Der Saga zweiter TeilZwei Wochen war das her. Vielleicht auch drei. Seitdem war Jörg in ein wüst brodelndes Meer körperlicher Leidenschaft abgetaucht - für den Rest der Welt verschollen. Auch für Gregor. Janine gerade zwanzig, hatte eine Lehre als Floristin abgebrochen und jobbte jetzt an der Rezeption in einem schummrigen Stripclub auf dem Kiez unten am Hafen, unweit vom Hamburger Berg. Jörg zufolge, keimte in ihr die Hoffnung, dort bald auch tanzen zu dürfen und vielleicht gar zum Revuestar aufzusteigen. Intellektuell das Wasser reichen konnte sie Jörg kaum, der seit seinem Wirtschaftswissenschaftsstudium in einem Verlag für Finanzratgeber Lehrbücher für Rechnungswesen lektorierte.
Erinnerungen an den gemeinsamen Kneipenabend, an dem ihm Jörg die Neuigkeiten unterbreitet hatte, krabbelten aus dem Gedächtnis zurück, während Gregor sich kurz aus dem Ohrensessel erhob, um sich einen Pulvercappuccino aufzugießen.
"Intellektuelle Augenhöhe... papperlapingpong, sach ich Dir! Zuviel intellektuelle Augenhöhe sorgt auf Dauer für Sehschwäche! Du solltest weniger denken und mehr handeln, mein Lieber! Zuviel Geist lähmt! Wenn der Intellekt komplett Schwanz und Blick in die Schraubzwinge presst, verstellt er dsie Sicht auf das Wesentliche. Wenn ich mich auf Geistes-Ebene stimulieren möchte, hab' ich doch meine Freunde", umriss Jörg seinen Standpunkt. "Nicht viel Licht oben. Aber vorne zweitausend Volt und’n feuchten Schlitz, das ist die Hauptsache. Mann, das ist ne echte Granatenbraut! Weltklasse, solange sie den Mund nicht zum Sprechen aufmacht. Gott sei dank tut sie das nur selten." Er hatte Gregor schelmisch zugezwinkert, ihm kumpelhaft auf die Schulter geklopft und ein blechernes Lachen aus dem Rachen klappern lassen. "Nur Spaß!" Dann hatte er beiden noch nen Absacker bestellt. Gregor hatte mitgelacht. Ein wenig gekünstelt. Dann meinte er nur: "Manchmal bist Du echt ein Vollhorst, weißte das? Aber die Frauen scheinen ja drauf zu stehen." Jörg hatte energisch an seiner Zigarette gezogen. "Worauf Du einen lassen kannst, Alter!" In seine neuerliche Blech-Lache mischte sich ein dünnes Fiepen. Sein Gesicht schwoll rot an, er hatte sich am Rauch verschluckt.
Mit gelacht hatte Gregor. Doch waren solche Aussagen und Auffassung nicht seine Tasse Tee, sorgten für Schwindel wegen zu heftigen Kopfschüttelns. Klar, auch in ihm bewirkte der Anblick eines wohlgeformten weiblichen Körpers ein anziehendes, gespanntes Kribbeln und die Synapsen begannen eine spontan einberufe Akkordarbeitschicht. Trotzdem.
„Sanft geschwungene Rundungen, feuchte Lippen, zarte Bisse unter heißen Küssen, sich im Rücken festkrallen, ihren Atemhauch im Ohr spüren... Klar ist das hinreißend, toll. Verwuschelte Haare zwischen zerwühlten Kissen, wolllüstiges Grinsen nach dem Aufwachen... traumhauft! Doch wenn man außer dem Körperlichen nichts an einer Frau interessant findet, außer der leidenschaftlichen Zuneigung keine Ebene besteht, auf der man etwas mit ihr teilen kann... wenn Du einen Witz machst, und sie Dich nur mit verwirrten Glupschaugen ansieht - mit einem imaginären, blinkenden Fragezeichen auf der Stirn, verständnislos... wenn sie dann vielleicht trotzdem zumindest albern kichert, weil sie ahnt, dass das, was Du gerade gesagt hast, wohl witzig gewesen sein soll... das ist doch Schrott! Da fehlt doch das Bedeutende Quäntchen 'mehr'!" murmelte Gregor vor sich hin, als er das kochende Wasser in seinen Becher kippte. "Die Geilheit auf den weiblichen Körper sollte doch in einer wesentlich größeren und umfassenderen Attraktivität aufgehen... erst die macht eine Frau begehrenswert, oder nicht? Bin ich da echt zu idealistisch? Ist das schon zuviel verlangt?" Eingestehen musste er sich, dass dieses Anspruchsdenken a priori die „Zielgruppe“ enorm verkleinerte.
