Mittwoch, August 31, 2005

For Mr. Burns


Wer zu spät kommt, den bestrafen die Worte Gorbatschows. Und da ich gestern nicht in der Lage war, ins Netz zu kommen, konnte ich nicht gratulieren. Da in Absurdistan - ähnlich wie in Alices Wunderland - der Nichtgeburtstag aber eh viel höher gehandelt wird, schneide ich Dir eine halbe Tasse Tee ab, zünde die Konfettikanone und schenke Dir eine kostenlose Marmeladen-Butter-Reparatur, falls Du eine kaputte Taschenuhr hast. :) Herzlichen Glückwunsch nachträglich, Burnie, alles erdenklich Wünschenswerte und alles Gute zum Nicht(mehr)geburtstag! Und bevor oich's vergesse, auch Dir, Helge, alles Gute und lecker Tee zum Fuffzichsten!

und jetzt alle:

A very merry unbirthday
To me
To who?
To me
Oh, you

A very merry unbirthday
To you
Who, me?
To you
Oh, me

Let's all congrulate us with another cup of tea
A very merry unbirthday to you

Now statistics prove
Prove that you've one birthday
Imagine just one birthday every year
Ah, but there are 364 unbirthdays
Preciselywhy we're gathered here to cheer

A very merry unbirthday
To me?
To you
A very merry unbirthday
For me?
For you
Now blow the candle out, my dear
And make your wish come true
A very merry unbirthday to youuuuuuu....

Montag, August 29, 2005

Eyala freia fresena


Bis zum heutigen Nachmittag wusste ich nicht einmal, dass es ein Friesisches Manifest gibt. Während ich nun vorhin draußen in der Sonne saß und in der Zeitung blätterte, entdeckte ich, dass es gestern sogar schon 50-jähriges Jubiläum gefeiert hat und mit Tschingerassabumm, Geböller und allem möglichen Brimborium an der friesisch-heiligen Kultstätte des Upstalsbooms zünftig bejubelt wurde. Ich gratuliere.

Man spricht deutsh

Ich staunte, als ich las. Eine über sechzig Jahre alte Österreicherin wollte sich in Deutschland einbürgern lassen, musste dafür aber einen Deutschtest über sich ergehen lassen, in dem sie beweisen musste, dass sie des Deutschen überhaupt mächtig ist. Bei einem persönlichen Gespräch habe sich die Sachbearbeiterin zunächst nicht von den Sprachkenntnissen überzeugen lassen. Die Österreicherin hatte bereits ihre Ausbildung in Deutschland absolviert, arbeitet seit neun Jahren in Stuttgart und leitet Literaturkreise: auf deutsch.

Sonntag, August 28, 2005

Schrecken infolge der optischen Annäherung an Karl

Erschaudern und Neugier umtanzten einander in einem trubeligen Ringelreigen und sangen ein schräges Duett, als ich in den Spiegel blickte und feststellen musste, dass sich über Nacht eine sehr teilweise Ähnlichkeit zu Karl Dall bei mir Bahn gebrochen hatte. Eine Halbglatze, die umrandet ist von grauem, fusselig herunterbaumelndem Haarkleid findet sich nicht auf meinem Kopf. Ich habe mir auch keinen Bart stehen lassen, und meine Mundwinkel sind nach wie vor weitestgehend eben, sind nicht schief verbogen oder fallen schlaff zu einer Seite herunter. Doch haben sich durch die Prellung an der linken Stirn, rund um die klebrigen Krusten der einstigen Platzwunden, weiche, elastische Wölbungen gebildet, deren Ausdehnung mein linkes Augenlid ein Stück weit runterzudrückt, sodass es ein wenig hängt. Selten in meinem Leben habe ich es geschafft, selbst stocknüchtern einen so überraschend grenzdebilen Blick aufzusetzen. Ich erstaune mich selbst.

Samstag, August 27, 2005

Cata's trophy

Murphys Gesetzeshüter schleichen durch Ostfriesland. Verstecken sich in stacheligem Gebüsch, lugen zwischen Astwipfeln in Birkenkronen heraus, liegen in schlammigen Schlooten auf der Launer, bohren sich Löcher in Blumenkübel, um darin verbuddelt die Straße im Blick zu haben. Gestern ganz oben auf ihrer Fahndungsliste: ich. Schon länger bin ich mit den eifrigen Katastropheninitiatoren per Sie. In letzter Zeit war aber eigentlich Ruhe, ehe es gestern wieder hieß: Was schief gehen kann, geht schief und zwar mit Leidenschaft. Von der dringenden Notwendigkeit der Existenz des gestrigen Tages bin ich noch heute, nach mehrmaligem Nachvollziehen nicht dringend überzeugt.

Es begann damit, dass ich nach dem Abschiedsfrühstück mit meinen Eltern noch eine frische Kanne Kaffee kochte. Bei der Platzierung der Glaskanne unter den Tröpfelnupsi der Maschine ließ ich verblüffende Präzision walten, so dass der komplette Kaffe vorbeischwabberte, während ich mich im Bad frisch machte. Merke: Die Kanne immer vollständig hineinstellen und nicht nur halb.

Dann purzelte beim Durchwühlen meines Rucksacks die Erkenntnis heraus, dass a) mein teures Parfum verschwunden ist, das ich am Wochenende zuvor noch darin verbuddelt hatte und ich b) auch ein wichtiges Buch zum Schrieben meiner Hausarbeit beim Einpacktrubel in Münster vergessen habe.

Nun gut. Such is life. Gegen Abend war dann geplant, bei Miele, einem alten Zivikumpel, ein wenig vorzutrinken, um im Anschluss in Richtung Limit aufzubrechen, meine altgedienten Stammdisco aus Teeniezeiten, und da rockend das Wochenende einzuläuten. Das Rennrad frisch aufgepumpt, losgesaust, nach ca. 1,5 km zischt es, schlabbert, ich steige ab. Zack. Platten. Nun gut. Fußmarsch zurück gen Heimat, um ein anderes Rad zu holen.

