Freitag, September 30, 2005
Ich war nicht im Badezimmer, trug kein Négligé und mir war - zumindest unterbewusst - bereits sehr klar, dass Lady Di tot ist. Ich bin auch keine Frau, und alles was ich fand, gehörte keinem Unbekannten. Nachdem ich spontan nach Leer gejettet bin, um heute meinem Vater auf seiner ehrenvollen Verabschiedung aus dem Berufsleben zur Seite zu stehen, habe ich gestern ein bisschen gebuddelt. Es gibt immer noch eine große Schublade, in der sich seit Jahren ein Riesenhaufen von altem Klüngelkram aus meiner Kindheit häuslich eingerichtet hat. Meine Mutter möchte die Schublade inzwischen gern selbst nutzen, also habe ich gestern den gesamten Haufen auseinandergewühlt und bin in einen Strudel längst vergessener Erinnerungen gerutscht. Dutzende kleiner Daumenkinos lagen da wild verstreut, die ich in der Grundschule in Masse produziert habe. Mit exlodierenden Schiffen, UFO-Entführungen, Bananenflanken mit anschließenden Fallrückziehern und "Werner", der von seiner Horex gegen einen Baum geschleudert wird. Uralte Briefmarken aus der DDR, die meine Großtante mir früher heimlich geschickt hat. Ein mit Stoffmal-Eddings selbstgemaltes Fußballtrikot, uralte, leicht zerknickte Fotos von mir als fünfjährigem Lokomotivführer, kliteklitzekleine Straßenbauarbeiter noch in der Originalverpackung, die eigentlich einst meine Minitrix-Eisenbahnlandschaft bevölkern sollten. Schnörkelkrakelige Briefkonversationen und Schreibübungen zwischen meiner Mutter und mir aus der Kindergartenzeit, eine herzchenverzierte Blechbüchse mit metallisch schimmernden Murmeln. Meine Trikot-Entwürfe, die ich im Alter von sieben Jahren an Puma in Herzogenaurach geschickt habe, die sich in der Chefetage aber nicht durchsetzen konnten. Vieles mehr noch. Eine Schatzkiste, zu der ich keine Karte brauchte. Eine golden schimmernde, nostalgische Flut trotz noch saftig-jungen Alters. Ein Hauch der fabelhaften Welt der Amélie.
Mittwoch, September 28, 2005
Kleine Lebensweisheiten nach Feierabend
Überraschend schonend für das Nervenkostüm ist, wenn es gelingt, den Fuß dahingehend kontrollieren, dass er nicht gegen den Reset-Knopf gerät, solang man eine bislang noch ungesicherte, aufwändige kreative Arbeit zwar fast, aber noch nicht ganz fertiggestellt hat.
Wenn sich der Magen meldet...
Gerade erst war das Futter im Trog gelandet, schon mampfte die Kuh. Nein, heute schlang sie eher. Draußen knallte sengende Hitze auf das Dach. Nicht ungewöhnlich, wir sind in der nördlichen Provinz des Sultanats Oman, in Al-Sahm. Die junge Frau, die ihr die Mahlzeit kredenzt hatte, stand noch im Kuhstall und tastete hektisch ihre sämtlichen Taschen ab. Sie eilte zu ihrer Mutter, der sie beim Füttern geholfen hatte. Ahnung hatte die aber ebensowenig. Gerade eben hatte sie doch noch telefoniert, aber wo war jetzt ihr Handy? Von einem Geistesblitz befeuert sauste sie zu einem anderen Apparat, wählte ihre eigene Nummer. Und tatsächlich: Ein leises, helles Klingeln sirrte. Doch es klang so dumpf, als hätte man sich die Ohren zugehalten. Als sie dem Klingelton folgte, musste sie feststellen, dass das Geräusch aus dem Bauch der Kuh kam. Das Tier hatte das Handy dem Futter vorgezogen, aber am Stück verputzt, sodass es noch funktionierte. In welchem der sieben Mägen es sich befand, war schwer auszumachen, wiedergekäut hatte die Kuh es nicht. Selten hatte die junge Frau so sehnlichst einen Kuhfladen herbeigewünscht.
Dienstag, September 27, 2005
Meinungen, Deinungen, Ihrungen und Wirungen prominenter Menschen, zur Diskussion gestellt
"Das erektile Organ des Mannes ist [...] äquivalent zu der Wurzel aus minus 1."
(Jacques Lacan)
(Jacques Lacan)
Montag, September 26, 2005
Scheine, Wechsel, Seltsamkeiten
Das Skurrile im Alltag kann sich überall verstecken und unvermutet hervorspringen. Heute morgen hüpfte es - man könnte sagen - aus dem Briefkasten vor der Post am Bahnhof. Auf dem Weg zur Arbeit kurvte ich mit meinem Silberdrahtesel durch die Schienenunterführung, um vor Beginn des Tagwerks bei der Post noch einen Nachsendeauftrag zu stellen. Mit gekonntem Schmiss schwang ich mich vom Rad, und noch während ich dabei war, das Bügelschloss durch die Speichen zu schieben, begrüßte mich ein mümmelmannfahniger Stoppelhaarkopf, in dessen dunkelblondem Vollbart noch Ketchup klebte, auf dessen zerrissener Lederjacke mit Edding ein Antifa-A im runden Kreis gekrickelt war und dessen Blick an schlecht geputzte Glasscheiben erinnerte. Er taumelte mir ungelenk entgegen, hielt seine dreckkrustige Hand auf und lallte: "Ey, hassuma'n Euro für watt zu essen?"
In Ermangelung von Mitleid, vor allem aber Kleingeld, da ich nur einen Zwanzig-Euro-Schein mit mir führte, entgegnete ich: "Sorry, Kleingeld habe ich grad überhaupt keins."
"Naja... bis fuffzich Euro kann ich auch wechseln!"
"Ach... dann geh Dir von dem Geld doch was zu Essen kaufen. Für den kleinen Hunger könnte das doch erstmal reichen."
Er stutzte verblüfft, ich wand mich um ihn herum in die Post hinein und reihte mich in die Schalterschlange ein. Während ich mich zentimeterweise voranschob, bekam ich eine lautstarke Diskussion am Schalter zu meiner Rechten mit. Vor dem Schalter stand er. Streifen nadelten aus seinem silbergrauen Anzug, das seitengescheitelte Haar glänzte dank großzügigem Pomade-Einsat. Die Babypopowangen seines jungreich gelackten Antlitzes schimmerten seidig.
Die dauergewellte Schalterdame gab ihm energisch zu verstehen: "Entschuldigen Sie, aber ich kann für einen Brief von nur 1,44 € Porto weder ihre Gold-Karte noch einen 200 €-Schein akzeptieren. Sie werden doch noch etwas Kleingeld haben?!"
Mit Fistelstimme krähte er die dauergewellte Schalterdame an: "Nein, habe ich nicht! Ich wünsche, dass Sie jetzt unverzüglich diesen Brief annehmen und mir 198,56 € Wechselgeld aushändigen. Ich bin ein vielgefragter Mann. Ich habe zu tun, Sie verplempern kostbare Zeit."
"So nicht, werter Herr. Ich bin an meine Vorgaben gebunden, und in diesem Ton kommen Sie mir bitte erst recht nicht."
"Nun gut. Ich merke mir Ihren Namen und werde bei Ihrer Dienststelle Beschwerde gegen Sie einreichen, Frau X." (unzureichend aufgeschnappte Dialogfetzen wurden vervollständigt, Anm. d. Red.)
