geschwurbels wurde, beschleunige meinen Schritt. Zwei Schritte weiter steht ein nackenrasierter Schrank neben seiner Freundin: „Und den Typen findest Du so witzig? Da fand ich Atze Schröder letztens doch viel witziger!“ Auf der Treppe treffe ich David. David liest seiner Freundin jeden Abend vor dem Schlafengehen Texte von Max Goldt vor und berichtet mir schmunzelnd, wie seine Freundin nun – Pawlowscher Reflex – schon inmitten des zweiten Textes in wohligen Schlummer gefallen ist. Es ist schon ihre siebte Max Goldt-Lesung, doch hat sie selten mehr als die ersten drei Texte wach erlebt. Inzwischen ist sie wieder wach. Ein, zwei Texte wird sie wohl auch nach der Pause genießen können.
Das Gros der zighundert Gäste drängt sich an die Theke, um neuen Vorrat an Getränken einzuheimsen und auch, um denjenigen, die sie näher oder flüchtig kennen, zu zeigen, dass sie auch hier sind. Manche freuen sich gar, sich zu sehen. Andere wundern sich: „Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ „Wieso?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass Dir so was gefällt. Du bist doch sonst nicht so für die komische Literatur.“ „Ich habe auch eine sehr humorvolle Seite.“ Viele scharen sich um die Büchertische, vervollständigen ihre Sammlung, besorgen sich neues Lesefutter, grübeln, welches Werk sich wohl zum Einstieg lohnen könne. Andere rümpfen die Nase: Die alten Ausgaben von Haffmanns waren schöner als die neuen bei Rowohlt. Gerade die Klappentexte sind schlapper. Und kaufen müssen sie nichts, sie haben schon alles. Einer erst jetzt: Ein Zutzelbartträger hat sich das Gesamtwerk auf einen Schlag unter den Nagel gerissen und wankt, um gut hundert Euro leichter, mit windschiefem Buchstapel zwischen Bauchansatz und Kinn zurück zu seinem Platz. Er wird sich jedes Exemplar einzeln signieren lassen nach der Lesung, das weiß er schon jetzt.
Dienstag, November 07, 2006
Montag, November 06, 2006
Nocturne
Irgendeine nie ausgesprochene Traurigkeit verbarg sich in beiden Herzen, als sie unter blätterlosen Bäumen standen und schwiegen. Eine eisige Fremde ließ die alte Vertrautheit frieren. Als nun der Zeitpunkt des Abschieds gekommen schien, küssten sie sich dennoch. Von Weitem wehten noch immer die Melodiebögen und Arpeggien einer Harfe aus den Proberäumen der Musikhochschule herüber. Stundenlang schon hatte sie gesungen. Lied um Lied, Skala um Skala durchklettert. Und die Beiden hatten gestanden, gelauscht und geschwiegen. Waren geblieben, als das bleiche Licht am Horizont erstarb, als die ersten Nachtwolken heranzogen und die Dunkelheit sich senkte. Zwischen Büscheln vertrockneten Grases lagen zerbeulte Blechbüchsen.
"Inter ubera mea commorabitur", fielen ihr die uralten Zeilen ein, "Zwischen meinen Brüsten wird er ruhen." Doch ihr Inneres entgegnete fest: "Nein, kein weiteres Mal. Nicht heute, nicht morgen und nicht in einem halben Jahr." Der Gedanke glitt wie ein kaltes, glänzendes Skalpell durch ihr zartes Fleisch. Verzehrende Feuer der Lust flackerten noch einmal auf in ihr. Er stand nur schweigend. Kalt. Milchglas im Blick. Und dann ging er, die Wärme ihrer sanften Lippen noch auf seinen. Drehte sich um ins Dunkel und trieb fort wie die unfruchtbare Schale des Mondes.
"Inter ubera mea commorabitur", fielen ihr die uralten Zeilen ein, "Zwischen meinen Brüsten wird er ruhen." Doch ihr Inneres entgegnete fest: "Nein, kein weiteres Mal. Nicht heute, nicht morgen und nicht in einem halben Jahr." Der Gedanke glitt wie ein kaltes, glänzendes Skalpell durch ihr zartes Fleisch. Verzehrende Feuer der Lust flackerten noch einmal auf in ihr. Er stand nur schweigend. Kalt. Milchglas im Blick. Und dann ging er, die Wärme ihrer sanften Lippen noch auf seinen. Drehte sich um ins Dunkel und trieb fort wie die unfruchtbare Schale des Mondes.