Die zweite Tour kam nichtmal auf diese Strecke. Ich habe Ikarus nie für ein Vorbild gehalten, der Traum meiner Menschheit war es nie, zu fliegen, aber mit einer beklatschenswerten Bewegungskombination brachte ich es fertig, während ich dabei war, fahrenderweise meine Jacke zuzuknöpfen, mit beiden Füßen gleichzeitig dank glitschiger Schuhsohlen von den Pedalen abzurutschen, den Lenker nicht mehr richtig zu packen zu bekommen, mit dem linken Bein die Pedale zu blockieren und dann in hohem Bogen über den Lenker zu fliegen, ehe ich mit der linken Stirn, über den schrubbeligen Asphalt schubbernd, meinen Flug bremste. Die Klingel: abgebrochen. Die Brille: abgeflogen, verbogen und verschrammt. Ellenbogen: aufgeschlagen. Oberschenkel: geprellt. Stirn: Ein reißender, dunkelroter Sturzbach. Während ich mich selbst und meine Siebensachen noch sammelte, liefen zwei Jogger an mir vorbei, zischelten aber nur abschätzig statt zu fragen, ob sie helfen könnten. Danach begenete mir eine Spazieren gehende Frau, der ich mit meinen erschreckend verunstaltenden Blutmäandern in der Visage begegnete. Tropfend, fluchend, verschmiert. Sie aber fragte auch nicht, ob sie helfen könne, sondern fauchte nur: "Geschieht Euch recht, dauerbesoffenes Asylantenpack, Ihr!" Meine Faust zuckte, mein mundwerk platze fast vor Empörung und doch besann ich mich, dass es in dieser Situation Wichtigeres gab, als sich mit einer stumpfbirnigen Dauerwellenkugel auf dem "Ostfriesland Wanderweg" über ihre verblüffenden Einschätzungen zu zanken.

Den halben Abend verbrachte ich nun im Kreiskrankenhaus in Leer, wo die Wunden geklebt wurden, desinifiziert, Tetanus aufgefrischt und ich ansonsten dreizehn Kreuzworträtsel gelöst habe, während ich auf den Brief für den Hausarzt wartete. Die bisherigen Geschehnisse ließen den Kampfgeist in mir aufbegehren - trotz allem war ich noch in Mieles Hütte und dem Limit. Ein wenig rocken, wenngleich der Herr vorsichtig sein musste mit seinem Kopf, um sich die blutigen Klebstoffkrusten nicht anstoßen zu lassen und neue Blutrinnsale zu riskieren. Lustig war's trotzdem. Dass der Heimweg vom Leeranerbahnhof nach Hause zu Fuß in sintflutartigen Regengüssen endete, war am Ende dann schon beinahe erwartbar. Wie angenehm ruhig sich der heutige Tag demgegenüber doch ausnimmt. Scheinbar müssen sich auch Murphys Gesetzeshüter nach dem anstrengenden gestrigen Tag erstmal erholen.
Des Weiteren habe ich mal wieder festgestellt: In Zeichentrickserien gibt es überproportional viele Flüsse, in die mindestens einer reinplatscht. Diese steurn dann nahezu immer auf einen Wasserfall zu, den die gezeichneten Trickhelden dann hinunterstürzen. Ernsthafte Blessuren trägt keine der bunten Figuren davon. All zu vielen Wasserfällen bin ich in meinem Leben noch nicht begegnet. Aber ich bin auch noch nicht unfreiwillig in allzu viele Flüsse gefallen.
Beim Herumschalten durch die Fernsehkanäle habe ich gestern auch kurz bei der Übertragung von den Springreiterwettkämpfen in Aachen halt gemacht. Da habe ich gelernt, dass das Pferd von Meredith Michaels-Beerbaum, wie auch immer es heißen mag, ein sehr impulsives und originelles Pferd ist. Jetzt frage ich mich: Was ist ein originelles Pferd?

Way home

Wolken in verwaschenem Grau hängen am Himmel wie zu heiß und lang gewaschene Filzmäntel. Gleich einem Schiffsbug, der die Wellen teilt, schiebt sich der Emslandexpress unbeirrbar vorwärts durch die nasse Kälte. Schnödes Einrollen in Bahnhöfe, Türen klappen auf, kurzzeitige Abteilnachbarn steigen aus, neue steigen ein, machen sich breit, winkeln ihre Ellenbogen auf den Sitzlehnen an, schieben ihre Beine zwischen Bank und Mülleimer, rascheln mit Taschen, ziehen den Reißverschluss ihrer grellbunten Regenjacken ein Stück weit auf. Die Türen schlagen wieder zu, der Zug rollt langsam an, dem nächsten Halt entgegen, nimmt wieder Fahrt auf, wühlt sich durch die graue Einöde. Die Zugfahrt als Fernsehserie.

Das Abteil ist kaum gefüllt, fast jedem Fahrgast bleibt eine Viererbank für sich. Er sitzt am Fenster, neigt den Kopf gegen die türkisgraue Wandverkleidung und starrt gedankenverloren in die durch feuchten Nebel weichgezeichnete Landschaft, die vorbeizischt und sich unter den Blicken, verzerrt, dehnt und auflöst.

Gedanken schwappen ihm durch den Kopf, formen sich zu Wellen, branden, brechen in sich zusammen, ziehen sich zurück und formieren sich erneut, um mit neuem Schwung an ähnlicher Stelle niederzuklatschen. Zerstreut zieht er ein Buch aus seinem angegrabbelten, dunklen Rucksack, schlägt es auf, zieht einen Kuli aus der Vordertasche und beginnt zu lesen. Alle paar Minuten greift er seinen Stift und kritzelt unleserliche Zeichen an den Zeilenrand. Was sie bedeuten sollen, bleibt sein Geheimnis.

Er hat seine beigefarbenen Schuhe ausgezogen, um es sich bequemer zu machen und seine Füße auf das gegenüberliegende Polster legen zu können, ohne harsche Worte mit den Schaffnern auszufechten. Die Zugbremsen kreischen. Metall reibt auf Metall. Liebe Fahrgäste in Kürze erreichen wir. Diesmal ist es Lingen. „Stadt der Kivelinge“ ist in großen Lettern an eine weißgetünchte Wellblechhalle gepinselt. Beinahe jedes Mal hat er den Schriftzug an sich vorbeigleiten sehen. Viele Dutzend Mal. Zum ersten Mal erst fragt er sich nun aber, wer oder was die Kivelinge sind. Er schiebt die Frage in die Schublade zurück, der sie entsprungen war. Momentan kann er sie nicht beantworten. Wozu sich also weiter den Kopf zerbrechen?

Es zischt. Schräg vor ihm öffnet sich die automatische Durchgangstür. Und, oh Wunder, hereingehumpelt kommt in braunem Tuch, das wie ein Kartoffelsack schlapp an ihr herunterhängt, die schrumpelnasige alte Vettel, vor der es ihn tags zuvor noch in der Wahlheimatstadt ein wenig gegruselt hatte. Völlig stoisch hatte sie an der Bushaltestelle gestanden und mit ihrem Gebiss gespielt. Die ausgeleierten Hautlappen rund um die spröden Lippen hatte sie auseinander geklappt und vorgezogen wie eine Schublade, in der man etwas sucht. Einzeln hatte sie die Gebisshälften vorgezogen, zurückgeschoben, hin- und hergedreht als seien sie Holzbausteine eines asiatischen Geduldsspiels. Haftcreme schien ihre Tasse Tee nicht gewesen zu sein. Heute humpelt sie nur schwerfällig an ihm vorbei in Richtung Ausstieg. Ihre Mundwinkel bleiben völlig unbewegt, geblieben ist nur ihr dunkel funkelnder Blick. Unheimlich. Ihre knorrigen Hände stützen sich auf einen krummen Holzgehstock, der dröge raschelt bei jedem Aufsetzen, weil sich matschige Blätter unten daran festgeklebt haben.