Er riss seinen Brief an sich, der nun allerdings schon frankiert war, und spurtete aus der Filiale. Aufgehalten werden konnte er nicht mehr rechtzeitig, sorgte aber für allgemein entrüstetes Kopfschütteln. Ich selbst schüttelte etwas später den Kopf, nachdem ich meinen Nachsendeauftrag eingereicht hatte, mich dafür aber keineswegs ausweisen musste und theoretisch irgendeines Menschen Post an mich hätte umleiten lassen können. Leicht erschreckend, das. Mein Zwanzig-Euro-Schein wurde indes ohne Nörgeln akzeptiert. Die Post, morgens um halb zehn in Deutschland.
In Ermangelung von Mitleid, vor allem aber Kleingeld, da ich nur einen Zwanzig-Euro-Schein mit mir führte, entgegnete ich: "Sorry, Kleingeld habe ich grad überhaupt keins."
"Naja... bis fuffzich Euro kann ich auch wechseln!"
"Ach... dann geh Dir von dem Geld doch was zu Essen kaufen. Für den kleinen Hunger könnte das doch erstmal reichen."
Er stutzte verblüfft, ich wand mich um ihn herum in die Post hinein und reihte mich in die Schalterschlange ein. Während ich mich zentimeterweise voranschob, bekam ich eine lautstarke Diskussion am Schalter zu meiner Rechten mit. Vor dem Schalter stand er. Streifen nadelten aus seinem silbergrauen Anzug, das seitengescheitelte Haar glänzte dank großzügigem Pomade-Einsat. Die Babypopowangen seines jungreich gelackten Antlitzes schimmerten seidig.
Die dauergewellte Schalterdame gab ihm energisch zu verstehen: "Entschuldigen Sie, aber ich kann für einen Brief von nur 1,44 € Porto weder ihre Gold-Karte noch einen 200 €-Schein akzeptieren. Sie werden doch noch etwas Kleingeld haben?!"
Mit Fistelstimme krähte er die dauergewellte Schalterdame an: "Nein, habe ich nicht! Ich wünsche, dass Sie jetzt unverzüglich diesen Brief annehmen und mir 198,56 € Wechselgeld aushändigen. Ich bin ein vielgefragter Mann. Ich habe zu tun, Sie verplempern kostbare Zeit."
"So nicht, werter Herr. Ich bin an meine Vorgaben gebunden, und in diesem Ton kommen Sie mir bitte erst recht nicht."
"Nun gut. Ich merke mir Ihren Namen und werde bei Ihrer Dienststelle Beschwerde gegen Sie einreichen, Frau X." (unzureichend aufgeschnappte Dialogfetzen wurden vervollständigt, Anm. d. Red.)
Er riss seinen Brief an sich, der nun allerdings schon frankiert war, und spurtete aus der Filiale. Aufgehalten werden konnte er nicht mehr rechtzeitig, sorgte aber für allgemein entrüstetes Kopfschütteln. Ich selbst schüttelte etwas später den Kopf, nachdem ich meinen Nachsendeauftrag eingereicht hatte, mich dafür aber keineswegs ausweisen musste und theoretisch irgendeines Menschen Post an mich hätte umleiten lassen können. Leicht erschreckend, das. Mein Zwanzig-Euro-Schein wurde indes ohne Nörgeln akzeptiert. Die Post, morgens um halb zehn in Deutschland.
Dienstags aß sie gern ihren Vater. Er schmeckte nach Hirsch und war aus Brotteig gemacht. Seine Brustwarzen waren aus Rosinen. Sie wusste, dass er in Wirklichkeit eine Frau war – sagen durfte man ihm dies aber nicht, sonst wurden seine Augen hohl. Niemand schenkte ihr Damenschuhe.
Freitag, September 23, 2005
Die Aufregung knistert immer noch in den Knochen. Nervenstränge sirren, schwirren, surren, schnurren auch heute noch ein wenig nervös. Bleibt alles anders. Doch der erste Teil ist geschafft. Mit der Hilfe anpackender Freunde haben gestern schon die zweihundertfünfzig Bücher und das Doppelte an CDs samt Regalen den Standort gewechselt und sind soweit eingeräumt. Auch der Schreibtischrollwagen und die Kommode, Becher, Teller, Tassen, Gläser und Besteck kennen jetzt schon die neuen vier Wände. Heute ein wenig Kleinkram, morgen die großen Teile mit dem Bulli, und dann wird das neue Zimmer so langsam bezogen sein und der kleine Kraftakt ein hoffentlich gutes Ende gefunden haben.
Der Staat, den wenige mögen, wie es scheint
Später Nachmittag. Ein weiterer Tag schliddert dem Ende entgegen.
Dunkleres Grau durchbricht ein helleres. Tausend angespitzte Ellbogen im Untergrund, die den hohlen Klang von Füßen auf blankgebohnerten Fußböden aushöhlen. Der Verkäufer schließt den Ein-Euro-Laden auf und zählt die Verrückten, während er sich auf die Unterbeißt, damit ihm kein "Ich hasse Winnipeg" entflutscht.
Sieben Minuten zu spät erst prüft der Fahrer den Rückspiegel. Die Ruhelosigkeit der wuselig bevölkerten Fahrer verkündet: "The Guess Who" sind für'n Arsch, die "Jets" waren eh lausig, die gleiche Stimmung - Tag für Tag. Und in der U-Kurve hat jemand schon wieder den Wagen abgewürgt, führt weltverloren Selbstgespräche und hört, wie der Benzinpreis seinen Satz nachäfft: "Ich hasse Winnipeg!".
Weit über uns allen, lehnt sich unser goldener Businessjunge in den Himmel, wird sehen, wie das nördliche Ende erstirbt,und singen: "Ich liebe diese Stadt", daraufhin aber seinen Wasauchimmerball ausschreien lassen: "Ich hasse Winnipeg!"
Dunkleres Grau durchbricht ein helleres. Tausend angespitzte Ellbogen im Untergrund, die den hohlen Klang von Füßen auf blankgebohnerten Fußböden aushöhlen. Der Verkäufer schließt den Ein-Euro-Laden auf und zählt die Verrückten, während er sich auf die Unterbeißt, damit ihm kein "Ich hasse Winnipeg" entflutscht.
Sieben Minuten zu spät erst prüft der Fahrer den Rückspiegel. Die Ruhelosigkeit der wuselig bevölkerten Fahrer verkündet: "The Guess Who" sind für'n Arsch, die "Jets" waren eh lausig, die gleiche Stimmung - Tag für Tag. Und in der U-Kurve hat jemand schon wieder den Wagen abgewürgt, führt weltverloren Selbstgespräche und hört, wie der Benzinpreis seinen Satz nachäfft: "Ich hasse Winnipeg!".
Weit über uns allen, lehnt sich unser goldener Businessjunge in den Himmel, wird sehen, wie das nördliche Ende erstirbt,und singen: "Ich liebe diese Stadt", daraufhin aber seinen Wasauchimmerball ausschreien lassen: "Ich hasse Winnipeg!"
Donnerstag, September 22, 2005
Mittwoch, September 21, 2005
Dienstag, September 20, 2005
Der Kuli und der Pakt mit den grauen Herren
Es gibt weniger zeitraubende Beschäftigungen, als den Versuch zu unternehmen, blonde lange Haare mit einem Kugelschreiber komplett blau zu färben.