Samstag, November 04, 2006
Stimmt, was in der Zeitung stand?
Noch hat das Telefon nicht geklingelt, doch die Müllmänner holen den Müll ab. Klabatter. Einem von ihnen ist der Deckel von der Blechtonne gefallen. Die Heizung pumpt: vergessen, sie über Nacht abzudrehen. Ärgerlich, bei den steigenden Heizkosten. Am Kühlschrank hängen Postkarten. Leichter Schimmelflaum hat sich auf den Käsescheiben breit gemacht. Wulnikowski wirft ihn weg. Doch das Stück Niere, das er sich gestern beim Schlachter erstand, liegt noch in Cellophanpapier im obersten Kühlfach. Die Butter zischt, als er es anbrät. Dazu kocht er sich Tee und trinkt ihn schwarz. Sanfter Assamduft rangelt mit scharfem Bratgeruch. Die Zeitung knistert beim Umblättern. Klick. Schlagartig wacht Wulnikowski auf, und seine Augen glitzern, als er unten rechts auf der Seite liest, dass… Das Telefon klingelt plötzlich doch. Verwählt.
Die Niere ist zart, doch war der Salzregen aus dem Streuer war etwas kräftig. Wulnikowski schmatzt ein wenig, aber es ist niemand da, den es stören könnte. Er legt die Zeitung beiseite und räumt das Geschirr auf den unabgewaschenen Stapel neben der Spüle, der sich, vom Tellerklappern geweckt, grimmig hin und her wälzt.
Wulnikowski holt seinen Mantel aus dem Kleiderschrank im Flur. Er ist beige. Ein leiser Hauch von Mottenkugelduft hängt noch in den Fasern. „Dringend auslüften“, denkt er zu sich, als er die Tür hinter sich zuzieht. Seinen Pappkoffer lässt er zu Hause. Zum Einkaufen nimmt er lieber Jutebeutel. Erste Rostsprenkler machen es sich am Bart seines Haustürschlüssels gemütlich. Im Treppenhaus begegnet er niemandem.
Gegenüber stutzen sie die Linden. Der Wind packt einigen Blättern unter den Rock und wirbelt sie herum. Auf dem Kopfsteinpflaster trocknet der Regen der letzten Nacht. Er schlurft zum Supermarkt um die Ecke. Auf dem Weg dahin entdeckt seine Zungenspitze einen Nierenfetzen in einer Zahnlücke und beginnt mit Bergungsarbeiten. Erbsen sind ausverkauft, die Eier von freilaufenden Hühnern sind schon wieder teurer geworden. Die Milch wird schon morgen ablaufen. Er zahlt und schlendert weiter. In seiner Jackentasche entdeckt er ein Stück Seife. Es muss schon seit Juni daringesteckt haben. So lange hat er den Mantel nicht mehr getragen.
Ziellos spaziert er vorwärts, durchquert den Park, erfreut sich am Knirschen seiner Gummisohlen auf den gekiesten Pfaden, sieht einem Dackel zu, der einen Taubenschiss beschnuppert. Am Leopoldsplatz kauft er Herbstastern. Zurück in seiner Wohnung putzt Wulnikowski das Bad. Zahnpastaspritzer kleben am Spiegel. Er hätte Zitrusreiniger zum Entkalken kaufen wollen, aber das hat auch Zeit bis morgen. Er fegt den Flur und denkt, wie schön es wäre, ein wenig Geld für Parkettboden übrig zu haben. Vorerst wird es bei Linoleum bleiben.