Der Bahnhof ist erreicht. Die Türen klappen wieder auf und wieder zu.
Eine Frau mit aschblondem Lockenpony und ausgeleierter Cordhose betritt das Abteil. Ist hier noch Platz? Ja. Danke. Er zieht abrupt seine Füße vom Polster, gibt den Platz auf ihrer Bank frei. Sie stellt neben sich eine ockerfarbene, ornamentierte Ledertasche, auf der schwarze Elefanten ihre Rüssel verknoten und Blumen hochhalten. Neben sich legt sie eine riesige Knäckebrotpackung, groß und rund wie ein ganzer Apfelkuchen. Sie telefoniert. Britta heißt sie, möchte um 12:45h abgeholt werden. In Aschendorf. Langsam wie der Altweibersommer in den Herbst übergeht, blickt er zu ihr herüber. Irgendwo zwischen Blicken und Sehen ziehen seine Augen sich zurück, zögern, bleiben in der Schwebe. An einem festen Punkt in Raum und Zeit spürt er, dass sich die Anstrengung eines Blickes nicht lohnt. Er sieht sie nicht, weil es da für ihn nicht viel zu sehen gibt. Sie liest Platon. Phaidros-Dialoge. Er zieht seine Augen von ihr zurück, pendelt mit dem Blick abwechselnd zwischen den Zeilen seines Buches und der fliehenden Landschaft vor dem Fenstern.

Dann meldet sich der Morgenkaffee und bittet immer dringender um Auslass. Er schlurft widerwillig in Richtung Waggontoilette. Tür auf. Oh, Schüsselübergelaufen, mit Klopapier verstopft, nein danke. Tür zu. Nächster Waggon. Immerhin nicht verstopft. Aber auch das hier ist ein abartiger Abort. Beißender, mieser Mief von abgestandenem Kippenqualm und alter Pisse, die ihr eigentliches Ziel nie erreicht hatte, schwallt ihm entgegen und schneidet sich in die Nasenwände. Kackplacken kleben innen an der blechernen Kloschüssel. So dringend muss er dann doch nicht. Es ist ja auch nicht mehr weit. Als er zurückkommt, sind Knäckebrot und Platonbritta kurz vor dem Aussteigen. Er wendet sich wieder seinem Buch zu. Nur noch wenige Bäume sausen am Blick aus den Augenwinkeln vorbei. Unendliche, flache Weiten. Die Heimat naht. Horizont so weit das Auge reicht. Zwanzig Seiten schafft er noch, bis er im Heimatbahnhof angekommen ist.

Labels:

Donnerstag, August 25, 2005

Du magst die Qualle nicht und den Wal nicht und die Qual der Wahl schon gar nicht

Luftwechsel. In Kürze werde ich schwerstbeladen mit meiner sarggroßen Reisetasche in den Bus klettern, um ab Bahnhof mit dem Emsland-Express die Fahrt anzutreten in die endlos scheinenden Riesenwiesenweiten Ostfrieslands. Ein paar Tage aus dem trubeligen Studentennest verschwinden und den lieben Gott sein lassen, wer er sein möchte. Nicht zuletzt, weil Katzen gerne hungrig sind, und ich gebeten worden bin, Fidi, unseren Kater für einige Zeit zu füttern, während meine Eltern im Urlaub sind. Endlich bietet sich so mal wieder etwas mehr Gelegenheit, mein Drumset mit energieberstendem Schwung zum Grooven zu bringen und die Finger über die Tasten meines Klaviers sausen zu lassen. Meiner absurdistanischen Chronistenaufgabe werde ich mich auch von da aus widmen. In welcher Frequenz? Das liegt noch im blickdichten Nebel der Zukunft, die Chancen stehen aber nicht schlecht. Bevor ich das zentnerschwere Gepäck schultere, gibt's aber noch was auf die Ohren.

Die Fahrt ins Grüne vom famosen "Zuckerkick"-Album von Samba ist mein themenbezogener Tipp des Tages.
Wenn es gegen Mittag geht, sind die Schatten nur noch die scharfen, schwarzen Ränder am Fuß der Dinge und in Bereitschaft, lautlos, unversehens, in ihren Bau, in ihr Geheimnis sich zurückzuziehen.

Mittwoch, August 24, 2005

Könnten sich alle, die davon träumen, ein kleines Anwesen mit Loggia und angrenzendem Pinienhain in den sanften Hügellandschaften der Toskana zu besitzen, den Traum erfüllen, wäre die Gegend wahrscheinlich dichter besiedelt als Hongkong.

Vinylbeton

Der geplante Beatles-Platz auf der Hamburger Reeperbahn soll die Form einer Schallplatte bekommen. Unbekannt ist, ob und in welcher Geschwindigkeit er sich auch drehen soll.
Er griff in die zitternden Weinranken mit seinen knorrigen Fingern, wie eine Adlerklaue in ein Nest voll flauschig flaumbehaarter Küken, in einen Korb aufgeregter Zappelenten oder Gänsegelbschnäbel fährt, und die Blätter zischelten und schnatterten, als wollten sie "Achtung!" und "Einbrecher!" rufen, Doch er knackte das Fenster, stieg in das Schlafzimmer des Gutsbesitzers und erbrach in den Kleiderschrank.

Dienstag, August 23, 2005

Mohnblumen im Oktober zum Dank an Opa

Nicht einmal die Sonnenwolken kommen mit solchen Röcken zurecht.
Auch die Frau im Rettungsauto nicht,
Deren rotes Herz so erstaunlich durch ihren Mantel blüht -

Ein Geschenk, ein Liebesgeschenk
Schrecklich unaufgefordert
Von einem Himmel

Der blass und flammend
Seine Kohlenstoffmonoxide in Brand steckt, von Augen
Zum Starren ermattet unter Melonenhüten.

Oh mein Gott, was bin ich
Dass diese späten Münder offen schreien sollen
In einem Forst von Frost, in einem Morgengrau von Kornblumen.

(Sylvia Plath)
Es ist ein Unterschied, ob man eine schwarze Schachfigur in eine Teetasse oder ein Bierglas wirft.