Sammelsurium
"Ich sammle Busfahrer", sagte der breitkrempige Fremde, der sich zu mir an den Tisch setzte. Unaufgefordert. Mitteilungsbedürftig. "Ich sammle Busfahrer mit Leidenschaft wie andere Leute Fayencen, Hinterglasbilder oder Geigenschnecken, was ich freilich immer als barbarisch erachtet habe. Denn sie sägen doch wahrhaftig mirnixdirnix den herrlichsten Instrumenten den Hals ab und hängen die Schnecken in Glasvitrinen auf wie Skalps. Ich meinesteils sammle Busfahrer. Es sind sehr merkwürdige Menschen, wie in jedem Beruf, darunter. Ich kenne den Wiener Busfahrer so gut wie den Pariser, den von San Francisco so gut wie den in Kapstadt oder Beijing mit ihren landesüblichen Eigenarten. Aber allen, den ich auf der Welt begegnete: Sie waren unverwechselbar Busfahrer.Sie bilden innerhalb der Menschheit, ob nun schwarz, gelb oder weiß eine eigene, besondere Gattung, eine Art Orden wie die Davidsbündler oder Rosenkreuzer. Die Zierde meiner Sammlung fandich auf der Insel Anthos. Ich schenke Ihnen die Geschichte. Aber: ein Drittel Tabak, ein Drittel Wein, ein Drittel Geschichte, das ist mein Rezept."
Sonntag, September 18, 2005
Der bislang noch größte Dickhäuter zeigte sich dünnhäutig. Nach dem stirnrunzelwürdigen Nochkanzlerauftritt von Schröder bei der Elefantenrunde hat man das Gefühl, dass bei einem Turnier zweier Mannschaften die Partei mit weniger Punkten ehrbarer Vizemeister und die Partei, die mehr Punkte erzielt hat, erschreckend schwacher Vorletzter geworden ist.
Samstag, September 17, 2005
Gefühliger Umzugsblätterteig
Lasst Farbe regnen. Oder lieber auch nicht. Gleich wird das neue Zimmer gestrichen. So langsam macht sich eine seltsam aufwühlende Mischung aus nostalgischer Wehmut und zukunftsfreudiger Aufbruchsstimmung in mir breit. Nervöses Kribbeln und leichte Unsicherheit, ob denn alles auch klappen wird, wie ich es mir wünsche, ob vor allem danach auch alles so werden wird wie erhofft. Janusköpfiger Gefühlsstrudel. Altes zurücklassen, Platz machen für Neues. Manches werde ich nicht vermissen, so einiges auch schon. Ne tolle Zeit ist es insgesamt gewesen in der jetzigen WG. Doch was gewesen ist, ist gewesen. Der vernunftdurchwirkte Kopf versucht dem plötzlich melancholisch werdenden, nostalgisch Klammernden Herzen die Fesseln anzulegen und es aus seiner Trägheit zu stupsen. Zelte abbrechen, einpacken, woanders neu aufbauen. Schade und schön zugleich. Aufregend.
Freitag, September 16, 2005
Unregelmäßig regelmäßige Musiktipps für geschmackvolle Gemüter (IV)
Der Herbst hat seine Umzugskartons schon vor der Tür stehen. Ihn umweht ein Hauch von kaltem Verfall, während er nervös mit den Fingern trippelt und wartet, dass ihm der Sommer endgültig die Wohnungsschlüssel übergibt. Die Sonnenuhren liegen inzwischen im Schatten. Auf den Feldern beginnen stürmische Winde aufzuziehen. Dauerregen plätschert vom Himmel wie Tränen, die den Abschied von der Sommerwärme beweinen. Die Weinranken leuchten in schüchternem Rot unter bleigrauen Wolken. Die Kerze im Stövchen flackert. Im Henkelbecher dampft goldbrauner Tee, während man den zu kurzen Norwegerpulli am Steiß zurechtzupft, damit die Nieren nicht kalt werden. Die Kekstüte knistert beim Griff hinein. Der Herbst kann kommen. Und um den Herbst auch klanglich angemessen zu begrüßen, gibt's heute zwei neue Runterladetipps: "The Engine Driver" von den famosen Decemberists und "Immaculate Heart" von American Analog Set. Für die stillen Abende, mit den Füßen in warmen Socken, in eine Wolldecke gekuschelt mit einem guten Buch im Lesesessel.
Labels: Oles Musiktipps
Erst wird geschubbert, dann gebrutzelt
Nicht jeder trägt gern Leinen und Baumwolle. Geneigte Menschen lassen auch Leder oder Latex ihren Körper umschmiegen. Selbstverständlich sind da noch hunderte anderer Stoffe, in die man sich hüllen kann. Auf welche Seite auch immer man sich schlägt: Wer seinen Teppich gern hat, sollte sorgsam überlegen, ob und wieviel Polyester er an sich heran lässt.
Nach kurzem Wühlen in der Schatzkiste seltsamer Vorkommnisse kommt die Erklärung: Frank C. aus Warrnambool in Australien, dem Wechselstromgitarrenheimatkontinent, ist großer Polyesterfreund und trägt mit knisternder Vorliebe die raschelnden Plastiktextilien. Während er gut gelaunt durch die Gegend schlurfte, schubberte Plastik an Plastik, lud sich elektrostatisch auf, und plötzlich brutzelte er durch die Entladung von schätzungsweise 30 000 Volt bei einer Einkaufstour ein Loch in einen Teppich. Danach brachte er eine Fußmatte aus Plastik in seinem Wagen zum Schmelzen. "Es klang in etwa wie Feuerwerkskörper", sagte Frank verwirrt. "Innerhalb von fünf Minuten begann der Teppich zu schmoren.".
Nach kurzem Wühlen in der Schatzkiste seltsamer Vorkommnisse kommt die Erklärung: Frank C. aus Warrnambool in Australien, dem Wechselstromgitarrenheimatkontinent, ist großer Polyesterfreund und trägt mit knisternder Vorliebe die raschelnden Plastiktextilien. Während er gut gelaunt durch die Gegend schlurfte, schubberte Plastik an Plastik, lud sich elektrostatisch auf, und plötzlich brutzelte er durch die Entladung von schätzungsweise 30 000 Volt bei einer Einkaufstour ein Loch in einen Teppich. Danach brachte er eine Fußmatte aus Plastik in seinem Wagen zum Schmelzen. "Es klang in etwa wie Feuerwerkskörper", sagte Frank verwirrt. "Innerhalb von fünf Minuten begann der Teppich zu schmoren.".
Donnerstag, September 15, 2005
Adas Morgen danach
Ein seltsames Bild, wie sie da stand am Fenster. Ada. Mehr Ringe als Augen und die unterlaufen. Fettige Strähnen hingen leblos vor ihrem Gesicht. Wie sie aus dem Fenster in die nieselige Gräue starrte, die ihr viel zu hell vorkam und in ihren Augen schmerzte. Ohne an etwas Konkretes zu denken. Und wie sie dann zum Lichtschalter seines Zimmers ging und versuchte, das helle Tageslicht draußen auszuschalten und den Kopf schüttelte, als sie ihren Irrtum bemerkte. Es hämmerte in ihrem Kopf, schien tief in ihr drin zu brüllen, kreischen, als ob Thor ihre Schädeldecke mit Mjölnir, seinem Hammer, bearbeitete und als Gong missbrauchte. Es dröhnte. Alles. Es war, als ob die Stadt ihr Lied heute in vierfacher Lautstärke sang, und das, wo ihr doch gerade so gar nicht nach Musik war. "Nie wieder Saufspiele", sagte sie zu sich, als sie sich eine Zigarette anzündete, eine Kopfschmerzpille einwarf, an ihrem nachtschwarzen Kaffee nippte und versuchte, mit dem Rauch gemeinsam auch ihre Übelkeit wegzublasen.
Sich keinen Reim drauf machen können
Es macht stutzig, nachts um halb drei eine SMS von einer unbekannten Nummer zu bekommen. Wenn die dann "Kannst Du mir mal sagen, wer in Eurem Haus Matthias Reim-Fan ist????" lautet und ohne Gruß und Namen schließt, ist Verwirrung vorprogrammiert.