Abends sieht er fern. Nur kurz. Nachrichten. Steuerschulden, Tote im nahen Osten, Torwarttausch in Hamburg. Er schaltet die Mattscheibe ab und liest. Der Protagonist des Buches sitzt nackt auf einem Stuhl, an den er sich selbst gefesselt hat. Wulnikowski legt das Buch weg. Die Geschichte vermag ihn nicht zu fesseln; zudem wird er müde. Er putzt die Zähne, passt auf, dass keine neuen Zahnpastaflecken an den Spiegel spritzen und zieht seinen Schlafanzug an. Draußen regnet es. Mit einer Wärmflasche kriecht er unter sein Federbett. „Ich weiß ja nicht, ich fürchte, irgendetwas ist seltsam mit meinen Träumen“, sagt er leise zu sich, als ihm plötzlich wieder einfällt, was er morgens in der Zeitung gelesen hat. „Schließlich hat mein Horoskop eindeutig erklärt: Heute werden sich alle, auch Ihre kühnsten erotischen Träume erfüllen.“
Die Niere ist zart, doch war der Salzregen aus dem Streuer war etwas kräftig. Wulnikowski schmatzt ein wenig, aber es ist niemand da, den es stören könnte. Er legt die Zeitung beiseite und räumt das Geschirr auf den unabgewaschenen Stapel neben der Spüle, der sich, vom Tellerklappern geweckt, grimmig hin und her wälzt.
Wulnikowski holt seinen Mantel aus dem Kleiderschrank im Flur. Er ist beige. Ein leiser Hauch von Mottenkugelduft hängt noch in den Fasern. „Dringend auslüften“, denkt er zu sich, als er die Tür hinter sich zuzieht. Seinen Pappkoffer lässt er zu Hause. Zum Einkaufen nimmt er lieber Jutebeutel. Erste Rostsprenkler machen es sich am Bart seines Haustürschlüssels gemütlich. Im Treppenhaus begegnet er niemandem.
Gegenüber stutzen sie die Linden. Der Wind packt einigen Blättern unter den Rock und wirbelt sie herum. Auf dem Kopfsteinpflaster trocknet der Regen der letzten Nacht. Er schlurft zum Supermarkt um die Ecke. Auf dem Weg dahin entdeckt seine Zungenspitze einen Nierenfetzen in einer Zahnlücke und beginnt mit Bergungsarbeiten. Erbsen sind ausverkauft, die Eier von freilaufenden Hühnern sind schon wieder teurer geworden. Die Milch wird schon morgen ablaufen. Er zahlt und schlendert weiter. In seiner Jackentasche entdeckt er ein Stück Seife. Es muss schon seit Juni daringesteckt haben. So lange hat er den Mantel nicht mehr getragen.
Ziellos spaziert er vorwärts, durchquert den Park, erfreut sich am Knirschen seiner Gummisohlen auf den gekiesten Pfaden, sieht einem Dackel zu, der einen Taubenschiss beschnuppert. Am Leopoldsplatz kauft er Herbstastern. Zurück in seiner Wohnung putzt Wulnikowski das Bad. Zahnpastaspritzer kleben am Spiegel. Er hätte Zitrusreiniger zum Entkalken kaufen wollen, aber das hat auch Zeit bis morgen. Er fegt den Flur und denkt, wie schön es wäre, ein wenig Geld für Parkettboden übrig zu haben. Vorerst wird es bei Linoleum bleiben.
Abends sieht er fern. Nur kurz. Nachrichten. Steuerschulden, Tote im nahen Osten, Torwarttausch in Hamburg. Er schaltet die Mattscheibe ab und liest. Der Protagonist des Buches sitzt nackt auf einem Stuhl, an den er sich selbst gefesselt hat. Wulnikowski legt das Buch weg. Die Geschichte vermag ihn nicht zu fesseln; zudem wird er müde. Er putzt die Zähne, passt auf, dass keine neuen Zahnpastaflecken an den Spiegel spritzen und zieht seinen Schlafanzug an. Draußen regnet es. Mit einer Wärmflasche kriecht er unter sein Federbett. „Ich weiß ja nicht, ich fürchte, irgendetwas ist seltsam mit meinen Träumen“, sagt er leise zu sich, als ihm plötzlich wieder einfällt, was er morgens in der Zeitung gelesen hat. „Schließlich hat mein Horoskop eindeutig erklärt: Heute werden sich alle, auch Ihre kühnsten erotischen Träume erfüllen.“
Labels: Wulnikowski
Freitag, November 03, 2006
Neulich am Montmartre
"Heute trage ich Nummer sechs. Wahrscheinlich noch bis übermorgen. Dann kann ich Nummer drei und sieben aus der Wäscherei abholen.“ Satie rückt seine Melone ein Stück tiefer in die Stirn. Die Sonne blendet, Contamine de Latour sitzt mitten im Gegenlicht, und er unterhält sich nicht gern mit Menschen, die in grellem Licht verschwinden. „Bei Nummer eins ist die Hose im Schritt aus der Naht gerissen und Nummer sechs ziehe ich nur am Wochenende an. Aber das wechselt wöchentlich.“ Satie hebt sein Glas zu einem kräftigen Schluck Cidre. Einige Tropfen bleiben im Bart hängen und glitzern golden. Er selbst kann es nicht sehen.