Montag, August 22, 2005

Schwächer als verlassen und verlassend

Meine Stadt, sie atmet - wenngleich nur noch flach, das stimmt - durch leere Flächen abgerissener Häuser wie durch Zahnlücken. Die Bürgersteige glitzern vor zerbrochenem Glas und sehen mir zu, wie ich in Gedanken an Dich schwelge. Ich bin zurück mit Narben, die ich zeigen kann, zurück auf den Straßen, von denen ich weiß, dass sie mich nirgendwoanders als hierhin bringen werden. Der Fleck im Teppich, dies Getränk in meiner Hand, die Fremden, deren Gesichter mir trotzdem doch so bekannt sind. Wir treffen uns hier für unsere Kostümprobe, um zu sagen: "Ich wollte es so". Warte darauf, dass das Jahr ertrinkt, spring vorwärts, fall hintenüber, der Frühling scheint vor uns, der Herbst liegt zurück. Ich versuche, nicht daran zu denken, wo Du gerade sein könntest.

Die gesamte Zeit gerade schlendert in unbekannte Richtungen. Irgendwer mag entscheiden, wer verlassen wird und wer verlässt. Erinnerungen werden beginnen zu rosten und zerfressen in Listen von allem, das ich von Dir bekommen habe. Eine Decke, einige Streichhölzer, den Schmerz in meiner Brust, die besten Teile der Einsamkeit. Klebeband und verlötete Drähte, neue Wörter für alte Sehnsüchte, alle Geburtstagskarten flogen in den Papierkorb. Ich warte im Viervierteltakt, zähle gelbe Mittelstreifen auf der Straße, auf die Du Dich verlässt, damit sie Dich nach Hause führen.

(frei übersetzt nach: Weakerthans - "Left and leaving")

Even Plüschsheep can get the blues.

Sonntag, August 21, 2005

Überraschend kann es sein, lange vergessenem Wissen urplötzlich wieder zu begegnen. Aus (ungeklärten) Gründen fiel mir heute wieder ein: Geparden haben kein Schlüsselbein. Praktisch habe ich dieses Wissen bislang allerdings noch nicht anwenden können.
peng.

Freitag, August 19, 2005

Plattdüütske Spreekworden (IV)

Bisher von der Wissenschaft schmählich missachtet, ist festzuhalten, dass Surrealismus und Dadaismus sich schon früh gerade in ostfriesischen "Schnacks" ein heimeliges Zuhause gesucht haben. Leider wirkt es geschrieben nur halb so gut.

"Watt'n Weer weer, Sünn schient dör de döör dör, Wind weiht över de Wech wech, un' wenn ick't neeit mit Hart harrt harr un'n Rad harrt harr un' tied harrt harr, dann weer'ck vannaarmmidag bi Di up Visiet komen."

(Was für ein Wetter wieder, die Sonne scheint durch die Tür (durch), der Wind weht über den Weg hinweg, und wenn ich's nicht mit dem Herzen gehabt hätte und ein Rad gehabt hätte und Zeit gehabt hätte, wäre ich heute nachmittag bei Dir zu Besuch gekommen.)

Labels:

Donnerstag, August 18, 2005

Der ganz besondere, heiße Draht zum knusprigen Brot

Ich gebe zu, ich mag es, wenn ich frühmorgens den schwarzen Knauf am mattglänzenden Metallkasten durch den kleinen Spalt herunterziehe, es zu sirren beginnt, die Drähte aufglühen und meine Scheibe Brot oder mein Brötchen mit glühender Hitze bestrahlen, auf dass es kurz danach knusprig kross krümelt und kracht. Ich mag mein Brot getoastet. Nicht verkohlt, nicht steinhart, aber mit knackigem Biss, al dente quasi. Ich mag es heiß. Ich mag, wenn die Butter sich sanft schmelzend auf die obere Brotknusperschicht legt, ehe ich mit kräftigem Schwung etwas Marmelade oder Honig draufschmiere.

Toaster hatte ich schon mehrere in meinem Leben. Macken und Eigenarten krabbelten bei allen irgendwann aus den Röstschlitzen, egal ob die Geräte nun mit weißem Plastik ummantelt waren, den Griff vorne oder an der Seite hatten oder auf altamerikanisch getrimmt waren in gebürstetem Blech. Jeder wollte irgendwann mal nicht mehr recht einhaken, und doch habe ich sie irgendwie gezähmt bekommen. Innige Beziehungen zu Toaster hatte ich trotzdem nie. Es gibt aber Menschen, denen die Stirn vor Begeisterung zu glühen beginnt wie ein Hitzdraht, wenn die Diskussion auf Toaster kommt.

Einer dieser Toastermaniacs hat nun auch ein virtuelles Toastermuseum gegründet, das ich heute entdeckt habe. Ich habe gestaunt, was für absurde und verblüffende Konstruktionen es gibt und wie unglaublich viel Geld manche Menschen von ihren Konten schaufeln, nur um mit einem ganz besonders exklusiven Kasten ihre Weißbrotscheiben zu bräunen. Der Toaster als repräsentatives Accessoire ist bisher noch weit entfernt, aber vielleicht kommt die große Zeit der ganz besonderen Toaster ja noch. Bis dahin kann jeder schonmal einen Blick ins Museum werfen und für sich schauen, inwiefern er in heller Begeisterung entbrennt, wenn er diese Toaster sieht.

Ein echter Cowboy hängt seine Kochtöpfe an die Wand, dreht ihnen aber den Rücken zu.

Mittwoch, August 17, 2005

Wetter, Wetter, Wetter...

Ein rascher Dankesgruß an die drei Hexen. Der gestrige Zaubertrank hat Wunder gewirkt. Heute ist wieder grandiosfamoses Wetter. Der Himmel ist lasurblau, die Sonne lässt ihre Strahlen tanzen, jede Art von Jacken kann am Haken hängen bleiben. Das Rezept sollte man sich vielleicht merken.

Mit zackigem Flügelschlag zum falschen Taubenschlag

In Zeiten von X-Box, Flugzeugbrillenfroschklingeltönen, GPS-Systemen und elektrischen Dosenöffnern zunehmend mit breitklingigem Messer untergebuttert worden sind Brieftauben, die flatternden Rennpferde des armen Mannes. In der öffentlichen Diskussion tauchen die taubengrauen Postboten kaum noch auf. Ich prangere das nicht an, Brieftauben sind mir nicht besonders wichtig. Aber bei dampfendem Kaffee und Mohnbrötchen habe ich mir heute morgen überraschend die Frage gestellt: Können Brieftauben lesen?