Mittwoch, September 14, 2005
Nach John und Howard kam nix mehr
Der Bus kommt spät. Der Busfahrer guckt grimmig und hat seine Backen aufgeblasen, als habe er zuvor versucht, eine ganze Tüte Marshmallows auf einmal in seiner Mundhöhle unterzubringen. Ich suche nach einem Platz. Der nicht, der ist kaugummiverklebt. Nicht, dass ich pingelig wäre, aber. Weiter hinten ein lauschiger Platz am Fenster. Links neben mir zwei graumelierte Herren mit graubrotgrauen Stoffjacken und Schnurrbart. Lange Zeit sitzen sie stumm da. Aus dem Nichts bricht dann plötzlich eine Diskussion herauf:
"Heinze, eins saach ich Dir. Bei Músik macht mir so schnell keiner was vor. Und dieser ganze neumodische Scheiß, das, was die Jugend heute so hört... Die haben doch alle gar keine Ahnung mehr, was Musik überhaupt so ist. Die machen sich doch alle nur noch nackich vorre Kamera und datt wars. Der Rest ist doch nur so Computerscheiße. Die können doch gar nicht mehr richtig Instrumente spielen."
"Naja, machste Dir datt da nich'n bisschen einfach? Mein Jens spielt auch Gitarre und hat ne Band. Der kann schon noch selber spielen."
"Ja, der Jens. Aber das ist ja auch ne Ausnahme."
"Meinst Du?"
"Klar. Und bis heute hat's niemanden gegeben, der bessere Lieder geschrieben hat als John Lennon und Howard Carpendale bei den Beatles. Danach kam nix mehr."
"Der hieß McCartney! Paul McCartney!"
"Sag ich doch! Carpendale."
Mit leichtem Bedauern merke ich, dass meine Haltestelle naht und erhebe mich zum Aussteigen.
"Heinze, eins saach ich Dir. Bei Músik macht mir so schnell keiner was vor. Und dieser ganze neumodische Scheiß, das, was die Jugend heute so hört... Die haben doch alle gar keine Ahnung mehr, was Musik überhaupt so ist. Die machen sich doch alle nur noch nackich vorre Kamera und datt wars. Der Rest ist doch nur so Computerscheiße. Die können doch gar nicht mehr richtig Instrumente spielen."
"Naja, machste Dir datt da nich'n bisschen einfach? Mein Jens spielt auch Gitarre und hat ne Band. Der kann schon noch selber spielen."
"Ja, der Jens. Aber das ist ja auch ne Ausnahme."
"Meinst Du?"
"Klar. Und bis heute hat's niemanden gegeben, der bessere Lieder geschrieben hat als John Lennon und Howard Carpendale bei den Beatles. Danach kam nix mehr."
"Der hieß McCartney! Paul McCartney!"
"Sag ich doch! Carpendale."
Mit leichtem Bedauern merke ich, dass meine Haltestelle naht und erhebe mich zum Aussteigen.
Dienstag, September 13, 2005
Gerd-Show revisited
Plönk. Schwapp. Becksgrüne Flasche kippt aufs Kopfsteinpflaster. Ruckediguh, Bier auf dem Schuh. Tschuldigung. Macht nix. Auch eins? Gern. Über mir knirscht und surrt der Hebekran mit der Fernsehkamera. Vorn steht der glubschäugige Ex-Basketballer, der ansonsten für mehr Feiertage vor dem Sportfernseher wirbt: Frank Buschmann. Er stakst frotzelnd über die Bühne, macht Scherze über die nur wenige lachen, moderiert die Schnarchnasenrhetoriker aus der Lokalpolitik an. Auch Udo Jürgens war auf die Bühne gezerrt worden, als Münsters Kanzler-Repräsentant.
Leonard "Wilsberg" Lansink ist jetzt auch in der SPD, und die Jazzkantine war angeblich auch da. Gesehen hat kaum einer ihren Bühnenauftritt. In Bussen sind Bergmänner in alten Trachten herbeigekarrt worden, aus Ibbenbüren und Hamm. Gegen sieben Uhr birst der Domplatz aus allen Ecken: Kanzler-Time. Durch diese hohle Gasse wird er kommen, und schon kommt er, lächelt, verschränkt die Arme in Siegerpose über dem Kopf, schüttelt Hände. Yvonne streckt sie ihm entgegen: "Tach, Gerhard." Schmunzeln.
Gerhard Schröder, live und mehr oder weniger wahrhaftig. Er hüppt mit Schmackes auf die Bühne, versprüht Dynamik, Schwung, Tatendrang. Wer beim sonor dümpelnden Wortgeplätscher der tiefenentspannt parlierenden Vorredner ein wenig weggedöst war, zuckt dank der messerscharf durch die Boxen stechenden Worte Schröders erschrocken zusammen. Zu viele Höhen, leichtes Fiepen im Ohr. Ein wuchtiger Wortvulkan. Der Kanzler in Rage, er brüllt beinahe. Gespannt bis in die vielleicht doch gefärbten Haarspitzen. Er magnetisiert die Menge, peitscht sie hoch, schnurrt, schmeichelt, kräht, keift, rubbelt mit einem Katzenschwanz aus Worten über die Köpfe, um sie zu elektrisieren. Die knallrote Krawatte saust vor seinem Hemd hin und her, er wirft die Arme energisch durch die Luft, als wolle er ein Erdbeben beschwören.
Stärkung der Wirtschaft nicht auf Kosten der Umwelt und nachfolgender Generationen. Gute Bildung für alle, da gut gebildete Ideen in den Köpfen der Menschen eins unserer größten Pfunde sind, mit denen wir wuchern können. Rohstoffe sind ja kaum noch da. Starke, friedens-orientierte Außenpolitik. Kleine Schmunzler zwischendurch. Der Herr Professor aus Heidelberg kriegt sein Fett weg. Immer wieder, süffisant. Großer Jubel bei Bildungs- und Friedenspolitik.
Geschickt umschifft er Fragen nach dem Arbeitsmarkt, spricht hauptsächlich von Visionen, wenig von Plänen. Aber er seine Erscheinung und sein Auftreten macht den Aufbruch glaubhaft. Er umgarnt die Masse geschickt, dies hier ist keine nüchterne Informationsveranstaltung. Hier geht es nicht allein um wissen, hier geht es um langfristiges Glauben. Dafür braucht man Image, muss sich selbst ins gleißende Licht stellen, die anderen ins dunkle Abseits. Propaganda.
Und doch sind zumindest die Vorhaben und Vorstellungen weitaus deckungsgleicher mit meinen als die Ideen und Visionen der Frau mit den Hängemundwinkeln. Nach kurzem Anlauf glutlodert der Pathosvulkan fast eine Stunde. Am Ende minutenlanger, frenetischer Beifall. Die Schlacht ist geschlagen, vielleicht ist der Sieg doch wieder greifbarer. Die üblichen Jubelposen. Verschlungene Hände über dem Kopf, Daumen nach oben. Der Hand mag inhaltlich in Bezug auf ganz konkrete Lösungs-Ideen ein wenig der Fuß gefehlt haben, eine beeindruckende Vorstellung war es trotzdem.
Er genießt die Jubelbrause, nimmt - abgesichert - ein letztes Mal das Bad in der wohlgesonnenen Menge. Dann ist Glubschauge Buschmann wieder dran, ulkt und sabbelt noch ein wenig rum. Und da man gerade keine Gelegenheit hat, ihn zum Mond zu schießen, besinnt man sich, wünscht ihn zumindest zurück zum DSF und geht. Das Bier auf dem Schuh ist getrocknet, die Kehle auch, die sich wiederum ein frisches Pils zum Benetzen wünscht. Also auf in eine umliegende Kneipe und den seltsam überzeugenden Floskel-Orkan noch einmal kurz Revue passieren lassen.