Und er die Erfolgsspur in den letzten Jahren doch ein wenig aus den Augen verloren hatte. Jörg würde schon wissen, was er tat. Außerdem war es schließlich sein Leben. Und das war allerdings, wie Gregor leicht seufzend feststellen musste, seit einiger Zeit doch bedeutend aufregender als sein eigenes. Regentropfen klatschten unentwegt gegen das Fenster, taten sich zusammen und rannen als trübe Tränen die Scheibe hinunter. Fernsehen wollte Gregor nicht, zum Lesen war er nach dem harten Tag auf der Arbeit zu müde.
Als Grafiker in einer der großen Hamburger Werbeagenturen sollte er ein neues Logo für den Flughafen in Fuhlsbüttel entwerfen. Frisch sollte es sein, frech und prägnant, neugierig machen, und ein aufsteigendes Flugzeug, eine Landebahn und eine aufgehende Sonne sollten darin zu sehen sein. Zwölf Entwürfe hatte er sich abgerungen und dem PR-Chef der Flughafenbetreiber zugeschickt. Dr. Achenbach. Dem hatte nicht einer ansatzweise zugesagt. Arroganter Ignorant!
„Entfernt hat es etwas vom Kampf Don Quixotes gegen die Windmühle“, dachte Gregor und begann schmunzelnd, sich den fettleibigen PR-Chef des Flughafens als mit den Armen rudernde Nadelstreifenanzug-Windmühle vorzustellen: mit seinem dreifaltigen Kinn, der fliehenden, fettglitzernden Stirn mit dem schon fast auf den Hinterkopf zurückgezogenen, grau melierten Haaransatz, mit seiner randlosen, absichtlich tief auf die möglichst hoch gehaltene Nasenspitze geschobenen Brille. Dazu dieser undurchsichtige Buttermilchblick. Zu seinen meist braunen Anzügen kombinierte er mit bestechender Zielstrebigkeit Hemden und Krawatten in unmöglichen Mustern und Farbkombinationen, vor deren Anblick es Gregor beinahe grauste. Gleichzeitig inszenierte Dr. Achenbach sich gern als Kunstgönner und glänzte auf Vernissagen sich mit angelesenem Halbwissen, war auch angeblich nach London geflogen, um auf einer Auktion für einen echten Magritte mitzubieten. Wahrscheinlich war Dr. Achenbach auch auf besagter Ausstellungseröffnung gewesen, auf der Jörg und Janine sich kennen gelernt hatten. Wahrscheinlich hatte aus seinen unsachverständigen, erzkonservativen Augen besonders große Entrüstung im Blick die Missgeschickliche getroffen.
"Arroganter Kackschnösel", entfuhr es Gregor, zurück im Ohrensessel, den heißen Kaffeebecherboden auf dem Oberschenkel. Kleine Wutfunken glommen auf in ihm. Gerade schnöde Schnösel wie Dr. Achenbach waren der vermaledeite Grund, warum Gregors Sozialleben in letzter Zeit recht häufig zu Gunsten unnötiger Arbeit hatte weit zurück treten müssen. Ein Punkt, der ihm mehr als sauer aufstieß.
Entgegen seinem gönnerischen Gestus, dem universalgebildeten Nimbus, den Dr. Achenbach anknipste vor dem Verlassen des Hauses, auf dem Weg zu öffentlichen Anlässen, ließ sein Büro nur bedingt auf großen Kunstverstand schließen. Hauptsächlich hingen unscharfe Luftaufnahmen des Flughafengeländes oder Außenansichten der Terminals an den weißen, kühlen Wänden. Und doch machte die Helligkeit einen Bogen um das Zimmer, das sie die düstere Inneneinrichtung fürchtete - klobige, schlichte dunkle Schränke (Eiche massiv), auf einem davon Familienfotos (gestellt), golden eingerahmt. Darüber eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, daneben ein schwarzes Stahlregal mit Aktenordnern. Auf seinem Schreibtisch lungerte eine Miniaturnachbildung der Sphinx aus Lapislazuli. „Hat mir meine Mutter mitgebracht, aus Ägypten.“, hatte Achenbach geschnurrt - Gregor daraufhin zustimmend genickt, sein Unterbewusstsein zu rätseln begonnen und sich blass an einen nur entfernt verwandten Zusammenhang von Mutter und Sphinx erinnert.
Teil III folgt in Kürze in diesem Theater...Teil
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