„Willst Du Nummer eins dann nicht nähen?“ „Ich spiele Klavier. Ich kann nicht nähen.“ „Und wenn Du Nummer eins zur Näherei brächtest?“ „Momentan habe ich gerade noch Sous für ein Paar Gläser Cidre in der Tasche - und meinen neuen Hammer.“ „Einen Hammer?“ Contamine de Latour schlägt sich auf den Arm. Eine Mücke hatte gerade zur Landung angesetzt. Satie winkt der prallschenkligen Serveuse für Nachschub und rückt die Melone wieder ein wenig aus der Stirn. Die Sonne versteckt sich allmählich hinter den gezackten Giebeln gegenüber der „Auberge du Clou“. Herren mit Schnurrbart gehen vorbei. Manche setzen sich. Ihre Hüte behalten sie auf dem Kopf. Es ist kühler geworden.
„Er beult die Taschen meiner Jacketts aus. Aber ich nehme ihn gern mit. Er ist nicht unfreundlich. Und ich kann damit Diebsvolk in die Flucht schlagen auf dem Weg hierher.“ Satie nimmt seine Brille ab und reibt die Gläser an seiner Krawatte sauber. „Wollte Dich denn schon einmal Diebsvolk überfallen?“ „Nein. Aber jetzt habe ich einen Hammer.“ „Also benutzt Du Deinen Hammer nie?“ „Ich habe viele Feinde – treue Feinde natürlich. Doch ich trage es ihnen nicht nach. Sie sind die ersten Opfer ihrer eigenen Gedankenlosigkeit und ihres Mangels an Scharfsinn. Die Armen. Lassen wir das, ich werde auf diesen Punkt zurückkommen.“ Die Serveuse füllt die Gläser auf. Contamine de Latour bleibt mit seinem Blick an ihrem Ausschnitt hängen.
„Willst Du Nummer eins dann nicht nähen?“ „Ich spiele Klavier. Ich kann nicht nähen.“ „Und wenn Du Nummer eins zur Näherei brächtest?“ „Momentan habe ich gerade noch Sous für ein Paar Gläser Cidre in der Tasche - und meinen neuen Hammer.“ „Einen Hammer?“ Contamine de Latour schlägt sich auf den Arm. Eine Mücke hatte gerade zur Landung angesetzt. Satie winkt der prallschenkligen Serveuse für Nachschub und rückt die Melone wieder ein wenig aus der Stirn. Die Sonne versteckt sich allmählich hinter den gezackten Giebeln gegenüber der „Auberge du Clou“. Herren mit Schnurrbart gehen vorbei. Manche setzen sich. Ihre Hüte behalten sie auf dem Kopf. Es ist kühler geworden.
„Er beult die Taschen meiner Jacketts aus. Aber ich nehme ihn gern mit. Er ist nicht unfreundlich. Und ich kann damit Diebsvolk in die Flucht schlagen auf dem Weg hierher.“ Satie nimmt seine Brille ab und reibt die Gläser an seiner Krawatte sauber. „Wollte Dich denn schon einmal Diebsvolk überfallen?“ „Nein. Aber jetzt habe ich einen Hammer.“ „Also benutzt Du Deinen Hammer nie?“ „Ich habe viele Feinde – treue Feinde natürlich. Doch ich trage es ihnen nicht nach. Sie sind die ersten Opfer ihrer eigenen Gedankenlosigkeit und ihres Mangels an Scharfsinn. Die Armen. Lassen wir das, ich werde auf diesen Punkt zurückkommen.“ Die Serveuse füllt die Gläser auf. Contamine de Latour bleibt mit seinem Blick an ihrem Ausschnitt hängen.
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