Foto: blog.nrwspd.de
Leonard "Wilsberg" Lansink ist jetzt auch in der SPD, und die Jazzkantine war angeblich auch da. Gesehen hat kaum einer ihren Bühnenauftritt. In Bussen sind Bergmänner in alten Trachten herbeigekarrt worden, aus Ibbenbüren und Hamm. Gegen sieben Uhr birst der Domplatz aus allen Ecken: Kanzler-Time. Durch diese hohle Gasse wird er kommen, und schon kommt er, lächelt, verschränkt die Arme in Siegerpose über dem Kopf, schüttelt Hände. Yvonne streckt sie ihm entgegen: "Tach, Gerhard." Schmunzeln.
Gerhard Schröder, live und mehr oder weniger wahrhaftig. Er hüppt mit Schmackes auf die Bühne, versprüht Dynamik, Schwung, Tatendrang. Wer beim sonor dümpelnden Wortgeplätscher der tiefenentspannt parlierenden Vorredner ein wenig weggedöst war, zuckt dank der messerscharf durch die Boxen stechenden Worte Schröders erschrocken zusammen. Zu viele Höhen, leichtes Fiepen im Ohr. Ein wuchtiger Wortvulkan. Der Kanzler in Rage, er brüllt beinahe. Gespannt bis in die vielleicht doch gefärbten Haarspitzen. Er magnetisiert die Menge, peitscht sie hoch, schnurrt, schmeichelt, kräht, keift, rubbelt mit einem Katzenschwanz aus Worten über die Köpfe, um sie zu elektrisieren. Die knallrote Krawatte saust vor seinem Hemd hin und her, er wirft die Arme energisch durch die Luft, als wolle er ein Erdbeben beschwören.
Stärkung der Wirtschaft nicht auf Kosten der Umwelt und nachfolgender Generationen. Gute Bildung für alle, da gut gebildete Ideen in den Köpfen der Menschen eins unserer größten Pfunde sind, mit denen wir wuchern können. Rohstoffe sind ja kaum noch da. Starke, friedens-orientierte Außenpolitik. Kleine Schmunzler zwischendurch. Der Herr Professor aus Heidelberg kriegt sein Fett weg. Immer wieder, süffisant. Großer Jubel bei Bildungs- und Friedenspolitik.
Geschickt umschifft er Fragen nach dem Arbeitsmarkt, spricht hauptsächlich von Visionen, wenig von Plänen. Aber er seine Erscheinung und sein Auftreten macht den Aufbruch glaubhaft. Er umgarnt die Masse geschickt, dies hier ist keine nüchterne Informationsveranstaltung. Hier geht es nicht allein um wissen, hier geht es um langfristiges Glauben. Dafür braucht man Image, muss sich selbst ins gleißende Licht stellen, die anderen ins dunkle Abseits. Propaganda.
Und doch sind zumindest die Vorhaben und Vorstellungen weitaus deckungsgleicher mit meinen als die Ideen und Visionen der Frau mit den Hängemundwinkeln. Nach kurzem Anlauf glutlodert der Pathosvulkan fast eine Stunde. Am Ende minutenlanger, frenetischer Beifall. Die Schlacht ist geschlagen, vielleicht ist der Sieg doch wieder greifbarer. Die üblichen Jubelposen. Verschlungene Hände über dem Kopf, Daumen nach oben. Der Hand mag inhaltlich in Bezug auf ganz konkrete Lösungs-Ideen ein wenig der Fuß gefehlt haben, eine beeindruckende Vorstellung war es trotzdem.
Er genießt die Jubelbrause, nimmt - abgesichert - ein letztes Mal das Bad in der wohlgesonnenen Menge. Dann ist Glubschauge Buschmann wieder dran, ulkt und sabbelt noch ein wenig rum. Und da man gerade keine Gelegenheit hat, ihn zum Mond zu schießen, besinnt man sich, wünscht ihn zumindest zurück zum DSF und geht. Das Bier auf dem Schuh ist getrocknet, die Kehle auch, die sich wiederum ein frisches Pils zum Benetzen wünscht. Also auf in eine umliegende Kneipe und den seltsam überzeugenden Floskel-Orkan noch einmal kurz Revue passieren lassen.
Foto: blog.nrwspd.de
Montag, September 12, 2005
Die Welle rollt an
Gleich rappelt's hier im Karton. 180 (in Zahlen: Einhundertachtzig) Menschen haben telefonisch Interesse an meinem jetzigen Zimmer bekundet, die vierzig ersten Anrufer sind auf der Liste und alle wollen sie heute und morgen kommen, um sich meine Bude anzusehen, gierig darauf, mein Nachmieter zu werden. Mal schauen, ob wer Nettes dabei ist. Eine kurze Weile, werd auch ich mitgucken, dann wartet die Arbeit, und die verrichte ich heute lieber außerhalb meiner eigenen sieben Wände.
Samstag, September 10, 2005
Der blödeste Dialog ihres Lebens
In leicht schlingerndem Rhythmus klickte ihr Löffel, während sie damit in windschiefen Kreisen durch ihren Kaffeebecher rührte. Ada schickte ihren Blick durch das Fenster auf gedankenverlorene Erkundungstour im Dunkel der Nacht. Die Straßenlaternen ließen runde Lichtkegel auf den Bürgersteig segeln, die durch die Finsternis rund um wirkten wie fliegende Untertassen. Draußen sang die Stadt eine der letzten Strophen ihres Liedes, das jeden Tag neu und anders war und doch immer ähnlich.
Das leise einlullende Summen der Klimaanlagen, die in der ganzen Stadt die Hitze und Dünste aus Cafés und Büros bliesen, die an- und ausliefen, einander überlappende Atemzüge, ein Wiegenlied für müde Straßen. Der tagsüber brausende Verkehr, der über Hochstraßen sauste, hupte, auf- und abbrauste, an- und abschwoll, durfte abgeebbt sein - jetzt in den dunklen Stunden-, ließ aber noch ein fortwährendes Rauschen herüberwehen. Ein Anwalt, der soeben seine Frau betrogen hatte, fluchte, nachdem er mit seinen neuen Lederschuhen in Hundescheiße getreten war. Stöckelschuhe klackten wie Kastagnetten auf den Pflastersteinen der Fußgängerzone. Tuschelndes Stimmengewirr verliebter Mädchen, die am Hafenkai Steinchen auf dem Wasser springen ließen und sich von ihren Schwärmen vorjubelten. Plitschplatsch. Hihihi. Mülleimerdeckel aus Blech schepperten, die ungeschickt zu Boden fielen. Leere Flaschen donnerten bauchig, als in Altglascontainer gepfeffert wurden. Straßenarbeiter zerrissen die kalte Nachtluft mit Bohrern und Presslufthämmern, schwitzten unter dem sirenden Zischen des Flutlichts, klebten neue Haut auf die Adern der Stadt.
Ein Gezwitscherschwall von Vögeln, die dachten, es sei schon Morgen, drang aus der großen Blutbuche vor dem Haus. Darunter fauchten und kratzten sich zwei Katzen. Drei besoffene Sportstudenten gröhlten "Viva Colonia". Unfreiwillig mehrstimmig. Das Kehrfahrzeug der Stadtwerke schubberte den Bordstein entlang. Aus der Wohnung nebenan quollen Serge Gainsbourg & Jane Birkin. Orgelschwaden, Gestöhne. Je t'aime. Moi non plus. Auch das Harte Krachen, Klingen und Klappern rastloser Maschinen in Fabriken und Werkstätten sang noch mit in diesem Lied. Sie stampften, knarrten, ratterten, rumpelten, klackten, walzten, pumpten, dampften, pressten, sprühten Funken. Alarmanlagen schrien um Hilfe. Singende Sirenen glitten durch die Straßen, warfen ihr flackerndes Blaulicht von einem Notfall zum nächsten. Das Geheul durchwob die dunkelsten der dunklen Stunden. Es war inzwischen leiser geworden, eher wie der Atem eines Schlafenden neben Dir, der Dir ins Ohr haucht.