Denn: Eine norwegische Brieftaube hat auf mysteriöse Weise die richtige Straße gefunden. Unpraktischerweise ist sie nur in die falsche Stadt im falschen Land geflogen. Aber: Der Straßenname stimmte. Wie Värmlands Folkblad berichtete, fand der schwedische Taubenzüchter Gösta Schützer den kleinen, geflügelten Postboten direkt vor dem Taubenschlag neben seiner Garage in Forshaga bei Karlstad.

Der am Tången-Weg wohnende Schützer wurde neugierig und fand heraus, dass die Brieftaube von einem Züchtertreffen in Norwegen tatsächlich zu einem Tangen-Weg fliegen sollte. Aber eben nicht im schwedischen Karlstad, sondern in einem kleinen norwegischen Winzkaff unweit von Oslo. Da steht ihr heimatlicher Taubenschlag und das Haus ihres Besitzer Colin Allman. Der norwegische Besitzer des Vogels ist sich aber beinahe sicher, dass seine Brieftaube nicht lesen kann, und fügte hinzu: "Sonst hätte sie wohl auch die unterschiedliche Schreibweise von Tången-Weg und Tangen-Weg bemerkt."

Dienstag, August 16, 2005

Hurlyburly am Dienstagmittag

Himmelabwärts uns entgegen – Donner, Blitz und endlos Regen.
Wohin auch das Auge schaut: wolkenvoll! Die Welt ergraut.
Schweine quieken, Raben krächzen, weil auch sie nach Sommer lechzen,
doch von oben kippt es stur Wasser über Feld und Flur.

Hekate, Du Höllenfürstin! Badezusatz, Wurzelbürsten -
eile rasch und geh sie holen – Sommerzeit wird uns gestohlen.
Kommt und lasst den Kessel beben, unter Sonne wolln wir leben.
Lasst uns rasch ein Mittel brauen, blaue Himmel wolln wir schauen.

Sorgt für Feuer! Schürt die Glut! Gießt zwei Liter Otterblut
und drei Unzen Rattenknochen in den Kessel! Lasst es kochen.
Dazu zwei Pfund Krötennieren, um die Kesselwand zu schmieren,
Eingeweide von zwei Möwen, Krallen von vier Dutzend Löwen,
Frettchenschnauzen kleingesäbelt, luftgetrocknet und gerebelt
Gebt zu je zwei Löffeln drein, doch nur bei Nacht im Kerzenschein!

Schaut im Zauberbuch das Bild, wie es brodelnd schäumt und quillt.
Lasst die Gischt gen Himmel spritzen, lasst es gurgeln, brodeln, blitzen,
auf dass unser Zaubertrank mit infernalischem Gestank,
mit riesen Wucht und aller Macht den Wolkenturm vom Himmel kracht!

Fortan, fortan, wir wollen schwitzen, ölend in der Sonne sitzen,
mit Sonnencrème an Nas’ und Händen, Haut verkohlt von Sonnenbränden,
schweißgetränkt von dannen fließen – Sommer wollen wir genießen.

Montag, August 15, 2005

A whiter shade of pale...


Urplötzlich sagte die Gesichtsdurchblutung hektisch "adé" und floh mit fliegenden Fahnen. Schreck lass nach, Du bist umzingelt! Wie ich jetzt weiß, gehört es zu den erschreckenden Momenten des Lebens, plötzlich auf einer Internethomepage zu landen, auf der sich ein Video öffnet, in dem Frédéric Meisner bei Glücksrad mit einer Frau in schweinchenfarbenem Top zu "Shaggy" die Hüften schwingt.

Ohrwürmer, mit denen ich nicht gerechnet hätte... (I)

Durch den strömenden Regen schlurfend, begann ich plötzlich unentwegt "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern... keine Angst, keine Angst, Ros'marie!" zu summen. Da ich kein Seemann bin, hat mich die spontane Titelwahl meiner hirninternen Jukebox fast ein wenig erschüttert.

Eingeklemmt

Die Neonröhren flackern nervös und sirren wie ein Schwarm verirrter Hummeln. Sie sind müde. Wahrscheinlich zuckt ihr Licht schon seit Jahrzehnten durch den düsteren Keller der sozialwissenschaftlichen Bibliothek. Das erste Mal in meinem Leben trete ich nun heute in ihren unruhigen Schein, auf der Suche nach einem Buch, dass es offiziell gibt, das inoffiziell aber unauffindbar ist. Vielleicht steht es hier ja doch. Zum ersten Mal stehe ich vor mobilen Regalen mit riesigen Dreiarmkurbeln, mittels derer man die eng gestaffelten Buchschluchten hin und her wuchten kann. Ich kurble mir den Weg frei, suche und finde sogar das erhoffte Buch, und plötzlich kurbelt jemand anders, und ich fühle mich wie im Kino, wenn in Hollywoodstreifen Wände aufeinander zu kommen, oder die Müllpresse langsam ihren Inhalt zusammenschiebt. Dank bäriger Kräfte schiebe ich die angekurbelten Regale zurück, aber mein Kontrahent kurbelt dagegen an. Wieder drücke ich dagegen, verbreitere den schmalen Spalt, der zur Flucht blieb, und entkomme. Frei flottierende Bücherregale haben ihren sehr eigenen, fast grusligen Charme.

Samstag, August 13, 2005

Manchmal treibt das Kommen und Gehen auf der Welt interessante Blüten. Etwas stirbt, etwas anderes erwacht zum Leben. Altes vergeht, Neues kommt. Am 12. August 1955 verschied Thomas Mann. Und noch am gleichen Tag kam Heintje zur Welt.

Oper in Bülows knackigen Happen. Heute: Richard Wagners Tannhäuser

Es geht da um einen Berufssänger namens Heinrich aus dem anderen Teil Deutschlands, der sich davongemacht hatte, um sich anderweitig zügellosem Wohlleben hinzugeben, während Elisabeth, die Dame seines Herzens, jenseits der Grenze in Eisenach verblieben war.

Unverhofft erfährt sie von seiner Absicht, heimzukehren, um anlässlich des Minnesängerabends in Eisenach aufzutreten. Voller Vorfreude eilt Elisabeth in die Halle, in der sie den Geliebten so oft hat singen hören. Sie hängt so ihren Gedanken nach, wobei ihr auch die überhöhten Baukosten des Kulturzentrums in den Sinn kommen: "Dich, teure Halle, grüß ich wieder."

Möhööbeuheubeumöhöö

Seht das dicke Huhn auf dem Dach! Ist es nicht (ein wenig) wie der Wind in den Weiden?

Freitag, August 12, 2005

Ich bin nicht aus Zucker, nicht wasserlöslich und der Witterung gegenüber vergleichsweise unempflindlich. Trotzdem komme ich in letzter Zeit zu der Überzeugung, dass es durchaus schon unsinnigere Erfindungen gegeben hat als den Regenschirm. Vielleicht kaufe ich mir bald auch mal einen. Wär mal was Neues. Wenngleich nicht unbedingt Politikerkarikaturen drauf sein müssen. Und wenn ich einen habe, fehlt eigentlich nur noch die Melone.