Ada schloss das Kippfenster und ließ das Lied der Stadt außen vor. Sie schob ihren Stuhl zurück, der knurrend Widerstand leistete, erhob sich vom Tisch, schlenderte ins Wohnzimmer und ließ sich in die großen Kissen fallen. Sie schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, führte die - tschick - hell leuchtende Feuerzeugflamme an das Tabakende. Während sie kräftig zog, knisterte die Glut. Entspannt ließ sie die Rauchkissen in ihre Lungen gleiten, schickte sie kurz darauf wieder hinaus und sah den verdrehten Rauchkringeln zu, die vor ihrer arabesk verzierten Tapete in der Luft tanzten.
Sie seufzte. Hätte sie sich doch nur anders, dann könnte sie jetzt vielleicht. So wie damals. Willkommen im Festival der Konjunktive. Obwohl sie erst Mitte Zwanzig war, steckte sie so fest in der Vergangenheit und versank immer tiefer darin wie ein Ortsunkundiger, der nachts im Moor vom Weg abgekommen war und langsam vom Sumpf umschlungen wurde. Drei Jahre, seit dem er nun nicht mehr. Sie ihn nie wieder. Er sie nie wieder würde. Und dann letzte Woche das Licht am Ende des Tunnels.
Sie mit Lana im Park. Ein lauer Sommerabend. Purcells "Dido und Aeneas" umsonst und draußen, gegeben vom Uni-Chor und dem Studentenorchester, mitten auf der grünen Wiese, zwischen den Schatten spendenden Linden und dem kleinen Fischteich. Er hatte die ganze Zeit vor ihr gelegen. Muskulös, braungebrannt, oben ohne, ohne Begleitung. Zwischendurch hatte er zu ihr rübergelinst, sie hatte nervös zurückgelächelt. Ein traumhafter Nachmittag. Und als sie ihre Getränkebecher für das Pfand an die Getränkebude zurückbrachten stand er plötzlich neben ihr. Sie hätte sich an seine muskulöse Brust schmiegen mögen, in überschütten mit leidenschaftsberstenden Küssen, niederringen voll brodelnder Wollust und überschäumender Begierde. Dann hatte er ihr auch noch sanft, unaufdringlich die Hand auf die Schulter gelegt und sie angesprochen.
Eine kleine Träne rann Adas schlanke Wangen hinab, während sie an ihrer Zigarette zog, einer neuen Delegation Rauchpartikel den Weg in ihre Lungen wies und sich dafür verfluchte, wie sie an dem Nachmittag ihre eigenen Hoffnungen, Wünsche und ihre Unsicherheit dermaßen wild um sie herumtanzten, dass sie sich verhedderte, verknotete und über sich selbst gestolpert war. Ergebnis: Der blödeste Dialog ihres Lebens, da war sie sich sicher.
Er: "Gehst Du etwas schon?"
Sie: "Ja. Bleibst Du noch?"
Er: "Nein."
Sie: "Ach so.. dann.. ähh.. tschüs."
Verkackt, versemmelt. Sie wäre am liebsten in einer spontan klaffenden Erdspalte versunken, hätte sich für ihre Feigheit am liebsten den Hosenboden versohlt. Doch was sollte es? Vielleicht würde sie ihn ja noch wiedertreffen. nichtmal wie er hieß, wusste sie. Aber wenn sie ihn wiedersähe, würde sie es alles anders machen. Die Gischt ihrer Leidenschaft würde an seinem muskulösen Strand schäumen, die Wogen ihrer Gefühlswallungen würden brechen und ihn gleichzeitig heiß und sanft umspülen. Ganz sicher. Sie musste ihn nur noch finden. Heute nacht machte das keinen Sinn mehr. Also drückte sie ihre Kippe in ihrem selbstgetöpferten Aschenbecher aus (Form: Fender Stratocaster, sollte ein Geburtstagsgeschenk für ihren Ex-Freund werden), ging in die Küche und holte sich die halbvolle Flasche Gin.
Freitag, September 09, 2005
Donnerstag, September 08, 2005
Mittwoch, September 07, 2005
2 + 2 = Quakquakquakquak und im Anschluss kullernde Tränen
Er schnauft, als er die Glastür zum Abteil aufschiebt… gefolgt von rasselnd-feuchtem Husten. Seine Hände klemmen die Koffergriffe ein wie Kneifzangen. Sonnenstrahlen rieseln durch die ungewaschenen Fenster auf sein Gesicht. Unter dem struppigen Dreitagebart ist seine rechte Wange kreuz und quer zerschlitzt.
Narben, die in ihrer Verworrenheit erinnern an mittelalterliche Stadtpläne. Er baut sich vor mir auf, ich nicke, er setzt sich. Er reicht mir die Pranke und sagt
"Challo, ich bin Ruslan."
Sein sonorer Bass und sein Akzent verraten russische Herkunft. Ich gebe ihm die Hand, er macht einen Diener und setzt sich.
Zwanzig Minuten sitzen wir einander stumm gegenüber. Er blättert mit lautem Rascheln und Knistern in der liegengebliebenen BILD… ich lese in meinem Roman. Dann beginnt er aus dem Nichts zu erzählen, nimmt mich mit seinen froschgrünen Augen in den Bann.
"Bist Du Student? Musst Du viel läsen?" Ich nicke.
"Warr ich auch mal, in Moskwa, aber Univerrsität hat mirr nicht gefallen, wollte ich lieber raboti, Arbeit, Du weißt? Eigentlich wollte ich gehen zu Zirkus. Wollte ich machen Kunststück mit Affe oder Tiger odrr Ljowe. Tanzen beibringen oder so etwas. Chabe ich zu Chause immer unser Chund beigebracht: Chand geben und so weitrr und so fjort. War immer mein Traum. Aber in Tscheljabinsk, wo ich geboren, kein Zirkus. Bin ich gezogen nach Moskwa, chabe ich dort Zirkus zugeguckt. War immer ein Domptjorr, der chatte Nummer mit... Vogel, der sonst auf Woda...ähh...Wasser, macht „Quaaaak“." "Mit ner Ente?" "Da. Richtig. Wie cheißt? Ente?"
"Ja."
"Okay. Er chat geschafft, dass er sagt zu Ente ein Mathematik-Aufgabe und Ente sagt Ergebnis. Sagt er zwei plus zwei zu Ente, sagt Ente 'quak quak quak quak'. Publikum wollte immrr wieder angucken. Applaudieren minutenlang. Kuzenko chieß der Mann. Vor ihm noch nie jemand chat gemacht Zirkusnummer mit... wie chieß Vogel?"
"Ente."
"Genau. Gibt es normal fast nie Enten, die kchönnen lernen. Abrr seine Ente kchonnte. Chatt Publikum geglaubt. Er chatte Ente immer auf Arm, wie kleines Kind in Korb. Ente schnattert dazwischen, wenn er spricht mit Publikum. Sah aus, als ob er gut Freund mit Ente. Dann chabe ich gechört, dass Ente tot. Doch in nächste Woche er war wieder in Zirkus mit andere Ente. Und neue Ente macht auch "quak" und zählt alle Aufgaben. Ich mit mein Towarischtsch... wie sagen?"
"Kamerad? Kumpel?"
"Da. Kumpel, ich mit Sergej mein Kumpel schleiche chinter Komplex, will Kuzenko fragen, ob ich bei ihm lernen kann. Kommt er cheraus, gehe ich zu ihm und frage, welche Trick er benutzt und wie lange er brauchen, um ein Ente Kunststück beibringen.
Er blickt tief mit schwarzen Augen an mich. Sagt er: 'Ich glaube, Du bist guter Junge. Versprich mir, dass Du das Gecheimnis in ganz Russland nie erzählen wirst. Sonst bist Du tott. Ich versprach alles. Sagt er: Ist ganz einfach, nimmst Du nur Männer von Enten und braucht nur so lange, bis Du Daumen in Chintern von Ente gesteckt chast.' Eier von Entenmann liegen direkt unter Arsch. Kuzenko chat Daumen in Arsch von Ente gesteckt und mit andere Finger in Eier kneifen, jedes Mal Du kneifst, Ente quakt. Sagt er zwei plus zwei, kneift er eins, zwei, drei, vier Mal. Ente konnte nie zählen. Chatte nur Schmerzen"
"Das ist bitter. Und dann?"
"Da war ich so wjutend, dass ich chabe Tränen in Auge und ihm fast geschlagen chätte. Danach chatte ich keine Lust mehr auf Zirkus, bin dann an Universität gegangen. Literatura. Aber chat auch kein Spaß gemacht. Bin ich abgechauen, auf Zug nach Deutschland gesprungen und arbeite ich jetzt auf Baustelle in Emsland. Weiß niemand, aber gibt besser Geld als in Rossija."
“Und was baut Ihr da?“
„Bauen wir eine Farm fjurr Gefljugel.“
„Für… Geflügel???“
„Ja.“
„Das ist fast seltsam.“
„Wieso?“
„Naja, erst die Ente, jetzt eine Geflügelfarm...“
„“Da. Chast Du Rrächt.“
"Ist die Arbeit denn in Ordnung?"
"Ist schwer Arbeit, aber ist okay. Bin ich weit weg von zu Chause, aber macht nix. Nur manchmal, wenn ich sehe Schilder von Zirkus, werde ich traurig."
Narben, die in ihrer Verworrenheit erinnern an mittelalterliche Stadtpläne. Er baut sich vor mir auf, ich nicke, er setzt sich. Er reicht mir die Pranke und sagt
"Challo, ich bin Ruslan."
Sein sonorer Bass und sein Akzent verraten russische Herkunft. Ich gebe ihm die Hand, er macht einen Diener und setzt sich.
Zwanzig Minuten sitzen wir einander stumm gegenüber. Er blättert mit lautem Rascheln und Knistern in der liegengebliebenen BILD… ich lese in meinem Roman. Dann beginnt er aus dem Nichts zu erzählen, nimmt mich mit seinen froschgrünen Augen in den Bann.
"Bist Du Student? Musst Du viel läsen?" Ich nicke.
"Warr ich auch mal, in Moskwa, aber Univerrsität hat mirr nicht gefallen, wollte ich lieber raboti, Arbeit, Du weißt? Eigentlich wollte ich gehen zu Zirkus. Wollte ich machen Kunststück mit Affe oder Tiger odrr Ljowe. Tanzen beibringen oder so etwas. Chabe ich zu Chause immer unser Chund beigebracht: Chand geben und so weitrr und so fjort. War immer mein Traum. Aber in Tscheljabinsk, wo ich geboren, kein Zirkus. Bin ich gezogen nach Moskwa, chabe ich dort Zirkus zugeguckt. War immer ein Domptjorr, der chatte Nummer mit... Vogel, der sonst auf Woda...ähh...Wasser, macht „Quaaaak“." "Mit ner Ente?" "Da. Richtig. Wie cheißt? Ente?"
"Ja."
"Okay. Er chat geschafft, dass er sagt zu Ente ein Mathematik-Aufgabe und Ente sagt Ergebnis. Sagt er zwei plus zwei zu Ente, sagt Ente 'quak quak quak quak'. Publikum wollte immrr wieder angucken. Applaudieren minutenlang. Kuzenko chieß der Mann. Vor ihm noch nie jemand chat gemacht Zirkusnummer mit... wie chieß Vogel?"
"Ente."
"Genau. Gibt es normal fast nie Enten, die kchönnen lernen. Abrr seine Ente kchonnte. Chatt Publikum geglaubt. Er chatte Ente immer auf Arm, wie kleines Kind in Korb. Ente schnattert dazwischen, wenn er spricht mit Publikum. Sah aus, als ob er gut Freund mit Ente. Dann chabe ich gechört, dass Ente tot. Doch in nächste Woche er war wieder in Zirkus mit andere Ente. Und neue Ente macht auch "quak" und zählt alle Aufgaben. Ich mit mein Towarischtsch... wie sagen?"
"Kamerad? Kumpel?"
"Da. Kumpel, ich mit Sergej mein Kumpel schleiche chinter Komplex, will Kuzenko fragen, ob ich bei ihm lernen kann. Kommt er cheraus, gehe ich zu ihm und frage, welche Trick er benutzt und wie lange er brauchen, um ein Ente Kunststück beibringen.
Er blickt tief mit schwarzen Augen an mich. Sagt er: 'Ich glaube, Du bist guter Junge. Versprich mir, dass Du das Gecheimnis in ganz Russland nie erzählen wirst. Sonst bist Du tott. Ich versprach alles. Sagt er: Ist ganz einfach, nimmst Du nur Männer von Enten und braucht nur so lange, bis Du Daumen in Chintern von Ente gesteckt chast.' Eier von Entenmann liegen direkt unter Arsch. Kuzenko chat Daumen in Arsch von Ente gesteckt und mit andere Finger in Eier kneifen, jedes Mal Du kneifst, Ente quakt. Sagt er zwei plus zwei, kneift er eins, zwei, drei, vier Mal. Ente konnte nie zählen. Chatte nur Schmerzen"
"Das ist bitter. Und dann?"
"Da war ich so wjutend, dass ich chabe Tränen in Auge und ihm fast geschlagen chätte. Danach chatte ich keine Lust mehr auf Zirkus, bin dann an Universität gegangen. Literatura. Aber chat auch kein Spaß gemacht. Bin ich abgechauen, auf Zug nach Deutschland gesprungen und arbeite ich jetzt auf Baustelle in Emsland. Weiß niemand, aber gibt besser Geld als in Rossija."
“Und was baut Ihr da?“
„Bauen wir eine Farm fjurr Gefljugel.“
„Für… Geflügel???“
„Ja.“
„Das ist fast seltsam.“
„Wieso?“
„Naja, erst die Ente, jetzt eine Geflügelfarm...“
„“Da. Chast Du Rrächt.“
"Ist die Arbeit denn in Ordnung?"
"Ist schwer Arbeit, aber ist okay. Bin ich weit weg von zu Chause, aber macht nix. Nur manchmal, wenn ich sehe Schilder von Zirkus, werde ich traurig."
Labels: In vollen Zügen
Dienstag, September 06, 2005
Montag, September 05, 2005
Neues aus der Kategorie "unglaubwürdige Ausrede, wenn man nicht beim Zirkus oder Zoo arbeitet":
"Ich komm später, baby! Hier ist grad ein Nashorn durch den Zaun gekracht, wirft mit seinem Zinken Autos um, und das müssen wir erst noch einfangen."
"Ich komm später, baby! Hier ist grad ein Nashorn durch den Zaun gekracht, wirft mit seinem Zinken Autos um, und das müssen wir erst noch einfangen."