Plattdüütske Spreekworden (III)

"All bott helpt watt", sää de Mügg un' miegt in't Meer.

("Jedes bisschen Platz hilft", sagte die Mücke und pinkelte ins Meer.)

Labels:

Donnerstag, August 11, 2005

Auf dem Grabfeld der Dörfer


Es war Mitte Oktober, und doch war das Thermometer schon in bitterkalte Kellerregionen weit unter Null Grad gestürzt. Die Türhydraulik des asbachuralten Busses hatte sich kältefrei genommen. Eisblumen waren an die Scheiben geklettert. Auch der Motor fror. Zunächst so sehr, dass er sich weigerte, überhaupt seinen Dienst aufzunehmen. Nach langem, zärtlichem Zureden ließ er sich irgendwann doch erweichen, aber er zitterte, grollte, knurrte und stotterte ob der Kälte und stieß in unregelmäßigen Abständen rabenschwarze Rußwolken aus, die den Verkehr hinter uns immer wieder in finstre Nacht tauchten - wenn auch nur für wenige Sekunden.

Wir ruckelten stadtauswärts. Vorbei am Museum des Vaterländischen Krieges mit seinen verrosteten Panzern und Jagdbombern im Innenhof, durch den riesigen Kreisel am Platz des Sieges mit der ewigen Flamme in der Mitte und seinen quietschgelben, neobarocken Rundfassaden, am Traktorenwerk entlang, über die riesigen Prospekte, flankiert von verrotteten Wohnsilos. Eine endlose Betonplattenpiste führte uns in die herbstgoldenen Birkenwälder außerhalb der Stadt. Fast drohten wir seekrank zu werden, so oft musste Pavel, der Busfahrer, den kratertiefen Schlaglöchern ausweichen, um einen Achsenbruch zu vermeiden. Alle paar Meter schlängelte sich ein kleiner Sandweg vom Betonprospekt ins Baumdickicht, führte zu den kleinen, abgelegenen Datschen der Stadtbewohner. Ein zerknitterter Alter mit wodkagegerbtem Faltengesicht ließ sich kriechend langsam von einem Esel auf seinem kleinen Gespann ziehen. Er lächelte zahnlos.

Nach einer guten Stunde zeigte uns ein kleines Schild rechterhand, dass wir dem Ziel nahe gekommen waren: ХАТЫНЬ. Chatyn. Die Gedenkstätte für den Völkermord im zweiten Weltkrieg - Symbol und Mahnmal für über 180 Dörfer, die von den Nazis auf grausame und immergleiche Weise vernichtet wurden: Die Dorfbewohner wurden mit Waffengewalt in eine große Scheune zusammengepfercht und eingesperrt. Die Scheune wurde verrammelt, dann kamen die Flammenwerfer und die Scheune wurde in Brand gesteckt, sodass alle Bewohner bis auf ganz wenige, die fliehen konnten, grausam und hilflos in den prasselnden Flammen verbrannten. Auf diese Weise suchten die Nazis ihr Ziel zu erreichen, 75% der weißrussischen Bevölkerung auszurotten, zu deportieren oder ermorden, und die anderen 25% in Arbeitslagern für Sklavendienste auszuschlachten.

Hellichter Tag war, die Oktobersonne sandte dunkelgoldene Strahlen durch die Kälte auf die riesige, wellige Waldlichtung. Und trotzdem zerknirschte jeden Knochen und durchsprudelte jede Pore des Körpers ein eisiges Unwohlsein. Wir wussten, die Sonne schien. Und doch war es, als sei sie hier seit vierzig Jahren nicht mehr aufgegangen.

Das ganze Areal schien überschleiert von erdrückender Dunkelheit, von Schrecken, Qual und Tod. Als wären die Geister der Verbrannten und Verbannten allgegenwärtig.

Die grausame Vergangenheit schien spürbar, greifbar. Nein! Die Vergangenheit grapschte nach uns! Mit dunklen Knochenhänden umschlang sie uns und hielt uns im Würgegriff. Das Schlucken fiel schwer. Wir waren erschüttert. Atemlos. Beklommen. Fast ängstlich.

Das riesige, dunkle Areal übersät mit grauen Betonstelen, die leblos in den Himmel ragten. Schornsteinen von Krematorien ähnelnd und zugleich Glockentürme. Jede Minute nur ein einziges Mal läutete je eine der über 180 von irgendwoher. Jede für sich stellvertretend für ein Dorf, das vernichtet wurde. Darunter vergraben: Ein kleines Häufchen verbrannter Erde aus dem Dorf. Unbeirrbar schallen die Totenglocken. Sonst herrscht Totenstille. Kaum jemand wagt zu sprechen. Die Worte verstummen, ersterben auf der Zunge. Viel zu grauenhaft ist dieser Ort.

Eine ewige Flamme züngelt eingequetscht in Betonquader. Überhaupt regieren graue Klötze und schwarzer Granit. Alles eckig. Nichts ist rund. Überall harte Kanten. Eine Skulptur ragt schwarz und riesenhaft auf, als sei sie verbrannt. Der Vater. Auf den versteinerten Armen hängt starr und schlaff zugleich sein totes Kind.

Zwischen den Stelen und kargen Birken hindurch schlich eine alte, schrumpelige Frau. Sie ging gebückt, komplett in schwarz gewandet. Ein dickes Tuch umschlang ihren Kopf. Nur ein paar Haare ragten unbewegt heraus. Hinter ihr trotten drei dreckige Schafe. Traurig starrten sie zu uns hinüber. Auch sie selbst wendet uns den Blick zu. Ihre Augen glitzerten und funketen angsteinflößend. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Sense.

Come in and find out

Es gibt ein neues Zelt auf dem Campingplatz des Wahnsinns. Ein seltsamer Haufen irrlichterner Querköpfe produziert sich ab heute in befremdlichen Gesprächsrunden und mit der Aussicht auf verwirrende zukünftige Gedankeneskapaden rechts hinten am Maschendrahtzaun unweit von Sanitärhäuschen II. Ein kleines Schild hängt über dem Eingangsreißverschluss. Darauf steht gekritzelt: Wir(r) Köpfe. Der Eintritt ist frei(willig), für mentale und gesundheitliche Schäden infolge des Besuchs wird nicht gehaftet.

Mittwoch, August 10, 2005

O moj bozha


Es gibt eine Menge Orte auf der Welt, an denen ich mich wohler gefühlt habe, als im Schatten der gigantischen Statue auf dem gespenstischen Gelände der Kriegsopfergedenkstätte in Chatyn, inmitten endloser Wälder, unweit von Minsk.