Samstag, September 03, 2005
Man mag mich mit Basiliskenblicken strafen, verächtlich den Kopf schütteln und mir die Pfuikelle wegen kalauernder Geschmacklosigkeit gegen die Nase döngeln, aber mir ist spontan aufgefallen, dass im Kontext der Flutkatstrophe rund um und in New Orleans der Bandname Katrina and the waves in ein völlig anderes Licht gerät.
Freitag, September 02, 2005
Plattdüütske Spreekworden (V)
"Tscha, mien Leevde,
watt schalls't maaken?
Schitts't up't bieäd,
schitts't ook up't Laaken!"
(Tja, meine Liebe, was sollst Du machen? Wenn Du auf's Bett scheißt, scheißt Du auch auf's Laken.)
watt schalls't maaken?
Schitts't up't bieäd,
schitts't ook up't Laaken!"
(Tja, meine Liebe, was sollst Du machen? Wenn Du auf's Bett scheißt, scheißt Du auch auf's Laken.)
Labels: Plattdüütske Spreekworden
Donnerstag, September 01, 2005
Der Fehlerteufel der Mundinnenraumpatrouillen, oder: Grüner Edding statt Ultraschall?
Bisher habe ich hier nur wenig Worte über meine Zunge verloren. Sie ist doch verblüffend vielseitig, gewandt, empfindsam, biegsam und flink, je nach Anforderung. Ich mag meine Zunge. Was allerdings nicht zu ihren hervorstechendsten Stärken gehört, ist das "dentalanalytische Moment". Heute morgen war ich beim Zahnarzt. Seit Wochen war meiner Zunge bei ihren andauernden Mundraumpatrouillen im oberen linken Mundraum an etwas scheinbar Scharfkantigem hängen geblieben. Mit jedem Drüberlecken wurden die Kanten schärfer, das vermutete Loch größer, ehe es Kratergröße erreichte, und die Angst vor dem Zahnarztbesuch schwoll.
Ich schnürte die Angst allerdings fix in doppelseitigem Teppichklebeband ein, sperrte sie in den Nebenraum der Garage und machte mich auf zum Zahnarzt. Und siehe da: Schon zum zweiten Mal dachte meine Zunge, an genau der Stelle einen wahren Krater entdeckt zu haben und schon zum zweiten Mal runzelt meine Zahnärztin ungläubig die Stirn und weiß nicht, wo dieses Loch sein soll, findet keins. Stattdessen war aber an anderer Stelle zum ersten Mal seit Jahren etwas Wegbohrenswertes. Ein kleines Löchlein im unteren linken Eckzahn. Das wiederum hatte meine Zunge geflissentlich ignoriert oder gar nicht erst entdeckt.
Ich habe schon die aktuelle VHS-Broschüre gewälzt, aber allem Anschein nach gibt es keine ausgeschriebenen Labiodentalanalytischen Fortbildungskurse. Ich schätze meine Zunge hätte dennoch Nachhilfe nötig. Ist doch Quatsch, wenn man dank Zungenalarm sich selbst wegen Nichtlöchern vogelig macht, aber die Zunge dann wieder die kleinen, real existierenden Baustellen von Karius und Baktus einfach übersieht.
Nachdem ich nun aber seit zig Jahren keine Löcher mehr hatte, war ich überrascht, dass Füllungen inzwischen aus Kunststoff bestehen und mit irgendwelchem Licht gehärtet werden. Die MC-Escher-Endlosbilder bleiben Verblüffend, das Fortschreiten der Technik. Des Weiteren war ich überrascht, dass an der Stelle der Bohrer- und Hilfsgerätekonsole, an der noch vor einem halben Jahr, bei meinem letzten Besuch, das Ultraschallgerät steckte, nun ein grüner Edding in den Spalt gestopft war. Welche Zahnerkrankungen sich am präzisesten mit grünem Edding wegmalen lassen, bleibt vorerst rätselhaft. Vielleicht ist das aber auch Teil der professionellen Zahnreinigung, ein Mittel zur Markierung kranker Zähne oder Hilfsmittel für die Grünfärbung der Zähne von Patienten mit Wünschen nach ausgefallener Zahn-Optik. Noch befindet sich die Wahrheit im blickdichten Nebel der allgemeinen Ahnungslosigkeit.
Nach der kleinen örtlichen Betäubung für die lütte Bohrsession heute habe ich aber wieder eine lose Ahnung, wie sich womöglich Menschen fühlen könnten, die ihren Faltenwurf mit Botox ins gelähmte Nirvana jagen. Seltsames Gefühl mit schlaffen Mundwinkeln und kribbelndem Taubheitsgefühl. Botox kommt mir trotzdem nicht in die Tüte. Genausowenig wie grüner Edding in den Mund. Beides dürfte meiner nachhilfebedürftigen Zunge nicht schmecken.
Ich schnürte die Angst allerdings fix in doppelseitigem Teppichklebeband ein, sperrte sie in den Nebenraum der Garage und machte mich auf zum Zahnarzt. Und siehe da: Schon zum zweiten Mal dachte meine Zunge, an genau der Stelle einen wahren Krater entdeckt zu haben und schon zum zweiten Mal runzelt meine Zahnärztin ungläubig die Stirn und weiß nicht, wo dieses Loch sein soll, findet keins. Stattdessen war aber an anderer Stelle zum ersten Mal seit Jahren etwas Wegbohrenswertes. Ein kleines Löchlein im unteren linken Eckzahn. Das wiederum hatte meine Zunge geflissentlich ignoriert oder gar nicht erst entdeckt.
Ich habe schon die aktuelle VHS-Broschüre gewälzt, aber allem Anschein nach gibt es keine ausgeschriebenen Labiodentalanalytischen Fortbildungskurse. Ich schätze meine Zunge hätte dennoch Nachhilfe nötig. Ist doch Quatsch, wenn man dank Zungenalarm sich selbst wegen Nichtlöchern vogelig macht, aber die Zunge dann wieder die kleinen, real existierenden Baustellen von Karius und Baktus einfach übersieht.
Nachdem ich nun aber seit zig Jahren keine Löcher mehr hatte, war ich überrascht, dass Füllungen inzwischen aus Kunststoff bestehen und mit irgendwelchem Licht gehärtet werden. Die MC-Escher-Endlosbilder bleiben Verblüffend, das Fortschreiten der Technik. Des Weiteren war ich überrascht, dass an der Stelle der Bohrer- und Hilfsgerätekonsole, an der noch vor einem halben Jahr, bei meinem letzten Besuch, das Ultraschallgerät steckte, nun ein grüner Edding in den Spalt gestopft war. Welche Zahnerkrankungen sich am präzisesten mit grünem Edding wegmalen lassen, bleibt vorerst rätselhaft. Vielleicht ist das aber auch Teil der professionellen Zahnreinigung, ein Mittel zur Markierung kranker Zähne oder Hilfsmittel für die Grünfärbung der Zähne von Patienten mit Wünschen nach ausgefallener Zahn-Optik. Noch befindet sich die Wahrheit im blickdichten Nebel der allgemeinen Ahnungslosigkeit.
Nach der kleinen örtlichen Betäubung für die lütte Bohrsession heute habe ich aber wieder eine lose Ahnung, wie sich womöglich Menschen fühlen könnten, die ihren Faltenwurf mit Botox ins gelähmte Nirvana jagen. Seltsames Gefühl mit schlaffen Mundwinkeln und kribbelndem Taubheitsgefühl. Botox kommt mir trotzdem nicht in die Tüte. Genausowenig wie grüner Edding in den Mund. Beides dürfte meiner nachhilfebedürftigen Zunge nicht schmecken.