Wenn die salzige Seeluft glitschig wird

Es glitschte, es glupschte, und Alain Jourdén hat's mal wieder geschafft. Zum vierten Mal in Folge ist er Strandschneckenweitspuckweltmeister. Mit Sportsgeist, Speichel und Sprungkraft in der Zunge schleuderte er die gibberigen Weichtiere weiter als zehn Meter durch die Luft, ehe sie in den körnigen Sand der bretonischen Küste purzelten. Behauptungen, dass sich im Anschluss hunderte Badegäste beschwerten, weil Kinder den Großmeister nachäfften und die schlabbrigen Schnecken auf wildfremden, nackten Rücken landeten, stopft die Polizei allerdings in die Gerüchteküche.

Dienstag, August 09, 2005

Es ist egal, aber...

Mein Herz hat noch nie vor Begeisterung schneller geschlagen, wenn es um Dressurreiten ging.

Schlickern hinter Mamas Rücken

Im Spalt des kaum geöffneten Speiseschranks dringt seine Hand vor wie ein Liebender durch die Nacht. Ist sie dann in der Finsternis zu Hause, tastet sie nach Zucker oder Mandeln, nach Rosinen, Schokoriegeln oder Keksen. Und wie der Liebhaber, ehe er sie küsst, seine Geliebte sanft umarmt, so hat der Tastsinn mit den Leckereien ein Stelldichein, ehe die Süßigkeiten unter wachsamen Schulterblicken heimlich in den vorfreudig halboffenen Mund geschubst werden und sie am Gaumen zerschmelzen. Wie leidenschaftlich dies Begegnen von Hand, Mund und Köstlichkeit. Dankbar und wild, wie eine, die man aus dem Elternhause sich geraubt hat, gibt hier die Erdbeermarmelade ganz ohne Brötchen sich zu schmecken, und selbst die Butter erwidert mit Zärtlichkeit die Kühnheit eines Werbers, der in ihre Mägdekammer vorgestoßen ist. Die Hand, der jugendliche Don Juan, ist bald in alle Zellen, Gelasse, Tüten und Gläser vorgedrungen, hier Tropfen, da Krümel hinterlassend. Heimliches Schlickern mit inniger Wonne, verbotene Früchte, ihm schmecken sie wohl.
Wenn einer noch eine Dose Nescafé hat, sagen manche, ist seine Lage noch nicht völlig aussichtslos.

Montag, August 08, 2005

The animal inside me


Krawumms! Es wird Zeit, und ich ergreife die Chance, einem meiner größten Idole seit Kindesbeine zu huldigen. Mit Schmiss, Schmackes, Monstergroove und zotteligen Beats ließ es so ziemlich alle Anderen alt aussehen und ist die urkräftige Lichtgestalt hinter der Schießbude: Das Tier!

Das Bild habe ich mir hier entliehen.

Wenn der Fachmann falsch tankt

Ausgerechnet der russische Öl-Multimilliardär Roman Abramowitsch hat seine Yacht versehentlich mit Benzin statt Diesel betanken lassen. Jetzt ist der Motor fritte, und es müssen zehn Millionen Euro für einen neuen her.

Sonntag, August 07, 2005

KFU türkis im Rinnstein

Leiser Regen segelt vom Himmel, als ich durch das Kreuzviertel schlurfe und vergnügt die Titelmelodie von Wallace und Gromit pfeife. In zielungenauem Schlängeln eiert ein Zottelgreis an mir vorbei, sein Fahrrad über und über mit seltsamen Taschen bepackt, die windschief den Gepäckträger und das restliche Gestänge bevölkern. Amüsiert sehe ich ihm nach. Kurze Zeit später - nurmehr schemenhaft erkennbar - fällt er vom Rad auf die nasse Straße. Platsch! Es klötert und klappert. Er flucht. Schritt für Schritt komme ich ihm näher. Er kauert zwischen zwei Kleinwagen im Dunkel am Straßenrand.

"Kann ich irgendwie helfen?"

"Naja... nee... ich bin grad... also... ne? Is ja auch alles so nass hier. Und bei dem ganzen Bier is ja auch alles nich so leicht mit Fahren und so..."

"Nee, stimmt."

"Naja... und nu such ich die Klofußumpuschelung, die aufm Gepäckträger festgeklemmt war. Hab ich gestern gefunden. Die is nu wohl runtergefallen."


Die Klofußumpuschelung (türkis) wiederzufinden, die matschig im Rinnstein lag, gestaltet sich indes wesentlich einfacher, als dem volltrunkenen Zottel danach wieder aufs Rad und zum Weiterfahren zu verhelfen. Doch auch das gelingt. Er eiert mit ruckartigem Schlängeln weiter, sein unregelmäßig aufflackerndes Rücklicht winkt wie zum Gruß, während ich weiterschlurfe, meinen kleinen Ohrwurm pfeifend.

Samstag, August 06, 2005

Zu den überraschenderen Momenten im Leben gehört es, wenn man gedankenversunken am Schreibtisch Tee trinkt und plötzlich ein Eichelhäher von außen mit voller Geschwindigkeit gegen die Fensterscheibe daneben klatscht, leicht abstürzt und flugs wieder verschwindet.

Freitag, August 05, 2005

Geht heute eigentlich noch irgendwer mit einem "Henkelmann" zur Arbeit? Schnippelbohnen oder Sauerkraut mit Kartoffelpüree in der wiederverwendbaren Blechbüchse? Ist selten geworden, scheint mir.

Rein oder nicht rein

In der linken Jackentasche buddeln. Die Finger tasten, fühlen, wühlen sich den Weg durch die verwinkelten Ecken. Da? Nein, da nicht, aber. Nein, hier auch nicht. Seltsam. Die Taschentücherpackung war doch grad noch da. Gefunden. Schnell eins rausziehen. Die verschwitzten Handinnenflächen abtrocknen. Man will doch keinen unangenehmen Eindruck hinterlassen. Sich anbieten, nicht anbiedern, sich gut verkaufen, nicht prostituieren. Gratwanderung. Gleich heißt es wieder Vortanzen vor der Jury. Münster sucht den Supermitbewohner. Vorhang auf für die Casting-Show in fünf Folgen.

Wo ist die Klingel? Ach da. Der Summer geht. Ein neues, unbekanntes Treppenhaus. Die Holzbohlen der Stufen knarzen beim Aufwärtsklettern. Der Rucksack hängt locker über der linken Schulter, ein entspanntes, besonders freundliches Lächeln schmückt das Gesicht. Sympathieglocke auf Knopfdruck. Jetzt gilt’s. Angespannte Entspanntheit. Ein, zwei, drei Stockwerke höher geht die Tür auf.

„Hi, ich bin der/die. Und Du bist der, oder? Komm rein. Sollen wir uns erst, ach nee, ich zeig Dir erstmal das Zimmer. Und hier das Bad. Waschmaschine steht in der Küche. Der Fußboden wird noch, aber das regeln wir in den nächsten Wochen. Setz Dich. Kaffee? Putzplan haben wir (k)einen, aber wir kaufen das Klopapier reihum. Gespült wird immer dann, wenn. Aber das kennst Du ja sicher auch. Wohnst Du schon in Münster? Achso, so lange schon. Und warum willst Du da raus? Ach, Du musst! Mietfrist? Sowas Blödes. Ja, Studentenwerk – aber die WGs sind schön. Was machst Du so? Ah, das ist ja interessant. Mal ganz was Anderes. Spielst Du auch Instrumente? Wenn Du Schlagzeug spielst, Du bringst das Ding dann aber nicht mit hier rein, oder? Und wenn Du das studierst, dann kennst Du doch sicher auch… echt? Ist doch nicht möglich. Die Welt ist klein. Und wo kommst Du her? Achso! Dann hattest Du sicher auch ganz gelbe Hosen vom Gegendenwindpinkeln. Harrharrharr.“

Blechernes Lachen, hallt nach im Kopf. Fünf Wohnungen an einem Tag. Fünf Treppenhäuser, fünf Zimmer, zweimal weiß, zweimal gelb, einmal blau. Fünfmal neue Gesichter. Neugieriges Abtasten. Könnten die was sein für mich, wenn ja, krieg’ ich es hin, dass ich auch was für die bin. Die Mitbewerberzahl ist hoch. Kreuzverhör und Smalltalk, privates Assessmentcenter. Beinahe Massenabfertigung. Ab und zu begegne ich einem Mitbewerber. Strategische Freundlichkeit, sich nix anmerken lassen, als einer sich aufschwingt, mich ausstechen zu wollen. Unfreiwillige Komik. B. silberblickt fast durch mich durch, leiert wie eine amerikanische Teleshopmoderatorin, wenn sie spricht, lacht wie ein wieherndes Pferd. „Ich hab auch voll den tollen Mixer auf meinem Zimmer. Da passen anderthalb Liter rein. Da kann ich voll viel drin mixen. Total toll, ne?“ Hier dann doch lieber nicht. Könnte auf Dauer anstrengend werden. Mixer hab ich auch selbst.

Ein Koreaner sitzt reglos vor den CNN-Nachrichten. Wem er gehört, bleibt unklar – genauer: zu wem. Am Ende schwirren die Zimmer, die Gesichter, die Wohnungen, die Wortfetzen im Kopf wirr durcheinander. Ein Fragment jagt das andere. Wild turnen die Eindrücke durch- und übereinander. Wer gehörte wohin? Wie hießen die doch gleich? Herrje. Wenn da jetzt wer zurückruft, muss ich dann etwa nachfragen? Peinlich wäre das. Wohin möchte ich selbst denn, wohin nicht? Wild geschnittenes Kopfkino. WG-Zimmersuche, ein kleines soziales Abenteuer. Vorerst heißt es auf Antwort warten, teils hoffend.

Donnerstag, August 04, 2005

Plattdüütske Spreekworden (II)

"De een, de hett'n Rittergut, de anner ritt'n Gitter ut."

(Der Eine hat ein Rittergut, der Andere reißt ein Gitter aus.)

Labels:

Ehrenamt für Freizeitige: Schlangen und ihre Freunde retten!


"Wutz" hatte ein durchweg angenehmes Leben als Schlüsselwächterkuscheltierferkel. Eigentlich immer freundliche Kontakte, keinerlei Traumata, gute Behandlung, ein sympathsiches Umfeld. Doch nicht jedes Kuscheltier hat ein solches Glück. Schon vor einiger Zeit wurde an dieser Stelle auf die kuschelveterinäre Klinik von Prof. Dr. Kindermann hingewiesen, in der wir gesucht wurden, als Vertretungsarzt einzuspringen, um drei putzige Plüschwesen von ihren schweren Neurosen und psychopathologischen Leiden zu kurieren. Eine der großartigsten Seiten im Netz, wie ich finde. Jetzt ist ein neues Kuscheltier hinzugekommen... auch die Schlange Sly hat es hierher verschlagen. Hart zu knabbern hat das gewundene Tier an seiner jüngeren Vergangenheit. Auf auf, Hobbypsychologen dieser Welt! Schwingt die Hufe und macht Sly das Leben wieder schlängelnswert!

Dienstag, August 02, 2005

Ferkel, Wutz und die Wächter der heiligen Schlüssel


Irgendwann wird jeder älter, bis man vielleicht sogar eines Tages alt ist. Auch "Wutz". Und ab einem gewissen Alter hat man sein Lebenssoll erfüllt. Auch "Wutz". Insgesamt drei Jahre lang bewachte er meinen Schlüsselbund, rund um die Uhr. In früher Jugend noch als rosa Schweinchen voller Schmiss und Schmackes nahm er den Dienst auf und wurde fortan für einige Jahre einer meiner wichtigsten Begleiter, mein Schlüsselwächter.

Nicht einmal ich selbst kenne mich so hervorragend in meinen Hosentaschen aus wie er. Mit beinahe jedem Taschentuch und Zwanzigcentstück ist er per Du, mit dem Fachschaftsraum- und dem Briefkastenschlüssel hat er regelmäßig Skatabende veranstaltet. Doch hat ihn die Arbeit aufgerieben. Auch äußerlich. Das Alter hat spuren hinterlassen, grau ist er mit den Jahren geworden, auch die Borsten struppen zunehmend. Der Ringelschwanz ringelt sich nur noch mit halber Kraft.

Und so habe ich mich am Wochenende entschlossen, einen neuen Schlüsselwächter zu engagieren und "Wutz" in den wohlverdienten Schlüsselkuscheltierruhestand zu entlassen. Am Sonntagmorgen, während Unwetterfluten prasselnd gegen die Fensterscheiben klatschten, wurde bei Sekt und Brezeln im engsten Kreis die feierliche Amtsübergabe vollzogen. "Wutz" übergab die Schlüsselgewalt an "Ferkel", den quietschfidelen Plüschtiger. Ich wünsche "Wutz" für seinen Ruhestand alles Gute, wir werden in engem Kontakt bleiben; und ich hoffe, "Ferkel" wird ein ebenbürtiger Nachfolger. Er tritt ein schweres Erbe an, aber sowas kann einen echten Tiger kaum erschüttern. Herzlich willkommen in meinen Hosentaschen, "Ferkel".